Was schön war

Ich hatte in dieser Rubrik gerade neulich erst eine Kassenszene, aber was soll ich machen, an Kassen passiert hier eben was. Ich erlebe zur Zeit auch gar nicht so viel außerhalb von Wohnung und Büro, zu Spaziergängen komme ich schon wieder nicht, die wenigen Begegnungen mit anderen müssen daher an Kassen passieren, da ist immerhin etwas Interaktion erforderlich, da treffen Menschen aufeinander.

Der Rentner vor mir interagiert aber zunächst gar nicht, der zählt nur stur Kleingeld und murmelt Zahlen. Das machen viele Menschen an der Kasse, dieser alte Herr hier macht es aber exzessiv. Der zählt nicht 22 Cent oder so etwas ab, der zählt eher 22 Euro in Centstücken ab, es dauert wirklich unendlich lange. Er verzählt sich auch prompt zwischendurch und fängt wieder von vorne an, fragt dann zum dritten Mal nach, was er überhaupt bezahlen soll, fängt nach der Antwort lieber noch einmal neu an. Der freundliche Kassierer lächelt verständnisvoll und nickt und guckt zwischendurch, ob ich auch lächele, die Schlange hinter mir wird währenddessen langsam länger. Ja, ich habe Zeit, mir ist egal, wie lange der da Geld zählt, man muss nicht immer nur herumstressen, nicht einmal ich muss das. Zur Not habe ich mein Handy dabei, da sind Storms sämtliche Erzählungen drauf, die reichen noch eine ganze Weile. Soll er ruhig sein Kleingeld zählen, meinetwegen bis zu dreistelligen Beträgen. Ich drehe mich um, die Dame hinter mir lächelt auch noch. Die Herzdame neben mir liest schon längst etwas auf dem Handy und Sohn II lungert weiter hinten in der Schreibwarenabteilung herum, die ist für ihn immer interessant, er liebt Büromaterial. Sohn I schlägt vor dem Laden Räder, weil er eben Räder schlagen kann. Dann macht man das dauernd und überall, wie ich seit einiger Zeit weiß.

Der Betrag ist dann doch irgendwann passend abgezählt, der Rentner schiebt die Münzen über das Förderband, guckt hoch und besieht sich den Kassierer jetzt etwas genauer, so wie er gerade eben noch die Centstücke konzentriert angestarrt hat. Guckt und dreht den Kopf hin und her, kneift die Augen zusammen: “Sie sind aber auch nicht von hier, was?” Das klingt jetzt allerdings ein wenig zu scharf und zu laut. Und was soll dieses “auch” in dem Satz? Der Kassierer, die Herzdame, die Dame hinter mir und ich gucken etwas alarmiert, was kommt denn da jetzt. Ein fremdenfeindlicher Auftritt oder so etwas, das hat einem ja gerade noch gefehlt, gerade fanden wir uns noch alle so wahnsinnig entspannt. Der Kassierer sieht den Rentner an und schüttelt den Kopf, nein, von hier kommt er nicht. “Na, wo kommen Sie denn nun her? Woher? Hm?” Der Zeigefinger des Rentners sticht in Richtung des Kassierers, ohne Antwort geht der sicher nicht weiter. Schließlich sagt der Kassierer leise: “Ich komme aus Armenien.”

Der Rentner stützt seinen Arm jetzt auf die Kleingeldschale vor ihm, als stünde er an einer Bar und würde gleich ein Bier bestellen. “Aus Armenien, was? Armenien. So. Ich war mein Leben lang Seemann, ich war in schon überall auf der Welt. Aber Armenien! Das hat ja nun keinen Hafen. Sonst würde ich das kennen, wo Sie da herkommen. Ich kenne sonst alles. Alles. Aber Armenien nicht.”

Dann hat er sich gut gelaunt verabschiedet und ist gegangen. Der Kassierer, die Herzdame, die Dame hinter mir und ich, wir haben uns wieder entspannt. Und Entspannung ist ja immer schön.

4 Kommentare

  1. Irgendwie schön. Man würde ja selber eher nicht fragen, wo wer herkommt (schon, um nicht missverstanden zu werden). Aber da entgeht einem auch was.
    (Nun singe ich sicher wieder den ganzen Tag Charles Aznavour vor mich hin.)

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