Ein wenig Taube …

Kurz ins Büro gefahren, nach nur einer Stunde außerplanmäßige Tagesablaufänderung: Ich bin wieder mit einem darbenden Bauchwehkind im Home-Office, man gewöhnt sich an alles. Vor dem Wohnzimmerfenster grauer Schneeregen aus farblosem Himmel, ich begucke mir verstimmt das endlose Januarelend. Auf dem Balkongeländer hockt eine Ringeltaube, die noch viel verstimmter ist als ich, denn sie ist nass und der Schnee fliegt ihr um den Kopf, ihr ist kalt und der Wind verdreht ihr so dermaßen die Federn, Bad-Hair-Day nichts dagegen. Alle paar Minuten kommen Kohl- und Blaumeisen vorbei, immer abwechselnd, und führen der voluminösen Taube wieder und wieder vor, dass Meisen in das Vogelhäuschen reinpassen, also im Gegensatz zu manchen größeren Vögeln. Es folgen freche Seitenblicke und demonstratives Gehüpfe, rein raus, rein raus, natürlich immer Futter im Schnabel dabei, wer hat, der hat. Die Taube sitzt da lange reglos aufgeplustert mit herausgedrückter Brust, ignoriert das verdammte Meisenpack komplett und guckt mich unverwandt an, wie ich da am Computer sitze und tippe, und sie guckt mit einem vernichtenden Blick: “Du sitzt wenigstens drinnen!” Und da hat sie auch wieder Recht, die Taube. Gleich Sonnenblumenkerne in den Blumenkasten gestreut, da kommt sie auch dran.

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Ich war im Theater und da wurde u.a. Christian Lindner parodiert, was mir wenig sagte, da ich den Herrn nicht kenne. Also als Nachrichteninhalt kenne ich ihn schon, eh klar, aber ich habe kein Bild von der Art wie er spricht oder sich bewegt, ich wüsste auch nicht, ob er irgendeinem Dialekt nahesteht oder wie groß er ist, ob er vielleicht einen Bewegungstick hat, ob er am Ende auch mal sympathisch aussehen kann und dergleichen. Ich sehe einfach viel zu wenig fern, fiel mir dabei auf, und am Ende kommt es dabei doch zu Bildungslücken. Vielleicht wäre es besser, wenigstens ein paar Bilder am Tag anzusehen? Deswegen gibt es hier jetzt ab sofort nach jahrzehntelanger Pause abends wieder die Tagesschau, die ist sowieso praktisch, denn die ist kurz und sie läuft zum richtigen Zeitpunkt, danach können die Herren Söhne dann bitte ins Bett, das hat sich in meiner Kindheit auch schon bewährt. Damals, als wir Kinder bei der bloßen Erwähnung von Bonn im Fernsehen todmüde wurden, und so begannen die Nachrichten damals immer: “Bonn.” Ein Wort, ein Satz.

In der Tagesschau sahen die Söhne dann erstmalig Frau Nahles, die sie sehr befremdlich fanden, dieses pathetisch eifernde Sprechen kommt bei Kindern wohl nicht so gut an. Bei mir allerdings auch nicht. Ansonsten fragten sie, ob der GroKo-Beschluss nun gut oder schlecht sei, die Frage wurde von mir wahrheitsgemäß und umfassend mit “Es ist kompliziert” beantwortet.

Die Presseschau heute früh hat diese spontane Zusammenfassung von mir dann weitgehend bestätigt, da habe ich mich gefreut.

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9 Kommentare

  1. gerade gestern abend erzählte ich der lustigen frau von genau diesem gefühl beim wort Bonn. dorthin muss ich nämlich übermorgen und in meinem kopf ist es untrennbar mit den tagesschausprechern der 70er und 80er verbunden. (aber jetzt ins bett!)

  2. Bei „Bonn“ mußte ich gleich an Heinz Rudolf Kunzes Text „Zeitbombe“ denken. Er verliest darin fiktive Nachrichten und ähnliche Meldungen, natürlich negative, und eine davon lautet einfach:

    Tic tac tic tac

    Bonn.

    Tic tac tic tac

    Komisch, „Berlin“ hat sich nicht dermaßen ins Bewußtsein geschoben, oder hat es?

  3. Außerdem verwendet die Tagesschau heute keine Ortsmarken mehr.
    Als kleines Kind fand ich es übrigens rätselhaft, was es mit diesem „Wo-Schinken“ wohl auf sich hatte, der manchmal in den Nachrichten vorkam …

  4. Same here! Nie mehr habe ich so viel Tagesschau geguckt wie als Kind in den 70ern. Mit fertig geschmierten Stullen und warmem Kakao im Schlafanzug vor der Glotze und dann ab ins Bett! So wars! Die Minister der Bonner Republik der 70er Jahre kenne ich besser als heutige Regierungen. Danke für die Erinnerungen, werde es heute mal wieder tun! Tagesschauen. Vielleicht sogar mit Kakao, das usselige Ruhrgebietswetter ist nicht anders als in Hamburg.

  5. Gute Besserung an das arme Bauchwehkind! Nur so als Gedanke: Hat man schon mal über Nahrungsmittelunverträglichkeiten nachgedacht? Die können auch fieses und langanhaltendes Bauchweh verursachen.

  6. Wir waren mehr so die „heute“-Familie. Zu den Nachrichten gab’s Abendbrot und dann musste ich ins Bett. Vielleicht war das aber auch ein Trick meiner Eltern, die damit eine kinderfreie Abendstunde mehr gewonnen hatten, man weiß es nicht.

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