Briefe, Dramen, Damen

Ich lese weiter im Tagebuch von Erich Mühsam, er streitet sich da gerade mit Else Lasker-Schüler wegen einer jungen Dame herum, die sich von ihr verfolgt und belästigt fühlt. Nach gewissen höchst dramatischen Szenen in einem Café kündigt Mühsam der Lasker-Schüler aufgewühlt per Brief die Freundschaft, ganz Ritter, der das junge Ding beschützen möchte und sich an ihre Seite stellt. Ich habe schon wieder vergessen, ob er auch naheliegende Interessen an der jungen Dame hatte, es würde durchaus passen, in der Szene ging es insgesamt reichlich bunt zu, man kommt als Leser leicht durcheinander. Diesen empörten Freundschaftskündigungsbrief schickt Else Lasker-Schüler jedenfalls postwendend zurück – zerrissen.

Danach gehen sie aber weiter beide ins übliche Café, weil man da eben hingeht. Sie ignorieren sich dabei eine Weile dramatisch, er geht also abends hin, um im Tagebuch festzuhalten, ob sie da war oder nicht, und das beruht vielleicht sogar auf Gegenseitigkeit, ich weiß gar nicht, ob Tagebücher von ihr vorliegen. Die Szene mit den Briefen muss man sich jedenfalls einmal bildlich vorstellen, wie Mühsam da in flammender Wut spätnachts in ärmlicher Bude einen finalen Brief schreibt. Wie der schon am nächsten Tag zurückkommt, in Form von Papierfetzen, die aus einem Umschlag fallen, womöglich sogar auf einen Tisch in eben jenem Café, in dem die wütende Dame drei Tische weiter sitzt und mit größtmöglicher Selbstbeherrschung zornbebend in eine andere Richtung sieht, während die sehr junge und sehr attraktive Dame, um die es bei all dem geht, gerade zur Tür hereinkommt und unsicher zwischen den beiden hin- und hersieht. Papierschnipsel mit energischer Handschrift, die in halbleeren Kaffeetassen schnell zerläuft, ein schneller Griff und ein Blick in den Umschlag mit der Frauenhandschrift darauf, nein, da ist nichts weiter, da kommt nichts mehr, dann wird dieser Umschlag eben auch mit großer Gebärde zerrissen und ein stärkeres Getränk bestellt, so!

Das ist auch so etwas, das kriegen wir in dieser schicken und vermutlich irgendwie auch befriedigenden theatralischen Zuspitzung gar nicht mehr hin. Wir klicken im freundschaftlichen Krisenfall auf “unfollow”, das ist am Ende doch ein wenig stillos. Und böse blickende Emojis im Smartphonechat machen es nicht besser.

Keine Ahnung, wann ich den letzten Brief mit der Hand geschrieben habe, es muss viele Jahre her sein. Ein Freundschaftskündigungsbrief war es aber gewiss nicht.

7 Kommentare

  1. Danke für die Anregung! Lese gerade den Briefwechsel von Astrid Lindgren und Louise Hartung und habe große Lust, danach noch mehr Briefe zu lesen.

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