Südtirol – die Schuhfrage endgültig geklärt

Bevor ich zu unseren Erlebnissen in Südtirol komme, muss ich noch auf einen besonderen Aspekt eingehen, der sich mit einem gewissen Zwang aufdrängt, wenn man über diese Gegend spricht. Und zwar entsteht der Zwang aus den Gesprächen, die man im Vorwege mit anderen Leuten führt. Man erzählt so nebenbei, dass man da hinfährt – und dann passiert etwas, auf das man wetten kann. Sagen wir, einen dreistelligen Betrag. Sehr geringes Risiko. Denn der Gesprächstpartner, wer immer es sein mag, wird garantiert einen Satz sagen, der das Wortpaar “festes Schuhwerk” beinhaltet. Und zwar wird er es so sicher sagen, als gäbe ein Gesetz, das ihn bei Strafandrohung zu dieser Bemerkung verpflichten würde.

Ich: “Wir fahren ja nach Südtirol.”

X: “Oh! Festes Schuhwerk!”

Als würde das Reiseziel Südtirol jeden Menschen automatisch in einen leidenschaftlichen Wanderer verwandeln, als würde einem bei der Planung schon ein Rucksack wachsen, als würde man dort nur über steile Wanderwege vom Parkplatz zum Restaurant kommen. Das habe ich schon einmal erlebt, dieses seltsam zwanghafte Erwähnen eines Reisehinweises, das kam auch hier im Blog schon einmal vor, es ist Jahre her. Da ging es um Reisen nach Mallorca, denn wenn man Mallorca sagt, dann sagt irgendjemand Mietwagen. Immer.

Das feste Schuhwerk also. Dahinter steht die Grundannahme, Südtirolreisen seien ohne Wanderschuhe quasi ungültig, dahinter steht der Gedanke, man könne da nicht hin, ohne vorher im Outdoorgeschäft etwa ein Monatsgehalt für Spezialschuhe ausgegeben zu haben. Das ist Unsinn.

In dieser Familie bin ich der einzige Wanderschuhinhaber. Die Herzdame lehnt Wanderschuhe aus ästhetischen Gründen rundweg ab, ich lehne es kategorisch ab, Kindern Wanderschuhe zu kaufen, aus denen sie vermutlich schon nach der nächsten kräftigen Mahlzeit wieder herausgewachsen sein werden. Es hat natürlich keinen Sinn, als einziger in der Familie Wanderschuhe zu tragen, ich renne der Truppe ja nicht dauernd 20 Kilometer voraus und erkunde das Gelände. Übrigens schon deswegen nicht, weil ich nie wieder zurückfinden würde, aber egal. Es hat noch einen weiteren Grund, warum wir keine Wanderschuhe dabei hatten, einen ziemlich speziellen Grund, und der findet sich in der Geschichte der Beziehung von der Herzdame und mir und auf Madeira.

Die Herzdame ist nicht besonders nachtragend, aber der Vorfall, um den es hier gleich geht, ist noch keine zwölf Jahre her, der ist für eine Nordostwestfälin also noch recht präsent. Damals reisten wir als noch frisches Paar nach Madeira, so ein Last-Minute-Trip, den wir uns gerade eben leisten konnten. Der allererste gemeinsame Urlaub. Und erst auf der Insel stellte die Herzdame fest, dass ich keine Badesachen, sondern nur Anzüge mithatte, denn mir lag es damals fern, einen Strand oder eine Badestelle zu besuchen. Nein, auch nicht gemeinsam, geh mir weg mit Strandromantik, ich war da recht klar positioniert. Das führte zu so lebhaften Auseinandersetzungen, dass ich mir schließlich noch auf Madeira und unter Protest eine Badehose gekauft habe, die erste überhaupt nach der Travemünder Zeit. Und sogar mit ihr baden ging. Und mit dem Sonnenbrand meines Lebens schmollend am Ufer saß. Ich war einfach noch nicht reif für Badespaß. Travemünde war nicht lange genug her.

Und weil ihr dieses Reiseerlebnis noch so präsent war, stand für die Herzdame von Anfang an fest, dass sie mit Flipflops in die Berge fahren würde. Der Mann im Anzug am Meeresufer, die Frau in Sandalen auf dem alpinen Wanderweg, das klang für sie endlich nach einem fairen Ausgleich. Eine etwas spezielle Form von Auge um Auge, vielleicht aber doch auch nachvollziehbar.

Und es ist tatsächlich so – Südtirol ohne festes Schuhwerk ist überhaupt kein Problem. Zumindest im Meraner Land, wir haben nur diesen Teil von Südtirol besucht, ich kann über die anderen Täler nichts sagen. Es gibt überall, wirklich überall, gut ausgebaute Wege, die man genau so gut als Spazierweg wie als Wanderweg betrachten und nutzen kann. Es laufen überall Menschen in Heavy-Duty-Outdoorausrüstung neben Menschen in Sandalen und Shorts herum, das passt beides und stört sich nicht. Selbst auf zweitausend Metern Höhe, etwa bei Meran2000, kann man noch gelassen spaziergehend wandeln, es ist wirklich überhaupt kein Problem.

Wanderweg Südtirol

 

Festes Schuhwerk braucht, wer sportlich und hoch wandern möchte, was man aber ohnehin nicht macht, wenn es 35 Grad warm ist und man zwei kleine Kinder dabei hat. In Südtirol kann man gerade im Sommer ganz phantastisch Urlaub machen, ohne zu wandern. Wir haben es ausgiebig getestet, es funktioniert. Man kann dort auch einfach nur alle paar Meter herumstehen und Gegend ansehen, das geht sogar mit Kindern, so toll ist die Gegend da. Und die Kinder können dabei auch ruhig barfuß sein, das hat Sohn II eine ganze Woche lang fast komplett durchgehalten. Ohne Probleme. Na gut, einmal ist er auf eine Biene getreten, das war etwas anstrengend für alle Beteiligten. Aber man kann Südtirol tatsächlich auch einfach wegen des Essens bereisen, das Essen ist sensationell, ich berichte darüber später noch ausführlicher. Und es ist vollkommen latte, welche Schuhe Sie beim Essen anhaben.

Wenn Sie über Südtirol reden und jemand murmelt “festes Schuhwerk” – Sie wissen Bescheid. Geben Sie das Geld lieber für Essen aus. Und gehen Sie, wie Sie immer gehen.

Roter Hahn

 

 

18 Kommentare

  1. Recht so. Zwar zähle ich zu den Wanderern, aber der Südtiroler an sich trägt ja vor allem in Meran und Bozen recht Unoutdoorhaftes. Was dem Ganzen den gewissen Flair gibt. Grad Essen&Trinken in Bozen unter den Arkaden im Sonnenschein geht fast nur im Anzug und mit ordentlichem, chicen Schuhwerk. Nämlich.

  2. Aber irgendwo müssen doch die teuren Schuhe, die sich die Nürnberger, Münchener, Hannoveraner und alle gekauft haben, nur weil sie endlich einmal „Land“ bewandern, auch angemessen ausgeführt werden. Dafür ist Südtirol doch eine richtig gut geeignete Destination, viel besser, als sagenwirmal, Oberfranken.

  3. Herrlich. Dann kann ich also auch mal nach Südtirol fahren. Denn „festes Schuhwerk“ werde ich mir in diesem Leben nicht mehr kaufen. Und den Kindern schon gar nicht.

  4. Ach herrlich, einfach ein Genuss, hier mitzulesen. Ach ja, wobei mir einfällt, damals auf Mallorca bei unserem ersten Paarurlaub hatten wir einen Mietwagen. Unbedingt!

  5. Yeah, es lebe die Freiheit, so Urlaub zu machen, wie es einem gefällt! Das ist ja gerade das Schöne, man wechselt nur die Gegend, in der man dann eine Weile lebt.

  6. Ich bin verunsichert: Es gibt Menschen, die tragen quasi rund ums Jahr festes Schuhwerk aka „Wanderschuhe“, weil sie das sehr praktisch und bequem finden – müssen die in Südtirol nun auf Schläppchen oder Flipflops umsteigen?
    Wer kann helfen?

  7. … Und wenn man erzählt dass man nach Schweden fährt schreien die Leute: „ohhh! Mückenschutz!!!“

    Wir waren über Midsomar in Schweden und haben keine Mücke gesehen. Keine einzige (wahrscheinlich war denen schlicht zu kalt, genau wie mir – aber das ist eine andere Geschichte).

  8. Daran ist wahrscheinlich Reinhold Messner schuld. Ich hab mal in Tirol als Mitte-20-Jährige ohne Geld für Wanderschuhe eine Bergwanderung in Rock und (flachen) Stiefeln mitgemacht. Dafür hab ich danach ernsthaft anerkennende Kommentare bekommen, als sei das eine besondere Leistung gewesen. Dabei war das eigentlich überhaupt kein Problem….?

  9. Amüsant. Da unsere Kinder quasi mit Wanderschuhen auf die Welt gekommen sind, waren sie in diesem Jahr sehr verwundert, als ich für einen Aufenthalt in Amsterdam und an der niederländischen Nordseeküste ausdrücklich empfahl, die Dinger zuhause zu lassen. Bisher hat sie auch noch niemand vermisst.

  10. Jetzt muss ich doch mal eine Lanze brechen für die Wanderschuhe. Ohne Bergstiefel nach Südtirol fahren, das wäre für mich wie vor einem Stück Kuchen sitzen und nicht reinbeißen.

    Aber ich kann zustimmen: Es gibt genug Möglichkeiten, in Südtirol rumzulaufen, ohne festes Schuhwerk zu tragen. Als bergunerfahrene Erwachsene sollte man seine ebenso bergunerfahrenen Kinder vielleicht auch nicht auf den nächsten Steig schleppen. Aber ich sag es Ihnen: Sie verpassen schon ein bisschen was 😉

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