Die Wurzel allen Übels

Viele Menschen beklagen sich, dass wir in diesem Land immer griesgrämiger werden. Die Höflichkeit nimmt ab, schlechte Laune wird immer hemmungsloser ausgelebt. Jeder muffelt vor sich hin und Rücksicht, Charme und Freundlichkeit sind akut vom Aussterben bedroht. Stimmt doch, nicht wahr? Aber ja. Und wie das stimmt.

Es gibt viele Theorien, warum das so ist, es gibt Annahmen von Soziologen, Politikern und Geistlichen, die sich berufen fühlen, die Welt zu erklären. Ich halte nichts von all diesen Theorien. Ich glaube, man muss, um das Phänomen zu verstehen, dahin gehen, wo die Unfreundlichkeit entsteht. Man muss also, Sie werden es sich als mitdenkender Mensch bereits gedacht haben, zum Pfandautomaten.

Denn dort entsteht schlechte Laune, dort wird Aggression erzeugt, dort vergeht einem die Nettigkeit. Es sind diese desaströs schlecht funktionierenden Geräte, die noch den duldsamsten Kunden in die Verzweiflung und die Bitternis treiben. Es sind diese Elendsmaschinen, die aus friedfertigen Menschen böse Nachbarn, missmutige Kollegen und giftige Eltern machen. Mit jeder unverarbeitet wieder ausgespuckten Flasche geht es weiter bergab mit diesem Land, mit jedem verweigerten Einlesevorgang wird uns Höflichkeit entzogen, nähern wir uns unaufhaltsam der Barbarei.

Früher, die Älteren erinnern sich, gab es noch echte Menschen, die Leergut angenommen haben.  Das war ein normaler Job. Diese Menschen  waren manchmal schlecht gelaunt, aber die haben immer funktioniert. Tadellos haben die funktioniert! Und es war ihnen egal, wie herum man ihnen die Flaschen gereicht hat und man musste ihnen auch nicht alle Flaschen neunmal in die Hand drücken, bis sie sie endlich angenommen haben. Sie haben alles einfach genommen, sie haben ihren Job gemacht und man ging dann fröhlich hüpfend und bestens gelaunt seines Weges. So war das. Damals.

Und jetzt alle: War! Das! Schön!

(Dieser Text erschien als Sonntags-Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

13 Kommentare

  1. Das Beispiel Pfandautomat hätte auch wunderbar in Deinen Wirtschaftsteil gepasst. Steht er doch für die Tatsache, dass es im modernen Berufsleben nicht mehr die Stellen gibt, wo vermeintliche „Minderleister“ (widerliches Wort) ihr Auskommen finden. Früher(TM) gab es in jeder Abteilung den Jürgen, von dem jeder wusste, der arbeitet eigentlich nicht, aber von irgendwas musste der auch leben, also wurde irgendeine halb sinnvolle Tätigkeit erfunden und der Jürgen selbstverständlich mitgezogen. Das funktioniert heute nur noch ab einer gewissen Führungsebene, die man nicht mehr billig rausschmeißen kann und für die dann Strategiestellen geschaffen werden, die „das große Ganze“ im Blick haben.

  2. Guten Morgen,

    das funktioniert heute immer noch so, zumindest bei dem Getränkehändler meines Vertrauens – dort nehmen Schüler das Leergut entgegen, verdienen sich ein Taschengeld und alle sind glücklich! So ist das, wenn man auf dem Land wohnt 😉

  3. Ja, das war schön, damals. In einem Supermarkt hier war damals noch letztes Jahr. Der Kerl mit den leeren Flaschen war immer so sehr unfreundlich, dass ich mir einen Automaten gewünscht hätte. Aber: Er hatte eine Arbeit. Demnächst kriegt der sehr unfreundliche Mann vermutlich Hartz4. Und das verärgert mich.

    Es ist aber nicht aufzuhalten. In der Uni-Bib darf ich meine Bücher nun selbst verbuchen – und weil jedes Buch einen RFID-Chip hat, merkt der elektronische Pförtner lautstark an, wenn einer betrügen will. Wieder Stellen gespart. Bald wird es Supermärkte geben, in denen man sich an der Kasse selbst abkassiert. Wir sind ja sowieso schon überall die Mitmacher, wir wiegen das Gemüse selber, erfassen unsere Überweisungen selber, buchen unsere Reisen selber.

    Die Arbeit an sich bleibt ja erhalten – nur macht sie jetzt der einzelne auch noch oben drauf zu dem, was er eh schon tut – während andere, die mal damit über die Runden gekommen sind, gar keine Arbeit mehr zu machen haben und dafür auch noch gesellschaftlich geächtet werden.

    Entweder wir drehen das als Gesellschaft wieder um, oder wir brauchen früher oder später ein Grundeinkommen.

  4. Nun ja, dafür werden etwas qualifiziertere Jobs im Bereich der Pfandautomatenproduktion, -forschung und -wartung benötigt. Die Wartung darf dabei wirklich nicht unterschätzt werden, gerade wenn Leute ihre halbvollen Flaschen in den Automaten hauen und dadurch die Elektronik und Mechanik versiffen.

    Ähnlich verhält es sich mit anderen „neuen“ Technologien, wie der Beispiel des Elektrofachmarkt zwigt (bei dem die Arbeitsplätze vom Einzelhandelgewerbe eben in den Transport- und IT-Bereich abwandern). Es gehen sicherlich Arbeitsplätze verloren, durch simple Verlagerung aber nicht so viele wie allgemein angenommen.

  5. Die wirklich schlechte Laune entsteht aber bei den Leuten, die so einen blöden Automaten sauber machen müssen. Dadrin ist flüssige Bösartigkeit, die nur darauf lauert den armen Studenten/Minijobber/Jürgen(?) anzufallen.

  6. «Bald wird es Supermärkte geben, in denen man sich an der Kasse selbst abkassiert.» (@Doc³) — Wann waren Sie das letzte mal bei Ikea? 😉 Da nämlich stehen zur unbedingten Freundlichkeit verdammte Mitarbeiterinnen neben den Scannern, um dem verzweifelten Kunden zu zeigen, wie man richtig scannt. Statt das selbe an der Kasse – gelernt ist gelernt – gleich selbst zu tun.

    Wenn Sie dann, nach öffentlicher Vorführung Ihres Laien-Daseins als Kassierer, Ihre Karte zücken und in den hinteren Ecken Ihres Hirns verzweifelt nach der PIN suchen (oder zumindest nach dem Master-Passwort für 1PW), wissen Sie, dass Sie das im Kofferraum in blauen Ikea-Taschen gelagerte Leergut der vergangenen Wochen (!) an diesem Sonnabend nicht mehr in den Automaten schieben wollen: Nicht nur, weil Sie (s.o.) diesen Automaten dem umgekehrten Ikea-Prinzip folgend am liebsten in seine Einzelteile zerlegen würden; sondern auch, weil die Mimik der hinter Ihnen in der Leergut-Schlange stehenden Menschen angesichts voller Ikea-Taschen die Vermutung nahelegen, dass Sie den Supermarkt nicht mehr lebend verlassen werden, wenn Sie den Automaten wirklich bis zum bitteren Ende befüllen sollten.

    In Zukunft sehe ich Menschen allerdings eher durch virtuelle 3D-Supermärkte latschen (die virtuellen Kunden sind dann vielleicht virtuelle Nachbarn und FB-Freunde, mit denen man an der Käsetheke klönt), während man sich den Einkauf von ganz realen Menschen nach Hause liefern lässt. Vielleicht ja im Tausch gegen Leergut, wer weiß.

  7. Nicht nur bei Ikea, auch bei einem „real“-Supermarkt bei mir in der Nähe gibt es schon länger neben den üblichen Kassen einige Selbstscannerkassen. Ich bin dem Laden nur selten, das letzte Mal stellten die meisten sich immer noch an den üblichen Kassen an – selbst wenn an den Selbstbedienerkassen keine Wartezeit wäre.

  8. Im Supermarkt meines Vertrauens gibt es auch noch Menschen, die mir das Pfandgut abnehmen. Und die meistens auch gar nicht soo schlecht gelaunt sind. Oder es sich zumindest nicht anmerken lassen.

    Selbstbedienerkassen gibt es in Schweden tatsächlich auch schon in normalen Supermärkten. Da gibt es sogar einige Prozent Rabatt, wenn man sich selbst abkassiert. Die meisten Leute stellen sich aber trotzdem an der von einem Menschen bedienten Kasse an.

    Und einen Bericht über einen quasi-virtuellen Supermarkt hab ich letztens auch irgendwo gelesen. Den gibts, wer hätte es gedacht, in Japan. Er besteht im Wesentlichen aus einer Fototapete, die an die Wand einer U-Bahn-Station angebracht und einem typischen Supermarktregal nachempfunden ist. Die einzelnen Produkte haben dann jeweils einen QR-Code aufgedruckt und wenn man den scannt, bringt einem ein Lieferdienst den Einkauf nach Hause.

  9. @Alph: „Nun ja, dafür werden etwas qualifiziertere Jobs im Bereich der Pfandautomatenproduktion, -forschung und -wartung benötigt“

    Das mag sein. Wir brauchen aber auch Jobs für unqualifizierte Menschen. Das Spektrum an Fähigkeiten ist breiter, als man denkt. Manche sind halt auch einfach nicht so schlau. Trotzdem brauchen die eine Aufgabe.

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