Von inneren Bildungsbürgern und der spanischen Grippe

Ein langer Artikel über die spanische Grippe. Für den gepflegten Grusel zwischendurch.

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Ich habe einen englischen Gartenyoutuber mit wöchentlich erscheinenden Filmchen gefunden, der hat eine mir sehr angenehme Stimme und Betonung, von dem lasse ich mir gerne etwas erklären. Ich hätte jetzt außerdem gerne eine App, in der mir genau diese Stimme jeden Morgen in diesem betont freundlichen Tonfall erzählt, was ich heute zu tun habe, nicht nur im Garten, nein, überall. Natürlich mit Lösungsvorschlägen sowie Tipps und Tricks zu allen möglichen Ungereimtheiten und Komplikationen des Alltags, und das würde dann auch immer alles so klingen, als würde man das mit ein wenig gutem Willen schon hinkriegen. Das wäre fein.

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Die Söhne gucken morgens irgendwas auf Youtube und ich höre im Vorbeigehen nur den Satz eines Sprechers, der gerade eine Sequenz einer Spiel-Session erklärt, denn die Söhne gucken gerne Filme, in denen andere etwas auf dem Computer spielen, was auch irgendwie seltsam meta ist: Voll nice, wieviel damage man mit diesem Schwert anrichten kann.“

Und mein innerer Bildungsbürger unweigerlich so: “Is this a dagger which I see before me? The handle toward my hand? Come, let me clutch thee.”

Ein ganzes verdammtes Jahr lang haben wir Macbeth damals in der Oberstufe im Englischunterricht durchackern müssen, Zeile für Zeile, quasi jede Silbe analysiert, es verfolgt mich bis heute und neulich beim 30-jährigen Abijubiläum habe ich gemerkt: nicht nur mich, oh nein, wir haben alle Folgeschäden. Schlimm.

Und ja, dagger ist Dolch, nicht Schwert, ich weiß. Was kann ich für meine ungenauen Assoziationen?

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Morgens noch wie ein angetrunkener Pinguin über Blitzeis erst zum Feriencamp der Söhne und dann in die Firma gewatschelt, einmal quer durchs kleine Bahnhofsviertel und die benachbarte Hafencity, links und rechts von mir überall stürzende Fußgänger, schlingerne Radfahrer und schlitternde Autos – nachmittags schon die Jacke von mir geworfen und bei 11 Grad fröhlich pfeifend durch einen geradezu lauen Frühlingstag nach Hause gegangen. Ein seltsamer Tag. Zu den Radfahrern siehe übrigens auch hier, das ist alles nicht richtig so, das muss sich ändern.

“Papa, du gehst so langsam und breitbeinig, das sieht voll albern aus.“

Und nur einen halben Meter weiter hat sich der Sohn dann mit Schmackes aufs Eis gelegt. Ausgleichende Gerechtigkeit kann schon schön sein.

3 Kommentare

  1. Ich darf berichten, dass auch anderswo unter Macbeth-Folgeschäden gelitten wird. War bei uns in der Oberstufe damals auch so und Ihre Zeilen brachten bei mir sofort etliche Zitate hervor. Mein Abi ist auch fast 30 Jahre her. „When shall we three meet again….“

  2. Zur Grippe empfehle ich Spillover. Der tierische Ursprung weltweiter Seuchen von David Quammen:
    https://www.amazon.de/Spillover-tierische-Ursprung-weltweiter-Seuchen/dp/3421043655
    Mir ist selber nicht mehr ganz klar, wie dieses für mich abseitige Thema es auf meinen Reader geschafft hat, aber es ist das packendste Sachbuch, das ich je gelesen habe. Habe danach sofort alle Impfungen aufgefrischt und halte ständig Vorträge im Freundeskreis! Schlimm, ich hör jetzt auf, bevor das wieder losgeht.

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