Raum für Notizen

Vorweg ein Dank für die freundliche Zusendung dieses Kalenders aus der Duden-Reihe mit alten und mehr oder weniger vergessenen Wörtern, merci!

Ich nehme stark an, man wird ein paar der Begriffe in den Texten des nächsten Jahres hier wiederfinden.

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Ich habe ansonsten, merke ich gerade und gucke vermutlich etwas dumm dabei, rein gar nichts zu berichten. Was sicher darauf hinweisen wird, dass ich wieder einmal, und diesmal sogar über einen erschreckend langen Zeitraum von mehreren Tagen, nicht aufgepasst habe. Die Söhne kennen das auch aus der Schule, wie ich von ihnen weiß.

Wo haben sie das nur her und warum hatte ich nichts Besseres zu vererben.

Wie auch immer, es kommt leider gelegentlich vor. So sehr ich mich normalerweise um Aufmerksamkeit bemühe, um das andere, ähnlich klingende und dabei so gründlich esoterisch verheizte Wort mit A vorne zu vermeiden. Eine Art geistiges Erschlaffen wird es sein, ein Nachlassen der Anspannung, das sich unterm Strich aber dummerweise nicht nach Erholung anfühlt. Auch nicht nach dem, was Sohn I vermutlich als gechillt bezeichnen würde. Und was eher positiv zu werten ist, wenn ich ihn richtig verstehe.

Gechillt zu sein kam in der Jugendzeit meiner Generation interessanterweise noch nicht als erstrebenswerter Zustand vor. Es ist eine neuere Erfindung und ich fremdele etwas damit. Ich habe den Eindruck, dass da ein Wandel stattgefunden hat, ein dezenter, kaum auffälliger. Es ist wohl so, dass wir damals sein gechillt als gelangweilt empfunden hätten. Denn auch die Lieblingszustände der Menschen scheinen einem steten Wandel unterworfen zu sein. Was man wiederum nicht zu werten hat, nur mitzuschreiben, wenn man sich als Chronist versteht.

Wie auch immer. Mein Zustand kommt mir eher wie komatöse Müdigkeit vor, wie tiefe Lustlosigkeit auch und vielleicht noch wie eine Ahnung von dunkelgrauem Winterblues der eher unromantischen Art. Wozu ich sonst nicht unbedingt neige. Aber, wenn ich das dem eher spärlichen Smalltalk dieser Woche bisher korrekt entnehme, man scheint jetzt allgemein zu solchen Zuständen zu neigen.

Jahresendschwäche statt Jahresendspurt, wie es gestern in einem Gespräch präzise formuliert wurde. Es nickten alle und verstanden sofort, was gemeint war. Wir waren allerdings auch alle etwa gleich alt in der Runde, es wird am Ende wieder eine Rolle spielen.

Es steht jedenfalls kein einziges Stichwort im Notizbuch. Und nichts steht in der Notizen-App auf dem Smartphone, in die ich gelegentlich etwas hineindiktiere, auf den langen Stadtspaziergängen. Es kommt mir ein wenig merkwürdig vor, so ungewohnt ist das, diese Leere. So viel Raum für Notizen überall, wer soll das denn füllen und wann.

Am Ende, wer weiß, war aber tatsächlich nichts. Das ist selbstverständlich denkbar und möglich. Also abgesehen von den Teilen des Alltags, die immer sind, von denen aber wirklich niemand Berichte braucht.

[Der Autor unterbricht das morgendliche Tippen an dieser Stelle, sieht minutenlang ausdruckslos die Raufaser vor ihm an, wippt sachte vor und zurück und mümmelt dabei das morgendliche Stück Marzipan aus dem Adventskalender weg. Heute in der Geschmacksrichtung „Crispy Waffel“, was ist das wieder für ein moderner Unfug. Früher war Marzipan stets und ausschließlich zartbitter ummantelt. Wir hatten ja nichts, und vielleicht war es hier und da gut so.]

Nun.

Morgen mehr. Nehme ich an.

Noch ein Lied? Noch ein Lied. Mit einem Refrain, den man zum Jahresende ruhig etwas einwirken lassen kann. Es passt schon.


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Die Abende in der Villa Buddenbohm

Bei der Deutschen Welle sah ich einen kurzen und bemerkenswert positiv stimmenden Film, was in unseren ausgeprägt dystopiegeneigten Zeiten doch besonders auffällt. Es war ein Beitrag über die Casa Verdi, über ein Seniorenheim für Musikschaffende, finanziert aus dem Vermächtnis des Komponisten. Eine sympathisch anmutende Einrichtung, fand ich.

Sollte ich eines Tages doch noch Dichter und reich werden, womit es allerdings allmählich etwas knapp wird, denn mir geht es nicht anders als Kid37, der gerade schrieb:

Habe jetzt begonnen, meinen ersten Krimi zu schreiben, weil ich gehört habe, so etwas liefe gut als Genre und man käme auf diese Weise zu Geld, ohne dass man dabei selbst eine Bank überfallen müsste.

… sollte ich also doch noch Dichter und reich werden, ich werde vielleicht einmal über ein entsprechendes Vermächtnis für Blogschaffende nachdenken wollen, so anregend fand ich dieses Filmchen über die Casa Verdi. Villa Buddenbohm oder ähnlich würde es dann heißen. „Nur Lumpen sind bescheiden“, wie es damals in großer Schrift auf diesem einen Poster mit Hans Albers stand. Es hing lange bei mir an der Wand. Wo ist es eigentlich geblieben, bei welchem Umzug kam das denn weg. Egal.

Exkurs – apropos Bescheidenheit. Da fällt mir auf einmal wieder ein, wie ich als sehr junger Mensch, gerade erst Abitur gemacht, gerade erst nach Hamburg gezogen, noch hoffnungsfroh, jung und lebenshungrig in der großen Stadt, zum ersten Mal bei einer Ärztin war, die ich vor diesem Besuch schon flüchtig aus der Buchhandlung kannte, in der ich damals als Aushilfe arbeitete. Sie fragte mich auf die übliche Weise allgemeinmedizinische Kriterien ab, fragte nach Gewicht, Größe und Beschwerden. Fragte schließlich auch nach meinen Vorerkrankungen, und ich sagte scherzhaft und in bester Stimmung: „Nichts, nur Größenwahn“.

Sie sah mich prüfend an, sie schrieb es ernst mit. Und sie wiegte den Kopf auf eine Weise, die mir doch etwas unangenehm war. Ich sagte sicherheitshalber, dass das gerade ein Scherz gewesen sei. Sie sah mich an und sagte, sie glaube nicht an solche Scherze. Man müsse in ihrem Beruf immer alles ernstnehmen, was ein Hinweis sein könnte. Wirklich immer müsse man das, das habe sie gründlich gelernt und es habe sich auch bewährt. Wir diskutierten noch eine Weile, bis mir das Gespräch bald unangenehm wurde, da wir uns so gar nicht einig wurden. Ich war nach diesem mir doch seltsam vorkommenden Dialog kein zweites Mal bei jener auf mich allzu ernst wirkenden Ärztin, wie man sich vermutlich vorstellen kann. Ich suchte mir einen anderen Hausarzt.

Weswegen mein Größenwahn also niemals behandelt worden ist, sondern erst mühsam und über Jahrzehnte rauswachsen musste. Das wollte ich nur eben erwähnt haben.

Na, was sind das für alte Geschichten, ich schweife ab.

Jedenfalls könnten die in dem später zu gründenden Etablissement residierenden Seniorbloggerinnen und Social-Media-Veteranen genau wie die Damen und Herren aus der Musikbranche in der Casa Verdi gemeinsam gut ausgestattet und betreut wohnen. Und sie könnten sich vor allem, um ihrer Berufs- und Lebenserfahrung gerecht zu werden, bis zum letzten Tag vollkommen hemmungslos gegenseitig Content sein.

Sie könnten sich auch in endloser Folge abends in trauter Runde vor dem Flackern eines künstlichen Kamins alte Texte vorlesen. Weißt du noch, weißt du noch, und als Zugabe liest zu später Stunde noch irgendwer die besten Tweets aus dem Jahr 2019 oder aus einem anderen guten Jahrgang.

Sie würden vor allem aber in solch anregender Umgebung sicher dermaßen durchdachte und zitierfähige letzte Worte finden, es wären jedes Mal besonders schöne Stellen in den letzten Blogs, geradezu Feste für das lesende Publikum da draußen. Soweit ein Publikum dann noch vorhanden und lesefähig sein wird. Irgendwie ist es doch eine erbauliche Vorstellung, ist es nicht?

Na, man träumt so vor sich hin. An diesen besonders kurzen Abenden der ach so langen Winterwerktage.

“And in the winter
Extra blankets for the cold
Fix the heater getting old.”

Gleich wieder ein Ohrwurm für den Rest des Tages.

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Die Verschiebung der Tannen

Ich sehe in den Nachrichten eine kleine Meldung: Weihnachtsbäume werden in Deutschland im Schnitt immer früher aufgestellt, heißt es da. Sie erobern sich allmählich den ganzen Monat, jedes Jahr werden ein paar weitere Tage des Dezembers mit Tannengrün versehen. Am Ende wird der 1. Dezember der allgemeine Stichtag für den Erwerb der Bäume sein. Man kann bereits darauf wetten, es ist eine sichere Sache.

Bald wird es daher merkwürdig anmuten, dass es früher die Tradition gab, den O-Tannebaum erst punktgenau zum Fest zu schmücken, am 24. oder nur kurz vorher. Es wird uns in Geschichten und Filmen auffallen, guck mal, so haben die das damals gemacht. Wie kurz der dann nur stand!

Wobei mir das vollkommen egal ist. Ich habe keine wie auch immer geartete Beziehung zu dieser Tradition und kann auf einen Weihnachtsbaum auch gut verzichten. Aber andere, versteht sich, sind da äußerst empfindlich. Wie immer, wenn es um Traditionen geht, die den Leuten heilig vorkommen, und es also auch sind. In meinen Timelines lese ich beide Fraktionen. Jene, die den Baum schon geschmückt im Wohnzimmer haben, und jene, die das schockiert und mit vehementer Abwehr zur Kenntnis nehmen.

Die zeitliche Ausdehnung der Sondertannendeko passt jedenfalls zu meiner neulich erst geäußerten Vermutung, dass sich alle Feste immer flächiger über den Kalender ausbreiten, wie gekleckste Farbe auf einem Blatt verläuft. Es war rund um Halloween gut zu beobachten, das mittlerweile eine ganze Woche möglicher Partytermine umfasst, nicht etwa nur einen Abend, eine Nacht, wie es noch vor einigen Jahren war. So lange her ist das nicht.

Wir haben es also kollektiv eher nicht mehr so mit einem zugespitzten Timing. Und am Ende korreliert auch das wieder auf irgendeine Art mit dem Verlauf der Pandemie. Ohne dass mir spontan eine schlüssige Ableitung der Zusammenhänge einfallen würde, aber es ist eine beschleunigte Entwicklung der letzten vier, fünf Jahre.

Im Discounter jedenfalls, ich habe am Sonnabend richtig geraten, stehen prompt die ersten großen Kartons „Pyro-Power“ genau an dem Platz, an dem es vor drei Tagen noch um das Schokoladenweihnachten ging, und die Mitte des Dezembers ist noch nicht erreicht.

O tempora, o mores, aber wem sage ich das.

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Gehört: Eine Folge der feinen Reihe „Giant Steps in Jazz“ beim WDR über Paul Desmond. Er war, so lernt man da, einst schwer in Audrey Hepburn verliebt, der er auch dauernd begegnete. Er traute sich aber nicht, sie anzusprechen und machte, was man dann so macht, wenn man es denn kann, er schmachtete musikalisch.

Man hört das das Sehnen und das Elend, ganz deutlich hört man es.

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Zoon politikon

Ich gehe am Nachmittag mit einem Sohn sein Material für die nächste Philosophie-Arbeit durch. Da geht es um das zoon politicon. Aristoteles, der Mensch als soziales, politisches Wesen, Gesellschaft brauchend und suchend etc. Der Mensch als zum Staatenbau und zur Gemeinsamkeit bestimmt.

Direkt danach der Anschauungsunterricht vor der Haustür.

Auf dem Abendspaziergang gehe ich durch die jubelnden, feiernden, tanzenden, singenden Menschen aus Syrien vor dem Hauptbahnhof. Einige Tausend werden es sicher sein, denke ich, von dreitausend Demonstranten spricht später der NDR. Reichlich Zulauf jedenfalls, sicherheitshalber werden Straßen um den Bahnhof gesperrt, Taxifahrer pöbeln aus Autofenstern, was das nun wieder soll. Viele Frauen und Kinder sind unter den Feiernden, die man auf den Bildern und Videos aus Syrien kategorisch nicht sieht. Hier finden sie mit statt.

Wie in Millionenstädten zu erwarten, gibt es bei uns oft Demos von Menschen aus anderen Staaten und Heimatregionen. Manchmal nimmt man erst durch diese Veranstaltungen überrascht zur Kenntnis, wie viele aus einem Land hier leben, und dann staunt man kurz im Vorbeigehen. Guck mal an, alle aus Ecuador, oder woher auch immer.

Meist sind diese Demos durch Wut oder Verzweiflung motiviert, fast immer, was auch nachvollziehbar ist. Dieses spontane Fest vor dem Bahnhof ist aber anders und auffällig, so selten kommen Menschen unter Fahnen zusammen, um sich zu freuen.

Im Hintergrund ziehen deutsche Fußballfans in den üblichen Kostümierungen durch die Wandelhalle und gucken irritiert, wenn nicht entgeistert. Normalerweise sind sie es doch, die hier als verhaltensauffällig zur Kenntnis genommen werden müssen und mit Fangesängen, spritzendem Dosenbier etc. die Szenerie lautstark zu beherrschen wissen. Normalerweise bekommen sie hier alle Aufmerksamkeit, die sie an den Spieltagen vermutlich auch zu brauchen meinen. Heute gehen sie da still und staunend als Komparsen am Rande vorbei und wissen nicht recht, was sie davon halten sollen. Aber gut finden sie es eher nicht, das sieht man ihnen an.

Noch weiter im Hintergrund und teils auf den Treppen nach unten zu den Gleisen, wie auf einen Auftritt im Theater wartend, die Truppen der Polizei. Zahlreich angetreten, in voller Randale- und Einsatzmontur, ruhig abwartend, sie stehen so vermutlich stundenlang. Und sie sehen, es ist eine spezielle Hamburger Ironie, im Dunkeln der weniger beleuchteten Bahnhofsränder aus wie ein schwarzer Block.

In den Timelines werden die Menschen aus Syrien währenddessen prompt und vielfach belehrt, dass sie sich nicht einfach zu freuen haben. Denn die Rebellen sind immerhin auch, haben auch, stehen auch für … und dann folgen die allfälligen Topcheckerkommentare.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich diejenigen, sie sich gerade freuen, sofort eines Besseren belehren muss, aber ich denke nicht. Die Topcheckerinnenkommentare können dennoch inhaltlich richtig sein, was weiß ich schon, es ist kompliziert.

Ich freue mich jedenfalls auch ein wenig, über einen Randaspekt, an den eher wenige zu denken scheinen. Ich freue mich darüber, dass die Ereignisse in Syrien so nicht vorhergesagt waren, auch vom allerkundigsten Topcheckteam nicht.

Man könnte das leicht auch negativ deuten, aber es hat eine positive Seite, glaube ich. Es gibt eben keinen geschichtlichen Fahrplan, an den sich alle Teilnehmenden halten und den alle routiniert hinnehmen, wie es geduldige Fahrgäste im städtischen ÖPNV gewohnt sind. Es sind Überraschungen möglich, Wendungen, Haken und Drehungen, auch schnelle.

Und da ich nicht der Einzige bin, dem die Weltgeschichte seit einigen Jahren wie eine stetige und fast schon programmgemäße, jedenfalls aber allzu vorhersehbare Verschlechterung vorkommt, ist dies eine zwar nicht neue, aber doch erfrischend wiederbelebte Erkenntnis. Es kann auch anders kommen, und nicht zwingend nur noch schlechter.

Was zwar weiterhin das Maximum an Optimismus ist, das mir gerade zur Verfügung steht – aber immerhin.

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Im Bild ein Rettungsring in der Hafencity. Warum auch nicht.

Ein Rettungsring an einem Kaigeländer in der Hafencity, sonniges Nachmittagslicht

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In Argentinien, Hamburg und Dunkerley

Bei den “Blättern” gibt es einen freigeschalteten Artikel über die Lage in Argentinien, die neuerdings auch manchen aus der deutschen Politik gerade erstrebenswert zu sein scheint. Und nicht nur denen aus der Politik, auch andere weisen jetzt gerne darauf hin, dass ja auch Gutes passiere, in dem Land da. Dann murmeln sie von Disruption, und dass das Programm doch etwas hätte, so in Teilen. Und so eine Kettensäge ist auch nicht immer schlecht, weißte. Müsste man auch mal, ganze Bürokratie weg, und dann sollste mal sehen.

Was ihnen dann im Gesprächsverlauf auch bald zu Musk einfällt, versteht sich, der hat auch super Ideen. Sonst wäre er ja nicht erfolgreich. Das wird dann fast zwingend noch so weitergedacht, wobei manchmal vorauseilend und beschwichtigend etwas eingeschränkt wird, denn vollumfänglich okay, das ist klar, ist der nun irgendwie auch nicht, genau wie der Trump, schon klar, da gibt es gewisse Nachteile, das weiß man, aber! Und dann reden sie noch weiter, nach dem aber, immer reden sie dann noch weiter, aber zuhören muss man nicht mehr.

Es hat dann im weiteren Verlauf für mich stets den Geschmack und auch das Niveau der altbekannten Autobahnerwähnungen, wenn es um Hitler geht. Es war nicht alles schlecht.

Meine Güte.

Weiteres über Argentinien auch bei der taz oder hier bei der Republik, und auch das hebt alles die Stimmung nicht, ich weiß.

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Am Sonnabend erreiche ich dann schließlich diesen einen Tag, den es wohl in jedem Winter geben muss. Diesen Tag, an dem mir morgens doch irgendwann Zweifel kommen, irritierende Zweifel, wegen der pechschwarzen, lastenden Dunkelheit vor den Fenstern. Ich bin schon stundenlang wach, fleißig und bemüht, ich habe bereits eine Kolumne geschrieben, einen Blogartikel auch. Die ganze Weltlage habe ich bereits halbwegs gründlich nachgelesen und fast ausreichend den Kopf geschüttelt, soweit das in diesen Zeiten eben noch möglich ist. Ich habe das Essen für das Wochenende durchgeplant und mir einen langen Einkaufszettel gemacht. Ich habe die Spülmaschine aus- und eingeräumt, ich habe geduscht und alles, und es ist immer noch dunkel, wie dunkel es ist.

Kann es denn mit rechten Dingen zugehen, mit dieser Dunkelheit vor den Fenstern, geht nicht vielleicht doch meine Uhr falsch, oder gleich mehrere Uhren, was ist eigentlich los, und wann ist eigentlich Sonnenaufgang in dieser Jahreszeit, das dann doch einmal nachlesen.

08:23, guck an, doch so spät. Und um 16:00 fällt unerbittlich schon wieder der Vorhang, dazwischen passt tatsächlich nicht viel. Es ist wirklich wenig Licht übrig, und es beeindruckt in jedem Winter erneut, so gehört es auch.

Vor den Küchenfenstern ist es währenddessen immer weiter dermaßen schwarz … nicht einmal ein dezentes Hellgrau zeichnet sich ab, nirgends. Nur in einem Kirchturmfenster leuchtet ein blasser Stern zur Weihnachtszeit, sonst sind keine Lichter an, nirgends. Es wirkt fast etwas dörflich, so tot ist da alles ringsum in der Stadtmitte, so abgestorben nächtlich.

Na, es ist schon okay.

Wir sind immerhin kurz vor der Wintersonnenwende, der Eindruck passt. Er wird nur gerade durch das Wetter so überaus deutlich verstärkt. Durch den ewigen Dauerregen in der letzten Woche, durch die tiefen Wolken da draußen und auch durch die hin und wieder durchziehende Niederschlagsneigung im Gemüt. Überall regnet es, immer regnet es, und wenn es nicht regnet, dann schauert es schon wieder, dann dämmert es gerade, nebelt es noch einmal, bezieht es sich gerade wieder, dunkelt es usw.

Die Hamburger Hafenpromenade im dichten Nebel, an der Kaimauer ein Schild "Grosse Hafenrundfahrt"

Der Schokoladennikolaus überlebt am Freitagmorgen keine zwei Stunden auf meinem Schreibtisch. Dann liegen da nur noch krümelige Trümmer und zerfetzte rote Verpackungsreste neben dem schon wieder leeren Kaffeebecher. Das nennt man wohl dringenden Bedarf, und der Werktag ist zu dieser Stunde noch lang, unüberschaubar, wenn nicht endlos.

Beim Discounter wird die Weihnachtsware schon nicht mehr nachgelegt, sehe ich am späten Nachmittag, als ich im Dunkeln einkaufen gehe. Die Vorräte dort gehen nun schnell zu Neige. Im feineren Supermarkt wurden die Restsaisonartikel sogar schon abgeräumt, ich staune. Im Vorbeigehen kurz der Blick auf einige leere Regale, gestern gab es das noch Adventskalender, Schokoweihnachtsmänner und Lebkuchen.

Da kommt dann wohl bald Silvester rein, nehme ich an. Vermutlich wird die Ware hinten im Lager bereits ausgepackt. Mein Zeitgefühl kommt da wieder nicht mit, ich hänge noch im November fest. Ich bin nicht einmal am 2. Advent angekommen, noch lange nicht, ob der nun heute ist oder nicht.

Aber egal. Irgendwo kommt immer wieder Licht her, man kennt das. Zur Not legt man sich die Musik von damals auf, und schon geht es wieder etwas weiter, schon ist es fast schön und gemütlich, so wie es ist. Auch in der Dunkelheit.

[An dieser Stelle fragte mich Word gerade, ob ich nicht vielleicht „Auch in Dunkerley“ gemeint hätte? Nein? Und es schlägt mir dann sogar noch weitere Begriffe vor, die nach englischsprachigen Dorfromanen klingen. Was ist das wieder, was hat dieses Programm immer für seltsame Ideen. Am Ende ist es ein Hinweis von oben, soll ich lieber schottische Fantasy-Geschichten schreiben oder was.

Es war eine dunkle und stürmische Nacht in Dunkerley … ach was, ich habe keine Zeit für so etwas. Nicht jetzt, Word, nicht jetzt].


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Marzipan, Steckrüben

Es regnet, es ist dunkel, es ist kalt. Alles ist außerdem etwas anstrengend, die Müdigkeit stapelt sich immer weiter auf. Eine etwas ungünstige Gemengelage, und da hat man die Nachrichten noch gar nicht gelesen, die allein schon reichen würden, um die Stimmung gründlich und für Wochen derart zu ruinieren, dass die Bettdecke überm Kopf auch nicht mehr zuverlässig helfen kann.

Am Nachmittag ein Termin bei der Zahnärztin, und das ist dann das einzig Nette am Donnerstag, denn da muss ich nur liegen und den Mund aufmachen. Es sind überschaubare Anforderungen, und es ist mir recht so, kurz raus aus der Überforderung. So also fällt es jetzt aus.

Dennoch schreitet währenddessen alles weiter voran, immerhin haben wir heute schon Nikolaus erreicht, ein weiterer Milestone in der Schedule unserer Challenges, wie wir im Büro sagen würden. Wobei Nikolaus in einem Haushalt mit Teenagern eine nur noch lapidare und routinierte Abwicklung verlangt.

In meinem Adventskalender gibt es Marzipan zum Frühstück, ich esse es am Freitagmorgen nebenbei, während ich das Nikolauszeug aus dem Schrank hervorkrame und anhand der Schuhvielfalt vor der Tür festzustellen versuche, wie viele Teenager eigentlich in dieser Wohnung sind. Mindestens vier werden es sein, schließe ich dann. Es macht nichts, wir haben für alle Fälle vorgesorgt, die Herzdame und ich, wir sind dermaßen vorausschauend und gut organisiert. Also zumindest manchmal.

An der Zuordnung, welche Schuhe zum wem gehören könnten, scheitere ich dann aber doch. Es sind jedenfalls viele Schuhe größer als meine.

Selbstverständlich ist das Marzipan im Adventskalender aus meiner Heimatstadt, denke ich beim Kauen. Irgendwo bleibt einem immer noch ein Bezug zur Herkunft. Das Saisonale, das Gewohnte, das Süße.

Neulich sah ich im Vorbeigehen wieder große Steckrüben im Gemüseregal des Supermarktes, fällt mir dabei ein. Damit könnte ich auch noch einmal etwas Lokalpatriotisches anstellen, mit Bezug zur Region und auch zur Familiengeschichte. Einen winterlichen Eintopf wie damals könnte ich machen, wie von Oma, wie in Lübeck. Wie damals, wie in den Siebzigern. Die, ob sie dafür nun eine gute Wahl waren oder nicht, meine Essgewohnheiten nachhaltig geprägt haben.

Erst einmal Steckrüben googeln, immer alles nachlesen. Der erste Treffer ist gleich ein Rezept mit dem entscheidenden Hinweis: „Wie von Oma“, denn wir suchen bekanntlich alle Ähnliches. In mancher Beziehung wird es wohl ein Rückweg sein, den wir da suchen, und sei es nur in der Küche. Das gehört auch so, nehme ich an.

Habe ich noch ein Lübeckbild irgendwo? Ja, eines noch. Da um die Ecke habe ich einmal gewohnt.

Ein Säulengang im Marienkirchhof, Lübeck

Den Begriff „Lübecker National“ für diesen Steckrübeneintopf habe ich erst als Erwachsener kennengelernt. Das Gericht war bei uns so werktäglich unspektakulär, es hatte nicht einmal einen Namen. Ich habe auch spät erst verstanden, dass es sich um ein ausdrücklich norddeutsches Essen handelt. Etwa ab Südwestfalen ist es schon eher unüblich, glaube ich, weiter runter ist es dann gar nicht mehr bekannt.

Schon beim Gedanken an den Erwerb der verlockend aussehenden Rübe dann allerdings wieder der antizipierende Unmut, dass der Mensch an der Kasse im Supermarkt mit einer Wahrscheinlichkeit von deutlich über 50% nicht wissen wird, was das denn bloß sein könnte, dieses Teil. Das Ding wird ratlos in der Hand gedreht werden, ich weiß es ja schon, und dann wird die Frage wieder kommen, fast unweigerlich und alle Jahre: „Ist das Knollensellerie, was ist das? Kohlrabi? ?“ Ich kann es schon hören.

Die Frage geht an an mich, zur Sicherheit aber auch an die Kolleginnen, denn ich könnte doch Unsinn erzählen. Dann das Blättern in den zerknitterten Papieren mit den aktuellen Sonderpreisen neben der Kasse, der Zeigefinger wird die Spalten entlangfahren. Wie gibt man das denn jetzt wieder ein? Kopfschütteln, Suchen, dann endlich: „Ach so!“

Je-des-mal ist das so. Man ist längst ein Exot, wenn man so etwas kauft, das Gemüse von damals. Was recht bedacht eine eher abgefahrene Ironie der Geschichte ist. Unsere Oma, unsere kollektive norddeutsche Oma sozusagen, sie würde eine Weile brauchen, lebte sie denn noch, um sich diese Entwicklung in der Alltagskultur vorstellen zu können.

Nie habe ich diesen Eintopf in meiner Küche perfekt hinbekommen, bei allen Versuchen nicht. Nie war er voll befriedigend oder auch nur ausreichend erinnerungsgerecht. Immer blieb etwas fremd, immer fehlte irgendetwas. Vermutlich fehlt aber am Ende entscheidend und dauerhaft vor allem die Nichtzuständigkeit für das Gelingen des Essens.

Egal. Ich bekomme es so hin, dass es völlig okay ist. Das gilt längst nicht für alles im Leben und schon gar nicht in diesem Jahr, daher werde ich es mir beim Kochen und Probieren auch aufsagen müssen, dass es völlig okay ist.

Es hilft manchmal kurz, sich so etwas mitzuteilen.

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Der blaue Himmel

Vorweg vielen Dank für die ungewöhnlich vielen positiven Reaktionen zu meinem gestrigen Text. Das war belebend, und auch die kleinen Freuden helfen durch den Alltag.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über Björk.

Außerdem gehört: Ein Zeitzeichen über Robert Louis Stevenson.

Und dann bin ich unvermutet doch einmal wieder an einem Hörbuch hängengeblieben. Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen in den letzten Wochen, denn diverse Texte hielten mich nicht fest. Dauernd geriet ich beim Hören viel zu schnell auf geistige Abwege, und dann hat es alles keinen Sinn. Jetzt aber habe ich etwas gefunden, das mich wieder durchgehend fasziniert, es ist ein Hörbuch, das aus den Üblichen deutlich herausragt.

Es wird komplett frei erzählt, der ganze Text. Ich weiß nicht, ob ich so eine Variante der Hörbücher überhaupt schon einmal hatte, vermutlich nicht, wie viele mag es davon schon geben Es ist von Herta Müller, sie spricht über ihre Kindheit im Banat: Die Nacht ist aus Tinte gemacht.

Und wie gerne ich ihr zuhöre. Das sind äußerst ansprechende Schilderungen, ich mag auch ihren Tonfall, ihre Stimme. Wie ruhig und bedacht sie das vorträgt, wie langsam sie das ausführt und wie sorgsam sie die Bilder auffüllt. Das ist für mich etwas zwischen die To-Dos geschobene Wintergemütlichkeit, ihren Erinnerungsberichten zuzuhören. Es ist immerhin ein klein wenig von dieser legendären Wintergemütlichkeit, zu der ich ansonsten recht kategorisch keinen Zutritt zu haben scheine. Obwohl die Inhalte des Buches, das ist bei ihr kaum anders zu erwarten, nicht unbedingt durchgehend als gemütlich zu bezeichnen sind.

Es ist kein langes Buch, 116 Minuten sind es nur. Es passt in ein, zwei lange Winterabende und zu einigen Zimtsternen, zu etwas Christmas Tea oder dergleichen. Wir wollen hier nicht über die Namen von Heißgetränken diskutieren, nein, das wollen wir wirklich nicht.

***

Im Bild die Außenalster am Sonntagnachmittag. Es gab an diesem Tag zwischendurch etwas Sonnenschein, ein merkwürdiger, ungewohnter Anblick war es. Man sah es allgemein mit Staunen, und ein fordernder Gedanke ging durch die Hirne der Einwohnerinnen dieser Stadt: „Man wird rausgehen müssen, bei diesem Wetter!

Die Außenalster im Winternachmittagssonnenlicht, im Vordergrund ein Bootsanleger, an dem nur noch ein Segelboot liegt, unter einer Plane

Ich habe das Bild dann so aufgenommen, dass ich die Menge im Rücken hatte. Und was für eine Menge das wieder war, es gab quasi Fußgängerinnenstaus an den Aussichtspunkten. Und über uns – der blaue Himmel.

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Unser buntes, beleuchtetes Gewimmel

Was ich im Moment in der Stadt sehe, ist eine interessante Doppelerfahrung, eine Art seelisches Vexierbild.

Denn zum einen ist die Innenstadt nun einmal meine Spaziergangsstrecke. Ich bin Anwohner, ich will da einfach durch. Ich brauche viel Auslauf. Und diese zahllosen Weihnachtsmärkte mit ihren diversen Massenabfütterungsstationen und Kunsthandwerktrödelbuden, sie stehen mir überall im Weg herum. Die Hütten blockieren meine Wege, die glühweinseligen Horden, die Freundeskreise an Schmalzgebäck erst recht. Dazu noch die minderjährigen Blockflötenbanden, die für ein wenig Kleingeld saisonale Lieder schänden. Außerdem Hunderttausende von Shopping-Verrückten mit Geschenkdruck, dann noch die Städtereisenden, die staunend herumstehen und alles erst einmal auf sich einwirken lassen, und wie lange sie dann da so stehen.

Außerdem die lauthals Missionierenden diverser christlicher Randgruppen etc., schließlich die wegelagernden Spendensammlerinnen für irgendwas mit Kindern, irgendwas mit Tieren oder mit sonst einem Elend. Gefühlt stehen mir am späten Nachmittag in den Einkaufsstraßen etwa eine Million Menschen vor den Füßen herum. Und je näher Weihnachten rückt, desto weniger ist das nur ein Gefühl.

Zum anderen sehe ich da aber auch Menschen, denen ich zugestehen muss, dass sie sich tatsächlich über das freuen, was sie um sich herum sehen. Also die sich echt freuen, sich recht von Herzen freuen, wie es in den einem Weihnachtslied heißt, in welchem war es noch. Egal, ich bin eh nicht in der Stimmung dafür.

Die da also nicht nur mit dieser allseits bekannten Selfie-Fake-Freude im Gesicht stehen, sondern mit einem anderen Gesichtsausdruck, den man eher sympathisch finden kann. Die stehen da etwa vor den Weihnachtsmärkten und machen begeistert Fotos und Filmchen von den angestrahlten Bretterbuden im Dunkeln. Von den so traulich beleuchteten Glühweinständen in Märchenwaldoptik und auch von der ganzen Weihnachtsdeko über und in den Fußgängerzonen. Von dieser Deko also, die ich schon Stunden nach dem Aufhängen nicht mehr sehen mag, alle Jahre wieder.

Sie freuen sich, als würden sie das alles zum ersten Mal sehen. Was vielleicht auch, ich muss es mir bewusst machen, und auch das alle Jahre wieder, tatsächlich stimmt.

Diese Menschen sind teils sehr jung, das erklärt schon einiges. Sie waren neulich vielleicht noch Kinder, sind es womöglich anteilig noch. Sie kommen, das ist in dieser Zeit nicht unwahrscheinlich, aus der tiefen Provinz in unser leuchtendes, buntes Gewimmel. Oder sie sind zum ersten Mal zu zweit, fest liiert und daher komplett selig mit einem anderen Menschen an der Hand in der Wintergroßstadt.

Oder sie haben zum ersten Mal ein eigenes Kind dabei, tragen das Kleine vor dem Bauch oder schieben es vor sich her, zeigen jauchzend und frohlockend auf alles, was leuchtet, finden alles großartig. Und das Kind guckt groß, versteht nichts und lächelt.

Oder sie sind eben erst zugezogen. Es ist ihr erster Dezember als Studentin in der Stadt vielleicht, es geht alles gerade erst los und abends in den Club, so etwas. Lauter plausible Möglichkeiten, erfreut zu sein, es gibt doch welche.

Und ich gehe da also einigermaßen seelisch runtergerockt, jahresendverbraucht und dezent angebittert durch und würde sie am liebsten alle aus dem Weg schubsen, diese Glühweingrinsekatzen.

Ich denke mir, es ist am Ende auch eine Art Deal. Und Deals, nicht wahr, liegen voll im Trend. Wenn wir etwa kurz an die USA denken, was wir aber nur äußerst ungern tun, ich weiß. Der Deal ist jedenfalls: Ich ziehe Euch ein wenig runter, wenn ich da schlecht gelaunt, höchst genervt, eilig und in alltagsradikalisierter Stimmung, vorgezogen nörgelrentnermäßig grummelnd mitten durch die Seligen durchmarschiere, mit Waldorf und Statler als Wappenfiguren auf dem nur gedachten Banner – und sie bauen mich im Gegenzug ein wenig auf, mit ihrer so echt wirkenden Freude, mit ihrer manchmal wohl tiefempfundenen Heiterkeit.

Und wir stehen uns also im Weg und kappen uns ein wenig die Extreme. Man muss sich nur eben ansehen, es reicht schon eine Sekunde der Wahrnehmung.

Also ich könnte das so denken. Wenn ich mir manchmal noch ein wenig mehr Mühe gäbe vielleicht. Aber wir wollen nicht übertreiben.

Ein geschlossener Stand für gebrannte Mandeln in den Tunneln des Hauptbahnhofs

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Zweckmäßig vertändelt

Frau Herzbruch mit weiteren Ausführungen zur FDP.

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Gehört: Eine Sendung über die Grenzregionen in Estland und die Stimmungen dort. Es geht u.a. auch um die Minderheit der Seto (Wikipedia-Link), die war mir nicht geläufig. Auf Youtube etc. findet man ihre besondere Gesangstechnik, die ist auch interessant.

Außerdem gehört: Eine Sendung über die Reichsbürger und die Frage, welches Reich da eigentlich gemeint sein kann.

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Aber immer auch Erfreuliches melden. So habe ich etwa den letzten Sonntag zu großen Teilen vertan und vertrödelt. Es war nicht geplant, aber es war doch eine angemessene Art, das Wochenende zu begehen, möchte ich meinen.

Ich blieb gleich am frühen Morgen bei einem Jacques-Brel-Cover von Michael Heltau hängen. Bei seiner Jojo-Version, auf die ich irgendwie beim Recherchieren für irgendwas kam.

Ich hörte dann noch ein weiteres Lied von ihm und dann noch eines, und dann, ich weiß nicht recht, wie es zuging, war es auf einmal Mittag. Die Zeit kam mir mit seinen Liedern recht sinnvoll, wenn auch ungeplant verbracht vor, sozusagen zweckmäßig vertändelt.

Es gibt wunderbare Aufnahme von ihm, und es ist einigermaßen naheliegend, vor allem seine Brel-Übertragungen zu rühmen. Aber weil das Jahr bereits spürbar zu Ende geht, und weil es schon die Zeit der Bilanzen und der Jahresschlüsse ist, in meinem Brotberuf und auch sonst, erinnere ich kurz an eine andere Aufnahme. Das Lied ist von Ernst Arnold, man kennt es in -zig Versionen, besonders in der von Hans Moser.

Vermutlich wirkt es tiefsinniger, wenn man den religiösen Aspekt des Textes tatsächlich teilen mag, aber man kann aus dem Stand auch zu einem grundsätzlicheren Fatalismus ableiten. „Eine Weltwahrheit aus Wien“ kommentierte jemand auf Youtube

„Wie schnell kann es anders oft sein über Nacht,
Das Ende wird immer von oben gemacht.“

Alte Lieder leise pfeifend durch den Dezember. Und warum auch nicht. Ich grüße meine Kolleginnen und Kollegen in der Stadt, in der dieses Lied gehört.

Hier gibt es noch eben zum Vergleich die Original-Aufnahme, von Ernst Arnold selbst gesungen.

Im Bild die Mönckebergstraße am Sonnntagmorgen.

Die menschenleere Mönckeberstraße am frühen Sonntagmorgen, darüber die Weihnachtsdeko

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Autos und Ausgleichssport

Während ich mich über das im wahrsten Sinne des Wortes unselige Timing des anschwellenden Wahlkampfes ereifern kann, der im Dezember für mich nichts zu suchen hat, weil der mit Weihnachten ohnehin übervoll und ausgebucht ist, drucken die Parteien die schlimme Verbindung schon auf die Plakate. Als sei es die gute Nachricht selbst: „Punsch & Politik“, steht da etwa.

Rechtsauslegende Parteien wollen daraus vielleicht demnächst „Grenzen und Glühwein“ oder etwas in der Art machen, man ahnt es schon. „Hot Aperol und Heizungswende“, es textet sich wie von selbst weiter, wenn man erst einmal anfängt. Sie können im Geiste sicher anlegen. Oder, viel schlimmer, Sie können rausgehen und es dort ablesen.

Ein Deko-Element im Hamburger Hauptbahnhof, eine große Kugel unter der Decke, auf der ringsum "Frohes Fest" steht, wovon aber nur "Rohes Fest" zu lesen ist

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Ein Trend, den ich hier nicht erwähnt habe, weil er mir zu lange nicht bewusstgeworden ist, weil er sich so eingeschlichen hat und dann auf einmal da war, das sind die neuen Autohäuser mitten in der City. Es gibt schon drei, vier oder mehr, in bester Lage, in den touristisch belebten Einkaufsgegenden, in den Fußgängerzonen. Auch chinesische Hersteller betreiben so etwas längst. Zeichen der Zeit oder, wenn wir es nach den Industrie-Traditionen in diesem Land betrachten, wieder Zeichen des Niedergangs.

Eher kleine Showrooms sind das, in denen nur zwei Autos stehen, drei, vier vielleicht, mehr passen dort nicht hinein. Die Flächen dieser Showrooms sind direkt neben den üblichen und altbekannten Textilgeschäften, neben den Parfümerien und den Modeschmuckausrüstern. Ganz so, als sei das Auto ein vergleichbares Produkt für den fixen Konsum. Und nicht etwa eine Sonderware, die in ein entlegenes Industriegebiet oder an die freudlosen Zufahrtsstraßen der großen Städte gehört, wie man es doch kennt. Von damals kennt.

Man sieht von draußen auch Menschen in diesen Läden. Es scheint ein Konzept zu sein, das gerne angenommen wird. Es gibt Zulauf, es gibt interessierte, potenzielle Kundinnen und Kunden. Sie bekommen gerade Infobroschüren überreicht, während man von draußen irritiert in den neuen Laden sieht, oder sie werfen zunächst beiläufig wirkende Blicke in die ausgestellten Modelle.

Sie öffnen und schließen Türen, sie setzen sich einmal rein. Mit diesem etwas blöden Gesichtsausdruck, denn vermutlich alle Menschen haben, wenn sie beim Probesitzen für einen Moment bewusst hinfühlen, ins Gesäß und in andere Regionen, wenn sie einfach nur sitzen, aber das hochkonzentriert. Man kennt diesen Gesichtsausdruck auch aus Möbelhäusern, diese spezielle Mimik des abwägenden Testsitzens.

Wie auch immer. Es ist alles in allem so, als sei der Erwerb eines Autos neuerdings etwas für die, haha, Laufkundschaft in der großen Stadt.

Kopfschüttelnd durch die Fußgängerzonen gehen, aber zunehmend als Ausgleichssport.

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