Hallamati 2013

Die Stammleserschaft wird diesen Beitrag am heutigen Tag fest erwartet haben, der Rest sieht bitte hier nach, worum es bei diesem seltsamen Begriff Hallamati eigentlich geht, es erschließt sich dann schon.

Im Vorwege des diesjährigen Hallamatis fragte Sohn I übrigens nach, wieso wir hier eigentlich alle Hallamati sagen, weil nämlich, das würde doch eigentlich ganz anders heißen? Und ich habe ihm erklärt, dass er selbst tatsächlich der Urheber des Begriffs war, vor nun schon einigen Jahren. Das fand er sehr gut von sich und auch witzig und übrigens völlig korrekt von mir, darüber lustige Geschichten zu schreiben. Noch sind wir also auf einer Linie, was dieses Verständnis angeht. in naher Zukunft werde ich mein Schreiben über ihn aber sicherlich ändern müssen, das Kind kann bald lesen und, fast noch wichtiger, seine Freunde auch. Da muss man also ganz anders werten und durchdenken, was online vorkommen darf und was nicht, versteht sich. Es ist kompliziert. Aber das nur nebenbei. Sohn II jedenfalls merkte zu dieser Erzählung an: “Dann hat mein Bruder ja meinen allerschönsten Lieblingsbegriff erfunden? Das ist aber nett von ihm.”

Nachdem die Söhne im letzten Jahr nur mit sehr mäßiger Begeisterung am Martins-Zug teilgenommen haben, gingen wir in diesem eigentlich davon aus, dass beide das Event komplett verweigern würde. Aber so berechenbar sind Kinder dann doch nicht, aus unerfindlichen Gründen haben sich beide seit Wochen auf den Tag gefreut. Auf den Reiter mit der Alufolie um die Reiterkappe also, auf den Gottesdienst mit der grottenschlechten Akustik, auf das Herumlaufen mit der selbstgebastelten Laterne und mit bemerkenswert schrägem Gesang. “Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind” wird hier seit etlichen Tagen in Endlosschleife gesungen, so häufig, dass sogar ich allmählich darin textfest geworden bin, obwohl ich doch als Norddeutscher ohne Bezug zum Katholischen komplett ohne den ganzen Zauber aufgewachsen bin.

Sohn II ist dann in der Kirche während des Gottesdienstes vor dem Martinszug auf Knien durch den Mittelgang gerutscht, immer auf und ab. Dagegen lässt sich eigentlich nichts einwenden, in der Kirche auf Knien herumzurutschen ist nicht völlig unüblich, so weit ich weiß, man könnte es sogar fast als Zeichen guten Benehmens deuten, nicht wahr. Jedenfalls wenn das Herumrutschen nicht so eindeutig sportliche Aspekte gehabt hätte, es handelte sich anscheinend um eine Art sehr schnelles Wettbüßen mit einem seiner Kumpel. Auch das Hochreißen der Arme vor dem Altar mit dem Ausruf “Erster” liegt vermutlich nicht ganz in der Tradition. Eine sportliche Übung, die zudem von anderen Kindern leider auch mit lautstarker Anfeuerung unterstützt wurde, die Bande ist da soweit solidarisch.

Ich war alleine mit den Söhnen in der Kirche, die Herzdame musste arbeiten. Ich war daher froh, dass nur Sohn II im Mittelgang herumtobte, es wäre kompliziert gewesen, gleich zwei Kinder wieder einzufangen und in eine Kirchenbank zu zwingen. Aber Sohn I machte heute deutlich weniger Mühe. Er kokelte hinten bei den Opferkerzen herum und lebte endlich seine pyromanischen Neigungen völlig enthemmt aus, das ging ruhig und besinnlich vor sich. Gut, es waren hinterher nicht mehr viele Kerzen übrig, aber was soll’s. Etwas Schwund ist immer.

Die Schüler einer Grundschule führten ein Stück auf, in dem der Heilige Sankt Martin also erwartungsgemäß seinen Mantel mit dem Bettler teilte. Eine Geste, so einfach und schlicht, dass sie jedes Kind versteht, der Tag ist ja nicht umsonst ein Fest für die Kleinen. Einer ist arm, einer hat einen Mantel, da wird geteilt, alle sind glücklich. Jedes Kind versteht das. Jedes Kind, mit Ausnahme von Sohn II, der nach dem Stück zu mir kam und mich nachdenklich fragte: “Dann hatte der Bettler doch immer noch kein Geld und Sankt Martin hatte kaputte Klamotten – das war dann doch keine Lösung? So kann die Geschichte doch nicht ausgehen?”

Nicht jeder hat einen Sinn für erbauliche Inhalte. Ich sehe ziemlich schwarz, was seine Hinwendung zum Christentum angeht. Die Art der Fragestellung deutet eher auf eine Karriere bei McKinsey als im Dienst einer Religion.

Dann zogen wir wieder – rabimmel rabammel rabumm – um den Block. Girandola, girandola, ich gehe mit meiner Lateeeerne, Sankt Maaaaartin. Immer wieder, und dann von vorne und dann noch einmal. Umherwuselnde Kinder, suchende Erwachsene. Zertrampelte Laternen, weinende Kinder, Stadtmenschen, die zum ersten Mal in Pferdekacke treten. Ein Trupp mir unbekannter Jungs, der vor mir herlief, diskutierte die Machtverteilung im Universum, wer da eigentlich genau was zu sagen hat. Die Polizei etwa regelt den Verkehr, aber Gott bestimmt sonst alles, so ungefähr musste es wohl sein? Allgemeines Nicken, bis einem einfiel, dass Bauarbeiter womöglich noch mehr bestimmen können als Gott. Da war man sich nicht sicher, zweifelnde Blicke. Gott ist immerhin weiter oben, andererseits hat ihn aber niemand je einen Bagger steuern sehen, es ist immer wieder überraschend, wie ernst kleine Experten diskutieren können. Wer einen Bagger steuert, der regelt wirklich was, oder nicht? Wie völlig absurd diese Gespräche verlaufen, wie seriös aber dabei geguckt wird. Ähnlichkeiten mit den Gesprächen der Großen in den Konferenzräumen der Welt sind keineswegs rein zufällig. Wie bereitwillig abwegige Gedanken aufgenommen, abgesegnet und verfeinert werden, wie stark die Meinung der Gruppe auf den Einzelnen wirkt. Wie genau alle beobachten, wer was sagt und in welches Lager man wohl gerade gehört. Erst halten alle die Idee mit dem allmächtigen Bauarbeiter für ausgemachten Schwachsinn, hundert Meter weiter ist die Lage schon kippelig, die Mehrheiten unklar. Noch dreimal um den Block und die Baggerfahrer dieser Welt wären von den Nachwuchsdenkern heilig gesprochen worden. Na, wer weiß denn schon genau, wie die Freimaurer entstanden sind?

Und weil die Söhne heute beide bis zum Ende durchgehalten haben, wird es vermutlich auch im nächsten Jahr noch einen Hallamati-Eintrag geben. Der dann auch deswegen weiterhin so heißen darf, weil Sohn I sich jetzt wirklich große Mühe gibt, den Begriff im Freundeskreis zu missionieren. Und er ist nicht erfolglos. Vor ein paar Tagen sprach einer seiner Freunde tatsächlich ebenfalls vom Hallamati und wusste auf meine Nachfrage nicht mehr genau, wo das Wort herkam. Wir lassen es einfach weiter im Stadtteil einwirken. Das wird schon.


 

8 Kommentare

  1. „Wir lassen es einfach weiter im Stadtteil einwirken.“

    das ist ja auch sehr hübsch. es kann also nur noch wenige jahre dauern, bis wir den begriff dann endlich im duden finden.

    vielleicht lernt ihn bis dahin auch die hochbahn – sprachen die doch auf twitter heute schlicht von „laternenumzügen“ im bereich lange reihe, die halbe wahrheit verschweigend.

  2. Wenn wir zu St. Martin um die Häuser zogen, gab es ein ungeschriebenes Gesetz: wer uns Kindern die Türe nicht öffnete (und womöglich noch schnell das Licht löschte), der durfte laut und ausdauernd als „GITZHALS! GITZHALS!“ gebrandmarkt werden. Das war große zornige Klasse. Würde ich heut gern noch singen, bei dem einen oder anderen.

  3. Danke. Den Text (und die der Vorjahre) lesen zu dürfen hat mich nach den Geschehnissen des gestrigen Abends in ähnlichem Zusammenhang völlig wiederhergestellt. Sozusagen nicht nur den heutigen Tag gemacht, sondern den gestrigen wiedergutgemacht.

  4. Pingback: Eine Ladung Links (3) | repp.cc

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