Wilhelmsburg ist einer der Stadtteile in unserer Nähe, einer im Süden, ein aus vielen Gründen etwas spezieller Stadtteil. Vielen wird zuerst einfallen, dass er auf der falschen Elbseite liegt, dabei ist das gar nicht richtig, denn Wilhelmsburg liegt genau in der Elbe, auf einer Insel. Damals die Sturmflut, bekannt aus dem Fernsehen, die Geschichte mit Schmidt, das war Wilhemsburg. Wilhelmsburg ist nicht schick, Wilhelmsburg ist sozial nicht unproblematisch, aber Wilhelmsburg ist verdammt innenstadtnah und ein paar Altbauten stehen auch herum, da weiß man also gleich, was dem Stadtteil droht, da braucht es gar nicht viel Phantasie, wir haben das hier in Sankt Georg ja vorgelebt und kennen uns aus.
Ich habe heute einen Bericht in einem kleinen Hamburger Magazin gefunden, über eine Veranstaltung der Hamburger Handelskammer, in der es um die Entwicklung des Stadtteils geht. Gentrifizierung sei keine Gefahr, heißt es da, sondern eine Chance. Und dann kommt dieses grandiose Zitat zur glorreich gentrifizierten Zukunft der Elbinsel von einem Vertreter der Handelskammer, das mir schon den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf geht:
„Die Zusammensetzung der Bevölkerung wird höherwertiger sein, als die Segmente, die sich in der bisherigen Bevölkerungsstruktur abgebildet haben.“
Ist das nicht grandios? Ist das nicht von kaum zu begreifender Deutlichkeit und Klarheit? Muss man nicht noch dankbar sein, dass es “Segmente” und nicht “Sedimente” heißt? Und warum läuft hier schon den ganzen Tag die alte Platte von Degenhardt?
Fragen über Fragen.
spätestens mit der ganzen Nummer zur Internationalen Gartenbauausstellung ist klar, dass die Tage des armen semitürkischen Wilhelmsburg gezählt sind, es wird Zeit die alten Jugendstilhütten da ordentlich zu versilbern…
Da der Zaun zum „Freihafen“ gefallen ist (medienwirksam mit dem OB Scholz), steht der Baubehörde nichts im Wege auch auf die Wilhelmsburger Insel noch ein bisschen architektonisch wertvolle Hafencity hinzuklatschen…
Die Vokabel „höherwertig“ finde ich erstaunlich (und erschreckend) unverhohlen.
Das Zitat ist eine unglaubliche Unverschämtheit. Und „höherwertig“ in Bezug auf Menschen nur einen Schritt von „unwert“ entfernt, wenn mich jemand fragt.
Würde mich ja mal interessieren, wie viele von den bisherigen Kommentatoren schon länger auf der Insel leben. Und wer von denen lebt denn in Kirchdorf Süd (auch Wilhelmsburg). Als ich vor 13 Jahren das erste Mal in W’burg war, gab es nur große Augen von Hamburgern, dass ich mich da hin traue. Die S3 war für eine Frau hochgradig gefährlich. Die Veddel wurde im Kampf zwischen türkischen und afrikanischen „Interessen“ aufgerieben. Als blonder Mensch wurde ich beobachtet und auch mal angemacht. Das war das Sediment wegen Nichtbeachtung, lange bevor der Senat mal über ne Elbbrücke kam, weil er ein Platzproblem hat und die Leute entdeckten, dass St. Georg cool wäre.
Vielleicht kennt noch jemand „Nordsee ist Mordsee“ von Hark Bohm.
Das war eine andere Darstellung als Fatih Akims „Soul Kitchen“. Und nun meint die hippe Klientel in St. Georg, dass Williburg auch mal ganz cool wäre, nur weil irgendjemand festgestellt hat, dass nördlich der Elbe Wohnraum zu teuer ist und das da noch irgendwas in der Elbe ist. Und es ist ja dann böse, Alt-Wilhelmsburger Ghetto doof zu finden, weil da so viele Türken wohnen. Nur hinziehen wird keiner von Euch, ihr geht lieber ins beschauliche Alt-Kirchdorf, vertreibt da die Familien, die da schon ewig lebend und findet euch ganz toll, weil ja auch ein Türke in der Nachbarschaft wohnt.
Sei mir nicht böse, aber Wilhelmsburg wartet nicht gerade auf das Mitleid aus St. Georg. Geht lieber in der Langen Reihe brunchen.
Sorry, ich bin etwas übers Ziel hinaus geschossen, aber wenn man jahrelang W’burg nur in SpiegelTV-Brennpunktreportagen wahrnimmt, dann ist man bei gut gemeinter Unterstützung von nördlich der Elbe sehr vorsichtig.
Uiuiui – ein heißes Eisen also! Aber die Wortwahl des Handelskammervertreters ist unverhohlen faschistoid. Da braucht man viel Degenhardt & Gleicgesinnte.
Liebe Grüße aus Köln
Das Wilhelmsburg irgendwann mal gentrifiziert werden würde, das hat mir vor zwanzig Jahren ein Freund prophezeit. Das konnte ich mir nicht vorstellen, und ich wohnte da, lange auch, fast 8 Jahre. Jetzt ist es nah.
Alt-Kirchdorf wird früh dran sein, das denke ich auch. Aber eher noch die Gegend um den Vogelhüttendeich. Es gibt schon die ersten Bio-Marktstände mit ernsten Dreissigjährigen und wallenden Bärten. Aber noch haben sie einen harten Stand.
Ich frage mich, wo (in meiner Zeit) die Grenze sein wird; Kirchdorf-Süd ist ein harter Brocken.
Meine Güte. Ich denke, die Verrohung der Sprache spielt sich in solchen unerträglichen Äußerungen wieder, und nicht in Kinderbüchern. Ich glaub ich muss kotzen.
Es ist doch überall das Gleiche, zuerst will in den Stadtteilen mit vielen Arbeitslosen, alten Leuten, Studenten, Sozialhilfeempfängern und Ausländern niemand mehr wohnen, die bürgerlichen Bürger ziehen weg aufs Land, und dann entdecken die Investoren den Charme des Multikulti, die hippe Bausubstanz und die tolle Lage. Und dann kommen die Juppies und irgendwann kann keiner die Mieten mehr bezahlen. Wir leben im Kapitalismus, Leute, da zählt nur die Kohle und der Profit, und sonst nichts.
@Alex: hab mal in Kirchdorf Süd gearbeitet. Da kann man nur leben, wenn man muss. Meinetwegen soll Wilhelmsburg gern weiter den jetzigen Wilhelmsburgern gehören. Ich fühle mich da jedenfalls nicht willkommen, wenn ich aus der S3 aussteige, und würde mich hüten, da hin zu ziehen. Deine Botschaft ist angekommen.
Das Schicksal der Kieze: Großstadt essen Szene auf.
Aus meiner Sicht sichert Eigentum den einzig sicheren Zugang zum eigenen Kiez – wer bleiben will, muss erwerben, per Genossenschaft oder sonstwie. Anders erlebt man nur den hier beweinten Einbruch des Kapitalismus in die eigene Wohnung (als wäre die Wohnung ein anderer, viel kuscheligerer Planet… Aber diese kognitive Verzerrung ist wohl weitverbreitet normales Wunschdenken).
Dass Wilhelmsburg irgendwann durchgentrifiziert wird, hat mir mein Vater (geborener Wilhelmsburger) schon prophezeit, vor 20 Jahren. Die Ansiedlung von Studenten auf der Veddel ist ja auch schon länger her.
Dass die S3 für eine Frau hochgradig gefährlich war, möchte ich mal bestreiten. Ich bin mit der ca. 15 Jahre lang gefahren (bis Harburg), zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit, und fand die nicht wesentlich ungemütlicher als die anderen Strecken.
Das Zitat ist ja gleich auf mehreren Ebenen unfassbar. Mal von der unverkleideten Menschenverachtung abgesehen ist es ja auch noch inhaltlicher Unsinn – wie kann eine Zusammensetzung höherwertig sein? Und der fette Kommafehler macht es ja auch nicht besser.