Ein kleines Dörfchen, kurz vor dem Deich. Sehr schnuckelige Häuser, alle liebevoll gepflegt. Altes Gemäuer, das sich heimelig unters Reetdach duckt. Jedes Detail aufwendig restauriert und mit Liebe dekoriert, jede Mauer, jeder Winkel. Kein Fenster ohne Rosenumrahmung, keine Tür ohne frischen Anstrich, kein Briefkasten, der nicht in Stil und Farbe dem Haus angepaßt wäre.
Ganz klar, hier wohnen kaum noch Einheimische, hier residiert der Hamburger mit Geld, diskret zurückgezogen, den Wagen der Oberklasse im Carport versteckt, das unter üppigem Blumenbewuchs nahezu verschwindet.
Kleine Häuser sind das dort, aufgereiht wie in einer Pralinenschachtel, zuckersüß und wunderschön, man möchte vor jedem stehenbleiben und „hach“ sagen, zumindest bevor man einen schweren Gemütlichkeitskoller bekommt und sich kurz nach Hamburger Graffiti sehnt. Wenn man eine Bierdose dabei hätte, würde man sie jetzt sehr gerne auf ex trinken in einen Garten kicken, nur um wieder etwas Wirklichkeit zu fühlen. So ein Dorf ist das.
Aber wirklich hübsch.
Man geht die Dorfstraße hinunter, Reetdach, Reetdach, Reetdach. Dann, am Ortsausgang, ein unscheinbares, normales, kleines und eher langweiliges Haus, mit ganz normalem Spitzdach, rote Schindeln, schmucklos, wie überall. Da wohnt, man kann es auf einem Schild an der Straße nachlesen, der Reetdachdeckermeister.
Vermutlich hat der in St. Peter-Ording eine Villa. Oder zwei.
Reetdächer sind teuer, oder?
bei uns im Ort – der bei weitem nicht so idyllisch ist – gibt es einen Schreinermeister, der vor ein paar Jahren die Fassade seines Ladengeschäfts mit sicherlich nicht so billigem Stein (sieht für mich aus wie pollierte Grabplatten) verkleiden lies. Das irritiert mich auch immer wieder.
Der örtliche Maurer- und Malermeister bei meiner Mutter im Dorf irgendwo im Rheingau haust auch im schäbigsten von allen Putzfassadenhäusern… vielleicht ist das von uns Großstädtern mißverstandenes Understatement?
Handwerk hat eben goldenen Boden. Und wenn die Jungs abends nach langen Tagen voller Maurerei, Malerei, Schreinerei – lies: Schinderei – nach Hause kommen, dann wollen sie ihre Ruhe und nicht noch weiterrödeln.
Das kann verstehen: OSKAR. 🙂
Der will nach Feierabend sein Arbeitsmaterial wohl nicht auch noch „um die Ohren“ haben. Oder eben über’m Haupte schwebend.
Und Werbung muss er dafür wohl auch nicht mehr machen, wenn alle anderen mit Reet gedeckt sind.