Was in Altona auffällt

Am Nachmittag bei einer politischen Veranstaltung gewesen. Da war ich der einzige Teilnehmer, die Veranstaltung ist nämlich erst im nächsten Monat, wie mir allerdings erst einfiel, als es da verdächtig menschenleer aussah. Egal, wenigstens einmal draußen gewesen! Wenigstens wieder einmal in Altona gewesen, lange nicht mehr gesehen. Wenn ich schon einmal da bin, kann ich mich ja auch etwas umsehen, dachte ich. Da stand in einer kleinen Nebenstraße eine einsame blühende Kirsche, liebliches Rosa, leuchtend und frisch, das war die erste Kirschblüte in diesem Jahr, an der ich vorbeikam. Und hätten die Blüten Ärsche gehabt, sie hätten sie sich abfrieren können, so kalt war das da. Mehr ist mir in Altona nicht aufgefallen.

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Mit einem Gelstift, einem Kalligraphiestift und einem Füller seitenlang probegeschrieben, ich mache ja keine halben Sachen. Stabilo Worker, den hatte hier jemand in den Kommentaren empfohlen, der ist tatsächlich deutlich besser als andere Stifte – aber leider nicht gerade hübsch anzusehen. Orange fällt doch eher unter Problemfarbe, nicht wahr, ich habe immerhin die Siebziger erlebt, ich weiß Bescheid. Mit dem Kalligraphiestift wiederum sieht vermutlich jede Schrift plötzlich interessant aus, und alles, was man damit schreibt, wirkt mit so schick aufgeedelten Bögen und Schwüngen irgendwie voll deep, das ist auch ein spannender Aspekt. Tatsächlich gefällt der mir gar nicht schlecht. Von Staedtler und nein, ich habe keine Kooperationen welcher Art auch immer mit Schreibgeräteherstellern.

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Ein seit Tagen spürbares Unwohlsein und rätselhaftes Desinteresse an Nahrungsmitteln plötzlich als Zahnschmerz identifiziert, manchmal habe ich bei so etwas eine bemerkenswert lange Leitung. Montagmorgen gleich mal zur Fachfrau! Immer mutig voran.

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Der Salat aus der Voranzucht ist währenddessen teilweise vergeilt, daher habe ich ihn sofort als Microgreen bezeichnet (“Dein Name sei Microgreen!”) und auf der Stelle verspeist. Man muss da etwas findig sein, wenn man gärtnert, und Microgreens sind sowieso total in, die macht gerade jeder. Und guck an, das schmeckt ja überraschend stark, selbst wenn es nur winzige Blättchen sind. Gleich neue Samenkörnchen nachgeworfen.

Das Basilikum kommt jetzt auch reihenweise. Wenn es so weiter wächst, ich könnte schon einmal Tomaten und Mozzarella kaufen und vor den Anzuchttöpfchen warten.

Außerdem Gemüseschutznetze gekauft, was etwas absurd ist, da ich noch gar kein Gemüse habe, es aber schon schützen kann. Bin ich auf dem Weg zum Helikopter-Gärtner?

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Die Herzdame schreibt gerade einen Blogartikel nach dem anderen (demnächst hier auf diesem Sender!) und reagiert zunehmend gereizt auf Störungen aller Art, weil sie doch so sehr versucht, sich zu konzentrieren. Ich muss mich ungeheuer zusammenreißen, nicht dauernd “KANNSTE ENDLICH MAL SEHEN, WIE DAS IST!” zu rufen und sie alle drei Minuten anzutippen, anzusprechen, anzurempeln. 

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Am späteren Abend war ich noch einmal unterwegs und kam durch den Hauptbahnhof. Und obwohl ich es gewohnt bin, durch den Hauptbahnhof zu gehen und all die Problemfälle dort zu sehen, ist mir dort noch nie eine solche Menge sichtbar leidender Menschen aufgefallen. So viele, die schief im Leben stehen, eine solche Heerschar Gescheiterter und Gefallener. Das war wie inszeniert, alle gecastet für eine dystopische Großstadtszene, immer noch eine und noch einer. All die Bresthaften, die Geschlagenen, die von der Gesellschaft oder vom Leben zerschlissenen und aufgebrauchten, die Krüppel, die Aussortierten, die Weggelaufenen. Die Kranken, die Aussätzigen, die Halbtoten. Die Alkoholiker, die Junkies, die Süchtigen aller Art. Die Obdachlosen, die Heimatlosen, die Haltlosen. Die Einäugigen, die Einarmigen, die Einbeinigen, die Könige aller Art unter anderen.

Die Irren, die Erleuchteten, die Verblendeten, drei sangen sogar von Hare Krishna, das habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört, irgendwo standen natürlich auch die mit dem Wachtturm. Wenn man sich hier lange genug umguckt, stehen sie immer irgendwo daneben, halten ihre Heftchen hoch und versuchen, einen Blick aufzufangen. In Dreiergrüppchen stehen die da, immer Rücken an Rücken. Sie halten sich für gerettet, die eilenden Passanten denken vermutlich eher das Gegenteil, aber allzulange denkt man da sowieso nicht drüber nach. Man kann sich nicht mit jedem Irrsinn beschäftigen, wo soll das hinführen, man muss sich auch selber retten. Und im abendlichen Hauptbahnhof sind sich alle Menschen gegenseitig eh nur Bilder im Vorübergehen. Seltsame, verstörende Bilder und wer weiß, wie man selbst gerade auf andere wirkt, immer Vorsicht an der Selbstbild-/Fremdbildkante.

Daran gedacht, wie ich 1987 in Hamburg ankam, in diesem Hauptbahnhof.

15 Kommentare

  1. Der Stabilo Worker wird bei uns im Büro auch von vielen Kollegen benutzt, weil er sich gut anfassen lässt und man flüssig schreiben und malen kann. Wir schreiben keine langen Texte, aber wir korrigieren Dokumente und Pläne auf Papier, da hat er den Vorteil des etwas dickeren Strichs, man übersieht die Korrektur nicht so leicht.
    Allerdings ist er nicht wasserfest und manches Exemplar neigt zu spontanem Auslaufen, was dann eine echte Sauerei auf Tisch, Papier und Oberhemd sein kann.

  2. „Orange fällt doch eher unter Problemfarbe, nicht wahr, ich habe immerhin die Siebziger erlebt, ich weiß Bescheid.“….Oh ja! Und dann womöglich noch in Kombination mit Braun, Gelb oder Moosgrün – oder allem zusammen! Für immer tabu! Aber der Teil mit den „Problemfällen“ ist besonders schön!

  3. Stimmt… Orange. Seit den 70ern wird die Farbe eher mit „Billigem“ assoziiert. Aber irgendwie hat sie sich gerade deshalb oder trotzdem in mein Herz geschlichen und es ist meine „Signature Colour“. Ich würde zwar keine orangefarbenen Kleidungsstücke anziehen, aber wenn ich mich fü reine Farbe entscheiden muss, dann nehme ich immer Orange. Also bei Gesellschaftsspielfiguren, Textmarkern…. Es reicht auch einfach, Dinge mit einem orangefarbenem Punkt zu markieren und alle wissen, dass es „meins“ ist. Sonst will ja keine die Darbe haben.

  4. Zum Schreiben und Notieren seit Jahren immer einen Uni-ball eye fine von Mitsubishi Pencil Co Ltd. Vorher einen Rotring Art Pen mit einfacher runder Spitze, also gleichmäßige Linie, der war recht schick. Davor – lang davor – einen Füller von Parker, so ein mattschwarzer Zylinder, sehr futuristisch.

  5. Bin fast zwanzig Jahre später das erste Mal am Hamburger Hauptbahnhof angekommen, musste auf Toilette, frage eine Dame nach dem Weg und sie antwortet quasi in “Original Hamburgisch”, das mir während des langjährigen Aufenthalts nachher nie wieder begegnet ist.

  6. Den Stabilo Worker gibt es auch in anderen Farben! Da ich eine schon viele Jahre andauernde Türkisphilie habe, lag der Erwerb eines türkisen Exemplars nahe. Orange muss nun wirklich nicht sein.

  7. Der Vorteil bei Orange ist schlicht, man findet ihn wieder. So ein schwarzer Stift ist ruckzuck im Schreibtischchaos weg. Orange sieht man auch „durchs Papier durch“.

  8. Als ich vor gefühlt hundert Jahren noch im Osten festsaß, war mein Traum von der Freiheit, in einem Zug zu sitzen, in einen Bahnhof einzufahren, und dann steht da „Hamburg“ auf dem Schild.

    Meine erste Begegnung mit diesem Traumbahnhof war dann doch eher ernüchternd. Da fand ich den Hauptbahnhof von Frankfurt bedeutend spannender (dort saßen Menschen mit blutigen Spritzen neben sich auf den Stufen, also für mich Provinzhuhn total Weltstadt))

  9. Als Alternative zum Stabilo Worker würde ich mal den Stabilo Bionic testen. Ist praktisch gleich aber hübscher. Ausserdem lassen sich die Mienen auswechseln. Geht, glaube ich beim Worker nicht. Seit Jahren mein Lieblingsstift. Wird auch gerne von Kollegen mal nach Ausleihe in ein Geschenk umgewandelt.

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