Was bleibt

Wir haben wieder eine Grundschule besichtigt, weil der größere Sohn nächstes Jahr in die Schule kommt. Da wurde ein Tag der offenen Tür veranstaltet, da konnte man sich alles einmal in Ruhe ansehen. Und natürlich ist alles ganz anders als damals in den Siebzigern, als ich selbst in die Grundschule ging. Wir hatten ja nichts! Wir hatten zumindest nicht so überaus liebevoll gestaltete Klassenräume, die fast wie Kinderzimmer aussehen. Wir hatten auch keine nette Schulkantine mit Bio-Essen, wir hatten keinen Spielplatz mit Rutsche und riesigem Klettergerüst auf dem Schulhof.  Die Schule gibt sich heute die größte Mühe, einen freundlichen Eindruck zu machen, als ein schöner Ort zu wirken, das sieht man auf den ersten Blick. All das gab es früher überhaupt nicht, da war ich tatsächlich positiv beeindruckt.  Wir gingen zur Begrüßung in die Aula, wo die Elternschaft erst einmal von einer Dame in drei Teile geteilt wurde, mit raumgreifenden Gesten, wie man sie von den Stewardessen bei der Sicherheitsbelehrung kennt. „Nun singen wir alle zusammen einen Kanon!“

Und ehe man sich versah, war man schon mitten in der ersten Strophe von „Hejo, spann den Wagen an“. Leicht verwirrt, ob man an der richtigen Stelle war, etwas verblüfft, dass überhaupt jemand mitsang, hektisch rätselnd, ob es dabei eigentlich mehrere Strophen gab oder nicht. Natürlich ging der Kanon am Ende nicht auf, sondern endete im unschönen Stimmengewirr. Natürlich bestand die unzufriedene Musiklehrerin darauf, das Ganze gleich noch einmal zu singen. Das musste doch klappen? Mit etwas mehr Mühe vielleicht? Auch mit denen dahinten, die eben gar nicht richtig mitgesungen haben? Ihr Blick traf meinen Blick.

Und da war mir dann doch klar: Manches ändert sich nie.

(Dieser Text erschien als Sonntags-Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

7 Kommentare

  1. Ich fand ja auch, daß mich die Dame, die den Vortrag zur Schulreife des Kindes hielt, mich ein bißchen von oben herab ansah, als ich den Vortrag vorzeitig verließ und etwas von „Babysitter ablösen“ murmelte (das stimmte auch nicht GANZ). Während des Vortrags hatte ich vielleicht einmal zuviel etwas zu meiner Sitznachbarin geraunt…irgendwie bin ich froh, daß unserem Kind doch noch ein weiteres Jahr im Kindergarten bleibt… .

  2. Oh ha! Vorsicht. Hinter der liebenswürdigen Oberfläche lauert die wohlbekannte Anpassung der Kinder an bestimmte Werte und Normen, und wehe einer widerspricht. Ich hab neulich gelesen, dass es in manchen Grundschulen sogar Rituale gibt, wenn einer der Schüler auf’s Klo gehen möchte. Da habe ich zum ersten Mal verstanden, wieso manche Amerikaner Homeschooling bevorzugen, obwohl ich das eigentlich ablehne.

  3. Leider überkommt einen dieses gruselige Gefühl dann mit voller Wucht wenn das Thema „weiterführende Schule“ heisst. Da ist Schluss mit lustig und singen, da staunt man dann nur noch, wenn die Fünftklässer mit nur 32 Wochenstunden starten und sich in 2 Jahren dann auf schlappe 37 hochschrauben. Eigentlich würde ich mein Kind nun doch gerne noch ein paar Jahre in der Grundschule lassen – so 8 vielleicht???

  4. Tja Paula, dass mit den Ritualen ist so. Es bringt Struktur. Struktur hilft allgemein den Tag zu organisieren und schafft Raum dass sich das Kind auf Neues konzentrieren kann.

    Alternativ kann man natürlich auch darauf hinarbeiten, dass das Kind sein ADS voll entwickeln und ausleben kann, frei, ohne Rituale und ohne Anpassung an Normen. Bis dann zum Schluss doch verzweifelt die Notbremse mit Ritalin gezogen wird. Dann doch vielleicht lieber ein Ritual zum Toilettengang, statt sich in die Hose …

  5. @ Hermann: Danke für die Belehrung, bin selber Lehrerin. Die Alternative (perfide von Ihnen, das ADS als Alternative zu bezeichnen) ist natürlich nicht das Ausleben eines ADS – Ritalin kommt mir sowieso nicht ins Haus -, sondern das ganz normale Verhalten: sich melden und fragen, ob man mal zur Toilette kann, und das nicht als Ritual.

  6. Dank an den Verfasser der Sonntagskolumne! Ich habe bei diesen Veranstaltungen, meine Kinder gehen auf diese Schule, immer das Gefühl, ich bin die Einzige, die sich unwohl fühlt. Leider bleibt das Lehr- Niveau so niedrig wie dargestellt, ein bissel singen, ein bissel lernen, aber bloß kein großes Interesse zeigen… das ist schon zu viel Lebendigkeit. Ohne eigenes Engagement könnte es sein, dass dein Kind als Analphabet die Schule verläßt….

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