Besser scheitern (1): Buddenbohms Barrieren

Die Hamburger Kunsthalle hat bisher nicht gerade offensiv den Kontakt zur Blogszene gesucht, das ändert sich allerdings gerade und das freut mich sehr, denn ich habe es ja gerade mit Museen, wie dem einen oder anderen aufgefallen sein wird. Deswegen war ich gestern mit einigen anderen Bloggern eingeladen, mir die Ausstellung “Besser scheitern” anzusehen – und es gibt mittlerweile sogar schon vier Blogartikel zu dem großartigen Abend, hier und hier und hier und hier.  Das erspart mir wieder die Fleißarbeit, jedes Kunstwerk und jeden Künstler zu listen, das haben die Damen alle schon getan, wirklich ganz reizend. Eine weitere Auflistung von mir würde da gar keinen Mehrwert bringen, das ist also wie bei dem Bericht von der TedxHamburg – wer zu spät bloggt, den belohnt das Leben. Auch mal schön!

Die Kuratorin, Dr. Brigitte Kölle, führte uns durch die Ausstellung und erklärte die Arbeiten, und sie hat es bewundernswert gut gemacht. Sie gehört zu den wirklich seltenen Menschen, die stundenlang fehlerfrei sprechen können, ich habe von Minute zu Minute entgeisterter zugehört. Ich glaube, ich habe von diesen Menschen tatsächlich noch nicht sehr viele im Leben getroffen. Kein einziges Äh, kein Hm, kein wasweißichdenn, keine verlorenen Halbsätze, keine verwaisten Silben, keine Ruinen der Grammatik. Klare Struktur, wohldosierte Fakten, präzise dargestellt. Je länger sie sprach, desto mehr fiel mir auf, wie sehr ich selbst das so nicht kann. Ich kann im Gespräch keinen Beitrag von mir über drei Sätze hinweg denken, andere Menschen können das aber anscheinend. Ich denke vermutlich gerade einmal bis zum nächsten gesprochenen Komma, also bis zum nächsten Luftholen, wenn überhaupt. Ich weiß tatsächlich nicht recht, was ich denke, bevor ich es geschrieben habe, um einmal ein bekanntes Zitat abzuwandeln, ich kann keine drei Sätze geradeaussprechen, ohne mich im Gestrüpp meiner halbherzig angefangenen Nebensätze zu verheddern oder gegen die in der Mitte meines Redeflusses wie Steine herumliegenden Substantive zu prallen, ich kann das also nicht, ohne zu scheitern. Vielleicht bin ich auch ein wenig dumm. Je älter ich werde, desto öfter ziehe ich das ganz ernsthaft in Erwägung. Während sich an anderer Stelle im Internet gerade reihenweise Leute als vermeintlich oder tatsächlich hochbegabt zu erkennen geben, muss irgendwer ja auch für die andere Seite einstehen, immerhin sind die Dummen doch in der Mehrheit. Das womöglich arg begrenzte Maß meiner intellektuellen Fähigkeiten passte als Erkenntnis jedenfalls ganz gut zu dem Abend, es war sogar geradezu programmgemäß.

Und scheitern tue ich normalerweise auch an moderner Kunst, das ist der Stammleserschaft sicher bekannt. Aber ich habe jetzt verstanden, woran das liegt, glaube ich, und es wird sich womöglich ändern. Oder genauer, ich habe verstanden, wann ich nicht daran scheitere. Wenn ich nämlich normalerweise eine “Installation” im Museum sehe, ein Wort, das ich sozusagen mit in die Luft gefuchtelten Anführungszeichen und ironischem Grinsen auszusprechen pflege, wenn ich auf eine “Performance” stoße oder auf eine “Arbeit” und nicht gleich verstehe, was das denn soll, reagiere ich meistens ablehnend. Ich kann mich ganz gut über moderne Kunst lustig machen, ich habe das im Blog auch schon oft getan. Ich kann moderne Kunst vermutlich recht eloquent herabsetzen und verspotten, dieses unverständliche Zeug, das da Kunst sein soll und doch nur sinnfreies Blech, zuckende Flimmerbilder oder buntes Licht auf Glas ist. Es ist leicht, moderne Kunst als einen schwachen Gegner zu betrachten. Ich glaube, auch das ist dumm von mir.

Aber, das habe ich vor längerer Zeit schon einmal bemerkt, und gestern fiel es mir wieder auf, erklärt mir jemand eines dieser Kunstwerke auch nur ein wenig, schon legt sich ein Schalter in meinem Kopf um, dessen Existenz ich aber jetzt erst bewusst zur Kenntnis genommen habe. Es brauchte nur zwei, drei Sätze der Kuratorin und mein Hirn sprang in einen seltsamen anderen Zustand, in eine Art fortgeschrittenen Kulturstrebermodus. Ich hätte mich am liebsten fingerschnipsend gemeldet und erklärt, das ich das alles jetzt schon verstanden habe und das mir dazu außerdem noch zwanzig andere schlaue Aspekte einfallen und welche Bezüge das alles noch zu anderen Kunstformen und erst recht zum literarischen Schaffen hat, wenn man dann noch bedenkt, dass….. Also komplett unerträglich, schon klar, ich habe natürlich überhaupt nichts gesagt.

Ich hätte aber am liebsten sofort das jeweilige Kunstwerk weitergedacht, mit dem Künstler einen Arbeitskreis gegründet, eine weitere Arbeit konzipiert und noch zwei, drei mir logisch erscheinende Variante besprochen, ich war sofort in der Haltung “und ab morgen bin ich Experte.” Was ich natürlich nicht sein werde, versteht sich, ich bin nicht größenwahnsinnig. Und ich habe selbstverständlich auch gar nicht alles verstanden, geschweige denn viel gewusst, mir fehlt wirklich in neuerer Kunstgeschichte jeder Bildungshintergrund.

Aber ich fand es doch faszinierend, wie schnell man aus einer vollkommen verschlossenen Geisteshaltung in einen offenen, freundlichen und kreativen Zustand wechseln kann, wie sehr man sich fremden Themen zuneigen kann, wenn man nur durch etwas aufs richtige Gleis gebracht wird. Durch ein Hinweisschild, durch einen Bezug oder, wie gestern, durch die Moderation der Kuratorin. Denn es gilt ja sicher auch für andere Lebensbereiche, dass dieser Wechsel möglich ist. Man kann es vielleicht gar nicht ermessen, wie viel Spaß und aufregende Erlebnisse man im Leben schon durch die falsche Haltung verpasst hat und wieviel man noch haben könnte, wenn man bei gewissen Themen nur offener wäre. Es war mir wieder eine Lehre, mehr zu machen, besser zuzuhören, öfter vom thematisch gewohnten Weg abzubiegen, aufmerksamer zu sein, lernbereiter. Das ist wichtig, das ist in meinem Fall auch wegen der Söhne wichtig, denn sie werden mir im Laufe der nächsten Jahre ganz sicher noch die seltsamsten Themen ins Haus schleppen. Da ist es sicher gut, über die eigenen Barrieren nachzudenken. Schon für diese Erkenntnis hat sich der Abend gelohnt.

Und zur Ausstellung, die unbedingt zu empfehlen ist, schreibe ich natürlich auch noch etwas und später werden hier auch noch Karten für die Kunsthalle verlost. Aber im nächsten Beitrag zur Ausstellung muss es erst einmal um Blech gehen, denn mit der modernen Kunst bin ich noch nicht fertig. Ich muss aber vorher ein paar Fotos machen, die das erklären, was ich da sagen will.

Das Programm wird in Kürze fortgesetzt.

 

5 Kommentare

  1. Die Ausstellung ist grossartig und ausserdem auch noch Kindertauglich (jedenfalls für meine etwas grösseren).

    Gehen sie hin! Nehmen sie ihre Kinder mit!

  2. Pingback: Besser scheitern
  3. Das klingt ja spannend und die geneigte Leserin freut sich auf die Fortsetzung.
    Entflammte, kompetente Schreiber (s. o.) und Redner sind wirklich ein Genuss.
    Wenn das Thema einen interessiert sowieso, aber wenn derjenige es schafft ein Desinteresse oder ein Vorurteil zu kippen – ganz groß.
    Ich find ja beides schwer – das Aufschreiben und das freie Reden. Deshalb bin ich vor einigen Jahren auch in einem kleinen Rhetorikkurs gelandet. Da wurde uns Mut gemacht bei Panik vor der freien Rede mit einer saloppen Erklärung des sog. ‚Sprechdenkens‘. Vereinfacht gesagt „Plant mal die ersten 3 Sätze und dann fangt einfach an, das Denken und Reden kommt schon hinterher“.
    Wir sollten das in einsamen Autofahrten üben. Ich hab das auch probiert und es funktionierte ganz gut. Allerdings ist das Ergebnis – ohne Publikum – nicht messbar und damit sehr zweifelhaft.
    Außerdem ist das Üben in großstädtischen S-Bahnfahrten wohl eher nicht zu empfehlen.

    Übrigens, ich mag ja Methaphern. Die ‚Ruinen der Grammatik‘ und die ‚wie Steine herumliegenden Substantive im Redefluss‘ sind klasse und werden nach meinem Gestrüpp von Nebensätzen lange im meinem Gedächtnis hängenbleiben.

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