Ein Anruf im Jahr 1937

Es war nur Zufall, aber gerade heute hatte ich Zeit, mir die aktuelle Ausstellung in der Hamburger Staatsbibliothek anzusehen. Jahrestag der Machtergreifung Hitlers, das passte schon sehr, aber das fiel mir erst ein, als ich schon vor den ersten Schautafeln stand. “Treffpunkt Tante Clara” also, so heißt die Ausstellung, es geht, ich fasse das hier ganz kurz, das ist unter dem Link ausführlich genug erklärt, um die Wirtin einer Hamburger Künstlerkneipe, die 1944 unter Bomben unterging.

Eine Kneipe war das, in der damals viel Prominenz verkehrte, Schriftsteller, Musiker, Schauspieler, Künstler, darunter etliche, die den braunen Machthabern damals nicht passten. Eine kleine Kellerkaschemme mit einem sehr reichen Innenleben, schon den wenigen noch erhaltenen Fotos und Zeichnungen sieht man sofort an, was da abends los war. Die Künstler trugen zur Raumausstattung bei, verewigten sich im Gästebuch, im Mobiliar und an den Wänden, Schauspieler trugen etwas vor, die Wirtin sang Lieder. Moritaten zu Tafeln, die von Gästen gemalt wurden. Eine Insel des anderen Lebens mitten im Dritten Reich, eine immer gefährdete Zuflucht. Ein Türsteher pfiff eine Erkennungsmelodie, wenn sich die SA oder später die Polizei näherte. Im Hinterzimmer wurden Juden diskret geholfen, Ausreisen wurden organisiert, illegale Kunst verkauft. 1944 brannte das Haus schließlich bei Bombenangriffen aus, und aus den Trümmern rettete die Wirtin, Tante Clara, nur einige wenige Stücke, die dann noch viele Umzüge überlebten, bis sie hier ausgestellt werden konnten. Die Kneipe wurde nach dem Krieg nicht wiedereröffnet.

Da sieht man also Fotos, Briefe, Postkarten in Vitrinen, ein paar Gegenstände, man liest Lebensläufe und sieht Zeichnungen an – was man eben so erwartet, in einer Ausstellung wie dieser. Man liest fremde Briefe und denkt vielleicht auch mit Rührung an diese fast schon ausgestorbene Kunst, über zwei Seiten hinweg glänzend formulierte Nichtigkeiten an nur einen Empfänger zu senden. Wie weit weg das schon ist. Man kennt viele Namen der Gäste, die bei Tante Clara verkehrten. Man registriert die eher Unbekannten am Rande, man fragt sich vielleicht, ob es in Hamburg je wieder so einen Kunstmittelpunkt gab – keine Ahnung.

Und dann ist da, das ist sehr geschickt gemacht, ein Telefon an einer Säule. Ein altes Telefon und daneben steht, man möge bitte irgendeine Nummer drehen. Man hebt also ab, hält den Hörer ans Ohr, dreht – und das Jahr 1937 geht ran. Man hat die Kneipe angerufen, man hört das Publikum johlen, man hört die Wirtin, wie sie ein Lied beginnt. Gelächter im Publikum, der Refrain wird mitgesungen, Gläser klirren, Stühle werden geschoben. Und das ist alles echt. Man hat ein paar alte Schallplattenaufnahmen gefunden, die hier abgespielt werden, das sind echte Liveaufnahmen aus der Kneipe die man da hört. Zwei Lieder und auf der einen Aufnahme einfach nur die Geräuschstimmung im Hintergrund, als hätte man da angerufen und die Wirtin verlangt, jemand hätte “Moment!” gebrüllt und den Hörer dann einfach hängenlassen. Man hört in die Kneipe hinein, man hört in das Jahr 1937, von den johlenden Gästen im Hintergrund werden vielleicht nur einige wenige die nächsten Jahre überleben. Man hört ein Stück Abendunterhaltung aus einer Zeit, kurz bevor der Untergang immer schneller immer näher rückte, man hört dieses Lachen, dieses Gröhlen und Johlen, den Ruf nach Alkohol.

Und man steht dabei neben einer Vitrine, in der es um die Rettung der Juden geht, man sieht Briefe von Überlebenden, man sieht Gegenstände, die die Wirtin noch eigenhändig aus den Trümmern geschaufelt hat. Und da, wo man steht, war früher das jüdische Viertel Hamburgs, von dem nichts mehr übrig ist. Das Jahr 1937 lacht und singt, es schunkelt, es sind Tänze am Abgrund, die man im Hintergrund hört, die meisten in der Kneipe werden es damals auch schon geahnt haben. Und wenn man dann wieder auflegt, dann macht das alte Telefon ein schweres Klick, gar nicht vergleichbar mit den Telefonen, die wir so kennen. Ein Klick, das man aus Filmen kennt, ein langsames, sehr gründliches Klick. “Kaaaaa-lick”, macht das Telefon, wie es Telefone eben damals gemacht haben, in einer Zeit, in der Ferngespräche noch viel endgültiger beendet wurden als heute. Und das Jahr 1937, mit dem man gerade noch verbunden war, geht wieder zum Teufel, wo es hingehört.

Wenn man aus der Austellung geht und ein paar Meter geradeaus, aus dem Gebäude heraus – da stand damals die Synagoge.

Die Ausstellung läuft noch bis 03.03. Sehr empfehlenswert.


5 Kommentare

  1. Ich erinnere mich daran, wie ich Anfang/Mitte der Jahre zurällig gerade an der Moorweide stand, als dort feierlich ein Gedenkstein entüllt wurde, für den „Platz der jüdischen Deportierten“. ‚Von hier aus ging es also los‘ dachte ich. Mir wurden die Knie weich und ich hatte das Gefühl, meine Beine, meine Füsse wollten Wurzeln schlagen an diesem Ort, sich festkrallen in die Erde, hatten eine geheime Verbindung in die Vergangenheit. Das Gefühl verflog so rasch wie es gekommen war, aber ich habe es nie vergessen und denke jedes Mal daran, wenn ich über die Moorweide gehe. Es gibt so Momente.

  2. danke für die atmosphärisch dichte beschreibung. ich hab zwar kaum eine chance, diese ausstellung sehen und hören zu können, aber lese und höre gerade viel von uwe timm: „am beispiel meines bruders“ und „die entdeckung der currywurst“ und denke mir das als gute ergänzung. oder eben für die, die nicht mal eben nach hamburg kommen.

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