Die Unfreundlichkeit der Schneekörner

Ich habe in mehreren Blogs eine Zeile oder einen Satz gelesen, der in etwa besagte, dass gerade nichts passiere, dass man nichts mehr schreiben könne. Dann folgte dennoch überall ein längerer Text, natürlich war das so, wie das bei uns schreibenden Menschen nun einmal ist – wenn nichts ist, dann befinden wir das immer noch und gründlich, dass nichts ist, und wir erklären das Nichts allen ganz genau. Es ist allerdings tatsächlich nichts oder doch verdammt wenig.

Ich gehe raus, ich denke, es muss doch irgendwas sein? Ich sehe mich um, ich gehe so herum, es ist nichts. Es ist grau und alles sieht furchtbar langweilig aus, geschlossen, abgestellt, aus und zu. Die Farbe des Himmels verläuft in die Häuser, Einheitsgrau für alle und überall. Menschen gehen einkaufen, mehr machen sie nicht. Ich gehe auch einkaufen, dabei passiert nichts. Ich sage dem mich begleitenden Sohn, er könne sich ruhig etwas aussuchen, mir egal was, ich zeige vage in Richtung der Süßigkeiten, er sagt: „Ach, lass mal.“ So ein Tag ist das.

In der Schule, also in der Homeschool, pardon, lesen sie Krabat. Fragen zum Text, wie macht der Autor was, wir wirkt das und jenes. Wir gehen das gemeinsam durch, wir sehen uns das an. Wir nehmen Sätze und Begriffe und Wendungen und Metaphern und Vergleiche und all das und überlegen mal. Schneekörner etwa, warum schneit es da Schneekörner in dem einen Absatz? Sind Schneekörner anders als Schneeflocken zu bewerten, und wenn ja – warum? Sind sie unfreundlicher, härter, gemeiner. Ist es ein anderer Winter, wenn es Schneekörner schneit? Und was sind das überhaupt, Schneekörner. Der Sohn ist nicht so schneeerfahren wie sein Vater, der aus einer kälteren Zeit kommt. Das sind jedenfalls diese Fragen zum Text, nicht wahr, die haben wir alle einmal in Deutsch erlebt. Ich schlafe zwischendurch ein, wie damals. Ich bin unfassbar erschöpft, das war ich damals allerdings nicht. Damals war ich nur gelangweilt.

Wir gehen noch einmal raus, wir haben etwas vergessen, weil ich beim Einkaufen wieder auf andere Leute geachtet habe, nicht auf den Einkaufszettel. Aber drinnen ist es eh nicht besser, wir können also ruhig noch einmal rausgehen. Wir gehen vor die Tür, es schneit Schneekörner. Wir gucken beide etwas verblüfft nach oben, wie geht das jetzt? Ich kenne solche seltsamen Auswirkungen sonst nur vom Schreiben, dass sich etwas vom Tippen und Denken her ins Dreidimensionale überträgt. Jetzt also auch beim Lesen, das ist gar nicht uninteressant. Eben noch im Buch, jetzt hier auf unserer Bühne, wie toll ist das denn! Wir bemerken die Unfreundlichkeit der Schneekörner auf unseren Gesichtern, wir frieren im gerade gemeiner werdenden Wind und fangen umherirrende Schneekörner mit der Hand und sehen sie uns an. Es sind genau die aus dem Buch, ich möchte es wetten. Sie haben sich tatsächlich und ganz unzweifelhaft hier verwirklicht, it’s magic.

Und ich denke, dass wir jetzt sofort nach Hause müssen, schnell, schnell – Sterntaler lesen.

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6 Kommentare

  1. Nixpassieren bewirkt ein immer stärkeres Einzoomen auf einen Punkt der Umgebung, um Bewegung zu erleben.
    Irgendwann bleibt nur noch die Eleganz in der Positionsveränderung der Staubflocke auf dem Tisch vor uns.

  2. Vielen Dank für die magische Geschichte; auch in Wien an diesem Tag dichtes Schneekörnertreiben. Und ja, sie sind unfreundlicher, härter, gemeiner, dennoch große Freude darüber, es ist, als wäre man im Inneren einer Schneekugel.

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