Buddenbohms Weltgeschichte: Bademode

(Zur Erklärung dieser neuen Rubrik siehe hier.)

Wir gingen mit den Söhnen in eine Schwimmhalle, Pädagogen hatten die Schwimmleistung bei einem von ihnen bemängelt. Beim Schwimmen leistet man Nachhilfe immerhin viel schneller und effektiver als in Mathe. Jedenfalls wenn das Kind grundsätzlich schwimmen kann und nur zu lange nicht im Wasser war, weil beide Eltern die Vorstellung so schrecklich fanden, im Winter in ein Hallenbad zu gehen. Man geht bei dieser Art der Nachhilfe einfach im Rudel baden, planscht herum, hat Spaß und zieht zwischendurch einmal eine Bahn, das ist dann auch schon alles.

Deswegen lagen die Herzdame und ich also im Whirlpool der Badeanstalt einer nordostwestfälischen Metropole in der Nähe ihres Heimatdorfs herum. Von da aus konnten wir, jedenfalls wenn wir die Hälse ein wenig aus dem wohlig warmen Wasser reckten, die Söhne im Kinderbecken beobachten, die dort mit riesigen Plastikflößen herumspielten. Vom Spielen mit Plastikflößen in bauchtiefem Wasser lernt zwar niemand schwimmen, aber fachlich korrekt geleitete Schwimmkurse fangen auch mit der entspannten Wassergewöhnung an, das spielten wir ganz korrekt nach.

Danach gingen wir rüber zu den großen Becken, eines mit Sprungturm, eines ohne. Der beanstandete Sohn zog vorbildlich Bahnen, viel mehr als nötig sogar. Wir liefen nur freundlich motivierend nebenher, denn das Wasser in diesem Becken war deutlich kühler als im Whirlpool und man muss den Einsatz der Eltern auch nicht übertreiben. Auf dem Sprungturm ein Becken weiter stand währenddessen ein junger Mann im besten Olympiagewinneralter auf dem Fünfer und machte professionell aussehende Dehnübungen, also solche, bei denen mir schon vom Zusehen einiges wehtat. Dann stellte er sich an die Kante und sah so konzentriert und ernst hinunter, stand so gerade und war so perfekt gebaut, dass man schon wusste, da kommt gleich was. Und was dann kam, das kann man kaum beschreiben, wenn man nicht gerade Sportreporter ist. Ein zwei- bis dreifacher Salto mit Schraube, als Laie kann man nicht einmal so schnell gucken, wie diese Sportler da im Flug Figuren zusammenbasteln und aneinanderreihen. Eine Figur jedenfalls, die man sicher nur zustande bringt, wenn man sich diesem Sport seit mehreren Jahren einigermaßen gründlich hingegeben hat. Ein Eintauchen mit bemerkenswert wenig Spritzern. Applaus der wenigen Gäste in der Halle, anerkennende Pfiffe. Der Springer kraulte zum Beckenrand und ging mit ernstem Blick und kopfschüttelnd sofort wieder zum Turm, das war ihm noch nicht gut genug. Er kletterte nach oben, dehnte sich. Machte seltsam ritualisiert wirkende Bewegungen, sprang noch einmal, noch komplizierter. Das ging eine Weile so weiter, bis andere junge Männer kamen, die mit gleich viel Ehrgeiz, aber nicht halb so viel Können sprangen, dann wurde es für uns Zuschauer allmählich etwas langweilig.

Zwischendurch gab es etwas Abwechslung durch ein etwa sechsjähriges Mädchen, das sich auch einmal probeweise oben an die Kante stellte, eine ganze Reihe wartende Sportler hinter ihr. Das Mädchen guckte in das Wasser, ihre Augen weiteten sich, das war doch dramatisch viel höher, als sie vorher gedacht hatte. Ein Schritt zurück, zwei Schritte zurück, drei Schritte zurück, da stieß sie mit dem Rücken schon an den ersten jungen Mann in der Reihe hinter ihr. Grinsende Männer, freundliche Handzeichen, doch, sie dürfe ruhig zuerst, gar kein Problem, bitte, nur zu. Den Rückweg zur Leiter machte man aber auch schon einmal vorsorglich frei. Das Mädchen ging wieder an die Kante, sah hinunter, der Körper brettsteif, die Hände griffen krampfend in die Luft. Ihre Mutter stand unten, lachte, klatschte und rief von unten “Na los! Eins, zwei …!” Und noch vor der Drei sprang das Mädchen, vermutlich weil wenige Elternzaubereien so wirksam sind wie diese kleine Zahlenfolge, jegliches pädagogische Abrakadabra ist gar nichts dagegen. Sie tauchte ein, kam wieder hoch, schwamm vor Freude kreischend zur Leiter, um sofort wieder auf den Turm zu steigen. Woraufhin sich einer unserer Söhne umgehend von der Familiengruppe absetzte und ebenfalls auf den Turm stieg, das wollen wir doch mal sehen, wenn die das kann! Und dann ohne Zögern an der Kante gleich hinunter, bloß nicht nachdenken,bloß nicht warten, gleich in den Flug. Und sofort wieder auf den Turm, da gibt es jetzt einen ganz neuen Hauptspaß im Leben! Das hätte man schon viel früher machen sollen. “Papa, gibt es nicht auch irgendwo Siebener?”

Dann war der Sprungturm eine Weile gut besucht, Sportler, Nachwuchssportler, Kinder, Jugendliche. Am Beckenrand tauchten Männer in blauen Arbeitsanzügen auf, die in diesem Outfit so gar nicht nach Schwimmhallenbesuch aussahen. Erst nur zwei, dann zehn, vielleicht auch mehr. Sie zogen an ihrer Kleidung, bei sich selbst und bei den anderen, so wie man in Umkleidekabinen an sich herumzupft, wenn man einen Anzug anprobiert und nicht recht weiß, ob der nun gut sitzt oder nicht. Ist das zu eng? Zu weit? Zu kurz? Kann man so überhaupt herumlaufen? Sie schlackerten mit den Armen, rollten die Schultern und sahen auf ihre Knöchel, wie saß das Zeug? Sie diskutierten eine Weile, dann sprangen sie mit den Klamotten vom Beckenrand ins Wasser. ”THW” stand groß auf dem Rücken der Anzüge und von Gast zu Gast ging die Erklärung durch die Halle, dass da neue Einsatzanzüge auf ihre Verwendbarkeit im Wasser getestet werden mussten. Man kann beim THW auch einmal ins Wasser fallen, aber man ist eben beim THW, damit es dann auch klappt. Und man ist bei allem richtig ausgerüstet, eh klar.

Deswegen sprangen die Herren da also immer wieder vom Rand, vom Einer, vom Fünfer, mit Schwimmweste und ohne. Sie ließen sich im Wasser treiben, sie schwammen Brust und Rücken und kraulten, sie zogen sich prustend am Beckenrand hoch, standen tropfend und kichernd in nassen Klamotten am Rand, schlugen sich auf die Schultern, dass es weit spritzte und ließen sich in Dreierreihe gemeinsam wieder rückwärts ins Wasser fallen, wobei ihre Stimmung besser und besser wurde. Die Anzüge waren wohl in Ordnung.

Am Beckenrand gegenüber schwamm ein Familie südlicher Herkunft. Eine Frau hatte etwas an, was ich bisher nur aus den Nachrichten kannte, einen Burkini. Wobei ich nicht sicher bin, ob es die richtige Bezeichnung ist, es gibt sicher Varianten, aber ich kenne mich damit nicht aus. Ein dunkelblauer Ganzkörperanzug jedenfalls, sagen wir ruhig ein THW-blauer Anzug, der Zufall des gleichzeitigen Badens legte diese Bezeichnung wirklich sehr nahe. Das war also diese Bademode, die in anderen Teilen der Welt im letzten Sommer für erhebliche Aufregung und Skandale gesorgt hat, etwa in Frankreich, mir war so etwas bisher nicht begegnet. Die Frau, die das trug, alberte im Wasser mit den begleitenden Männern herum, so wie es alle Badegäste machen, wenn sie mit Freunden oder mit der Familie in einer Schwimmhalle landen. Sie guckte zwischendurch immer wieder zu den Turmspringern hoch, zu den THW-Leuten und zum Kiosk, vielleicht stand dort gerade ein Kind dieser Familie an und holte Eis, die Schlange vor der Kasse wurde langsam länger.

Niemand interessierte sich für diese Frau. Den Söhnen fiel sie nicht einmal auf, da waren eben irgendwelche Leute im Becken, die Springerei mit Schwimmwesten war allemal aufregender als eine Frau am Beckenrand. Es standen auch sonst keine Leute herum und zeigten mit dem Finger auf die Frau, es schwammen keine anderen Gäste neugierig näher, nichts, niemand sah da zweimal hin. Mich erinnerte dieser Badeanzug an die historischen Bilder, mit denen man als Küstenbewohner in Deutschland unweigerlich groß wird, weil sie in in jedem Kurhaus hängen, auf jeder Strandpromenade findet man sie, vergilbte Poster zur Geschichte des Ortes. Die Damen aus den Anfängen der Badezeit um achtzehnhundertirgendwas, die mit blauweiß gestreiften Ganzkörperanzügen und Haube auf dem Haar vorsichtig und geziert einen Zeh in die Wellen hielten. Wobei sie auf diesen alten Bildern meist gerade aus Badekarren stiegen, die von männlichen Hilfskräften in die Wellen gerollt worden waren. Diese Karren haben nirgendwo eine moderne Entsprechung, soweit ich weiß. An der Ost- und Nordsee stellt man sie heute aber gerne wieder dort auf, wo die Touristen scharenweise herumlaufen, das sieht dann so nett nostalgisch aus, die gute alte Zeit.

Die Bademode an den deutschen Küstenorten hat sich geändert, über die Jahrzehnte wurde immer weniger vom Körper bedeckt. Als ich als Jugendlicher in Travemünde lebte, liefen viele Damen dort gerade oben ohne herum und zwar nicht nur am Strand, das war normal und kam mir nicht spektakulär vor. Das hat sich mittlerweile schon wieder gedreht, das ist Vergangenheit und klingt irgendwie nach der Hippie-Zeit, das sieht man heute kaum noch. Man sieht immer nur auf einen Ausschnitt der Modegeschichte und man weiß auch, das wird vergehen. Die Ärmel und die Beine gehen rauf und runter. Manchmal dauert es Jahrzehnte und es müssen erst Generationen, Regierungen und Religionen kommen und vergehen, manchmal dauert es auch nur einen Saisonwechsel bis Schnitte möglich sind, die vorher alle Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft entsetzt haben.

Jedenfalls bei den Badegästen ist das so, woher auch immer sie kommen mögen und wo auch immer sie baden. Beim THW verläuft das selbstverständlich etwas konservativer.

 

5 Kommentare

  1. Wow … als 10jährige bin ich als einziges Mädchen vom Fünfer gesprungen und die Jungs meiner Klasse waren danach dann auch so mutig … *grinz*

  2. Gilt ja nicht nur für die Bademode. Für meine Großmutter, geboren 1889 in Badisch-Sibirien, gehörte das Kopftuch noch zum Standard-Outfit. Da muss man heute nicht so tun, als würde wegen dieses Stücks Stoff das Abendland untergehen.

  3. Das mit der Bademode ist uns auch schon aufgefallen: Für mich als Kind der späten Siebziger Jahre war es vollkommen normal FKK in den Baggersee zu hüpfen. Gleiches gilt für meine Frau, die in der DDR groß geworden ist. Für unsere Kinder wäre das ein Unding! Dann lieber gar nicht als nackt. Inzwischen beobachten wir Jugendliche mit Shorts, die über das Knie gehen. An Badestellen, an denen das Verhältnisse Nackte und Angezogene etwa 50:50 war, bleiben wir inzwischen lieber bedeckt, um nicht unangenehm aufzufallen. Ist das Ausdruck einer neuen Spießigkeit, eine Reaktion darauf, dass man auf Grund von Instagram und Co in der Öffentlichkeit niemals privat ist? Ich habe dazu noch keine abschließende Meinung.

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