Alles muss raus

Die Hamburger Linden haben auf einmal alle gleichzeitig das Laub schön. Im mäßigen und erstaunlich warmen Südwest wehen ihre Äste wogend hin und her, sie winken uns lässig durch und wir fahren durch baumbestandene Straßen in überbordender Pracht. Wir werden von Linde zu Linde freundlich weitergereicht, von Gold zu Gold und die Straßenränder sind in dieser Saison sämtlich brokatverziert, das macht das Laub und es schmückt ungemein. Wenn man sich auf das Lichte und Helle konzentriert, auf das Sonnenbeschienene, ist an so einem Oktobertag fast die ganze Stadt schön. Lauter Prachstraßen führen freundlich durch jedes Viertel. Also zumindest da ist es schön, wo die Bäume stehen – den Rest der Stadt kann man eh vergessen, wie immer.

Wir gehen in einen Laden für gebrauchte Möbel und Zeug, da stehen lauter wundersame Dinge und genau danach ist uns. Eine Frau vor mir nimmt begeistert eine Vase aus einem Regal: „Guck mal, wie toll!“ Das sagt sie so zu ihrem Mann und der sieht sie an, sieht die Vase an, schüttelt den Kopf und sagt: „Die ist hässlich wie die Nacht.“ Die Frau sieht den Mann an und der Mann sieht die Frau an, lange sehen sie sich an und dann lächeln sie beide und streiten nicht. So ein Tag ist das.

Die Herzdame wiederum sieht eine Vase und sagt: „Die?“ und ich sage: „Aber ganz genau die.“ Heute ist alles möglich.

Wir haben beschlossen, in der Wohnung einiges zu verändern, was jetzt eine ziemlich starke Untertreibung ist, und mit dieser Vase für 4 Euro fängt es an, es ist ohnehin kein Jahr für große Budgets. Aber es war ein guter Tag für größere Beschlüsse, fanden wir.

Stammleserinnen wissen mittlerweile, dass dies einem festgefügten Ritual folgt, bis Weihnachten werde ich hier also wieder auf einer Baustelle sitzen und bloggen. Alles muss raus! Nein, raus natürlich nicht, aber was rechts ist, das muss doch nach links oder erst einmal mehr in die Mitte, und was in diesem Raum ist, das könnte auch in jenen und überhaupt könnte das alles anders organisiert sein, die Söhne zum Beispiel, sie brauchen endlich eigene Zimmer. Und wenn es dann anders ist, dann ist es sicher auch besser und es wird uns wie immer unbegreiflich sein, wieso wir nicht vorher darauf gekommen sind, es wird nur damit zu erklären sein, dass man auch im fortgeschrittenen Alter immer noch weiter heranreift, auch in Fragen des Interieurs.

Ich gebe zu, es ist ein äußerst seltsamer Trieb oder Tic, den die Herzdame und ich damit haben. Jedes Jahr im frühen Herbst meldet er sich verlässlich und wir danken zum wiederholten Mal dem Himmel, dass wir den beide in annähernd gleicher Ausprägung haben, wir wären ansonsten aneinander schon komplett wahnsinnig geworden. Also noch wahnsinniger.

Und damit Schluss für heute, der Tisch muss hier weg.

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4 Kommentare

  1. Die Schönheit der bunten Herbstblätter erfreut auch mich, hoffentlich fallen sie nicht so schnell ab.
    Klar, jeder braucht ein eigenes Zimmer, aber was machen dann die Eltern, müssen sie sich dann einen gmeinsamen Wohn- und Schlafrum teilen? Oha!

  2. Eine Freundin spricht bei etwas sehr ähnlichem wie diesem herbstlichen Möbel-Wechselspiel jedes Mal davon, sie habe eine Inspiration gehabt. Das kommt allerdings nicht jährlich vor, sondern eher quartalsweise. Ich finde, in welchem zeitlichen Abstand auch immer, eine schöne Sache. 🙂

    Oder wie das Känguru schon sagte: „Wenn man die Möbel umstellt, kann man ganz billig Urlaub machen.“

  3. Männer, dievMöbelumstellen schön finden sind eine Seltenheit, die in meinem Augen nicht hoch genug geschätzt werden kann. So einen habe ich leider nicht daheim und deshalb musste ich mich immer sehr zügeln, dabei finde ich das Bild vom „billig Urlaub machen“ bestechend.
    Genau so fühlt es sich an!

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