Und überhaupt

Hier war es in den letzten Tagen verblüffend ruhig, das hat natürlich Gründe. Genau genommen hat es hauptsächlich einen Grund, noch genauer liegt es an einer dieser Telekommunikationsfirmen, ich werde keinen Namen nennen. Die Herzdame hatte in den letzten Tagen mit dem sogenannten Kundenservice dieser Firma so viel Kontakt, dass sie mittlerweile selbst für nordostwestfälische Verhältnisse nervlich zerrüttet wirkt. Ob sie jemals wieder aufhören wird, den Kopf zu schütteln – man weiß es noch nicht, ich habe mich aber auch schon an die permanente Bewegung gewöhnt. Stellen Sie sich eine auffallend blasse Herzdame vor, die mit mahlenden Kiefern, zuckenden Muskeln im Gesicht und leiser, geradezu fauchender Stimme im „Ich geh da jetzt raus“-Tonfall murmelt: „Ich ruf da jetzt an“ – und die dann wieder einmal das Telefon nimmt, als würde sie nach einer Giftschlange greifen. Dann zieht sie sich für den Rest des Nachmittages ins Wohnzimmer zurück, niemand wagt es, sie dabei zu stören. Das geht schon seit über drei Wochen so. Die Kinder haben sich längst darauf eingestellt, nur noch von mir versorgt zu werden. Der Mensch ist so herrlich anpassungsfähig.

Wegen dieser Konflikte waren wir jedenfalls zeitlich etwas blockiert und teilweise offline. Natürlich kann man auf Umwegen dennoch online sein, wenn der Hauptanschluss offline ist, aber das ist sehr langsam und macht auf Dauer keinen rechten Spaß. Bestimmt gibt es sich auch wieder. Bestimmt drückt irgendwann irgendeine Knallcharge aus dem sogenannten Kundenservice den richtigen Knopf – und sei es aus Versehen. Und dann geht es hier auch wieder normal weiter.

Davon abgesehen brauchen wir aber alle sonstigen verfügbaren Zeitfenster für die Schulranzenauswahl, denn Sohn I kommt im August in die Schule. Nach Meinung der Mütter im Umfeld wird das arg knapp, der Ranzen muss jetzt gekauft werden, jetzt sofort, noch an diesem Wochenende, denn in Kürze lösen sich alle Ranzenreserven Deutschlands vermutlich in Luft auf und das Kind bekommt dann womöglich keinen mehr und wird natürlich schon im ersten Schuljahr depressiv. Das will keiner! Deswegen sind die Eltern des Stadtteils in einer Art kollektiven Schulranzenauswahlhysterie. Falls Sie keine Kinder haben, werden Sie es gar nicht wissen, aber die Schulranzenauswahl ist eine komplexere Aufgabe, als man zunächst meint. Neuwagenkauf Kinderspiel dagegen.

Man muss bei Ranzen Größe, Gewicht, Regendurchlässigkeit, Stabilität, Verarbeitung, Umfang, Farbe, Muster, Sitz, Material, Preis etc. vergleichen. Wenn man das in Excel darstellt, wird einem schwindelig, und das schreibe ich als Controller in einem Konzern. Ich manövriere mich bei dem Ranzenthema übrigens gerade ins soziale Abseits, denn mir will einfach nicht aus dem Kopf, dass der Schulweg von Sohn I in entspannten fünf Minuten zu bewältigen ist und der Ranzen meist leer sein wird. Da kommt nämlich nur ein Frühstücksbrot rein, der Ranzen ist reine Symbolik, in Ganztagsschulen werden überhaupt keine Bücher mehr hin- und hergetragen. Wissen Sie, warum die Kinder überhaupt noch Ranzen haben? Die Kinder haben Ranzen, weil die Kinder vor ihnen auch Ranzen hatten. Die Schuldirektorin lacht seit Jahren darüber. Da mal drüber nachdenken! Und dann überlegen, seit wann wir eigentlich keine Keulen mehr dabei haben, obwohl die Vorfahren die doch auch immer dabei hatten. Was ist da passiert? Egal. Der Sohn trägt da also bald ein potemkinsches Gepäckstück durch die Gegend, das so ausgewählt wird, als müsste es eine Mount-Everest-Besteigung bei schlechtem Wetter aushalten können. Es leuchtet mir einfach nicht ein. Wenn man aber in Schulranzenauswahldiskussionen leise etwas murmelt wie etwa: „Kauft doch einfach irgendwas, ist doch eh egal“, rücken alle anwesenden Eltern ein Stück ab und sehen einen an, als hätte man den Verstand verloren. Oder, noch schlimmer, sein Kind nicht lieb.

 Man kauft übrigens, wenn man einen Ranzen kauft, nicht etwa EIN Produkt, nein, man kauft etwa sieben Produkte, vielleicht auch acht oder neun. Denn zu einem Ranzen gehört heute, ich habe das gar nicht gewusst, ein wundertütenähnlicher Beigabenwahnsinn. Zu einem Ranzen gehört eine Federtasche, ein Turnbeutel, ein Stundenplan, ein Sonderdings für Ordner und Hefte, ein Frisbee, ein Flummi, ein Brustbeutel und so weiter. Wenn Faltboote, Notfallsignalraketen oder lebende Hamster beigelegt werden, es wundert mich alles nicht mehr. Und das kann und muss man dann natürlich auch alles vergleichen, was da so beiliegt. Das ist der Konzentration auf das Wesentliche und auf den Preis zwar eher abträglich, aber es erzeugt so eine Art Kaffeefahrtverwirrung. Wenn sie dieses Topfset nehmen, bekommen Sie die Matratze da noch oben drauf und 500 Gramm Schinken für den halben Preis und außerdem ein Abo der Brigitte für ein halbes Jahr mit zehn Prozent Rabatt in den ungeraden Monaten. Man versteht nichts, man bekommt aber auf jeden Fall sehr viel, das versteht man dann doch. Und viel ist natürlich immer super, eh klar.

 Ich sitze hier also höchst verstimmt in meiner kleinen sozialen Nische der Schulranzenauswahlnichtteilnehmer offline und unrasiert herum und warte auf bessere Zeiten. Irgendwann wird alles wieder gut. Irgendwann sind wir wieder online, im Familienverbund entspannt und im Besitz eines Ranzens mit den attraktiven Beigaben der Saison, versteht sich. Wir haben das Kind ja lieb. Und bald auch einen anderen Telefonvertrag.

 

16 Kommentare

  1. Ranzen… OMG…
    Der Ranzenkauf hat mehr Regeln als die Formel 1.
    Am schlimmsten sind die großen Federmappen. Voll bestückt mit Buntstiften und Bleistiften und Radiergummi und Anspitzer. Und nichts davon wird gebraucht. Lehrer(innen) haben da ihren eigenen Kopf bei der Grundausstattung..
    BTW Radiergummi… Es empfiehlt sich ein Jahresvorrat von Staples. ^^

  2. Unbedingt das richtige Markenprodukt nehmen, damit das Kind nicht gleich ins soziale Abseits muss. Und, nein, ich meine das nicht ironisch.

  3. Na, wenn es sowieso egal ist, lassen Sie doch einfach Sohn I aussuchen- es wird dann sicher das teuerste Model. Aber immerhin gefällt es dem Kind (und wie ich bei meinen Vorschulkindern lernte, ist das wichtigste am Ranzen das Muster). Viel Erfolg und gute Nerven für die Herzdame wünsche ich!

  4. …und spätestens in der 3. klasse gefällt dem sprössling das motiv oder die farbe nicht mehr und man muss erzierherisch einwirken oder einen neuen ranzen kaufen 😉

  5. Sehr mutig, die Aussage „Kauft doch einfach irgendwas, ist doch eh egal“ bei der Schulranzenauswahl. Da wird man wahrscheinlich sozial genauso geächtet wie nach der Feststellung „Pink Floyd? Die sind doch total überschätzt!“

  6. Oh ja, die Probleme kenne ich auch, allerdings aus Erfahrung als Kind. Vor meinem ersten Schuljahr haben wir auch lang gesucht und dann einen Ranzen gefunden. Keineswegs den teuersten oder von einer bestimmten Marke, wirklich schön find ich den heutzutage auch nicht mehr, aber damals war das ziemlich sicher anders. 😉
    Damit stieß ich dann doch aus der großen Menge an Scouts raus, die es bei uns gab.
    Für die weiterführende Schule gab es dann ein Markenprodukt, das ich unbedingt haben wollte, weil das ja „alle“ hatten. Den hab ich dann etwa 2 Jahre genutzt und danach nur noch „normale“ Rucksäcke verwendet… da hat sich das Geld für den Ranzen keineswegs gelohnt.

    Aber gut, wir mussten damals auch immer alle Bücher mitbringen, auch einen Atlas und so Zeugs, da war schon viel Platz im Ranzen nötig.

  7. Ach was, in den Sommerferien sind die Dinger viel günstiger, da kann man ganz beruhigt noch mit dem Kauf warten 😉

  8. Ruhig Blut;-) zum Glück habe ich DAS Thema hinter mir gelassen… rückblickend stellt sich heraus, dass es nicht wirklich wichtig ist, welchen Ranzen die Kinder haben: das ist wohl eher ein Problem der Eltern, die alles perfekt und immer richtig machen wollen und sich stressen, weil das im Moment angesagt ist!? Meine Kinder sind 24 und 20 und doch recht unbeschadet, obwohl die Tochter einen Greenpeace Ranzen trug, warum weiß ich wirklich nicht mehr: besser man macht sich jetzt nicht so verrückt wegen Ranzen, besser man hebt sich die Energie auf für wichtigere Fragen, wie z.B. in Schulkonferenzen wann die beweglichen Feiertage im nächsten Jahr hin kommen sollen … erfrischender Blog!

  9. Unrasiert? Wieso unrasiert? Brauchen Sie eine Beratung bei der Auswahl eines Rasierapparetes? Elektrisch? Naß? Systemklinge oder Hobel? Oder vielleicht ein Messer? Bei Rasierhobel: mit offenem oder geschlossenem Kamm? Erstmal mit einem Butterfly starten? Was ist mit der Rasierseife? Und welche Klinge? Astra, Derby oder Feathers?

  10. Das einzig schwere, was unser Kind in die Schule schleppt sind die pädagogisch ganz dringend angeratene Trinklasche (da kann man auch Ratgeber füllen…) und diverse Tupperdosen mit Essen, denn in der ach so tollen Dreivierteltagsbetreuung der verlässlichen (oder war das lächerlichen) Grundschule gibt es aus keinem Grund kein warmes Mittagessen mehr. Die paar Hefte oder Bücher, die ab und zu mal hierher sollten, vergisst er dann sowieso in der Schule. Ach ja, und jetzt kommt er auf eine weiterführende Schule und da geht dann der Anfängerranzen eigentlich eh nicht mehr, obwohl er den eigentlich noch mag, aber die anderen Kinder finden den echt uncool—-AAAARGH

  11. Wenn ich mich erinnere, hat sich Sohn 1.0 damals den Scout mit Raumschiffen ausgesucht. Mit passendem Federmäppchen und Turnbeutel, das war damals auch schon so. Im Nachhinein muss ich sagen, Federmäppchen und Turnbeutel waren eine sinnvolle Anschaffung, die wurden im zugedachten Sinn auch benutzt.
    Der Tornister selbst diente mehr als Kennzeichnung für Torpfosten, als Sitzplatz, als Utensil für die Verpflegung, nach längerer Nichtwartung durch mich auch gern als mobiles Biotop. Da braucht es schon was Stabiles, da kann man über den Scout nicht meckern, das hat er ausgehalten.
    Bücher wurden damit zwar auch hin- und hergeschleppt, aus welchem Grund aber habe ich nie erschließen können. Vermutlich rein zur körperlichen Ertüchtigung, denn gelernt wurde mittels Kopien aus besseren Büchern, als denen, die man kaufen musste. Und die Kopien mussten natürlich extra bezahlt werden. Und auch hin- und hergeschleppt werden. Das war schon ein ordentliches Gewicht für so einen kleinen Kinderrücken.
    Und dann kam 4you, so ca. Ende des 3. Grundschuljahres. Der Scout sah auch mittlerweile recht erbärmlich aus. 4You hatten dann auch alle. Und fast alle Jungs in blau oder schwarz, Verwechselungen passierten da schnell, nicht weiter tragisch, ob Leberwurst oder Schinken darin gammelt macht keinen großen Unterschied. Die Kopien waren ja dieselben.
    Die Schulzeit unserer Kinder ist inzwischen rund 20 Jahre her. Ich habe überlebt. Aber es war knapp.

  12. Mein Lehrerinnen-Herz hüpft begeistert vor Freude. Sie sind das eine Elternpaar unter 100, das schon vor Schulbeginn so viel verstanden hat. Der Ranzen ist einfach so wurstegal.
    @Mathilde: Kinder landen nicht mangels Marken im „sozialen“ Abseits, sondern weil sie nicht selbstsicher, entspannt und/oder wortgewaltig genug sind, sich zu wehren.

  13. „Neuwagenkauf Kinderspiel dagegen“ – Wir haben den Ranzen in einem Autohaus gekauft.Da war eine Schulranzenmesse, gibt es sowas in der Großstadt nicht? Die Autos wurden aus der Verkaufshalle gefahren und alles mit Ranzen aller Hersteller und in allen Farben vollgestellt. Dank guter Beratung haben wir schnell den für unser Kind am besten passenden gefunden (wusste ich vorher nicht, dass man Ranzen anpasst wie Kleidung). Dann durfte mein Sohn sich von diesem Modell den aussuchen, der im am besten gefiel (rot, mit Rennautos.) Es sieht so aus, als wenn er die 1. Klasse erfolgreich absolvieren wird, also alles richtig gemacht.
    In der Teilzeitschule benötigen die Kinder übrigens wirklich noch Ranzen, dort ist das nicht egal.

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