Gone to the beach

Untitled

 

Die Herzdame und ich sind überzeugte Familienmenschen, wir mögen diesen Irrsinn mit mehreren Kindern wirklich ganz gern. Sonst würden wir es auch nicht aushalten, dass die Söhne dauernd Besuch haben, und manchmal sogar ziemlich viel davon. Das ist alles in Ordnung so, das gehört so, hier geht es eben turbulent zu. Fast immer. Nur drei Tage im Jahr nehmen wir uns frei. Frei von der Familie, frei von Kindern, frei von allem. Dann fahren wir ans Meer, als Traditionsmenschen natürlich immer ins gleiche Hotel, weil es sich sehr bewährt hat und kostenloses WLAN hat, wie es sich gehört . Die Großeltern kümmern sich an diesen Tagen um die Söhne, niemand kümmert sich um die Arbeit. Tolle Sache. Theoretisch.

Die Herzdame und ich sind allerdings beide auf vielfältige Arten beruflich und privat beschäftigt und engagiert, deswegen ist es für uns nicht ganz einfach, tatsächlich freie Tage zu haben. Es reicht bei unserem Lebenswandel eben nicht mehr aus, einfach im Festanstellungsjob Bescheid zu geben, wir seien mal kurz weg. Da hängt noch ein wenig mehr dran. Da müssen noch Texte auf Vorrat geschrieben werden, Treffen umgelegt werden, Meetings und Telefonate neu arrangiert und Kunden wegen verschobener Projektdaten angerufen werden und so weiter und so weiter. Das ist im Laufe der Jahre in einem mich immer wieder verblüffenden Ausmaß heillos kompliziert geworden und treibt uns, je näher diese drei besonderen Tage kommen, komplett in den Wahnsinn. Im Grunde ist es so anstrengend, diese drei Tage richtig freizukämpfen,  dass wir eigentlich für die Urlaubsvorbereitungen extra Urlaub nehmen müssten, allerdings ahne ich, dass diese Gleichung am Ende auch irgendwie nicht aufgehen würde. Stunden vor der Abfahrt sind wir beide mit den Nerven völlig am Ende, stehen kurz vor der Trennung und überlegen, der Einfachheit halber alles abzusagen.  Aber gebucht ist gebucht ist bezahlt, sagt der Controller in mir, und dem widerspreche ich nicht

Dann treten zwei Effekte ein. Immer. Erstens: Das Wetter verschlechtert sich. Sie werden das in wenigen Stunden live am Himmel beobachten können. Es verschlechtert sich nicht nur ein wenig, sondern geradezu dramatisch, so dass man definitiv keine Lust mehr hat, vor die Tür zu gehen. Gleichzeitig haben wir zweitens plötzlich vor lauter Erschöpfung keine Lust mehr, uns zu streiten und zu stressen. Und das zusammen führt dazu, dass wir die Zeit am Meer nahezu durchgehend im Bett verbringen. Nicht aus Liebesfuror, wie es unser schalkhafter Bundespräsident nennen würde, nein, einfach weil es geht. Lesen, Schlafen, Lesen, Schlafen, zwischendurch ein Nickerchen oder eine verträumte Pause, man macht sich überhaupt keinen Begriff, wie toll das sein kann, wenn man es nicht ein paar hundert Tage im Jahr definitiv niemals in Ruhe kann. Vor dem Hotelfenster findet die Ostsee statt, ab und zu fragen wir uns, ob wir nicht doch einmal rausgehen sollten. Dann ziehen wir nur schweigend die Decken höher. Die letzten Male haben wir noch einen Pflichtspaziergang am Strand gemacht, irgendwann werden wir sicher auch auf den verzichten können.

In der nächsten logischen Steigerungsstufe müssen wir dann Hamburg an den freien Tagen gar nicht mehr verlassen, hier gibt es ja auch Hotels, und nicht wenige. Wenn man eh nicht vor die Tür geht, kann man auch gleich das Hotel an der nächsten Straßenecke nehmen, warum denn nicht, Hauptsache Bett. Das spart die Reisezeit und das Benzin, das sind sehr erfreuliche Effekte. Und wenn man erst so weit ist, dann muss es auch bald gar kein Hotel mehr sein, man nimmt auf diese Art eigentlich kaum Service in Anspruch, das braucht man in Wahrheit alles gar nicht. Wir könnten uns einfach bei irgendwelchen kinderlosen Freunden hier im Stadtteil ins Gästezimmer zurückziehen: “Wir möchten hier einfach nur liegen.” Einfach nichts machen. Das geht doch wirklich überall.

Aber dann fällt mir wieder ein: Das Nichts an der Ostsee wirkt einfach gründlicher.  Ich habe sogar, erinnere ich mich dunkel, einmal ein Buch darüber geschrieben. Aber es fällt mir tatsächlich jetzt zum ersten Mal auf, mit welch großem Genuss ich heute an die Ostsee fahren kann, um sie zu ignorieren.

Wir sind ab morgen mal kurz am Meer, und es wird sehr schön und furchtbar langweilig werden. Nur kein Neid.

(Der Wirtschaftsteil und die Sonntagskolumne für die Lübecker Nachrichten erscheinen dennoch wie gewohnt.)


15 Kommentare

  1. eine idee wäre auch, die kinder einfach für drei tage wegzuschicken ??!! öhm.
    schönen urlaub & gute erholung.
    grüßen sie die ostsee. falls sie sie sehen.

  2. Viel Vergnügen beim Ausruhen! Das ist eine tolle Idee, wäre hier auch mal nötig. Schlafen, Lesen, Essen. Was nehmen Sie denn als Lektüre mit?

  3. Klingt doch super: gepflegtes Nixtun – und das den ganzen Tag. Hach. Viel Vergnügen beim Akku-Aufladen!

  4. Das klingt super und nehme ich mir auch sehr oft vor… Immer will ich nach Rügen, aber das letzte Mal war ich (erschreckenderweise) 2011 dort. Naja, im Oktober geht es nach eingehender Recherche 3 Wochen nach Nepal. Da wird man ums Abschalten nicht herumkommen..
    lg Lydia

  5. Bisher kannte ich das Bed-in ja nur von Herrn und Frau
    Lennon. Ihr macht das bestimmt besser, ohne Kameras.
    Ich wünsche die totale Erholung.

  6. Was machen Sie eigentlich, wenn unerwartet eine Hochdruckfront auf der Bildfläche erscheint ? 🙂

    Gute Erholung wünsch ich Ihnen beiden !

  7. Hier in Buenos Aires gibt es die telos, Stundenhotels, die aber keine Prostituierten reinlassen. Die Zimmerchen werden angeblich nicht nur für Affärchen genutzt, sondern auch von Paaren, die mal ungestört dingsen wollen, und von Teenies, die zu Hause von den Eltern beim Dingsen gestört würden. Man kann sich aber bestimmt auch einfach nur richtig ausschlafen.

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