Die Sache mit dem Content (II)

Die Fortsetzung dieses Beitrags.

Dieses Blog wird ziemlich regelmässig betankt, ich poste fast jeden Tag etwas. Das ist leichter, als es vielleicht klingt, denn ich habe etliche regelmässige Termine und Rubriken, die zu bedienen sind. In einem Monat erscheinen hier zwei Kolumnen für die Lübecker Nachrichten, zwei für den Hamburg-Führer, 4 für die GLS-Bank. Dazu meist zwei Ausgaben der Tweet-Sammlungen “Kurz und klein”, eine von “Gelesen, gehört, gesehen, gespielt” und dann noch vier von den Linksammlungen “Woanders”. Damit sind also schon 15 Tage bedient. Von den verbleibenden 15 werden sicherlich 5 mit eher kurzen Einfällen gefüllt, Bildern oder schnell notierten Dialogen, so dass ich nur etwa zehn klassische Blogeinträge im Monat schreibe. Glaube ich.

Zehn ist nun kein unmenschliches Pensum. Aber es ist doch so, dass man dauernd aufpassen muss, um genug Ideen verarbeiten zu können, ich schreibe ja nicht nur über Kinder. Da ich meistens über recht allgemeine Themen blogge, kann fast alles, was ich erlebe, höre, sehe usw. einen Eintrag ergeben. Das ist toll, weil man dadurch viel besser aufpasst, mehr nachdenkt und einen vergleichsweise reflektierten Alltag durchlebt. Das ist aber auch fatal, weil man dadurch völlig verblödet. Ich erkläre das mal an einem Beispiel.

Ich ziehe mir Schuhe an, dabei reißt mir ein Schnürsenkel. Die Söhne lachen sich kaputt über den Slapstick-Papa, die Herzdame macht abfällige Bemerkungen über rohe Gewalt und linke Hände, ich fluche, weil ich einen Termin habe, bei dem ich Anzug tragen möchte und daher genau diese Schuhe unbedingt brauche. Ich ziehe also erst einmal andere Schuhe an und stecke die Schuhe ohne Schnürsenkel in meinen Rucksack. Das sind gerade meine einzigen korrekten Anzugschuhe, die müssen mit. Dann geht die gesamte Familie einkaufen, das ist sowieso dran, da kann man auf dem Weg mal eben Schürsenkel kaufen, dann kann ich hinterher wieder die Schuhe wechseln.

Das Schnürsenkelregal im Drogeriemarkt ist überraschend groß, wer kann denn damit rechnen, dass es bei so banalen Dingen dermaßen viel Auswahl gibt? Schnürsenkel sind rund oder flach, dick oder dünn, aus verschiedenen Materialien und in verschiedenen Farben und natürlich verschiedenen Längen lieferbar, die anscheinend in der Anzahl der Ösen ausgedrückt wird. Aber was weiß ich denn, wie viele Ösen der Schuh hat? Ich zähl die doch nicht jeden Morgen nach. Das ist überraschend kompliziert, daraus kann man sicher einen Blogeintrag oder sogar eine Kolumne machen, schwant mir.

Also sehe ich mir den Rest des Regals genauer an und studiere die ganzen Packungaufschriften, vielleicht ergeben die noch mehr Ideen für einen Text? Dann hole ich einen Schuh aus meinem Rucksack und zähle die Ösen daran, eine Verkäuferin geht dabei milde lächelnd und kopfschüttelnd an mir vorbei. Ich überlege, was noch zum Thema Schnürsenkel gehört, da war doch neulich so ein Video mit Schleifen per Blitzmethode im Umlauf, wo war denn das noch? Das kann man sicher thematisch irgendwie verbinden. Außerdem habe ich gerade bei befreundeten Eltern gesehen, dass sie einen Übungsschuh aus Pappe oder Holz für ihren Sohn haben, so ein Modellding, daran soll er Schleifen trainieren. Warum man dazu einen Übungsschuh nimmt und keinen richtigen, es ist mir unerfindlich, andere Eltern sind aber sowieso die seltsamsten Wesen überhaupt, das muss dann auch irgendwie in den Text und vielleicht kann man irgendwie bei Bindung enden oder bei Schleifen, es ist ja vieles in Schleifen – und da dann einen Wortwitz hindrehen…

Währenddessen hat die Herzdame mir die Schnürsenkel aus der Hand genommen und wieder ins Regal gelegt. Sie hat die richtigen herausgenommen und zur Kasse getragen. Sie hat sie bezahlt, die Kinder wieder eingesammelt und angepfiffen, weil sie Überraschungseier eingedrückt haben. Dann ist sie mit den Söhnen an der Hand aus dem Laden gegangen, von wo aus sie jetzt in einem alarmierenden Tonfall nach mir ruft. Das ist mir aber alles entgangen, weil ich die ganze Zeit so dermaßen scharfsinnig und tiefgründig über Schnürsenkel nachgedacht habe, dass ich mit dem Gesichtsausdruck eines stumpf glotzenden Wiederkäuers sinnlos vor dem Regal stehengeblieben bin, andere Funktionen gerade nicht mehr verfügbar, bitte warten Sie bis der Prozess beendet ist.

“Ich war gerade in Gedanken”, sage ich zur Herzdame, die wissend nickt, mit diesem resoluten Betreuerinnengesichtausdruck, den ich an ihr gut kenne. Dann sagt sie irgendwas, was ich aber nicht mehr höre, weil mir gerade einfällt, dass diese Situation an sich ja auch ein Blogeintrag werden könnte, die absurd-fatale Logik im Alltag eines Bloggers, man achtet auf alles und eben dadurch merkt man gar nichts mehr, doch, das könnte ich auch einmal schreiben, das könnte gehen. Das wäre dann natürlich eine ganz andere Ebene als die Sache mit den Schnürsenkeln, aber das könnte man vielleicht verbinden und irgendwie am Ende auflösen, so eine überraschende Wendung kommt ja immer gut, aber das kann ich jetzt nicht mehr in allen Details ausführen, glaube ich.

Die Herzdame steht schon seit etwa drei Sätzen neben mir und sieht aus, als würde sie schon seit längerer Zeit auf mich einreden. Ich frage besser mal nach.

 

11 Kommentare

  1. Wunderbar. Der Meta-Blogger. Ich muss bekennen, ich bin nicht ganz frei davon. Passiert mir auch mit Tweets, dass die mir die anderen Funktionen kurzfristig blockieren. Manchmal muss ich auch noch Fotos machen, was die Kinder ziemlich ungehalten stimmen kann.

  2. Ich bemerke, wie diese Denke bei mir jetzt im 3. Blogjahr anfängt.
    Komisch daran ist, dass ich manchmal direkt für Beiträge losziehe, Fotos mache und mit Menschen rede… Und dann keinen Beitrag zusammen bekomme, weil mir plötzlich vor dem PC der Draht zum eigenen Erleben fehlt. Wie auf der Barbie-Börse, da hätte ich über die seltsamen Menschen nichts Nettes schreiben können.

  3. Sehr schön. Die teilweise strapazierte Meta-Betrachtungsweise ist immer noch unterhaltsam, wenn man sie beherrscht.

  4. Ich lerne es einfach nicht. Essen und buddenböhmische Texte lesen verträgt sich nicht mit meinem Laptop. Ich gehe dann mal die Reinigungstücher suchen…

  5. Ich finde euch einfach gut – allesamt, die ganzen Buddenbohms! War ein Genuß zu lesen! Merci!
    Von mir aus dürften noch mehr Buddenbohms die Welt beglücken. Wie siehts eigentlich mit Schwesterchen für die jungfräulichen Buben aus?

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