Watertown

Watertown kannte ich bisher nicht, die Geschichte der Platte passt aber ganz gut in eine Woche, in der Bob Dylan den Nobelpreis erhalten hat und zu diesem fast schon novembrig anmutenden Wetter passt sie sowieso. Es handelt sich um eine Platte von Frank Sinatra, und zwar um eine Ausnahmeplatte (das schreibt sich übrigens ganz seltsam, dieses Wort Platte, lange nicht mehr benutzt).

Es ist Sinatras einzige Platte, bei der er zu vorgefertigten Orchesteraufnahmen im Studio gesungen hat, sonst waren die Musiker immer live dabei. Es ist seine einzige Platte, die ein spektakulärer Flop war und ich glaube, es ist auch überhaupt die einzige, die man als durchgehende Geschichte hören kann, die Song für Song weitererzählt wird. Und vermutlich ist es auch die einzige mit einem völlig von allen anderen abweichenden Cover – ganz ohne Superstarallüren, sogar ganz ohne Frankie himself, nur mit einer alltäglich anmutenden Zeichnung, ein Bahnhof, ein Zug. Die Lieder klingen auffällig anders als all die Ohrwurmsongs, die man sicher zuerst mit Sinatra assoziiert, die Melodien sind komplizierter, weniger gefällig, fast ganz ohne schmalzende und schmelzende Refrains, ohne tanzbare Elemente, ohne Swing und Kawumm und ohne Geigenlieblichkeit. Die Texte sind nicht schlagerhaft, eher etwas lyrisch, vorsichtig erzählend, andeutend und kryptisch.

Es geht um die Geschichte eines Manne aus einer Kleinstadt (“Watertown”), der von seiner Frau verlassen wird, sang- und klanglos hätte ich fast geschrieben, aber das passt natürlich nicht, und der mit zwei Söhnen (“Michael and Peter”) zurückbleibt, während sie – was auch immer, so klar wird das nicht. Er arrangiert sich mühsam und verzagt mit dem Alltag, lost in day to day, er lässt sich von der Schwiegermutter helfen, er sieht verzweifelt zu, wie die Söhne wachsen und wachsen, was sie nicht mehr mitbekommt, was ihm keine Ruhe lässt, wie kann sie das denn nur verpassen? Er schreibt ihr Briefe voller Banalitäten, es gab Regen im Frühjahr, der Sommer war wärmer, die Rosen wachsen am Haus, er möchte immer nur sagen: “Komm zurück”. Er liebt sie nach wie vor, er liebt sie immer weiter und er würde sich auch jederzeit wieder in sie verlieben (“I would be in love anyway”), die Stücke schildern nach und nach in zeitlich richtiger Reihenfolge Details dieser heillosen Situation (“What’s now is now”). Bis er endlich am Bahnhof steht und auf den Zug aus der großen Stadt wartet, im Regen wartet, bebend vor Hoffnung wartet und man weiß doch nach all diesen Liedern, dass ein Happy-End aber so was von unwahrscheinlich ist, obwohl er sich selbstverständlich die größte Mühe geben wird, “we’ll talk about the part of you, I never understood”. Man hört es doch ohne jede Erwartung.

Der entscheidende Twist findet sich dann erst ganz am Ende des Albums im Song “The train” und da gibt es einen kleinen Haken: die entscheidenden Zeilen fehlen in einigen Ausgaben der Verse, die man online findet. Frank Sinatra singt aber sehr deutlich, man versteht es wohl auch alles so und dann ahnt man auch, wie die Geschichte weitergeht.

Die Geschichte wurde geschrieben von Jake Holmes, who has a particular talent for writing clever, perceptive lyrics, wie Wikipedia sagt. Der Stoff hätte auch für einen Roman gereicht, gar keine Frage. Holmes dichtet da eine hundsgemeine Trennungsgeschichte, gemein in ihrer Banalität, abgründig im Gewöhnlichen, das fängt schon bei der Art an, wie sie einfach geht, ich habe habe das Lied unten eingefügt, goodbye, said so easily. Schon darüber kommt er nicht weg, wie einfach sie ging, stand auf und war weg. There is no great big ending.

Die Texte kann man alle online nachlesen, die Musik findet man komplett bei Spotify (dort fehlt nur das letzte Stück, der Epilog, das ist aber nicht entscheidend) und bei anderen Diensten, auch auf Youtube, dort auch als ganzes Album. Die Kritiker waren sich nie einig, einige hielten dies für Sinatras beste Aufnahmen überhaupt, einige konnten damit überhaupt nichts anfangen. Es war kein junger Sinatra, der das aufgenommen hat und er singt die Rolle wirklich überzeugend, finde ich. Und ich habe vom Singen selbstverständlich überhaupt keine Ahnung, aber es klingt doch so, als seien die Songs nicht gerade einfach zu singen, man hört das auch beim Lied von ihrem Abschied.

Doch, das kann man sich an einem Herbstsonntag ruhig einmal anhören.

 

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