Hier eine schöne, interessante und treffende Überschrift

Ich mache mit Sohn I Deutsch, da er in dieser Woche nicht in die Schule gehen konnte, es muss aber dennoch etwas gelernt werden. Er sitzt neben mir und schreibt mit Bleistift in sein Heft. Ich sehe, dass sie in der dritten Klasse schon am Schreibstil arbeiten. Sie sollen passende Überschriften finden. Sie sollen nicht jeden Satz gleich anfangen, sie sollen zumindest ab und zu Satzzeichen verwenden, sie sollen Adjektive einbauen und unbekannte Wörter nachschlagen. Der Pirat vergräbt einen Schatz, der Pirat vergräbt einen wertvollen Schatz. Einen kostbaren, goldenen, großen, riesigen, tollen Schatz, was auch immer. “Ich habe ein Theaterstück gesehen.” “Ich habe ein interessantes Theaterstück gesehen.”

Das Wort interessant hätte mir ein gewisser Lehrer auf dem Gymnasium damals als Ausdrucksfehler angemerkt, sinnloses Fremdwort. “Was war denn interessant an dem Theaterstück? Haben Sie dabei vielleicht etwas gelernt, was Ihnen übrigens kaum schaden könnte? Dann war es lehrreich! Nicht interessant! Sprachfaulheit ist das! Denken Sie nach, denken Sie länger nach! Dann erst schreiben!“ Das klingt heute wie etwas aus der Feuerzangenbowle, das war aber so. Derselbe Lehrer im Geschichtsunterricht: “Sie wissen nichts von Demokratie, junger Mann, Sie faseln doch nur davon!” Aus heutiger Sicht wird dieser Satz mit jedem Jahr immer, äh, interessanter.

Die Aufforderung, Adjektive irgendwo einzubauen, ist natürlich seltsam, wenn man schon einmal ein Manuskript irgendwo eingereicht hat, aus dem dann etliche Adjektiv rausgeflogen sind. Zu blumig! Schlichter! “Es war eine dunkle und stürmische Nacht.”

Und ich sagte, er sagte, sie sagte, wir sagten. Im Deutschunterricht muss das gewandelt werden, das ist so zu langweilig, ich flüsterte, er murmelte, sie flehte, wir stellten fest und so weiter, mit beiden Händen in den Wortschatz und dann ordentlich herumwühlen. Alle modernen Romanautoren murmeln währenddessen im warnenden Chor: “Sagte, sagte, sagte.”

Aber schon richtig, erst einbauen, dann ausbauen, man bastelt so am Text herum. Mal klingt es so, mal klingt es so. Welcher Text klingt besser und warum? Lies nochmal vor. Was will man überhaupt sagen? Wie war es denn nun wirklich im Theater, worauf kam es an? Für wen schreiben wir überhaupt? Ich bin sicher, das haben wir in der dritten Klasse noch nicht so gemacht. Und ich finde es hervorragend, wie sie das heute angehen, es ist anders als bei uns, die Kinder werden mehr zum Denken verleitet. Wir haben damals in Deutsch Nacherzählungen geübt, man bekam eine 1, wenn der eigene Text genau der vorgelesen Geschichte entsprach. Einmal sollten wir uns dann doch eine Geschichte ausdenken, irgendwas, ganz ohne Vorlage. Da stand bei mir in roter Schrift drunter: “Zu viel Phantasie”. Kein Scherz. Im Grunde bin ich heute noch deswegen beleidigt.

“Papa, jetzt tippe ich meinen Text eben in Word ab, okay?”

“Nanu, warum das denn noch?”

“Hallo? Da hab ich dann doch die Rechtschreibkorrektur?”

Doch, sie lernen heute wirklich ziemlich anders. Ich finde das ja spannend.

17 Kommentare

  1. Es hilft, sich den eigenen Fremdspracherwerb in Erinnerung zu rufen, u.a. wie sehr man sich erst mal freut, all die fremden Floskeln und Redewendungen zu lernen und im richtigen Zusammenhang zu nutzen. Um sie sich dann abzugewöhnen, weil Floskeln.
    Ähnlich ist es beim Mutterspracherwerb: Erst muss man ganz viele Wörter und Wendungen lernen und beherrschen – um sie dann werten und wägen zu können.

  2. Der Sohn weiß, dass die elektronische Rechtschreibkorrektur bis zu 25 Prozent der Fehler übersieht?

  3. Pingback: Hokey
  4. Ich möchte die Rechtschreibkorrektur gerne ausschalten, weil sie bösartig Wörter verwandelt! Manchmal ist sie auch lustig, so bekam ich eine Einladung zur Grippenausstellung. Eigentlich nicht gerecht, wenn kranke Menschen an Weihnachten ausgestellt werden.

  5. Toll, wenn mit dem Deutsch-Unterricht gleichzeitig geübt wird, richtig hinzusehen und hinzuhören. Beobachten und Wahrnehmung im Allgemeinen – umgesetzt als Sprachtraining. Ich bin begeistert!

  6. Im Deutschunterricht in der Grundschule habe ich das Wort „prangen“ gelernt. „Auf seinem T-Shirt prangt die Aufschrift XY“. Danach nie wieder verwendet.

  7. Prangen kennen meine Kinder seit dem Babyalter „Die gold’nen Sternlrin prangen, am Himmel hell und klar…“

    So als GS-Lehrer muss ich mal sagen: mir ist auch wichtiger, dass die Kinder (wenigstens in Klasse 3 und 4) stilsicherer werden und nicht mehr über „Tim seine Mutter“ schreiben und jedes gedachte „Dann später also dann…“ mit verschriftlichen (um nur 2 Beispiele zu nennen). Die Rechtschreibregeln des Lehrplans haben sie dann drauf, aber anwenden…naja, anderes Thema….

  8. Hier auch! Erst gelangweilt Nacherzählungen Wort für Wort nacherzählt und schwer gelobt worden, dann begeistert Phantasietext zu drei Wörtern erfunden und als „zu phantastisch“ bewertet worden. Kein Scherz. Und im Grunde nach wie vor verschnupft deswegen.

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