Der Dings

Als Norddeutscher lernt man normalerweise nicht dauernd neue Menschen kennen. Wir sind ja hier nicht am Rhein, wo jeder mit jedem spricht und sich alle abends in der Kneipe nach dem ersten Glas in den Armen liegen. Nein, hier macht jeder stur sein Ding und das ist natürlich gut so, wir stören dabei immerhin auch keinen. Andere Menschen kennenlernen, etwa zum Zwecke der Ehe und zur Fortpflanzung, das erledigen wir möglichst in jungen Jahren, danach ist dann aber Schluss. Dann lebt man so dahin und hat die immer gleichen Freunde, Nachbarn und die Familie, und, seien wir ehrlich, es reicht auch. Mehr Mensch braucht kein Mensch.

Es sei denn, wir kriegen tatsächlich Kinder. Dann wird alles anders, dann lernt man eine Hundertschaft neuer Leute kennen, nämlich die anderen Eltern. Mit denen kommt man unweigerlich ins Gespräch, das geht gar nicht anders. Dauernd spricht man mit denen, immer wieder, täglich sogar. So oft, dass man unmöglich leugnen kann, sie zu kennen. Sie werden zu ganz normalen Kontakten, einige davon sogar zu Freunden. Da könnte es nützlich sein, sich die Namen zu merken. Es ist auf Dauer etwas unhöflich, einen anderen Vater immer nur als „der Dings“ zu bezeichnen. Auch Mütter haben Eigennamen und heißen nicht nur „die Mama der Zwillinge“, auch wenn sie von allen nur so genannt wird. Das mit den Namen ist bei 100 neuen Leuten aber schwierig, um es einmal ganz milde auszudrücken.

Ich bin immer froh, wenn ich vom Spielplatz komme und wieder an meinen Computer darf. Ob ich da Mails schreibe oder auf Facebook oder Twitter oder sonst wo im Internet bin, es ist alles so viel einfacher als auf dem Spielplatz. Denn an den Menschen, mit denen ich online kommuniziere, stehen immer die Namen dran, das ist wirklich praktisch. Der Dings, er heißt Stefan! Es steht ja da. Ganz einfach. Nie würde ich seinen Namen vergessen. So lange ich am Computer sitze.

Ich glaube ja, das ist der eigentliche Grund für den Riesenerfolg des Internets. Aber das ist womöglich nur eine Randmeinung.

(Dieser Text erschien als Sonntagskolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

7 Kommentare

  1. haha… nein, das ist keine Randmeinung! Ich bin auch so eine „Expertin“ mit keinem Namensgedächtnis 😉

  2. Wenn man ein neues Elternpaar kennenlernt, reicht es eigentlich aus, sich nur einen Namen zu merken und zwar den des Stakeholders für Familienangelegenheiten auch Mutter genannt. Für den Vater reicht die Bezeichnung der Dings von ……… (hier Name der Mutter einsetzen) vollkommen aus.
    Da reduziert man das Problem gleich um die Hälfte.

  3. Die Mitteilung, dass Google keine Gesichtserkennung auf seinen „Glass“es anbieten darf, sollte Sie unter diesen Umständen hart getroffen haben, Herr Dings, nehme ich an?

    Mich ebenfalls!

    Beste Grüße von Süd nach Nord!

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