Der schmale Bereich des Beschreibbaren

Ich schreibe hier seit vielen Jahren und fast die ganze Zeit über stoße ich immer wieder an zwei Grenzen des Beschreibbaren. Die eine liegt in der entsetzlichen und schier unvermeidlichen Klischeehaftigkeit der Welt, die vieles ins Unglaubwürdige verzerrt, obwohl es nichts als die Wahrheit ist. Man kann allzu klischeehafte Erscheinungen nur schwer wiedergeben, sie wirken einfach nicht glaubwürdig, sie wirken eher überzogen und gewollt, an den Haaren herbeigezerrt und letztlich irgendwie schmierig wie in der Genreschriftstellerei, die Prinzessin aus dem Hochadel sieht eben gut aus, der Chefarzt heiratet die schöne Krankenschwester. Ein Beispiel aus dem letzten Winter: Ich gehe durch die Hamburger Innenstadt und sehe, wie eine Dame ein Pelzgeschäft betritt. Wobei erstens auffällt, dass es überhaupt noch Pelzgeschäfte gibt, wer mag da wohl noch hingehen? Das ist doch eigentlich ganz interessant, das könnte sehr wohl ein Thema für einen Blogeintrag oder eine Kolumne sein. Jetzt noch schnell eine Beschreibung der Dame und zack, wieder eine kleine Form fertig gebacken, so möchte man das doch. Allerdings sieht die Frau in geradezu lächerlicher Weise aus wie Cruella de Vil. Sie ist nur etwas unauffälliger angezogen, wobei es sich bei ihrem flott umgelegten Mäntelchen aber selbstverständlich immerhin um Pelz handelt. Sie ist auch etwas stämmiger als das Original, etwas nördlich-hanseatischer, aber sonst – dieses pompöse Heranrauschen, diese geradezu auf zehn Meter Abstand spürbare Verachtung anderer Menschen, dieser herrische Blick, diese maßlose Arroganz – das passt alles perfekt und natürlich ist sie auch gerade einer Limousine entstiegen. Aber so etwas kann man nicht beschreiben, das glaubt einem ja kein Mensch, weil es viel zu erwartbar ist. Das wirkt bemerkenswert schlecht ausgedacht, da hat die Phantasie wohl wieder nicht gereicht, was?

Die andere Grenze liegt im Bereich des Ungewöhnlichen, Seltsamen, in der Region der schrägen Vorkommnisse. Als Beispiel dient hier am besten eine Geschichte, die ich allerdings schon oft erzählt habe, ich fasse sie daher nur schnell ganz kurz für die neuen Passagiere zusammen. Als ich zu meiner allerersten Lesung eingeladen wurde, hatte ich einen kurzen Moment des Haderns, denn meine Güte, in meinem Leben passiert doch überhaupt nichts, wer will davon etwas hören. Ich ging grübelnd und zweifelnd an der Alster spazieren, dachte über Ereignislosigkeit, Langeweile und Mitteilungsdrang nach und starrte sinnend ins Wasser, wo mir nach einer Weile etwas Seltsames auffiel. Etwas, das bei längerer Betrachtung aussah wie … eine Wasserleiche. Und es war dann auch eine. Falls Sie noch nie eine gesehen haben, erstrebenwert ist das übrigens nicht, es verfolgt einen längere Zeit. Aber im Grunde kann man auch davon nicht erzählen, das ist viel zu extravagant, das wirkt zu schlecht ausgedacht, da ist die Phantasie wohl wieder mit jemandem durchgegangen. Eine Wasserleiche im richtigen Moment, ist klar. Meine Güte.

Der schmale Bereich des Beschreibbaren liegt irgendwo zwischen Cruella de Vil und Wasserleichen, die mit perfektem Timing auftauchen. Zwischen Klischees und Special Effects. Und es gibt Tage und Wochen, da ist in diesem Zwischenraum gar nicht viel. Da ist viel mehr in den eben genannten Randbereichen los und als Blogger, Erzähler etc. denkt man da dauernd: Ach lass mal, das kannste so eh nicht schreiben, das glaubt dir sowieso kein Mensch. Und wenn man es dann dennoch beschreibt, dann kommentiert das auch jemand entsprechend.

Was ich also nur eben sagen wollte, wenn hier mal wider Erwarten nichts Neues steht, wenn es so wirkt, als würde noch weniger passieren als ohnehin schon – dann war wieder alles viel zu normal oder aber ganz anders, das ist im Grunde einfach. Wissense Bescheid, ne.

15 Kommentare

  1. und trotzdem sind sie alle wahr, die Momente. Realität diskriminiert nicht. Schick, ne.

  2. Lieber Grenzgänger, nur mal so fürs Protokoll: ich freu mich immer wenn ich an dem Schreibmaschinenbildchen sehe „hey, der MB hat wieder was geschrieben!“ – und da war immer was zum weiterdenken und/oder amüsiertem Kopfschütteln/ Nicken dabei

  3. Ungerade Zahlen, ich mag sie nicht, habe ich nun 2017 selbst für die Dramen gesorgt, nur weil ich keine ungeraden Zahlen mag. Wenn ich diese kleinen Schaumküsse esse, nur die mit Bitterschokolade, die weißen und hellbraunen mag ich nicht, esse ich immer entweder zwei oder vier, wenn ich sechs esse, wird mir komisch im Magen. Also, dieses zu ungeraden Zahlen, also nicht sehr ereignisreich! Ansonsten, was ich in 2017 erleben mußte, für die Staatsanwaltschaft nicht ereignisreich genug, die Anklage wird niedergeschlagen, weil für die Allgemeinheit nicht ereignisreich, weil nur geringer Schaden. Dann für die Allgemeinheit nicht interessant, aber mir hat es die Schuhe ausgezogen: Mein Erzeuger hat innerhalb von 1 1/2 Jahren drei! Söhne gezeugt, mit 3 Frauen, mit einem Bruder bin ich aufgewachsen, nicht sehr ereignisreich, aber für mich: Autsch! Ein bisschen weniger Ereignisse in 2018, ein bisschen weniger Adrenalin! Ja, gerade Zahlen, die mag ich!!

  4. Das ist dann wieder der Vorteil des Stadtlebens – hier auf dem Dorf gibt es zwar reichlich Kompost, aber weder Cruella de Vils noch Wasserleichen (zumindest sind mir beide noch nicht begegnet, zum Glück). Dafür hatte ich gestern einen Sperber direkt vorm Arbeitszimmerfenster, der sich einen Erlenzeisig aus der Weide geschnappt und dann gewartet hat, bis seine Beute zu zappeln aufhörte. Ein kurzer Moment nur, eine Mischung aus Erschrecken, Faszination und Mitleid, und eine etwas unbehagliche Erinnerung daran, dass auch inmitten all des Wachsens und Werdens der Tod nie weit ist. Das ist natürlich eine Binsenweisheit, aber es so unmittelbar vor Augen zu haben, hat mich berührt. Ich weiß nicht, ob das beschreibenswert ist, aber es ist ein Beispiel dafür, warum ich seit zwölf Jahren auf dem Land lebe.

  5. Dass die Geschichten, die banalen, passieren müssen ist ein Glück fürdie einfallslosen banalen Schreiberlinge. Denn die anderen machen aus balalem immer noch was Spannendes!

  6. *leiselache* … das war gar köstlich. Sie arbeiten mit WortBildern, vergleichbar wie ein traditioneller Bäcker. Aus den gegebenen Zutaten, mit der Liebe zum Tun und mit handwerklichem Geschick, entstehen sehr schmackhafte=lesbare Stücke.
    Vom Alltagsbrötchen bis zur Hochzeitstorte, es ist das Können und die Hingabe des Bäckers=Schreibers, die das eine wie das andere auf der Zunge zergehen lassen (können). Weiterschreiben bitte. 😉

  7. Was auch immer “nicht“ passiert ist, bei Ihnen wird es interessant. Sie können eben schreiben

  8. Ich bin ja dafür, dass es sich bei Cruella de Vil und der Wasserleiche um ein und dieselbe Person handelt.

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