Makel und Bewährung

Den Dienstag habe ich komplett an etliche To-Dos verplempert. Home-Office und anschließend Termine für oder mit der jüngeren und auch der älteren Generation, die organisatorischen Freuden derer in der Mitte. Alles nicht schlimm, alles kein Ding, es fügt sich nur manchmal ungünstig.

Zwischendurch auch in einer Arztpraxis gewesen, in der alle Maske trugen, ein solches Bild hatte ich schon lange nicht mehr gesehen.

Drei Stunden des Herumlaufens fühlten sich am Ende wie ein ganzer Tag auf den Beinen an. Dann noch eingekauft und gekocht. Jeder nur ein Formtief, aber jedenfalls jetzt. Und es ist immer noch Januar.

Morgen, es fällt mir gerade ein, wo ich schon bei meinen To-Dos bin, gibt es hier vermutlich keinen Text. Es wird zeitlich wohl nicht passen.

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Gesehen: Eine arte-Sendung über Dalida und ihren Bruder Orlando, bzw. Bruno, es ist einigermaßen kompliziert in ihrer Familie. Aber in welcher wäre es das nicht.

Ich schätze Dalida sehr und verweise gerne auf eines ihrer traurigsten Lieder. Vielleicht ist es auch eines der traurigsten Lieder überhaupt, mit einem großartigen Text (Daniel Faure) in dem man, je nach Lebensphase, verschiedene bittere Wahrheiten liest oder hört. In depressiven Phasen ist es unbedingt weiträumig zu umkurven, dieses Lied. Aber wunderbar ist es doch.


Und falls traurige Lieder und Dalida für Sie interessant sind, man findet auf Youtube auch einen weiteren Anwärter für die Topliga der allertraurigsten Texte, nämlich Avec le temps von Léo Ferré in ihrer Version.


Aber gut, da muss man dann fast zwingend auch das Original zeigen, um den Maßstab zu verstehen, mit dem singenden alten Zausel am Ende seiner Liebeserfahrung. Und davon muss man sich anschließend erst einmal wieder davon erholen.

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Ein neues Hörbuch habe ich außerdem zwischen Pontius und Pilates angefangen, und ich glaube, es gefällt mir gut: „Lektionen“ von Ian McEwan, Deutsch von Bernhard Robben. Hier die Perlentaucherseite dazu. Es hat eine erzählerische Ruhe, einen langen Atem, den ich wohltuend finde. Gerade im Gegensatz zu den sich in dieser Woche noch einmal beschleunigenden Nachrichten aus aller Welt.

Die Hauptfigur des Romans ist laut der einen Rezension beim Perlentaucher jemand, der Makel hat, sich aber hin und wieder bewährt. Und das möchte man im Rückblick irgendwann auch von sich sagen können, nehme ich an. Dass man so ein Typ war, der Makel hatte, sich aber hin und wieder bewährt hat.

Es ist ein Benchmark, mit dem man vielleicht klarkommen kann. Und außerdem ist es eine weitere interessante Option für realistisch betextete Grabsteine.

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Abgesänge und Regeln

Die Sonne vom Wochenende wurde gleich wieder abgeräumt. Grau der Montag, der Alltag. Eisverregnet, mit mattem Schneegeriesel auch, mit normalem Niesel zwischendurch und diesig tiefhängendem Himmel über der Stadt. Trübe war außerdem die Nachrichtenlage, und das ist zu milde ausgedrückt. Wir kondolieren den USA, thoughts and prayers, was soll man noch sagen.

Immerhin gab es ein gutes Meeting im Brotberuf, immerhin hatte ich einen gelungenen Behördentermin mit besonders freundlichen Staatsangestellten am Nachmittag. Das sind dann so die Highlights, das sind die Geht-doch-Momente des Tages.

Und Bolo gekocht habe ich auch, denn der Mensch braucht stabilisierende Maßnahmen.

Am Abend schienen die geschätzten Menschen aus den Timelines alles in den USA live zu verfolgen. Sie müssen da deutlich leidensfähiger als ich sein, denn ich möchte und kann das alles nicht sehen. Die Filmschnipsel und Zitate, die dennoch bei mir ankommen, die reichen mir schon vollkommen aus. Nein, die sind mir schon zu viel. Nachrichten lieber nur als Text oder als Audioversion, kommt das Bild dazu, ist es Überlast.

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Pragmatisch bleiben und einige Regeln verinnerlichen, das gilt keineswegs nur in den USA. Wie oben gesagt, wir kondolieren den USA – aber wer macht das normalerweise, es sind die Verwandten und die Freunde. Wir hängen da mit drin.

Ich erinnere daher noch einmal an den mir weiterhin sinnvoll vorkommenden Artikel mit den zwanzig Regeln im Guardian: How to survive the broligarchy, und daneben legen wir noch eben das Vorbild dieser Liste, nämlich die deutlich härter formulierten zwanzig Regeln für das Leben in der Tyrannei von Timothy Snyder.

Vierzig kurze Anweisungen also. Ab und zu mal draufsehen und die Überschneidungen, die Doppelungen oder auch die Bezüge zum eigenen Alltag suchen. Man kann nicht mehr davon ausgehen, keine Bezüge zu finden oder auch nur lange suchen zu müssen – die Zeiten sind vorbei.

Georg Kreisler:

Es hat keinen Sinn mehr, Lacher zu sammeln,
statt ein paar tatkräftige Macher zu sammeln.
Es hat keinen Sinn mehr, Reime zu schmieden,
die Zeiten sind vorbei.“

So hieß es damals in seinem „Vorletzten Lied“, das man heute auch noch einmal hören kann, es passt.

Vielleicht aber auch eine monatliche Wiedervorlage der Regeln arrangieren, um sie ernsthaft im Sinn zu behalten.

Und hier noch eben eine wissenschaftlichere Sicht der Lage. In der Augsburger Allgemeinen gab es ein Interview mit dem Politik- und Geschichtsdeuter Herfried Münkler, dessen Buch „Welt in Aufruhr“ ich gerade gehört habe.

„Die Zeit ist vorbei, in der wir von der Vorstellung getragen wurden, dass die Weltordnung durch gemeinsame Regeln steuerbar sei, dass wirtschaftliche Verflechtungen ein verlässlicher Faktor der Friedenssicherung zwischen Staaten wären, und dass so etwas wie eine Verrechtlichung der internationalen Politik in Gang gekommen ist.“

Ja, so kann man Clusterfuck auch umschreiben.

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Außerdem gehört, denn man muss zwischendurch auf andere Gedanken kommen oder es zumindest versuchen: Ein WDR-Zeitzeichen über Hedy Lamarr. Das war die mit dem Filmruhm und mit dem Frequenzsprungverfahren. Welches in der Sendung auch für diejenigen verständlich erklärt wird, die damals in Physik gerade nicht aufgepasst haben.

Allerdings war dieses Frequenzsprungverfahren für den Kampf gegen Nazis gedacht … und schon hat es sich wieder mit den anderen Gedanken.

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Ansonsten weiter und ausgesprochen gerne im Rahmen der gestern erwähnten MRBIBGA-Kampagne in den Erzählungen von Alice Munro gelesen. Trotz allem.

Wobei Munro allerdings aus Kanada war, und Kanada, da war auch gerade irgendetwas, glaube ich.

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Im Bild heute Rolltreppen im Hauptbahnhof, sie gehören zu meinem abendlichen Spaziergangsszenario. Mit etwas Himmelssurrogat immerhin, für den kleinen Lichtblick zwischendurch.

Rolltreppen im U-Bahnbereich des Hauptbahnhofs, von unten fotografiert, oben ein Stück blau angemalter Decke

Auf dieser Rolltreppe stehen und Musik auf den Kopfhörern haben. Doch noch ein Immerhin-Moment.


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MRBIBGA

Das Positive zuerst. Damit wir wissen, wo es bleibt. Gestern gab es außerplanmäßig etwas Sonnenschein über Hamburg, die Älteren erinnern sich noch an diese Nummer mit blauem Himmel und etwas besserer Laune. Am Nachmittag sah ich pflichtgemäß kurz an der Alster nach, wie viele Menschen dort nachgesehen haben, wie diese Stadt ohne Grau aussieht. Es waren erwartungsgemäß viele, man drängelte hier und da auf den Wegen wieder ein wenig. Noch einmal die Winterjackenparade, all die wärmenden Accessoires.

Auffällig viel Schwarz trug man. Mehr noch als sonst, und ich weiß nicht, ob es ein Zufall war oder ein Zeichen für etwas.

Die Außenalster, von der St.-Georg-Seite aus, blauer Himmel, kahle Zweige im Vordergrund

Wenig joggende Menschen sah ich, es war wohl zu kalt. So stellt man immerhin nebenbei fest, dass der Winter auch Vorteile hat.

Ich hörte beim Spaziergang eine Lesung von Joachim Meyerhoff aus seinem Buch „Man kann auch in die Höhe fallen.“, Es waren 82 Minuten, die man hier in der ARD-Audiothek findet. Unterhaltsam und sogar aufheiternd war das, und wenn Sie wenig Zeit haben, es gibt gute Stellen schon auf den ersten sieben Minuten. Man ist doch allgemein etwas bedürftig gerade, was das Thema Aufheiterung angeht.

Und stets das Tröstliche bewusst wahrnehmen. Denn was auch kommen mag – Rettungsringe liegen hier und da schon für uns bereit. Das immerhin.

Ein Rettungsring auf dünnem Eis auf der Alster, nah an einem Steg , im Vordergrund welkes Laub

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Beim Nachdenken über diese Woche, mit deren politischer Agenda ich schon zu diesem frühen Zeitpunkt ausdrücklich nicht einverstanden bin, deren wahrscheinlicher Entwicklung ich vielmehr jetzt schon energisch widersprechen möchte, fällt mir die allgemeine Radikalisierung ein. Die leider, ich kann es nicht mehr übersehen, auch bei mir ein Thema ist.

Ich lese nämlich entschlossen, wenn nicht sogar schon fanatisiert und verbissen, quasi von der Gesamtlage aufgehetzt, mehr als sonst wieder wie früher abends Bücher im Bett. Denn das habe ich doch bei all diesen Radikalisierungstendenzen hoffentlich richtig verstanden – hemmungslos und diskussionsavers, abseits aller rationalen Argumente mehr von dem machen, was man diffus irgendwie richtig findet. Genau das machen, bei dem man, wie man heute leider so sagt, weil der Ausdruck dermaßen furchtbar ist, ein gutes Bauchgefühl hat, und mit dem man auch in seiner Bubble bestens herumkumpeln kann.

Und das dann, versteht sich, ebenso ungefragt wie unangemessen, aggressiv und natürlich unnötig laut verteidigen. Auch gegen nur imaginäre Kontrahenten. Nicht wahr, so scheint es doch überall zu laufen in letzter Zeit.

Also stört mich bloß nicht bei der abendlichen Lektüre, Ihr Knalltüten.

Make reading books in bed great again. Das Radikale braucht auch Kampagnen, wie die Gegenwart lehrt. Man kann es wieder gut abkürzen, zu MRBIBGA. Wie einprägsam ist das denn, gleich werde ich Mützen mit diesem Aufdruck bestellen.

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Einen neuen Band von Alice Munro habe ich gestern in diesem Sinne am Abend angefangen, das wollte ich eigentlich nur eben mitteilen und kam dann irgendwie auf gedankliche Abwege. „Tanz der seligen Geister“, Deutsch von Heidi Zernig. Ihre erste Kurzgeschichtensammlung ist das, aus dem Jahr 1968. Da war ich erst zwei Jahre alt und an Literatur noch nicht besonders interessiert.

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Was gab es noch. Die New York Times habe ich abonniert, denn die bekommt man gerade günstig hinterhergeworfen. 20 Euro für ein Jahr, keine bezahlte Werbung. Sie kommt aus einem Land, das man doch, ob es einem nun passt oder nicht, gerade in diesem Jahr mit besonderem Interesse beobachten wird. Sofern man sich zur Betrachtung noch überwinden kann.

Denn es ist doch immer wieder, das kann ich kaum noch anders ausdrücken, mit einem gewissen Ekel verbunden, sich einer gründlichen Sichtung der Nachrichtenlage auszusetzen.

Und prompt gibt es dann in dieser Zeitung, noch am gleichen Tag und wie zum Hohn, ein vielgescholtenes Interview mit einem Extremrechten, das hauptsächlich seine Positionen verbreitet. Eine Leistung also, für die man schlicht bei gewissen deutschen Medien hätte bleiben könnte. Meine Güte.

Lasciate ogni speranza … Könnte man kurz denken. Und sich dann wieder bemüht zusammenreißen.

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Vögel, Schiffe, Brücke, Graublau und alles

Der folgende Link ist vermutlich bis hinein in die spezialisierten Kunstkreise um Anke Gröner interessant, bei denen ich inhaltlich nicht mehr mithalten könnte. Ich finde das Thema aber schon deswegen reizvoll, weil es eine herrliche Nerd- und Freakangelegenheit ist. Ein Spezialinteresse, das dezent eskaliert ist, ich sympathisiere mit so etwas. 10 Minuten beim Deutschlandfunk über das Buch „Fecit“. Der Urheberrechtler Paul Hertin verfertigte da einen Kunstband über die Geschichte der Signaturen, so ein schönes Thema.

Sicher auch, falls Sie das vormerken wollen, ein fantastisches Geschenk für Menschen mit Sinn für Kunst. Oder für Menschen mit Coffeetables.

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Frau Büüsker (unbedingt verfolgenswert) wies gestern auf Bluesky auf diese Geschichte bei der Tageschau hin. Es ist eine Story, die sich wie die Skizze eines Plots für einen Agentenfilm mit einem gewissen abgründigen Twist liest. Leicht könnte auch eine Satire daraus werden, mit wenigen Handgriffen nur.

Es ist aber eine ziemlich schreckliche Geschichte, die dummerweise gut in den hier gerade dauernd vorkommenden Kontext der Wirklichkeitsdarstellung und -verfremdung passt. Man könnte es zumindest vor diesem Hintergrund lesen. Denn der Super-GAU der Ermittler, von dem da die Rede ist, stellt einen weiteren Wirklichkeitsverlust dar, macht eine neue Scheinwelt auf, mit der man sich zu arrangieren hat.

Davon abgesehen, aber das wird man juristisch kaum greifen können, dürften wir Menschen, denen bei uns derartiges Unheil von Staats wegen passiert, nicht abschieben. Es kommt mir in einem altmodischen, vielleicht fast kindlichen Sinne unfair vor. So etwas tut man nicht.

Und prompt fügt es sich noch, dass ich eine aktuelle arte-Doku anlegen kann, über eine Person, bei der man nicht recht weiß, welche Person sie ist oder jemals war: Amanda Lear. Wie heißt es da – „in ihrer Biographie gibt es kein einziges gesichertes Datum.“ Das muss man auch erst einmal schaffen.

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Beim Deutschlandfunk gibt es eine Lange Nacht über Mascha Kaléko. Eine Wiederholung, aber egal. Mit vielen Gedichtzitaten, die für meinen Geschmack allerdings häufig erstaunlich falsch betont werden, das machte das Hören für mich anstrengend. Aber ich bin da vielleicht auf eine etwas exzentrische Art empfindlich und rhythmusbesessen. Es stört andere vielleicht nicht, es fällt anderen vielleicht nicht einmal auf.

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Die Woche, denn wir haben immerhin eine weitere hinter uns und rücken also gemeinsam ein Feld vor, wenn auch leider in dem Wissen, dass dieses neue Feld mit eher unangenehmen Ereigniskarten verbunden sein wird, diese Woche war ansonsten, wenn ich vom bereits beschriebenen Demo-Highlight absehe, auch nicht gerade großartig. Eher schon war sie wie klischeehafte Krankenhauskost, zumindest was meinen Alltag betraf.

Jeder Tag also schmackhaft wie eine Scheibe Graubrot mit Schmelzkäse, zu der jeweils zwei Scheiben verblasster Gurke gereicht wurden, durch die ein weißer Kantinenstandardteller matt durchschien. So in etwa die Anmutung der Stunden.

Weiteres Durchhalten und Duldungsstarre also. Aber egal, so geht es mir im Januar immer. Es ist weder spektakulär noch ernsthaft bejammernswert, ich notiere nur, was ist. Und dieser Monat geht auch vorbei, falls Sie gerade Trost brauchen. „Starken Trost“, um den Slogan einer Bestattungsfirma hier aufzugreifen.

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Immerhin habe ich mich dann für Fotozwecke und also fürs Blog kurz aufgerafft, sogar noch während etwas mattes Licht am Himmel zu sehen war. Bis zur Binnenalster bin ich runtergegangen, durch die Menge der ebenfalls eher lustlos und unmotiviert wirkenden Shopping-Gäste in den Fußgängerzonen, und ich habe das Gewässer aufgenommen.

Mit Vögeln, Schiffen, Brücke, Graublau und allem. Bitte sehr, das war dann der konstruktive Part:

Die Binnenalster vom Jungfernstieg aus, Winternachmittagslicht, diesig, graublau. Schwäne im Wasser, Tauben an Himmel.

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Dämmert es schon oder noch

Der anschwellende Wahlkampf bildet sich wie immer hauptsächlich auf Plakaten ab. Ich habe bisher kein einziges Plakat gesehen, das eine brauchbare Botschaft oder Forderung transportiert hätte. Nur vage Sinnsprüche sehe ich, und eher hohle Schlagwörter, alles recht beliebig, austauschbar und auf eine flache, mir längst überholt vorkommende Art reklamemäßig.

Ich sehe auch die dazugehörigen Grinsegesichter. Sie sagen mir nichts, sie werfen nur immer dieselbe Frage bei mir auf, nämlich wie man charakterlich beschaffen sein muss, um sein Gesicht auf Plakaten am Straßenrand sehen zu wollen. Aber gut, ich finde auch schon Selfies furchtbar, ich bin da kein Maßstab. Schon klar.

Die großgedruckten Texte jedenfalls, sofern man da von Texten überhaupt reden mag, sie sind durchweg und über alle Gruppierungen hinweg auf dem Niveau des Slogans, mit dem die Satiretruppe Die Partei einst hier warb: „Hamburg – Stadt im Norden.“

Und das soll dann also meine Wahlentscheidung beeinflussen. Na ja. Oder, wie die Jugend angeblich heute sagt: „Nein, Pascal, ich denke nicht.“

In der aktuellen Folge des Podcasts Lage der Nation empfehle ich Ihnen in diesem Zusammenhang das Kapitel über die wirtschaftlichen Vorstellungen in den Parteiprogrammen (ab 31:08), den großen Vergleich der geplanten Finanzdesaster. Auch wenn die Analyse, man erwartet es leider kaum anders, betrüblich ausfällt.

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Der Freitag war ansonsten, und immerhin war es von mir so eingeplant, ein tatsächlicher Lynch-Tag. Schon vom Wetter her. Derart unbestimmt und vage, schwer zu deuten war es die ganze Zeit. Man wusste nicht recht, ist es hell oder dunkel da draußen, dämmert es schon oder noch. Ist der Nebel so dick, ist die Luft so nass oder regnet es einfach, ist es kalt oder schon eiskalt. Das passte alles schön, der Twin-Peaks-Soundtrack lief entsprechend zigmal bei mir durch, und es war gut so.

Auf dem Rathausmarkt standen beim Abendspaziergang durch die dunkelgraue Stadt noch die rotweißen Absperrgitter, welche die Polizei bei dem Demogeschehen vorgestern eingesetzt hatte. Zusammengeschoben und fertig für den Abtransport am Rand des Platzes. Ich ging daran vorbei und dachte in etwa: „Da stehen noch die Gitter“, als ein Pärchen an mit vorbeiging. Der Mann zeigte mit dem Finger und sagte: „Da stehen noch die Gitter.“

Was sich einigermaßen merkwürdig anfühlte, da er wortgleich sagte, was ich gerade dachte. Eine externe Tonspur zu meinen Gedanken.

Und wenn es auch wenig originell und einigermaßen vorhersehbar war, was wir da dachten und sagten, führte es mich doch zu der wiederum lynchesk anmutenden Frage, wie oft wohl die Menschen um mich herum exakt das denken, was ich auch denke. Wie oft wir sozusagen synapsensynchron sind und was das ausmacht.

Denn es mag immerhin sein, aber das ist nur ein Denkansatz, dass wir mit jedem Jahr mehr in einer Gesellschaft leben, in der diese Synchronizität abnimmt. Es kommt mir nicht unwahrscheinlich vor, geschichtlich betrachtet. Denn wir verabschieden uns seit einigen Jahren deutlich von jeglichem gemeinsamen Medienkonsum. Wir haben längst kein gemeinsames Lagerfeuer mehr, nicht einmal ein virtuelles.

Da wir uns dadurch zwangsläufig bei sämtlichen Erzählungen [der Autor umsegelt souverän das unsäglich gewordene Wort Narrativ], Informationen und also auch Denkmustern immer weiter aufsplittern und in Lager teilen, wie man es auch im Alltag kaum noch übersehen kann, bringen wir das Science-Fiction-Phänomen des Multiversums mittlerweile ganz ohne Tricks und Physik zur Anwendung.

Ja, so wird es doch sein. Das Phänomen scheint unsere Wirklichkeit tatsächlich immer besser abzubilden: „It’s all in your head, Alice.“

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Na, egal. Zeit für Musik. Und wie fast immer zitiere ich einen Youtube-Kommentar dazu: „It’s absurd how beautiful this song is.“

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Und schließlich noch ein Bild. Ich brauche dann demnächst bitte etwas mehr Licht für neue Aufnahmen da draußen, aber das sollte kalendarisch auch passen.

Jedenfalls in meiner Welt.

Die Alsterarkaden in nebeliger Dunkelheit

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Man sieht sich

Der Abendspaziergang am Donnerstag verband sich dann zwanglos und wie von selbst mit dem Demonstrationsgeschehen. Man hatte allgemein den exakt gleichen Weg wie ich, den ich täglich am Abend gehe. Der also vorgestern noch nur mein Weg war, dann aber eine Demoroute, und was für eine gut besuchte. Es fühlte sich tatsächlich etwas wundersam an.

Ich teilte diesen Weg immerhin auf einmal mit etlichen Tausenden. Die Innenstadt war voll, sehr voll. Zwischen dem Hauptbahnhof und dem Rathaus staute sich oder stand ein kompakter Demoblock und die Zahl der Teilnehmenden, die ich in den Medien sehe, kommt mir deutlich unterschätzt vor. Aber gut, gezählt habe ich nicht.

In der Menge sah ich auch etliche Zufallsgefangene, besonders in der Spitaler Straße, die wohl eigentlich nur zum Shopping in der Stadt waren. Die also gar nicht wussten, wie ihnen geschah, als sie aus einem Kaufhaus traten und kurz darauf aus den Massen kaum noch herausfanden.

Im Gegensatz zur Weihnachtsfülle war es mir diesmal aber angenehm, dass es so voll war. Ich bin so weit also noch seelisch variabel, hielt mich aber dennoch lieber an die Randzonen der Aufmärsche. Bewegungsfreiheit ist mir doch wichtig, merke ich immer mehr.

Und zwischendurch habe ich auch wieder Bekannte und Nachbarn in der unüberschaubaren Menge getroffen, was mir bei solchen Veranstaltungen immer merkwürdig vorkommt. Als sei man hier in einer viel kleineren Stadt, quasi Kreisstadtmarktplatzauftrieb am Abend – man sieht sich.

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Ansonsten winken wir David Lynch, versteht sich. Ich werde das Home-Office gleich mit dem laut gestellten Twin Peaks-Soundtrack im Hintergrund starten, das wird sicher angemessen sein. Und es ist ohnehin eine gute Idee, denke ich. Dann muss man sich nämlich, wenn man erst ein wenig in die richtige Stimmung kommt, in diese Stimmung also, in der man damals beim ersten Sehen der Serie irgendwann war, über nichts mehr wundern, was um einen herum geschieht.

Dann kann man, damit es zur Musik und zu den Erinnerungen passt, einfach nur noch über alles staunen. All die mühsamen Deutungen, auf die man sonst im Alltag so dermaßen viel Zeit und Energie verwendet, sie werden auf einmal nebensächlicher.

Man ahnt dann wieder, dass man am Ende bei vielen Fragen ohnehin nicht Recht haben wird. Es wird alles ganz anders sein.


Es wird auch gesünder sein, nur zu staunen, viel besser für den Blutdruck wird es sein. Deutlich gesünder, als sich dauernd über alles aufzuregen. Ich werde heute zwischendurch mehrfach verdammt guten Kaffee trinken, und vielleicht hole ich mir ausnahmsweise auch noch ein Stück Kuchen vom Bäcker, wenn ich schon in diesem Setting und in dieser Stimmungslage bin. Ja, ich denke, in etwa so wird es heute laufen.

Aber andererseits: Wer weiß schon, wie es heute laufen wird. Es gibt, und da treffen sich Fiktion und Realität wieder und wirken erneut verblüffend ähnlich, einfach zu viele skurrile Nebenfiguren.

Ob man sich nun alte Serien oder das Büro, die Familie und die Nachbarschaft ansieht. Sie kennen das.

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Ablenkung vom Leviathan

Ich habe mich weiter um notwendige Konzentrationsübungen bemüht, also z.B. wieder dem Münklerbuch über eine Stunde beim Spaziergang zugehört, seiner „Welt in Aufruhr.“ Ich bin daran aber diesmal eher gescheitert, denn auf einmal geht es im aktuellen Kapitel unfassbar lange um den Leviathan und um Behemoth. Eine astreine religionswissenschaftliche Abhandlung wird mir auf einmal vorgelesen, und sie hört gar nicht mehr auf. Die ist zwar auch interessant, aber ich habe keine Ahnung, warum das da so elaboriert und endlos aufgedröselt wird.

Ich habe den Einstieg ins Thema also komplett verpasst. Vermutlich hat mich beim Herumgehen wieder irgendwas in einem Schaufenster interessiert oder, wer weiß, ein Mensch an einer Ampel.

Maximilian ist leicht abgelenkt und notorisch unruhig“, es stimmt leider immer noch, was einst in den Zeugnissen stand.

Aber ich höre immerhin, und das freut mich dann, eine Bibelstelle, die mir zur Feier beim Amtsantritt des nächsten US-Präsidenten zu passen scheint, in der nächste Woche wird das leider schon stattfinden. Sie haben es da drüben doch so sehr mit den Bibelstellen, sie zitieren doch so überaus gerne aus ihrem heiligen Buch.

Ich schlage also Offenbarung 13,4 als feierlichen Sinnspruch des Tages vor: „Und sie beteten den Drachen an.“

Und den Tippfehler eben gerade, als ich versehentlich Offenbraun statt Offenbarung schrieb – den hätte ich fast stehengelassen. Das Unterbewusstsein möchte etwas mehr im Vordergrund mitspielen, und warum auch nicht.

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Außerdem noch gehört, nachdem ich bei Münkler den Faden komplett verloren hatte und gar nicht mehr zurück in den Text fand: Eine Sendung in der Reihe „Das Wissen“ über Thomas von Aquin. Ein Freund des äußerst gründlichen Nachdenkens war der, und was für charmante, erstaunliche Denkansätze da geschildert werden. Es klingt ebenso anziehend wie aus der Mode gekommen, derart tief, selbständig und selbstverständlich konzentriert nachzudenken.

Er würde unsere Zeit einigermaßen befremdlich finden, dieser Thomas, da kann man sicher sein.

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In der gleichen Reihe gab es dann zum Abschluss noch eine Sendung „Die neuen Kriege und ihre tieferen Ursachen.“ Ein Interview mit Franz-Stefan Gady, der über das Thema ein Buch geschrieben hat. Das ist nicht gerade ein aufmunterndes oder erbauliches Hörerlebnis, wie man sich vorstellen kann, aber es nützt ja nichts.

Weil Welt, weil Lage, weil 2025 und alles.

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Abends las ich in den letzten Minuten des Wachzustandes weiter in den Kurzgeschichten der Munro, aus dem Band „Liebes Leben.“ In dem Buch kommt der Krieg vor (der Zweite Weltkrieg), aber keine Politik, es hat mich einen Moment etwas irritiert. Was selbstverständlich Unsinn ist, denn es kommt in vielen Büchern keine Politik vor.

Unsere Gegenwart wirkt aber so, das fällt Ihnen vielleicht auch auf, als müsse es permanent überall um Politik gehen. In jeder Szene, in jedem Gespräch. Als müsse jeder Dialog beliebiger Personen in wenigen Zeilen offenbaren, wer auf welche Seite gehört. Als würde die Einordnung der politischen Ansichten nun zu den besonderen Kennzeichen gehören, die von allen Schreibenden routinemäßig geschildert werden

Es war daher eine sinnvolle Erinnerung für mich, dass dem gar nicht so ist. Es gibt auch noch Familiengeschichten, Liebesgeschichten und dergleichen. Geschichten also, in denen sich etwa die Zuordnungen rechts und links eher auf Bettseiten oder auf das Abbiegen mit dem Auto auf dem Heimweg beziehen.

Man liest es dann auch mit einiger Erleichterung. Also ich jedenfalls.

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Im Bild heute nur ein Stück Straße. Noch im Anschluss an meine Bemerkung zur bunten Osterdeko gestern wollte ich dies dokumentieren. Denn es kommt zwar selten vor, aber ich lege doch mit einem Beweismittel nach, dass man ab und zu Buntes auch im winterlichen Hamburger Stadtbild findet.

Sogar im verlässlich freudlosen Büroviertel Hammerbrook. Und so sieht das dann aus:

Eine Straße in Hammerbrook mit leuchten gelbrotem Graffiti-Tag und bunten Kissen auf den Bänken vor einem Imbiss

Und falls Sie gerade aus Hamburg mitlesen – wir sehen uns dann nachher bei den Demos.

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Deko sehen, nichts fühlen

Frau Büüsker in ihrem Newsletter über das Havariekommando. Weiß man da also auch wieder mehr.

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Die lange Nacht über Hans Albers und seine jüdische Partnerin Hansi Burg habe ich am Nachmittag gehört, 160 Minuten. Es war ein längerer Weg um den Block, um ein paar Blöcke mehr. Eine kaum begreifbare Geschichte ist das, schwer vorstellbare Schicksale und Geschichten.

Das Geburtshaus von Hans Albers steht hier um die Ecke, eine große Gedenktafel für ihn gibt es an der Fassade. Diese Tafel und die Fassade werden immer noch oft von Touristen fotografiert, und nicht nur von älteren Reisenden.

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In den Dekoläden in der Innenstadt ostert es währenddessen schon offensiv heran. Grellbunte Hasen in den Fenstern, quietschniedliche Küken und dergleichen, Plastiktulpen in geradezu hysterischer Farbigkeit. Unpassend wirkt das alles in dieser betont grauen Stadt und Szenerie, äußerst unpassend, ein peinlicher Affront.

Ich weiß noch nicht einmal, wann Ostern in diesem Jahr ist, Ostern ist noch im Keller. Niemand hat das Wort oder damit verbundene Pläne bisher erwähnt, ich sehe diese Deko und fühle nichts. Vor den Blumenläden im Hauptbahnhof stehen auch schon Bündel von Forsythienzweigen in den großen Eimern. Frühlingswedel, ich weiß ja nicht.

Auf dem Spielplatz vor dem Haus dagegen fällen sie Bäume. Leider auch den Nistbaum der geschätzten Ringeltauben, wie entsetzt werden die sein. Das passt emotional aber deutlich besser in die etwas schwierige Saison und in die kollektive Januarverstimmung. In dieses 2025 so deutlich verstärkte Empfinden eines Wintertiefs, das aber auch in normaleren Jahren im Februar meist nicht besser wird, wir kennen das.

So viel zu unseren Aussichten. Keep buggering on.

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Eine naheliegende Alternative zu Instagram ist Pixelfed. Es ist die nicht kommerzielle Variante, wie Mastodon für Twitter (wenn Sie glauben, dass eher Bluesky das ist, haben Sie vermutlich irgendwo nicht aufgepasst). Pixelfed kann also nicht nebenbei von verrückten Milliardären, bei denen man wohl auf die weibliche Form verzichten kann, in finsterer Absicht übernommen und verdorben werden.

Aus naheliegenden Gründen melde ich mioch dort an, siehe die Nachrichtenlage. Ich klicke mir auch gleich eine Handvoll Kontakte zusammen. Dann gucke ich, wen diese Kontakte als Kontakt haben, und ich sehe mir außerdem die Kontakte der Kontakte an. Ich finde Menschen und Menschen finden mich.

Ich weiß nicht, zum wievielten Mal ich das auf diese Art mache. Auf welchen Plattformen und Seiten in den letzten beiden Jahrzehnten ich das nicht schon überall und wie oft wohl durchgespielt habe. „Wir bringen die Band wieder zusammen“, immer noch einmal.

Es liegt vielleicht an meiner seelischen Schlichtheit, dass ich diese ersten Momente gerne mag. Es hat sich nie ganz abgenutzt. Jedes Mal ist es so, als würde ich auf eine Party bei fremden Leuten gehen, was für mich eher herausfordernd ist. Ich gehe dort an lauter Unbekannte vorbei, ich weiß nicht, was ich wem sagen soll, worüber ich mit denen reden könnte, und da in der Küche – Gott sei Dank! – sitzen zehn, zwanzig meiner alten Bekannten in vertrauter Runde beisammen. Da kann ich mich dazusetzen und der Abend ist gerettet, denn wir werden reden, was wir immer reden. Und das ist auch gut so.

Währenddessen ist meine Timeline bei Pixelfed noch etwas spärlich besiedelt, wie es in Anfangszeiten üblich und erwartbar ist. Das letztes Update von jemandem wurde dort vor sechs Stunden eingestellt. Es entschleunigt also auch, sich auf neuen Seiten umzusehen. Es erinnert ein wenig an alte Zeiten, als man noch den ganzen Vormittag auf die Briefpost gewartet hat. Ich finde das alles angenehm.

Sie finden mich dort wenig originell unter dem Namen Buddenbohm. Falls Sie auch noch einmal mitspielen wollen.

Ein kleiner Sticker an einem Regenabflussrohr: You cannot vote your way out of tyranny

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Zwischen Game und offener Feldschlacht

Früher begann der Tag mit einer Schusswunde.“ Das ist ein Buchtitel von Wolf Wondratschek, den ich seit meiner Zeit im Antiquariat damals kenne, also lange schon. Ich habe das Buch nie gelesen, wenn ich mich richtig erinnere. Ich habe es immer nur von Regal zu Regal verräumt, das aber oft. Und es fällt mir auch nur gerade ein, weil der Montagmorgen damit begann, dass ich von Russland angegriffen wurde.

Über achtzig Spam-Kommentare mit Verweis auf russische Seiten in nur einer halben Stunde hagelten hier herein. Bin ich auf einmal ein interessantes Ziel oder was.

Egal. Stoisch alles weglöschen. Eine repetitive Beschäftigung für die Finger ist das, ein wenig wie Stricken. Nur nicht so konstruktiv, am Ende hat man keinen warmen Pullover, nur eine aufgeräumte Seite. Oder immerhin eine aufgeräumte Seite. Und noch während ich löschte, brandete schon die nächste Welle heran, es begann sogar, mir zu gefallen. Es war irgendwas zwischen Game und offener Feldschlacht, und noch gewann ich immerhin. Kein Kommentar erschien öffentlich.

Ein Erfolg, ein Erfolg, und das am Montagmorgen. Immer das Gute beachten, ich sage es ja. Ich suchte mir passende Musik dazu heraus, denn stimmige Soundtracks sind mir bei allem wichtig. Ich löschte den letzten Spam-Kommentar der Welle, startete das Home-Office und stieg auf den Bürostuhl wie ein Cowboy auf das Pferd vor dem Saloon. Und ich rollte lässig in die endlose Weite der Excel-Welt.

Nachtrag: Direkt nach diesem Notat sah ich kurz in die lokalen Nachrichten, und es verwundert den Freundeskreis Fiktion und Realität nur begrenzt, dass gleich um die Ecke, zwei Gehminuten vielleicht entfernt von mir, in dieser Nacht ein Mann angeschossen wurde. So etwas wie Bandenkrieg, nimmt man an. Der mutmaßliche Täter war erst 15 Jahre alt.

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Am Wochenende gesehen: Berit Glanz empfahl eine ARD-Doku, an der sie auch beteiligt war. Es geht um Influencerinnen auf Island, um den Tourismus dort und seine Folgen, um eskalierende Selbstinszenierungen. In der Sendung werden sich für Instagram oder Tiktok inszenierende Influencerinnen fürs deutsche Fernsehen inszeniert, während sich die Einheimischen aus dem Bild verdrücken.

Wir leben in einer fortgeschritten verrückten Welt, aber das wird Ihnen mittlerweile auch bereits aufgefallen sein.

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Am Wochenende gelesen: Ein Buch aus dem öffentlichen Bücherschrank, eine der zufälligen Zuteilungen also. Ich werde da weiter recht anspruchsvoll versorgt, erstaunlich gut eingerichtet ist das, es gibt keinen Mangel an Nachschub. Heinrich Böll: „Und sagte kein einziges Wort.“ Ein Roman aus der stark katholisch geprägten Nachkriegszeit im Rheinland.

Mir ist das vollkommen fremd, was da gut nachvollziehbar geschildert wird, aber ich weiß, dass meine Mutter aus dieser Zeit, aus dieser Gegend und auch aus so einer Szenerie stammt. Ich habe also Überlieferungsverbindungen in dieses Romangeschehen hinein, wie fern es von meinem eigenen Erleben auch ist.

Und die bis heute deutlich nachglühende Aversion meiner Mutter gegen diese Kirche ihrer Kindheit, sie lässt sich aus solchen Büchern vollkommen mühelos ableiten.

Das Buch war allerdings schmal und nicht tagesfüllend. Danach las ich noch etwas Alice Munro, den Band Liebes Leben (ein Leserinnengeschenk), Deutsch von Heidi Zerning. Hervorragende Geschichten, aber das erwartet man bei Munro auch nicht anders.

Es war gut, lange gelesen zu haben. Es war gut, Bücher gelesen zu haben, das hatte noch einen deutlichen Bezug zu meinem gestrigen Text. Vor der langen Internet-Phase habe ich mehr Bücher gelesen, wie so viele von uns. Vielleicht werde ich wieder mehr und vor allem länger Bücher lesen.

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Am Montagnachmittag brachte ich meiner Mutter noch Lebensmittel vorbei. Bei starker Kälte und Eis auf den Wegen sollte sie nicht mehr rausgehen. Sie sah mich aus der Kälte hereinkommen, sie sagte: „Kind, mach die Jacke zu.“

Auf einmal wieder jung sein, sogar Kind sein. Wieder unachtsam und unvernünftig sein. Alles Erwachsene hinter sich lassen, den ganzen Ballast der so mühsam erlernten Vernunft, doch wieder wild und gefährlich leben. That was easy!

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Im Bild der Rathausmarkt. So sieht das bei uns aus, wenn Weihnachten abgewickelt wurde. Und da ist er also, der Platz für Neues.

Der Hamburger Rathausmarkt. leer im Wintersonnenlicht und im Weitwinkel

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Ach, vergeblich das Posten

Gehört: Ein Podcast-Gespräch mit dem Titel „Kollektive Katharsis“, von Carolin Emcke mit Katja Kipping geführt. Es geht um Solidarität, um soziale Projekte und soziale Arbeit, es geht um Wohlfahrt. Eine Sendung aus der Reihe „In aller Ruhe.“

Ein angenehm entspannt geführter Austausch ist das, bei dem ich auch vieles über den Paritätischen Wohlfahrtsverband gelernt habe. Also über eine seltsame Begriffskombination, die ich in den Nachrichten seit Jahrzehnten stets halb ratend hingenommen habe. Egal, es ist nie zu spät, etwas profundere Kenntnisse zu erwerben, das fand ich gut. Interessant waren auch die Abstecher in die Haushaltspolitik und in die Prozesse der Finanzierung von sozialen Projekten.

Auch wenn es, ich weiß, zunächst nicht wahnsinnig interessant klingt. Es kommt eben darauf an, wer gefragt wird.

Außerdem gehört: Eine Sendung beim Deutschlandfunk Kultur über die von mir verehrte, vielgelesene und oft zitierte Mascha Kaléko. Ihr dichterisches Gesamtwerk steht hier griffbereit. Quasi lyrische Hausapotheke, aber damit verbindet man einen anderen Namen. In der Sendung kommen auch die Vertonungen von Dota Kehr vor, und wenn Sie die noch nicht kennen sollten, holen Sie das nach.

Quasi kultureller Imperativ.

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Und sonst ist es kalt. Zum ersten Mal in diesem Winter ist es richtig kalt, eiskalt sogar. Zweimal schon habe ich beim Spazierengehen meine Winterjacke geschlossen, das kommt sonst kaum vor. Auf den Pfützen am Straßenrand und auf dem Spielplatz sehe ich im Vorbeigehen das erste Eis der Saison. Schwarzspiegelnd am Wochenendmorgen, und kurz darauf schon von kleinen Kindern mit Feuereifer zerhackt und zertreten, mit Steinen beworfen und abtransportiert.

Die müssen sich auch ranhalten, um diese elementaren Erfahrungen in aller Eile mitzunehmen. Denn es taut bald wieder und das Nassgrau kommt in Kürze zurück, um uns dann bis etwa Ende März zu belästigen.

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Ich sehe am Wochenende zwischendurch immer wieder gewohnheitsmäßig aufs Smartphone, muss aber allmählich einsehen, dass dies keine gute Idee mehr ist. Zumindest dann nicht, wenn ich auf Bluesky oder Mastodon nachlese, was dort geschrieben wird. Threads habe ich ohnehin gerade gelöscht, es war kein schmerzhafter Verlust.

Es ist dermaßen runterziehend, gallenbitter und bis zum Erbrechen repetitiv apokalyptisch, was dort zu lesen ist … und es werden mit einem solchen, pardon, famosen Dressurerfolg die von den Rechten aus dem Hut gezauberten Themen aufgeschnappt und immer wieder enthusiastisch im Kreis weitergereicht, dass ich das Gerät jeweils nach ein paar Blicken schon an die Wand werfen möchte.

Stattdessen lieber Bilder oder Filmchen ansehen, denke ich mir irgendwann. Das kann auch entspannen. Etwa auf Instagram, denn Tiktok habe ich vor Monaten schon aussortiert – aber nein, mit Instagram war auch gerade etwas. Und viele, denen ich folge, posten deswegen dort schon nicht mehr. Einige Accounts sind bereits komplett verschwunden, es ist auch verständlich.

Auf den News-Seiten, auf den guten, alten News-Seiten von einst qualitativem Kaliber, sehe ich gleichzeitig ein unfassbar flächiges, unreflektiertes Versagen gegenüber den radikalen Rechten. Ein Versagen, mit dem sich vielleicht irgendwann die Geschichtsbücher beschäftigen mögen, ich aber gerade nicht mehr.

Die Welt „meines“ Internets scheint in diesem Jahr nach langer, schwerer Krankheit endgültig zu sterben und Geschichte zu werden. Ich muss es mir eingestehen. Ein Kapitel Kulturgeschichte wird diese Zeit, die immerhin recht lang war, wenn wir es nur wohlwollend genug betrachten. Und warum sollten wir es anders halten.

Es ist alles nur eine Phase, man landet wieder bei fundamentalen Wahrheiten. Wo aber bleibt das Positive, Herr Buddenbohm – Blogs gibt es noch hier und da. Vielleicht werden es sogar wieder ein paar mehr, in den Zeiten der galoppierenden Verelendung, Verblödung und Nazifizierung der großen Seiten und Plattformen. Vielleicht gibt es noch eine späte Blüte in meinem Biotop?

Man darf sich ab und zu mit Möglichkeiten aufheitern. Man darf sich auch jederzeit Illusionen hingeben, und die Unterscheidung dazwischen kann uns auch erst einmal egal sein.

Ich mache noch einmal Bluesky auf. Ich lese den ersten Eintrag, es geht um irgendwas, was ein radikaler Rechter gesagt hat. Was auch sonst.

Ach, vergeblich das Posten!

Spät erst erfahren Sie sich:

Bloggen und stille bewahren

Das sich umgrenzende Ich.

So oder so ähnlich stand es schon damals bei Gottfried Benn. Über dessen Lebenslauf man aber auch um Gottes willen nicht weiter nachdenken darf.

Ich weiß, ich weiß.

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Im Bild heute ohne jeden Zusammenhang, die alten Bilder müssen nur raus, die Treppen im Levante-Haus in der Innenstadt. Wobei Levante – da ist man dann geistig schon wieder im Strom der Nachrichten. Kein Entkommen nirgends.

Schlimm.

Das historisierend ausgeführte Treppenhaus im Levante-Haus

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