Eltern und Möbel

Es folgt ein Gastbeitrag von Patricia Cammarata. Die kennen Sie entweder von ihrem eigenen Blog oder von ihrem letzten Artikel bei mir – nämlich hier. Sie schreibt bei mir eine Reihe, in der es darum geht, was sich für Erwachsene durch Kinder ändert. In dieser Folge geht es um Möbel, wozu ich kurz anmerken möchte, dass wir es hier gerade aufgegeben haben, abendfüllend über die Kinderzimmereinrichtungsplanung nachzudenken oder uns fortwährend zu grämen, dass wir nur ein Kinderzimmer haben. Es ist egal. Weil die Kinder sowieso nie darin sind. Sie schaden lieber dem Rest der Wohnung.

Jetzt Patricias neuer Text:

Dass sich die meisten Menschen erst jenseits der Dreißig entscheiden Kinder zu haben, ist rein möbeltechnisch ein Fehler. Im Grunde müsste man zu Studentenzeiten Kinder bekommen. Das ist die Zeit, in der alle Möbel gebraucht und billig sind. Die meisten Möbelstücke haben abgeschlagene Ecken, Kratzer, Farbflecken, der Stoff ist abgewetzt und sie müffeln ein wenig. Ideal für Kinder. Denn wann man Kinder hat, sehen die Möbel nach wenigen Jahren genau so aus.

Dummerweise bekommen viele (zumindest Akademiker) Kinder aber erst wenn sie einige Jahre berufstätig sind. D.h. die Studentenmöbel sind schon lange zur Mülldeponie gefahren, die Mitgift in die Ersteinrichtung der Wohnung investiert. Womöglich hat man sich vorher noch die Mühe gemacht, hochwertiges Holzparkett verlegen zu lassen.

Weil alles so teuer war, behandelt man es sehr pfleglich. Ich habe mir damals zum Beispiel ein gigantisches Sofa geleistet. In strahlend orange. Drei Meter lang und so breit, dass man die Füße nicht auf den Boden stellen kann, wenn man sich mit dem Rücken anlehnte. Es war wunderschön. Bespannt mit einem ganz exquisiten Material. Damit es keine Flecken bekommt, habe ich es mit Plastikfolie überzogen. So war ich entspannter. Man möchte ja nicht jedem Gast auf den Po schauen, ob da nicht etwas klebt, das Flecken machen könnte. Auf unsere frisch abgezogenen und gewachsten Holzdielen, habe ich vorsichtshalber Malervlies gelegt. Im Eingang musste natürlich alle ihre Schuhe ausziehen und ich saugte ihnen vorsichtshalber nochmal die Füße ab. Händewaschen nicht vergessen!

Jedenfalls. Unsere Wohnung war wunderschön. Wunderwunderschön. Wie eine Doppelseite aus der Schöner Wohnen ausgeschnitten. Spartanisch mit sehr klaren Strukturen.

Dann wurden die Kinder geboren. So lange sie sich nicht bewegten und man ihnen einfach eine Decke unterlegen konnte, war alles wie immer. Doch dann wurde aus einem Säugling ein mobiles Baby und aus dem Baby ein beschmiertes Kleinkind. Mit Rotznase und Klebehänden. Und der Fähigkeit Filzstifte zu tragen und eine Kinderschere zu bedienen, mit der man kleine Löcher in Schutzfolie schnippeln kann.

Und plötzlich versinkt die Wohnung im Chaos und die Möbel sehen wieder aus wie zu Studentenzeiten. Überall Flecken, Fingerabdrücke und Sand. Die Regale ausgeräumt, die Dekoartikel verschleppt oder umfunktioniert. Spielsachen überall.

Als wäre das nicht genug, tauchen plötzlich sogenannte „praktische“ Möbelstücke auf. Die allerschlimmsten unter diesen Möbelstücken sind Höckerchen. Jedes Kind hat bei uns ein Höckerchen. Das Höckerchen soll die Selbständigkeit fördern und ist im Prinzip eine gute Sache. Die Höckerchen werden durch die Wohnung geschleppt. Vom Waschbecken in die Küche ins Kinderzimmer. Denn wenn man einen Meter groß ist, ist im Grunde alles zu hoch und ohne diese Hocker bleibt das meiste unerreichbar.

Das ist ja auch alles sehr schön. Selbständig Zähne putzen, helfen den Tisch zu decken, Sachen aus dem Kühlschrank holen, CDs aus dem Regal kramen.

Nur leider bereiten diese Hocker so unfassbare Schmerzen. An den Zehen und je nach Kindergröße (kleine Kinder, große Schemel – große Kinder, kleine Schemel) an den Schienbeinen. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich bereits an diese Hocker gestoßen bin. Manchmal falle ich auch von einem in den anderen. Ich renne eilig in die Küche, stoße mir den kleinen Zeh an dem ersten Hocker, mache schmerzerfüllt einen Ausfallschritt und lande mit dem Schienbein im zweiten Hocker, von wo aus ich wie ein gefällter Baum in Zeitlupe zu Boden falle. Manchmal schlage ich mir auch noch den Kopf an der Heizung an und während mein Körper ein einziger gellender Schmerz ist, kommen die Kinder schimpfen: Mama! Du hast schon wieder Schimpfwörter gesagt! Ganz schlimme!

Ich liege nach Luft schnappend auf dem Boden und versuche mich zu rechtfertigen, und tief in mir drin hasse ich Holzschemel.


Patricia Cammarata ist IT-Projektleiterin, Psychologin und Mutter. Seit Mai 2004 bloggt sie unter dem Pseudonym
 dasnuf. In ihrem Blog erzählt sie einer langen Familientradition folgend gerne Geschichten. Es fehlt ihr gelegentlich an Ernsthaftigkeit, aber so ist das eben, wenn man morgens gemeinsam mit den Kindern Clowns frühstückt.

11 Kommentare

  1. Ich bin so unfassbar froh, dass es nicht nur mir so geht. Ich dachte, ich bin einfach nur ungeschickt, aber ganz offensichtlich liegt es an diesen Dingern. Ich hasse Holzhocker. Von tiefsten Zeh äh Herzen. Und unsere Türrahmen und Möbelstücke tolerieren sie auch nicht. Denn offensichtlich kann man Hocker nicht kontaktfrei von A nach B transportieren.

    Wir sollten einen Fachbegriff für diese Antipathie kreieren und dann einen „Tag des …“ daraus entstehen lassen.

  2. Wir hatten die 90er Jahre IKEA Möbel bis vor einem Monat, also haben ein paar Jahrzehnte sehr viel Geld gespart, das wir in diverse Vergnügungen mit Kind investiert haben. Zugegeben, die Sofas und Fußbodenbeläge haben mehrfach gewechselt. Schweren Herzens haben wir uns neulich von unserem runden Resopalplatten-Esstisch mit geschwungenen Stahlbeinen getrennt, der unverwüstlich war. Jetzt könnten eigentlich demnächst mal Enkel kommen und den schönen neuen Holztisch zerkratzen, gucken wir mal.

  3. Liebe Patricia, ich habe uns in deiner Beschreibung sofort wiedergefunden, super Text! Dieses fiese, bummende Geräusch, wenn meine Tochter ihren kleinen Hocker über den Holzfußboden schiebt… Wenn dann noch Sand vom Spielplatz unter den Füßen klebt, gibts die schönsten Schrammen. „VOOORSICHT, nicht mit dem roten Hocker gegen unseren neuen, teueren Wohnzimmerschrank“ – bumms, Lackflecken auf Hochglanztür, Mist! Laura

  4. Ha! Und ich wurde blöd angeguckt, als ich das mit den Möbeln anführte, als ich meine Tochter kurz vor meinem Master-Abschluss bekam!
    Schöner Text 🙂
    Grüße
    Mareike

  5. So witzig, am WE erst habe ich dazu bei 2 Freundespaaren interessante Erfahrungen gemacht. Paar 1 hat mit 36 Zwillinge bekommen, jetzt ist der Glastisch für die Esslernzeit in den Keller gezogen, ein stabiler Holztisch ist eingezogen, Eltern sind eher pragmatisch. Paar 2 ist mit Anfang 40 Eltern geworden, Haus und Möbel gehören dem Mann, alles Designerstücke und dezent möbliert. Treibt die Mutter jeden Tag in den Wahnsinn, denn vieles ist Mangels Platz in der Küche im Keller und Abstellfläche im riesengroßen leeren Flur für Schuhe/Mützen/Jacken ist trotzdem Mangelware. Keine Kompromissbereitschaft….. Ich überlege, ob ich Paar 2 mal eine „Wohnkosmetik“ schenke, weil diese aus meiner Sicht idiotischen Streitereien um „alle Schuhe nach unten in den Keller, im Wohnzimmer darf nichts rumliegen und den Glastisch mit spitzen Ecken habe ich schon seit 10 Jahren“ endlich aufhören sollten. Es gibt doch wichtigere Dinge. Und ja, ich bin auch vor Freude gesprungen, als wir den Kaufmannsladen im Wohnzimmer abgebaut haben …;) Design hat schon schöne Seiten…

  6. Eine ganz wunderbare Zusammenfassung des Höckerchen-Problems, wie eigentlich immer, wenn dasnuf etwas feststellt und pointiert!

  7. Hehe, das Höckerchen-Problem hat mein Freund wohl auch. Und er hat nichtmal Kinder – nur eine nicht besonders großgewachsene Freundin … 😀

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