Keiner weiß, wie es geschah…

… plötzlich war sie nicht mehr da. Die Zeit nämlich. Ich frage mich schon seit Wochen, wie genau es passieren konnte, ich habe tatsächlich schon mit der Herzdame sinnend vor dem Familienkalender gestanden und nachgegrübelt, was da genau wann passiert ist, aber so ganz verstehen wir es auch im gemeinsamen Bemühen nicht. Tatsache ist aber, dass wir, seit Sohn I auf der Schule ist, also in einer anderen Institution als Sohn II, viel weniger Zeit für alles haben. Vielleicht ist es auch gar nicht viel weniger, aber doch genau so viel weniger, das nichts mehr zusammenpasst. Ich habe es selbst in den Babyzeiten geschafft, regelmäßig zu schreiben, im Moment passt das aber nirgendwo mehr hin. Ich habe angefangene Blogeinträge von vor drei Wochen, bei denen ich schon nicht mehr weiß, was ich einmal sagen wollte, so etwas kenne ich gar nicht. Ich müsste dringend mehr Sport machen, ich möchte dringend wieder Geschichten schreiben – es klappt einfach nicht und ich habe das obskure Gefühl, mir selbst und meinen Plänen hinterher zu laufen wie der Hund seinem Schwanz.

Die Söhne haben natürlich zusehends mehr getrennte Wege, Termine und Pläne, das erfordert immer öfter den gleichzeitigen Einsatz von Mutter und Vater, womöglich sogar in verschiedenen Stadtteilen, das ist ein Tel des Problems. Andererseits ist aber Sohn I jetzt jeden Tag bis 16 Uhr in der Schule, schönste Verlässlichkeit. Ich hatte angenommen, das würde alles etwas erleichtern. Aber denkste. Es liegt nicht an unseren Berufen, es liegt auch nicht an den Projekten, nicht an “Was machen die da” oder dem Wirtschaftsteil, es ist eher ein wenig so, als wäre ein ökologisches System komplett aus den Fugen geraten, weil etwas Neues hinzugekommen ist, nämlich die Schule. Oder es gibt tatsächlich Zeitdiebe und ich lebe ein Kinderbuch, das kann natürlich auch sein. Gestern abend wollte die Herzdame “nur mal kurz” über anstehende Termine reden, dann saßen wir ganze zwei Stunden lang angestrengt nachdenkend vor dem organisatorischen Gesamtkunstwerk der nächsten Woche, das kann doch so nicht richtig sein?

Mit den Terminen ist es wie mit der Gierschbekämpfung im Garten, je mehr man wegrodet, desto mehr wächst nach, das ist eine der Horrorerinnerungen an meine Zeit auf dem Land. Damals haben meine erste Frau und ich nach Jahren des sinnlosen Unkrautabwehrkampfes beschlossen, den verdammten Giersch einfach wachsen zu lassen, Naturgarten ey, wird schon passen, wir passten eh nicht zu den Nachbarn mit dem raspelkurzen Rasen. Und das Zeug wuchs und wuchs wie verrückt, es waren starke, vitale Pflanzen, es war beeindruckend. Der Garten sah dann aber gar nicht nach lauschigem Naturgarten aus – sondern nach kommerziellem Gierschanbau. Und so ist es mit den Terminen auch, wenn man sie wachsen lässt, entsteht kein brauchbarer Alltag, sondern eine Art fortgeschrittener Timeslotwahnsinn. Und weil solche Vergleiche manchmal auch zielführend sind, habe ich nachgelesen, wie man Giersch heutzutage erfolgreich bekämpft, das ist ja womöglich auf Termine übertragbar. Und tatsächlich! Es ist pappeinfach. Giersch wird bekämpft, in dem man kein Licht an die Erde kommen lässt. Einfach alles abdunkeln, dann ist es um ihn geschehen.

Zur Bekämpfung des Terminwahnsinns also einfach im Bett bleiben, womöglich mit der Decke über dem Kopf und geschlossenen Vorhängen, das ist doch eine Maßnahme, auf die man sich einlassen kann, das klingt auch ganz logisch. Wer schläft, terminiert nicht! Fast hätte ich mich gefreut, allerdings steht im nächsten Absatz auf der Gartenratgeberseite, dass man die Verdunkelung etwa zwei Jahre durchgehend anwenden soll. Und das ist dann doch etwas problematisch.

Ich denke weiter über das Problem nach. Wenn ich dazu komme.

 

16 Kommentare

  1. Ich kenne das.
    Als meine Tochter klein war, hatte ich viel Zeit mich in einem OpenSource-Projekt umfassend zu beteiligen. Jetzt ist sie 12 und sehr selbständig, aber Zeit habe ich keine mehr.
    Meine Analyse:
    a) Die Kinder gehen später schlafen. Da setzt Du dich nicht mehr so einfach um 19:30 noch mal an den Schreibtisch.
    b) Wir werden älter!

  2. „Das ist nur eine Phase…“ (Elternmantra)
    Im Ernst: nach meine Erfahrung mit jetzt drei Schulkindern regelt sich das wieder ein. Es ist eine große Umstellung fürs System, so wie jedes Neugeborene das Leben seiner ElternKauf den kopf stellt, und nach einer Weile kann mensch es sich dann doch gar nicht mehr anders vorstellen. Manchmal dauert die Weile etwas länger, aber ich bin sicher, das wird wieder.

    Ein anderer Aspekt des ‚Zeitverlustes‘ ist, daß mit zunehmendem Lebensalter und großer Alltagsroutine die Zeit schneller zu vergehen scheint. Da schrieb ich demletzt grad drüber (http://sieben-sachen.blogspot.de/2014/10/die-zeit-rast.html). Ab und zu etwas Besonderes zu machen scheint zu helfen, obwohl mensch nach einer vollen Woche doch leicht der Versuchung erliegt, das Wochenende gemütlich zu verbringen…

  3. Das sind ja bei Euch nicht nur die Termine. Es sind ja auch die hochgradig langen interessanten Dialoge mit Sohn II, nach denen Ihr als Eltern erst wieder halbe Bibliotheken leer lesen müsst, um seinem Intellekt gerecht zu werden.

    Das kann in die Zeit gehen.

    😉

  4. Ich befürchte so eine seltsame Wandlung mit dem Schuleintritt. Im Freundeskreis lässt sich das exakt so beobachten. Bitte bitte finden Sie einen Weg daraus und halten uns Leser mit so treffend formulierten Sätzen weiterhin auf dem Laufenden. Meine kleine Auszeit bzw Anregungen zum Nachdenken finde ich oft hier. Vielen lieben Dank.

  5. das subjektive empfinden – älter werden = schneller vergehende zeit – mag vielleicht auch darin gründen:
    jugend ist eine phase des wartens ( wann komm ich in die schule, wann kann ich den führerschein machen, wann verdiene ich geld, wann lerne ich DEN partner kennen, wann haben wir ein kind) und die zeit ein träge fließender strom mit weit entferntem horizont.
    irgendwann kippt dieses empfinden und man beginnt sich zu erinnern (erster schultag, erste autofahrt, erstes selbstverdientes geld ….)
    das zu erwartende wird weniger und das erinnerbare wird mehr.

  6. Du bist da wie Thomas Mann in seinen Familienzeiten, der Zauberer wollte auch immer soviel mehr schreiben und tun, als er konnte.Seine Konsequenz war das tägliche Ritual des Arbeitszimmers, allein. Ob er sich da allerdings die Decke über den Kopf gezogen hat? Lg

  7. Kann man das nicht professionalieren oder sogar „outsourcen“, das Terminemachen und so? Einfach mal jemandem, der sich mit sowas gut auskennt (aka „Profi“), das Gesamtproblem aufs Auge drücken und schauen, was der dazu sagt und daraus macht.

    Sie kennen doch jede Menge Profis („Was machen die da?“) – fragen sie doch mal einen und lassen Sie uns an den Ergebnissen teilhaben.

  8. Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt lebenslängliches Blogverbot bei Ihnen bekomme: Meinem Mann und mir geht es ähnlich, seit unsere Tochter ihr Studium begonnen hat und meine Schwiegermutter große altersbedingte Probleme hat. Irgendwas ist immer, wie mir scheint.

    PS: Bei Ihnen dürfte sich meiner Einschätzung nach dieser Zustand spätestens mit den Schuleintritt von Sohn II ändern.

  9. Ja, es ist ein Leid…die Kinder werden größer, selbstständiger und man hat trotzdem weniger Zeit – und kann sie nicht mal dafür anmeckern, sie machen ja alles richtig. Ich habe auch lange über das Problem gegrübelt und bin zu dem Entschluss gekommen, dass diese fiese Natur das so eingerichtet hat, damit man am Ende noch dankbar sein muss für die viele Zeit, die man mit brüllenden Babys und maulenden, kleckernden Kleinkindern hatte…;-)

  10. Als „großgewordenes Kind“ Anfang 20 kann ich sagen, dass der Terminwahn sehr schnell von den Eltern an die Kinder vererbt wird. Plötzlich springen nicht mehr die Eltern, um einem ein schönes Leben zu bereiten, sondern man ist selbst dran. Das Sonntagsessen, der Familienausflug, der tägliche Anruf bei Mama … Schlimmer als viele Termine sind meiner Erfahrung nach nur gar keine Termine. Wenn an die Stelle der gewohnten Vielfalt und Überforderung Leere tritt, muss man sich mit sich selbst beschäftigen.

  11. Streichen sie Termine. Bei allen. Fangen Sie an, Sohn I zu vertrauen und ihn bekannte Wege allein erledigen zu lassen. Lassen Sie sich auf keinen Fall von der Terminflut das Leben und gemeinsame Zeit mit Frau und Söhnen übernehmen.

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