Hamburger Regionalwaren

Da ich für den donnerstäglichen Wirtschaftsteil jetzt öfter Themen mit Bezug auf Bio und Öko und Regio und dergleichen lese, kam ich neulich über einen Kommentarlink auf die Seite “Hamburger Regionalwaren”, die ich nicht kannte und die mir interessant vorkam. Ich habe mit dem Gründer der Firma ein paar Mails getauscht und dann haben wir beschlossen, uns einmal zu treffen. Und da Sachen machen mit Isa traditonell mehr Spaß macht und sie sich auch gerade intensiv mit diesen Themen beschäftigt, waren wir dann zu dritt.

Wie immer, wenn es bei Isa und mir um Termine geht, dauerte die Planung allerdings ein wenig. In diesem Zusammenhang sei kurz erwähnt, dass Isa mich nicht ganz zu Unrecht gerne als “kalenderbehindert” bezeichnet, während sie selbst das kürzeste Kurzzeitgedächtnis aller mir bekannten Menschen hat, weswegen unsere gemeinsame Planung nicht immer einfach ist. Dass wir dennoch ziemlich häufig gemeinsam unterwegs sind, spricht sehr für ihren duldsamen und belastbaren Charakter und für meine ungewöhnlich treue Anhänglichkeit. Wir haben ziemlich viele Mails geschrieben, bis wir dieses Treffen endlich klar hatten. Mails, in denen wir Ulf Schönheim, den Gründer der Firma Regionalwaren, immer wieder der Einfachheit halber als den “Regionalulf” bezeichneten. Als wir ihn dann Wochen später tatsächlich trafen, mussten wir ihm daher erst einmal erklären, dass er jetzt nicht mehr Ulf, sondern Regionalulf heißt. Er trug es mit Fassung, das sprach schon einmal für ihn.

Terminlich war die Verabredung also nicht ganz einfach, räumlich sollte sie umso einfacher werden. Der Regionalulf schlug vor, dass wir uns in der Oberhafenkantine treffen sollten. Das ist eine Hamburger Gastro-Berühmtheit, ein Lokal, das etliche Touristen besuchen. Es kommt in vielen Reiseführern vor, es ist schon sehr lange kein Geheimtipp mehr, es wurde, das kann hier im Norden jeder mitsingen, schon einmal von der Mutter von Tim Mälzer geführt. Einer der Orte in Hamburg, die jeder Taxifahrer kennt und an denen fast alle Hamburger schon einmal gewesen sind. Alle, außer Isa und mir. Aber es ist faszinierend – weil dieses Lokal jeder kennt, hat man selbst als Unwissender so eine ungefähre Ahnung, wo es sein muss. Irgendwo hinter den Deichtorhallen und dem Spiegel-Gebäude nämlich, das kann so schwer gar nicht zu finden sein. Dachten wir.

Wir gingen von der U-Bahn grob Richtung Elbe, das Ding heißt ja Oberhafenkantine, wo soll es also wohl sonst stehen, wenn nicht direkt am Fluß. Wir passierten die Deichtorhallen und das Spiegelgebäude, gingen zweimal um eine Ecke und standen schon im völligen Nichts der ewigen Baustelle der Hafencityausläufer. Weite Sandflächen, halbe Straßen, unklare Wege, irgendwo in der Ferne schlurften Bauarbeiter durch die staubige Gegend und trugen Zeugs herum. Touristen drehten ratlos Stadtpläne. Wo es hier brauchbare Wege und Brücken gab, man konnte es nur ahnen. Wir gingen Wege entlang, die wiederholt im städtebaulichen Ungefähr endeten. Wir fragten Passanten nach dem Weg, die selber nicht wussten, wo sie waren, den meisten schien es auch gar nichts auszumachen. Das waren dann wohl diese Menschen mit Tagesfreizeit, von denen man immer hört. Isas Handy sagte, wir seien im Nichts, blau blinkte der Ortungskreis in großer weißer Fläche, das glaubten wir sofort. Schließlich ahnten wir, dass ein windschiefes Gebäude da ganz hinten das Zielobjekt sein musste. Wir schlugen uns dahin durch und merkten vor der Tür, dass wir etwa eine halbe Stunde völlig sinnlos im Kreis gelaufen waren und den wirklich dümmstmöglichen Weg genommen haben. Wir hatten ein Treffen zum Thema regionale Waren, von unserer eigenen Region haben wir aber offensichtlich überhaupt keine Ahnung. Auch eine Erkenntnis.

Die Oberhafenkantine ist nicht nur ein wenig schief, wie es alte Gebäude oft sind, nein, sie ist richtig schief. Sie ist so schief, dass man aus einem tiefen Teller gerade noch eben Suppe essen kann, ohne dass sie komplett ausläuft. Man braucht eine ganze Weile, bis man auf der schiefen Ebene des Lokalbodens eine angenehme Sitzposition gefunden hat. Ein Gebäude mit schrägem Charme und Charakter , keine Frage. In welcher Körperhaltung das Personal, das hier den ganzen Tag schief gehend bedient, abends auf normal geraden Wegen nach Hause wankt – man kann es sich nicht vorstellen.

Ulf Schönheim, der Regionalulf, hat die Firma Hamburger Regionalwaren gegründet, er vertreibt Waren in Bioqualität, aus traditioneller Herstellung, aus dem Umkreis von Hamburg. Alles hergestellt in eher kleinen oder sogar kleinsten Betrieben. Es ist natürlich nicht ganz einfach, eine wirklich kleine Molkerei in einem Branchenumfeld zu betreiben, das nur noch aus Konzernen besteht. Es ist auch nicht ganz einfach, als Verein so etwas Seltsames zu tun wie selbst Salz zu sieden oder als Manager den Beruf zu schmeißen und auf Imker umzusatteln, dahinter stehen auch immer Geschichten – wir kommen womöglich im Laufe des Jahres noch darauf zurück. Wir hatten da zwischendurch so ein gewisses Content-Flackern in den Augen, darüber wird noch gründlich nachzudenken sein. Es mag interessant sein, sich bei all den heillosen Komplikationen, die das Thema “Richtiges Einkaufen” mit sich bringt, auch einmal um die Geschichten hinter den Herstellerbetrieben zu kümmern. Wir reden hier bei den landwirtschaftlichen Produkten vom Gegenteil der üblichen Industrieware, es geht um Lebensmittel, die man noch mit Regionen und Personen und Traditionen in Verbindung bringen kann. Der Marktzugang ist für diese Kleinsthersteller natürlich schwierig, ohne Wochenmärkte und Vertriebsformen wie die Hamburger Regionalwaren wird man nicht gerade einfach an diese Produkte kommen.

Die Waren sind nicht alle bio-zertifiziert, aus nachvollziehbaren Gründen. Denn der Aufwand für Zertifikate ist für kleine Unternehmen, die man vielleicht nicht einmal Unternehmen nennen möchte, so klein sind einige davon, nicht unerheblich. Wenn jemand nur ein einziges Produkt aus Überzeugung oder Leidenschaft herstellt und das dann vielleicht nicht einmal so betreibt, dass er davon komplett leben kann, dann wird er den Verwaltungsaufwand für ein Bio-Zertifikat kaum eingehen wollen, obwohl das Produkt allen Ansprüchen in dieser Hinsicht genügt. Es ist übrigens auch noch gar kein großes Angebot, das da vertrieben wird, aber doch ein sehr feines. Und es wächst. Der Regionalulf kennt jeden Lieferanten, er weiß, wie hergestellt wird und wie es in dem Betrieb zugeht. Auf der Seite der Firma kann man, wenn man die einzelnen Produkte aufruft, mehr über die Herstellerbetriebe lesen. Man kann einfach online bestellen, der Regionalulf fährt die Ware dann einmal wöchentlich persönlich nach Hamburg aus.

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Ich habe mich ein wenig durch das Angebot gefuttert, denn was tut man nicht alles für die geschätzte Leserschaft, da isst man auch einmal konzentriert Delikatessen und übt sich auch noch in Foodfotografie, immer mutig voran. Diese Wurst hier vom Biohof Quellen z.B. ist ein Erlebnis. Wenn man Mettwurst mag – das ist dann so etwas wie die Obermettwurst. Schmeckt, wie sie aussieht, nämlich sensationell. Die Mutter aller Mettwürste.

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Senf aus einer Senfmanufaktur, wenn das kein schönes Wort ist. “Was machen Sie beruflich?” “Ich habe eine Senfmanufaktur.” Das hat geschmacklich mit dem Senf aus dem Supermarkt natürlich nichts mehr zu tun. Zu dem Senf gibt es übrigens anderweitig auch gerade einen frischen Blogartikel.

 

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Gute Butter. Mehr muss man nicht sagen, man muss es nur richtig betonen, in der Aussprache von Jochen Malmsheimer. Gutebutter! (Wer den Ausdruck von ihm nicht kennt, der schaue sich das hier an) Und wenn man dazu noch gute Kartoffeln hat, dann braucht man gar nichts anderes mehr, für eine anständige Mahlzeit.

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Schmeckt sehr anders als der Saft, den man sonst so kauft. Was wohl daran liegt, dass hier nur richtig reife Früchte vermostet werden, wenn das denn so heißt, während Äpfel sonst gerne ein wenig zu früh versaftet werden. Egal, der Saft hat jedenfalls viel mehr Aroma, als man es von Apfelsaft kennt. Sagen wir, etwa dreimal so viel.

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Die Quitte hat ein Image-Problem in Deutschland, viele kennen sie nicht einmal. Ich finde Quitte allerdings super. Zumindest auf Brot. Ansonsten kenne ich sie nämlich auch gar nicht, wie mir gerade auffällt.

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Soltauer Salz. Noch nicht getestet, der Sack ist so niedlich, den kann ich einfach nicht anbrechen. Kennen Sie die Kurzgeschichte “Die Peinigung der Lederbeutelchen” von Heimito von Doderer? Ein wirklich seltsames Stück Weltliteratur. Fiel mir spontan wieder ein, als ich dieses Salzsäckchen in der Hand wog.

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An der Käsefotografie bin ich komplett gescheitert, der sah immer irgendwie, haha, käsig aus, und zwar nicht im positiven Sinne. Es war trotzdem guter Käse, das ist bei Käsesorten nämlich wie bei den Menschen – nur weil sie nicht fotogen sind, können sie dennoch liebenswert sein.

Die Hamburger Regionalwaren gibt es hier auch auf Facebook und auf Twitter. Ich kann die Ware sehr empfehlen. Und ich bin recht sicher, dass es im Zusammenhang mit den Herstellern die eine oder andere Exkursion aufs Land geben wird. Sofern Isa und ich jemals wieder einen Termin und dann auch noch einen Weg finden.

13 Kommentare

  1. Dass ich das kürzeste Kurzzeitgedächtnis aller Dir bekannten Menschen hätte, ist natürlich ein Euphemismus sondersgleichen. Die Wahrheit ist ja leider, dass ich überhaupt das schlechteste Gedächtnis der Welt habe.

  2. Da kann man mal sehen, wie wichtig der „Siedlungsbrei“ südlich der Elbe für die Ernährung ist. =D
    Milchprodukte vom Hof Dallmann und von Fehling werden bei unseren örtlichen EDEKAs verkauft. Vom Hof Dallmann kommt übrigens ein ganz toller Schnittkäse mit Paprika. Die „Gutebutter“ ist allerdings schon sehr teuer

  3. Wenn die öffentlichrechtlichen Mediatheken nicht zwangsweise mit Isa um den Schnellvergergessensweltmeisterinnentitel wetteifern müssten, dann könntet Ihr die schöne Quittensendung des BR sehen, die mich im letzten Herbst begeisterte. Da kam nämlich der Quittenpapst vor, mit dem sich der Regionalulf bestimmt prima verstehen würde.

  4. Sehr schön, das werde ich mir mal intensiver anschauen. Und wo schon von guten Kartoffeln die Rede ist: Wo kriegt man denn welche? Und wie erkennt man sie?

  5. Quittengelee gibt es noch vergleichsweise häufig. Aber wo bekomme ich nur Quittenkonfitüre, wie sie die Schwester meiner Großmutter früher selbst gemacht hat?

  6. Ach, die Quitte. Interessanterweise habe ich damit irgendwie eine völlig Erfahrungswelt zu vermelden: Ich bin mit/in einem großen¹ Garten aufgewachsen, wo es neben den üblichen Obstsorten Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen auch ein paar Quittenbäume gab. Für Kinder ziemlich uninteressant, da die Früchte steinhart sind und damit roh nicht viel anzufangen war. Aber sie wurden wie die meisten anderen Früchte auch zu Kompott eingekocht, was wiederum ziemlich lecker ist. Wie mir gerade auffällt, wurden sämtliche Obstsorten aus unserem Garten nie zu Marmelade/Konfitüre verarbeitet, wie das heute sehr viel üblicher ist, sondern größtenteils zu Kompott verarbeitet. Merkwürdig.

    Wie auch immer, für mich war eine Quitte etwas völlig normales, was in jedem zweiten Garten steht und sowieso jeder kennt. Dass das nicht so ganz stimmt, wurde mir dann erst sehr viel später klar …

    ¹ wirklich großem Garten: Der wurde später verkauft und darauf vier Einfamilienhäuser samt Gärtchen errichtet.

  7. mein lieblings-senfpauli ist ja „mord im orient“. dicht gefolgt von „himbeerfelder für immer“.

  8. @Susanne Ich mag diese Phantasie und den Witz bei der Namensgebung von Regionalwaren und Bio-Produkten sehr. So bekommt man im Geburtstagsfall schnell einen netten Geburtstagskorb mit guten Sachen und viel Bedeutung zusammen.

  9. @Stephan Das nervt mich auch so, dieser Schnellvergergessensweltmeisterinnentitel der öffentlich rechtlichen Mediatheken.

  10. Daumen nach oben! Auf die Geschichten hinter den Herstellern bin ich sehr gespannt.

    Zu Quitten möchte ich noch den Tipp http://www.quittensecco.de loswerden – habe ich dieses Wochenende zufällig in Franken, da wo das Zeug auch direkt in einem Projekt zur Erhaltung alter Quittensorten hergestellt wird, kennen gelernt. Toll.

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