Geht doch

Es gibt demnächst Thomas Mann als Playmobilfigur, lese ich in den kleineren Meldungen, zu seinem 150. Geburtstag. Mit einem Buch als mitgeliefertem Kleinteil in der Packung, mit den Buddenbrooks. Es gab schon Goethe und Schiller in dieser Spielzeug-Reihe, auch Fontane, das wusste ich gar nicht. Und, er ist ebenfalls als bedeutender Autor zu werten, es gab Luther. Eine schreibende Frau gab es wohl nicht, man muss nicht lange zählen.

Wenn sich alle Literaturaffinen oder Bildungsbeflissenen aus der Boomer-Generation jeweils einen Thomas Mann von Playmobil als Deko für den Schreibtisch zu Weihnachten schenken, dürfte der wirtschaftliche Erfolg der Produktion gesichert sein. Wobei der Luther bei den Sonderfiguren sicher nicht einzuholen ist, der war oder ist ein besonderer Verkaufsschlager.

Ob nach Thomas Mann noch einmal jemand aus der neueren Literaturgeschichte dieser Richtung vorstellbar wird? Die Bachmann vielleicht, mit dem Zubehörteilchen Max Frisch, den sie an die Hand nimmt? Klackend kann man ihn an sie herandrücken? Sarah Kirsch mit Aquarellpinsel oder Mascha Kaléko mit gepacktem Koffer. Aber das sind dann eher Insider, ein Verkaufserfolg wäre äußerst zweifelhaft.

Den Grass könnte man sich dagegen leicht als Figur vorstellen, mit abnehmbarem Schnurrbart und rotweißer Blechtrommel.

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Mit der Herzdame spaziere ich am Sonntag durch die neuesten Ecken der Hafencity . Ab und zu dort das murmeln, was alle aus Hamburg mit einem gewissen Alter dort von sich geben: „Wir wissen noch, wie hier nichts war.“

Ein Neubau mit bemerkenswerter, modern verschachtelter Fassade in der Hübenerstraße, Hafencity

Einige Erinnerungsaspekte bekommen wir nicht mehr zusammen, es stehen Neubauten in den Bildern herum. Irgendwo dort haben wir einmal Lindy-Hop getanzt, aber die eine Kaimauer passt nicht ins Bild, wie ging das zu. Ist das alles verlagert worden, fließt das Wasser nun woanders, ist es ein Erinnerungs-Glitch.

Wenn man an den Elbbrücken aussteigt, wo die U-Bahnlinie noch knapp vor dem Wasser endet und irgendwann rübermachen wird, geht man durch fast menschenleere Neubaugebiete. Hier und da noch etwas Brachland und Baustellenschutt am Straßenrand, einige verloren wirkende Bagger. Wenn man durchs ganze Revier auf die historischen Landungsbrücken zugeht, wird es nach und nach immer voller um einen herum. Als würde man in einem Film alle paar Meter auf einer besonders langen Kamerafahrt mehr und mehr Komparsen aus den Nebenstraßen ins Bild strömen lassen, so sieht das aus.

Der Versmannkai mit Blick in Richtung Elbbrücken

Erreicht man dann die Stellen, an denen man die ersten guten Foto-Aussichten auf die Elbphilharmonie hat, wird es derart volksfesthaft voll um einen herum, dass man schon wieder bitterböse Essays über den Overtourism und die Disneyfizierung von Städten und Häfen schreiben möchte.

Man kann schließlich nicht mehr geradeausgehen. Man muss sich überall durchdrängeln und biegt endlich als Mensch, der tatsächlich Strecke machen möchte, entnervt ab. Schlägt sich quer und durch eher untouristische Abkürzungen in die gute, alte Innenstadt, in der man an Sonntagen ausreichend Platz für sich hat. „Geht doch“, möchte man da sagen, und mit diesem Satz, mit dem man in der Hafencity noch die anderen am liebsten aus dem Weg pöbeln wollte, nun zur Abwechslung die eigene Bewegungsform meinen.

„Geht doch!“

In den Bildern habe ich heute noch etwas Vorrat aus dem Sommer abgebaut. Es fällt kaum auf, es sind in der Hafencity längst nicht überall herbstliche Bäume oder Büsche im Bild.

Hongkongstraße, das Greenpeace-Gebäude

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Abends sehr schlecht gelaunt und in Anbetracht der anstehenden Termine verfrüht verärgert die neue Woche erwartet, die sich im Kalender besonders vollgepackt präsentiert, vielleicht sogar rekordverdächtig für dieses Jahr. Mich dann intensiv darüber geärgert, dass ich mich geärgert habe, dann über meine Entspannungsunfähigkeit geflucht, dann über alles. Wenn man es draufhat, hat man es drauf.

Nichts angezündet. Immer auch das Positive werten.

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Einer der kleinen Zufälle noch, einer der eher liebenswerten Art: Auf dem Weg ins Theater am Sonnabend, zu Macbeth in den Kammerspielen, hörte ich Tusk von Fleetwood Mac, weil ich die neulich gesehene Doku auf arte immer noch etwas verarbeite, wie auch eine Art stark verspäteten Crush auf Stevie Nicks.

Tusk hat diesen eingängigen Rhythmus, der da das ganze Stück durchgetrommelt wird, und im Theater gab es dann zwischendurch einen etwas spartanischen, harten Soundtrack – sehr ähnlich diesem Trommelrhythmus, wenn nicht genau gleich, jedenfalls eine schlüssige Fortsetzung. Ich fand wieder alles sehr fein verbunden.

Es ist aber auch ein gutes Stück, um in die Woche zu starten, glaube ich, ein gewisser Rhythmus für die nächsten Tage wird gebraucht. Das mal lauter und öfter hören.

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Marienkäfer, Macbeth

In der Regenrinne unter den Dachfenstern gehen suizidale Marienkäfer ins dort seit Tagen stehende Wasser, Hunderte von ihnen. Würde man sie retten wollen, es wäre ein stundenfüllendes Programm. Eine nicht zu bewältigende Aufgabe wäre das, man kommt auch gar nicht überall an, so lange Arme hat hier niemand. Nur anderes Wetter würde den Insekten noch zur Überwinterung im Trockenen verhelfen. Aber danach sieht es nicht aus, es kommt weiter ab und zu Wasser von oben nach.

Es wird also unübersehbar viel gestorben, noch ein Vorgriff auf den traditionell damit verbundenen November.

Passend dazu habe ich mir Macbeth in den Hamburger Kammerspielen angesehen, aus dem Drama kommt bekanntlich kaum eine Figur lebend raus. Damals in der Oberstufe haben wir den Text ein Schuljahr lang durchgekaut, Zeile für Zeile, Stunde um Stunde. „Like two spent swimmers, that do cling together“, manche Zeilen sind mir daher bis heute seltsam präsent. So viel Zeit haben wir damit zugebracht, mühsam herumgebracht.

Die Fassade der Hamburger Kammerspiele bei Dunkelheit

Es spricht für Shakespeare, dass mir das Stück trotz dieser Qualen guter Erinnerung blieb. Schier unkaputtbar durch Unterricht kamen und kommen mir Shakespeares Werke vor, vielleicht kann man als dichtender Mensch mehr nicht erreichen.

In den Kammerspielen nun eine Version von John von Düffel. Er hat aus dem Drama ein Zweipersonenstück gemacht, nur Macbeth und seine Gattin treten auf. Alles wurde drastisch reduziert auf den Kern. Die beiden spielen 90 Minuten ohne Pause durch und verfallen in erheblicher Geschwindigkeit der Macht, dem Wahnsinn und der Dynamik ihrer Beziehung. In eben der anschaulichen Entwicklung, die Shakespeare, das stellt man unweigerlich erneut fest, so unfassbar treffend und leider ewiggültig dargestellt hat.

Es wurden keine aktuellen Bezüge ins Stück eingebaut, obwohl man es als Kulturkonsument routiniert erwartet. Man denkt die Bezüge aber ohnehin unwillkürlich mit. Die Zeiten, unsere Zeiten, sind vielleicht auch wieder Macbeth-lastiger geworden in den letzten zehn, zwanzig Jahren, es kommt vermutlich nicht nur mir so vor. Das Drama wird ohne jede Hilfe wieder frischer. Und was für ein schlechtes Zeichen das ist, was für eine unerfreuliche Erkenntnis. „Wenn wir die Macht besitzen, machen wir die Wahrheit, und was wir sagen, wird Gesetz.“ Neofeudalismus ist ein Schlagwort unserer Zeit, es passt schon alles zusammen.

Beim Deutschlandfunk gibt es gerade ein empfehlenswertes Gespräch über sein neues Buch mit dem Soziologen Andreas Reckwitz: „Verlust ist die prägende Erfahrung unserer Zeit.“ Es sind viele anregende Passagen darin, gerne gehört. Wenn man den aktuellen und aus meiner Sicht krassen Verlust unserer Fortschrittsgläubigkeit betrachtet, erscheint es nicht so abwegig, bei einigen Aspekten wieder näher an Shakespeare zu sein. In dessen Zeit eine selbstverständliche Fortschrittserwartung noch nicht einmal erfunden war. Es gibt Verbindungslinien, scheint mir.

Ankreiden muss ich der Inszenierung, dass ich jetzt Interesse und Neigung hätte, bei Shakespeare nachzulesen, wie es im Original zuging, mit deutlich mehr als zwei Personen. Wer hat denn Zeit für so etwas.

Regie Sewan Latchinian. Auf der Bühne verausgaben sich Jacqueline Macaulay (Tochter eines schottischen Offiziers, wie passend geht das zu) und Hans-Werner Meyer bis zum bitteren Ende. Die beiden sind auch abseits der Bühne ein Ehepaar und haben in Streitfällen also berufsbedingt ganz andere Text- und Inszenierungsmöglichkeiten als unsereiner, das muss auch faszinierend sein.

Vorführungen bis zum 17. November, man kann das noch einplanen.

Der Fußweg an der Binnenalster, Ballindamm, mit Herbstlaub bedeckt

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Klischee-Herbst der goldigen Art

Gehört: Ein Zeitzeichen zu Chopin und auch ein Kalenderblatt. Die feinen Damen in Paris fühlten sich damals verpflichtet, heißt es da, in seinem Sterbezimmer in Ohnmacht zu fallen. So etwas lernt man doch gerne. Und sein Herz wurde dann in einem Cognac-Glas nach Polen verbracht, wo es sich bis heute befindet, auch interessant. Aber Zeitzeichen und Kalenderblätter eh meistens gute Unterhaltung.

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Man sollte oder könnte zumindest auf Spaziergängen gründlich zur Kenntnis nehmen, was einem begegnet und was man sieht. Bis hin zu den Aushängen an den Kirchen, an denen religionslose Menschen wie ich eher vorbeilaufen, was soll da schon stehen. Gottesdienste, Seniorennachmittage, Adventsveranstaltungen, dies, das, eher nicht so interessant.

Aber eben doch. Dem Konzertkalender von St. Jacobi in der Innenstadt entnehme ich etwa, was ich längst hätte wissen können, nämlich dass es dort an jedem Donnerstag, außer an Feiertagen, um 16:30 eine halbe Stunde Orgelmusik gibt, bei freiem Eintritt. Und Orgelmusik, gerade im Herbst und Winter, nehme ich gerne mit.

Eine Jacobs-Figur an einer Säule in St. Jacobi

César Franck wurde am letzten Donnerstag gespielt, er war mir nicht geläufig. Aber bei klassischer Musik ist bei mir eh alles Bildungsbrache, auch wenn ich gerne und viel Bach oder etwa Händel höre. Sonst habe ich nur vereinzelte, eher zufällige Kenntnisse und geläufig ist mir manchmal das, was vermutlich fast alle kennen. Ein wenig von dem oben erwähnten Chopin etwa, die Gassenhauer von Brahms und Beethoven und dergleichen, die Mozart-Tophits.

Aber das ist alles ohne jede Expertise, ohne Hintergrund und also ohne diesen besonderen Genuss, der sich vermutlich erst durch besonders kundiges Wahrnehmen und langes Studium ergibt, wenn man mit Klavier im Wohnzimmer, Hausmusik und dergleichen aufgewachsen ist und vielleicht auch selbst musizieren kann.

Egal, dennoch ab und zu Klassik hören. Dennoch manchmal etwas mutig gut finden, auch laienhaft.

Die Kirche war ordentlich besucht. Das wird dort eine erfolgreiche Reihe sein, nehme ich an, und vermutlich hat sie nun einen neuen Stammgast. Wenn ich mir die Termine denn erkämpfen kann, aber eine halbe Stunde Orgelmusik pro Woche klingt auch nicht wie ein maßlos übertriebenes Ansinnen.

Orgeln sind nicht jedermanns Sache, aber hier zur Illustration noch etwas von César Franck:


Nächste Woche Bach am Donnerstag, das gleich mal fester einplanen.

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Ansonsten Klischee-Herbst der ausgeprägt goldigen Art. Das gleiche Programm wie immer, es ist alles bekannt aus den Vorjahren, ohne jede Originalität in der Ästhetik oder Überraschung im Stil. Dennoch stehen wir staunend und verzückt vor dem, was uns saisonal geboten wird und möchten jeden Oktobersonnenuntergang einrahmen und am liebsten behalten. Es ist das gleiche Gefühl, das wir bei den ersten Kastanien haben, nach denen wir uns begeistert bücken und die wir auch so gerne festhalten wollen.

Wir schlichten Gemüter.

Ein Baum mit Herbstlaub an einer Uferpromenade in der Hafencity

Während es weiter noch wärmer wird und das gestern halb im Scherz erwähnte T-Shirt-Wetter nun von vielen in aller Deutlichkeit ausgelebt und vorgeführt wird, in der Fußgängerzone sehe ich Szenen wie im frühen September, schließen die Eisbuden, fällt das Laub, dunkelt es früher, novembert es im Hintergrund heran.

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Butternut mit Plätzchen

Die Kaltmamsell weist auf Fluter hin. Ich habe dieses Magazin vor einiger Zeit aus den Augen verloren, so etwas passiert in diesem Internet leider ab und zu. Es ist auch etwas unübersichtlich, so in der Gesamtheit, wie ich als studierter Bibliothekar gelegentlich missbilligend feststelle.

Wie aber auch mein Feedreader immer wieder einfach beschließt, einige Seiten lieber doch nicht mehr zu abonnieren. Ohne mir vorher Bescheid zu sagen. Ich merke das längst nicht in jedem Fall, denn es ist tendenziell schwer, Fehlendes zu bemerken.

Es ist eigentlich das Gegenteil von KI, was da in diesem Feedreader passiert. Es ist eher KD, Künstliche Dummheit. So etwas wie digitale Schusseligkeit, oops, weg ist das Abo. „Das macht doch nichts, das merkt doch keiner.Hans Scheibner hat das vor hundert Jahren so gesungen, manche erinnern sich vielleicht noch.

Und apropos KI, dieser Feedreader hat jetzt auch so ein vermeintlich durchblickendes Feature. Es versucht, die Texte der abonnierten Medien einzusortieren. Und fragt mich dabei dauernd etwas zu den Artikeln, etwa bei der Kaltmamsell schon fast stereotyp: „Is this article about weather?“

Ja, das Wetter wird bei ihr vielleicht in einem Satz erwähnt, aber this article is not about weather, you artificial idiot.

Ich beantworte diese Fragen nicht, in keinem Fall, warum sollte ich eine KI freiwillig und unbezahlt trainieren. Aber ich finde doch interessant – das Ding liegt in der Mehrheit der Fälle falsch. Gewürfelt wären manche Ergebnisse besser oder gleich.

Wie auch immer. Ich bin jedenfalls oft dankbar, wenn irgendwo wieder an Seiten, kleinere oder etwas entlegenere Medien, Blogs, Newsletter etc. erinnert wird und ich diese Quellen dann finden oder wiederfinden kann.

Verlinkungen sind nach wie vor eine feine Sache, das wollte ich nur eben sagen.

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In diesem Sinne: Kid37 über das Bahnfahren und mangelnde Sitzgelegenheiten im Bahnhof. Im Hamburger Hauptbahnhof, das wäre Zeitreisenden vermutlich schwer zu erklären, hat man sich gefälligst nicht hinzusetzen, möglichst nirgendwo. Und falls man als durchreisender Mensch ermattet auf einer Treppe niedersinkt, um auf den Stufen endlich etwas zu verweilen, was recht vielen Menschen dort passiert, dann kommt der Sicherheitsdienst und belehrt ebenso stramm wie verweisend.

Die Halle des Hamburger Hauptbahnhofs am Abend

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Am Donnerstagnachmittag fällt T-Shirt-Wetter noch einmal über Norddeutschland her, neunzehn Grad gibt es auf einmal, zumindest hier in der Innenstadt.

Vorderansicht des Hulbe-Hauses in der Hamburger Innenstadt

(Im Bild das Hulbe-Haus)

Man möchte alles von sich werfen und irgendwo in den Resten der verbliebenen Außengastro Aperol in der Pumpkin-Spice-Variante zu sich nehmen. Falls es das überhaupt gibt. Wenn es das nicht gibt, ist es vielleicht eine Marktlücke. Eine besonders einladende Marktlücke sogar, Kürbis und Aperol passen immerhin schon farblich vorzüglich zusammen. Da mal ein Konzept schreiben.

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In Hamburg öffnet der erste Weihnachtsmarkt bereits in zwei Wochen. Gleich nachdem ich die entsprechende Nachricht in den lokalen Medien eher unwillig zur Kenntnis genommen habe, sehe ich in zwei Foodblogs auch prompt die ersten Plätzchenrezepte.

That escalated quickly, dabei bin ich noch nicht einmal über den Einstieg in die Kürbissaison hinweggekommen. Der Rest vom Butternut liegt hier noch im Kühlschrank und will dringend versuppt werden.

Mit Süßkartoffel, Ingwer und Kokosmilch, denke ich.

Herbstlaub in der Hamburger Innenstadt (Gertrudenkirchhof)

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Müde Hunde und versenkte Fahrräder

Gehört: Ein Zeitzeichen über Oscar Wilde.

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In Hammerbrook gibt es Kunst an der S-Bahn. Urban Art an den Säulen bei der Station, ich sehe das Projekt auf dem Weg ins Büro (hier ein erhellender Artikel darüber, hier noch einer). Ich habe die neu gestalteten Säulen schon in der letzten Woche gesehen, aber sicherheitshalber erst einmal nicht fotografiert. Um ausschließen zu können, dass es am Ende nur Werbung für eine neue Limo, ein chinesisches Auto oder ein weiteres Smartphone ist. Denn dann hätte es mir nicht gefallen, was da zu sehen ist. Wie bunt auch immer es ausfällt, dann hätte es mir kaum gefallen dürfen.

Eine bunt mit dem Wort Dreams bemalte Säule unter der S-Bahn in Hammerbrook

Jetzt aber, wo ich weiß, dass es keine Werbung ist, könnte es mir immerhin gefallen. Jetzt lasse ich das vorsichtig zu und könnte darüber nachdenken, quasi die Eröffnung einer Möglichkeit. Was vermutlich nebenbei interessant für das Kunstverständnis an sich ist. Aber Urban Art muss bei mir ohnehin erst eine Weile einwirken. Ich finde diese Arbeiten selten spontan schön oder gut, oft auf den ersten Blick eher störend. Manchmal nach Wochen des Vorbeigehens dann doch okay oder im besten Fall sympathisch. Wenn sie erst dazugehören und Teil der Stadt, der Spaziergangsroutinen und Alltagsausblicke geworden sind. Heimataspekte und Zuhausezubehör im Reviersinne.

Dass einem die so farbigen DREAMS aber von einem müden Hund auf der ersten Morgenrunde achtlos angepinkelt werden, nun, es ist eben Hammerbrook. Es passt schon. Es passt sogar sehr gut.

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Ein weiterer besonders wilder Tag ist der Mittwoch ansonsten und selbst der Abendspaziergang wird noch mit Terminen, Aufgaben, Absprachen und ehelichen Debriefings verbunden. Es geht zu weit und soll sich so nicht fortsetzen, wenn es nach mir geht. Wonach allerdings wenig zu gehen scheint, wie ich mittlerweile einsehen muss.

An der Alster, nein, in der Alster eher, ich sehe es im allzu zügigen und zielorientierten Vorbeimarsch, liegt eine Installation, die schon darauf hinweist, dass wir in der zweiten Hälfte des Oktobers sind. Noch einmal durchdachte und sorgfältig ausgeführte Urban Art, die zeitig mahnt, dass wir alle haltlos in den November fallen werden, und wie bald schon.

Ein Fahrrad liegt am Ufer in der Alster

Die uns also verdeutlicht, dass Texte von Tom Waits und anderen Experten für Düsternis und Depressives bald in den nur gedachten Untertiteln mitlaufen dürfen, während wir uns die spätherbstliche Stadt beim abendlichen Gang ansehen.

Denn nicht nur in Berlin wird es dunkel und kalt, wie es der Herr Regener mit seiner Truppe so ansprechend und einprägsam besungen hat.

Ich habe gute Erinnerungen an dieses Lied, besonders gute, denn anlässlich der ersten Verse habe ich vor Jahren mit einem Sohn ein langes und für unsere bescheidenen Verhältnisse tiefsinniges Gespräch über Liedtexte und Lyrik überhaupt geführt. Was da alles geht, wie genau und mit welchem Zweck, ob sich diese Frage überhaupt stellt und warum nicht.

Weil der Anfang damals so einladend war, schon beim ersten Hören, diese einleitenden drei Zeilen:

Ich wäre gerne ein Gummibär
Da gibts die gelben und die roten
Das sind alles Vollidioten.

Ein Texteinstieg, mit dem man etwas anfangen kann, auch als Kind. Ist das Ernst, ist das Unsinn, was soll das, was macht das.

Aber ich schweife unkontrolliert ab, pardon.

Die Inszenierung in der Alster gemahnt selbstverständlich mit einiger Dringlichkeit nicht an Element of Crime, sondern an diese Textzeilen des anderen Großmeisters:

Somebody must have an orphanage for

All these things that nobody wants evermore.

Passend und very deep, dass ich ausgerechnet an diesem Tag nicht allein, sondern mit der Herzdame dort entlanggehe, das kommt bei uns sonst kaum vor. Aber es gilt eben:

Summer is gone, our love will remain

Like old broken bicycles out in the rain.

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Am frühen Abend im Park

Vom Alltag etwas erschlagen, wie am Montag schon abzusehen war. Ich habe keine Zeit für Texte, im Grunde habe ich keine Zeit für gar nichts. Alles nur getrieben gemacht, nicht oder kaum gewollt.

Dennoch schreiben.

Dieses Essen immerhin am Nachmittag nachgebaut, das auch bei der Kaltmamsell lobend erwähnt wurde, hier. Die Söhne damit erwartbar in die Flucht geschlagen und ersatzweise mit beliebiger Tiefkühlkost abgespeist, aber der Herzdame und mir hat es doch geschmeckt. Der erste Kürbis der Saison ist immer gut, danach wird er für mich schnell schwierig. Eine Weile doch dranbleiben, die übliche Suppe demnächst noch mitnehmen und was sich eben gehört. Im Dezember kann ich Kürbis dann schon nicht mehr sehen.

Lange haben wir hier keinen Mangold mehr gegessen, was auch daran lag, dass wir ihn in den letzten Jahren im Garten stets im Beet stehenließen, statt ihn zu ernten und zu verarbeiten. Stehengebliebener Mangold sieht bis spät ins Jahr gut im Beet aus, ein dermaßen attraktives, buntes Gemüse. Aber gut, er ist auch schmackhaft, ich sehe es ein. Überhaupt wieder saisonaler essen, kann man sich auch noch einmal vornehmen. Wenn man noch nicht genug To-Dos hat.

Herbstlich verfärbte Pflanzen am Wasser in Planten un Blomen

Immerhin den einen Spaziergang noch absolviert, ohne den ein Tag gerade nicht komplett für mich wäre. Aber auch den eiliger als sonst.

Der Park Planten un Blomen ist nun besonders attraktiv, die Herbstverzierungen in den Anlagen werden jeden Tag besser und aufwendiger, auch die Spätblüher unter den Bäumen geben sich sichtlich alle Mühe. Man müsste mehr Zeit haben dafür, viel mehr Zeit. Es gibt Menschen, sehe ich im Vorbeigehen, die diese Zeit im Ernst haben und da nur sitzen und gucken. Ganz für sich, auf diesen weißen Holzsesseln, die überall einladend bereitstehen.

Zwei leere Holzsessel in Planten un Blomen vor einem Strauch mit dunkelgoldenen Blättern

In dem Blickfeld dieser Menschen passiert nicht viel. Ab und zu fällt ein verfärbtes Blatt, manchmal bewegt sich ein Zweig im Wind, landet eine Krähe am Wasser und besieht sich mit schräggelegtem Kopf ihr Spiegelbild. Gelegentlich latscht ein Blässhuhn täppisch durchs Bild, und allgemein wird es zügig dunkel über der Stadt hinter dem Park. Aber diese Menschen dort machen vermutlich etwas richtig.

Einer macht sich eine Dose Bier auf, sehe ich, und prostet mit lässiger Geste vor dem ersten Schluck dem Park in der Dämmerung zu. Vielleicht auch der Natur an sich oder dem Herbst, der Stimmung zwischen den Büschen oder einer Erinnerung, die ihn mit dem Platz dort verbindet, es ist vieles möglich. Er trägt eine Art Holzfällerhemd, er trägt Stiefel, er hat einen üppigen Bart. Es sieht alles etwas klischeemäßig aus. Aber das gilt für uns alle, da können wir anziehen, was immer wir wollen. Es ist alles längst katalogisiert, auch ich bin in meinem Tweedsakko und dem Oberstudienratlook nur ein weiteres Standardbild.

Wie der Mann da zurückgelehnt vor dem immer wertvoller aussehenden Laub sitzt. Mit dieser Dose Billigbier in der Hand und einer durch und durch entspannt wirkenden Körperhaltung. So sehen Typen aus, die bei Musikstreamingdiensten auf dem Coverbild von Playlists oder Alben zu sehen sind, die Titel haben wie „October Chill“ und dergleichen. Nur das Hochhaus im Hintergrund ist dann nicht das Hamburger CCH, versteht sich, sondern eine Entsprechung in Chicago, in New York oder in einer anderen Großstadt in den USA.

Wie es in einem Youtube-Kommentar unter dem Lied heißt: „Das deutscher Happy-Grunge.“

Es steht keine akustische Gitarre neben diesem Mann im Park. Aber gepasst hätte sie schon. Und ob er da nicht in Gedanken doch einen Song geschrieben hat, was weiß man schon. Oder ein Arrangement für seine Neil-Young-Cover-Band, mit der er am Wochenende in einem Kulturverein in Mölln oder Geesthacht auftreten wird, vor freundlichem Boomer-Publikum, irgendetwas in der Art. Keep on rockin‘ in the free world, man kennt das, man erwartet das.

Na, man rät nur so vor sich hin. Am frühen Abend in der Oktoberdämmerung im Park.

Der Fernsehturm hinter dem trockengelegten Teich, an dem im Sommer die Wasserlichtspiele inszeniert werden

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Strahlensätze am Montag

Ich habe nicht den geringsten Bezug zum Thema Wintersport, nicht einmal zu Winterreisen oder auch nur zu freiwilliger Bewegung in Schnee und Eis, das ist alles nicht meine Welt. Ich finde das Thema Tourismusentwicklung aber weiter spannend und verlinke daher Updates auch in dieser Richtung. Etwa hier wieder im Guardian, über die stark zunehmenden Probleme vieler Wintersportorte ohne verlässlichen Schnee. Das Sauerland kommt vor, guck an, das werden einige kennen.

Einige harte Sätze kann man dort lesen. „A recent study estimated that of the 21 locations that hosted past Winter Olympics, only one could manage it by the end of the century (Sapporo).”

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Bei Frau Herzbruch geht es um Sanierungen und Preise.  Es geht auch um das Bauaufsichtsamt ihrer Stadt sowie um neuen Wohnraum und ich denke, man kann den Text, wenn es beliebt und wenn man eh schon ein wenig skeptisch ist, in die anschwellende Loseblattsammlung „Zeichen des Niedergangs“ einfügen.

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Ein Sohn braucht Hilfe in Mathe, es geht um Strahlensätze. Wieder ein Thema, bei dem ich einen Eid darauf ablegen könnte, es nie gehabt zu haben, nicht einmal das Wort je gehört zu haben. Es klingelt auch nichts in mir, als ich mir die Grafiken und Erklärungen dazu ansehe. Eine Leerstelle, vollkommen unbekanntes Gebiet. Falls ich es doch gehabt haben sollte, bin ich von meiner umfassenden Verdrängungsleistung einigermaßen beeindruckt.

Der Sohn lernt mithilfe einer App. Ich denke wieder, was ich in den letzten Jahren oft gedacht habe – hätte ich so lernen können, ich hätte damals andere, bessere Zensuren gehabt. Weil man das Lernen mit einer App komplett auf die eigene Geschwindigkeit optimieren kann, weil man sich Lösungswege auf verschiedene Arten erläutern lassen kann. Ich glaube, das wäre es gewesen.

Es klingt vielleicht wie eine Kleinigkeit, aber es ist doch eine wichtige Entwicklung, dass die Schülerinnen und Schüler heute bei allem davon ausgehen können, dass sie, wenn sie nur genug Zeit haben, online eine Erklärung finden werden, die sie verstehen. Manchmal muss man etwas länger suchen, aber letztlich wird es einem jemand nahebringen können. Auf Youtube, in einer App oder wer weiß wo, und wenn man sich einen Clip zehnmal ansehen muss. Irgendwann klickt es.

Wir haben damals in der einen Stunde vielleicht nicht ganz verstanden, was der Lehrer gesagt hat, und die eine Grafik im Buch war womöglich eher nichtssagend für uns – und das war es dann.

Eine Entwicklung, die man ab und zu wieder würdigen kann, Wissen ist so viel verfügbarer geworden.

Aufgemalte Rumba-Grundschritte auf einem Fußweg in der Hafencity

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Der Montag ansonsten wieder ungeheuer schwergängig. Es ist hier zu Beginn der Woche stets ein enormer Kraftakt, den Alltag wieder aufzurichten, alle Routinen zu installieren, die Kulissen zurechtzuschieben, die Requisiten auszuteilen.

Ich bin der einzige Frühaufsteher in diesem Club, ich mühe mich mit sehr müden Menschen verschiedener Altersstufen ab. „Stehe auf und wandle“, aber als dramatische Inszenierung über mehrere Akte. Wenn endlich alle in ihre Rollen gefunden haben, könnte ich auch wieder ins Bett gehen. Es fühlt sich überzeugend so an, als hätte ich die erste Schicht schon hinter mir.

Aber es ist dann noch etwas Werktag übrig. Auch so ein Problem.

Menschen machen Frrühsport, Gymnastik, auf einem Steg an der Außenalster

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Fremdartiges Gefieder

Eine Ergänzung zu den gestern erwähnten Cosplayern in der Stadt ist noch nachzureichen.

Eine Konstellation, die mir im Bahnhof auffiel, war eine wiederholte Dreifachkombination. Nämlich weiblicher Teenager im betont fantastischem Outfit, drei Schritte dahinter die begleitenden Eltern in dem, was Eltern eben tragen. Und was dann neben dem Kostüm etwa einer Mangaprinzessin deutlich abfällt. Aus Sicht der Tochter vielleicht auch schmerzlich abfällt, und also etwas grauer als ohnehin wirkt, etwas banaler, durchschnittlicher oder vielleicht auch provinzieller. Je nachdem, wo die Familie herkommt.

Die Mangaprinzessin ist in einer fremden, gruselig großen Stadt und sie will zu einer riesigen Veranstaltung an unbekanntem Ort. Da geht man als Elternpaar eben mit und eskortiert routinemäßig. Mit einem vielleicht ein wenig auffällig duldsamen Gesichtsausdruck, den man als Beobachter zu erkennen meint, wenn man selbst Kinder hat.

Das ist alles nichts, was man nicht nachvollziehen könnte. Andere eskortieren ihre Töchter und Söhne zum Fußball, zum Ballett oder zum ersten Konzert in einem Stadion. Irgendwas ist es immer, es ist normal.

Aber wie sehr der Nachwuchs in diesen aktuellen Fällen, die ich da im Bahnhof vor mir sehe, nach einem absurden Kuckuckskind aussieht, das irgendwie ins Nest geschmuggelt worden sein muss. Wie fremd und unpassend das erscheint, was die beiden da großgezogen haben, und wie überaus unwahrscheinlich es wirkt, dass sie dergleichen jahrelang unter ihren Fittichen hatten, um im biologischen Bild zu bleiben.

Es wird durch die drastische Überzeichnung der Fantasy-Kostüme so deutlich, was doch bei allen Familien vorkommen kann, welche ungeahnten Wege nämlich die nächste Generation nehmen kann. Ich nehme an, wir sind auch darin einzigartig unter den Tieren, dass unsere Kinder sich aus purer Lust und willkürlicher Entscheidung für ein fremdartiges Gefieder entscheiden können. Für ein frisch ausgedacht wirkendes Balzverhalten auch, sowie für etliche andere Verhaltensweisen, die im Nest der Eltern gar nicht vorkamen. Die neu in der Welt sind, wo auch immer sie auf einmal herkamen.

Während die Küken der Amsel auch in diesem Jahr das im Stammbaum sattsam bekannte Schwarz der Federn bevorzugen, wieder die gleiche Art Würmer essen, wieder das Nest genau wie immer bauen, in gleicher Bauweise, auf gleicher Höhe, mit der gleichen Polsterung. Eine Endlosschleife, ein überaus sinniger Loop mit Jahrhundertbewährung und daher aufwendiger Qualitätskontrolle.

Nur wir brauchen für jede Generation brandneuen Code und schreiben ihn auch noch hektisch weiter, während alles schon live ist. Kaum haben wir Zeit, die zahlreichen Fehlermeldungen zu registrieren, geschweige denn zu verarbeiten. Es klingt ein wenig anstrengend und herausfordernd, klingt es nicht?

Und so fühlt es sich dann auch an.

Der Vater einer dieser Mangaprinzessinnen deutet auf die vielen Schilder zu den diversen U-Bahnen und weist nach etwas Überlegung mit dem Daumen nach links. Die Mutter schüttelt den Kopf und weist energisch zeigefingernd nach rechts. Die Tochter sieht sie beide an, rollt die drastisch geschminkten Augen und prüft dann erst einmal auf dem Smartphone, was richtig ist.

Es gibt auch einige verlässliche Programme, das immerhin.

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Ansonsten war es ein verregneter Sonntag wie lange nicht, es begann die Saison der Hamburger Passagenspaziergänge. Ich komme auf meinen Wegen halbwegs trocken durch die Stadt, durch den Hauptbahnhof, durch die anderen großen Stationen und die Einkaufspaläste.

Eine leere Bank im leeren Levantehaus, auf einer Treppe sitzt ein etwas verloren wirkender Mensch

Es ist an solchen Tagen nur deutlich schwerer, mir zusagende Fotomotive zu finden. Aber es ist auch nicht vollkommen unmöglich.

Ein gelbes Birkenblatt klebt an einer nassgeregneten Fensterscheibe

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Aromatisiertes Oktoberregenwasser

Vorweg bin ich hoch erfreut über die freundliche Zusendung eines Fedoras. Ich brauchte eine Fortsetzung des sommerlichen Strohhuts, der im Herbst doch etwas seltsam wirken würde. Das Exemplar passt tadellos, herzlichen Dank!

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Gehört: Eine Folge von „Das Wissen“ beim SWR: „Tagebücher – Warum wir sie schreiben und wie die Forschung sie nutzt.“ Das hat Querbezüge zu Blogs, wenn man sie wahrnehmen möchte. Eine tagebuchähnliche Veranstaltung ist ein Blog immerhin in vielen Fällen, wenn auch nicht in allen. Aber der Anfang der Bloggerei, die Älteren erinnern sich, war damals schon so gemeint.

Falls das Thema Tagebuch für Sie von Interesse ist, lesenswert dazu ist auch Olaf Georg Klein mit seinem Titel: Tagebuchschreiben, besonders einladend geschrieben und das Thema aus etlichen Richtungen betrachtend. Und dann natürlich das kulturgeschichtliche Standardwerk von Gustav René Hocke: Europäische Tagebücher, ein formidabler Wälzer für besonders lange Winterabende.

Und falls jemand Tagebücher direkt konsumieren möchte, ohne literaturgeschichtliche Umwege, ich empfehle die von Brigitte Reimann und Peter Rühmkorf.

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Im tagebuchartigen Kontext, wo ich schon dabei bin, ist festzuhalten: Bei 3 Grad um 5 Uhr bietet der Sonnabend den ersten gültigen Winterjackenmorgen. Hat man dieses Gefühl auch einmal wieder gehabt. Ich spüre beim Gehen in der Kälte das seltsame Verlangen, eine Cordhose besitzen zu wollen. Das ist ein Gefühl, dass ich vielleicht noch nie vorher gehabt habe, ich kann mich zumindest nicht daran erinnern. So ändert sich die Persönlichkeit schleichend immer weiter in Ausprägung und Habitus. Man kann sich darauf kaum vorher einstellen, man kann es nur so zur Kenntnis nehmen, wenn es eintritt. Ich fühle hin, nicke und merke den Erwerb vor, warum sollte ich mich dagegen wehren.

Demnächst mal nach so etwas sehen. In den letzten Kaufhäusern der Stadt, solange es sie noch gibt.

Beim späteren Brötchenholen trägt die Kundin vor mir einen märchenhaft anmutenden nachtblauen Überwurf mit hermelinartigem Pelzbesatz, Krönungsmantel nichts dagegen. Ich muss über die Absurdität von Cordhosen nicht nachdenken, wenn andere in solche Dimensionen vorstoßen, nehme ich an. Sie trägt außerdem Hörner auf dem Kopf, goldene Hörner, um genau zu sein. Sie ist beim näheren Hinsehen schon etwas Besonderes, bestellt aber auch nur das normale Zeug, wie wir alle, Schrippen und Laugenbrötchen. Es ist fast ein wenig enttäuschend.

In den Messehallen gibt es wieder die Polaris Convention, die Stadt ist also voller bizarrer Cosplayer. Ich mag, dass man hier nicht einmal in krass abgedrehten Outfits auffällt, dass man nicht einmal dann zwingend zum Hingucker wird, nach dem sich alle umdrehen, selbst wenn genau das beabsichtigt ist.

Man kann die Toleranz in der großen Stadt immer auch als Desinteresse deuten, aber man muss es nicht. Solche Szenen wie die beim Bäcker am Morgen sind Vexierbilder, seltsam changierend zwischen Ignoranz und Liberalität.

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Verblühte Rudbeckien

Noch später sind wir in den Garten gefahren und haben dort das Wasser abgestellt. Was stets ein mühsames Unterfangen ist; wir müssen dafür erst einen der noch gelenkigen Söhne überreden, in einen engen, dunklen, teils gefluteten Schacht voller Schnecken und Spinnen hinabzusteigen und dort ganz unten dann, im Wasser stehend, am Hahn zu drehen.

Wir haben außerdem die ersten Sachen aus der Laube geräumt und nach Hause gefahren. Es muss nun einiges aus der Kälte, in so einem Bretterhaus kann es bald frieren, winter is coming.

Eine Trauerweide am Bille-Ufer, die Zweige, noch mit grünem Laub, wehen im Wind

An den Ranken hinter der Laube hängen noch letzte Herbsthimbeeren, schmecken aber längst nicht mehr. Schmecken nur noch nach kaltem Oktoberregenwasser in Fruchtverdichtung, schwach aromatisiert und kaum gesüßt.

Die Fliegenpilze aber stehen so malerisch wie im letzten Jahr auf dem Rasen, und wieder kniee ich wie anbetend davor, um das Bild fürs Blog zu machen. Und dass der letzte Sturm uns einen jungen Baum gnadenlos umgeweht hat, der nun auf halbmast über den Rasen ragt, wir nehmen es nach dieser ausgesprochen schlechten Saison voller Verluste und Desaster eher gelassen zur Kenntnis.

Es kommen auch wieder bessere Jahre. Zumindest geht man zunächst davon aus. Als Gärtnerin oder Gärtner wird man anders geduldig.

Ein Fliegenpilz im Rasen, umgeben von Herbstlaub

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Wimmeln, Tummeln, Wuseln

Gehört: Den Stevenson (Die tollen Männer) habe ich mit Genuss und sogar mit passendem Wetter durchgehört. Immer ein besonderes Wohlgefühl, wenn der Wind im Buch zum Wind über der Stadt passt.

Nun aber Kontrastprogramm, ganz andere Zeiten, Länder, Perspektiven und Themen. Nur die Bezüge zur Bibel ziehen sich durch, eine Kulturkonstante. Ich höre Helga Schubert mit: Der heutige Tag – Ein Stundenbuch der Liebe. Gelesen von Ruth Reinecke.

Ein Buch über das hohe Alter und über das Pflegen. Es geht um die Liebe, um das Weitermachen und Durchhalten, es geht also um das Leben, wobei der nahende Tod den Blickwinkel des Buches bestimmt. Vielleicht hätte ich mit dem Hören noch kurz warten sollen, bis zum Eintritt des thematisch passenderen Novembers. Aber das Buch war gerade verfügbar und das andere Hörbuch, das ich schon angefangen hatte, das gefiel mir nicht recht.

Dieses andere Buch hätte wiederum gut in den Kontext Klaus Mann und Anatol Regnier gepasst. Hervorragend hätte es gepasst, denn es waren Gedichte des geschichtlich so unerträglichen und literarisch so herausragenden Gottfried Benn, gelesen von ihm selbst.

Aber ich kam beim Hören wieder zu einem seltsamen Urteil. Denn ich finde, was ich früher bereits bei Kostproben dieser Art gedacht habe: Er liest seine Gedichte leider nicht sehr gut. Das haben andere wesentlich besser gemacht, und es ist am Ende wie mit den Songs von Bob Dylan, die erst gut und liebenswert werden, die erst zur Genießbarkeit heranreifen, wenn andere sie für ihn singen.

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Gesehen: Weiter die Serie zu Leonard Cohen und Marianne Ihlen, die sich im Gegensatz zum Buch von Helga Schubert mit der jungen Liebe befasst.

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Ich hab’s wollen wissen und bin auf’n Kirchturm aufeg’stiegen, um einen Liedtext von Ludwig Hirsch etwas für mich anzupassen. Und auf einmal, da war da unten alles so
lächerlich klein, und ich war plötzlich der höchste Punkt der Welt.

Am Freitag bin ich nach durchlittenem Home-Office zur Petri-Kirche gegangen, weil ich neulich hier erwähnt habe, dass ich schon lange nicht mehr auf dem Turm war. Da ich neuerdings dazu neige, so etwas sofort zu regeln und auf nichts mehr zu warten – es ist eine Haltung, die mir so um meinen Geburtstag im August herum auf einmal richtig vorkam, vielleicht ist sie altersadäquat – sah ich mich nur kurz in der Kirche um, wollte auch die überraschend zahlreichen Betenden dort nicht stören, zahlte vielmehr zielstrebig gleich 5 Euro im Kassenbereich unter dem Turm.

Man muss seinen Namen dort auf einem Besuchszettel notieren. Rechts daneben noch eine Spalte, in der man später abhaken soll, dass man auch wieder runtergekommen ist. Nach denen, die diesen Haken beim Rausgehen vergessen, muss dann am Abend oben jemand suchen, nehme ich an.

Ein leerer Stuhl vor einem kleinen, runden Aussichtsfenster im Turm von St. Petri

Ich war, und wer rechnet denn mit so etwas, der einzige Mensch im Turm. Alle Aussichtsplätze waren nur für mich da. Eine erstaunliche Ruhe über dem Stadtgewimmel, jedenfalls wenn die Glocken nicht gerade läuten.

Eine der Glocken im Turm von St. Petri

Schön war das. Der leere Raum dort oben, die nicht besetzten Stühle vor den kleinen Fenstern. Sonnenlicht auf staubigem Holzboden, das Geräusch der eigenen Schritte auf Brettern und Metallstufen. Dazu ein bekannter Geruch, da unterscheiden sich Kirchtürme nicht von anderen Dachböden.

Auf den Holzbalken sah ich in einer Ecke ein kleines gezeichnetes Herz, darin die Namen Hans und Helga. Es ist eine Weile her, dass diese Namen einmal modern waren, die oben erwähnte Frau Schubert könnte es bestätigen. Und neben einem der Aussichtsfenster mit einigermaßen spektakulärer Aussicht die lapidare Anmerkung mit Edding: „Aber Berlin ist besser.“ Ohne Konkurrenzdenken kommt der Mensch einfach nicht aus.

Blick vom Turm St. Petri in Richtung Rathaus

Blick vom Turm der St. Petri-Kirche in Richtung Alster

Als andere Gäste plaudernd und lärmend die Treppe hochkamen, ging ich wieder runter. Zurück ins Gewimmel, selbst weiter zu wimmeln. Wimmeln, von mittelhochdeutsch wimelen: Sich lebhaft durcheinander bewegen. Bedeutungsverwandte Verben sind Tummeln und Wuseln.

Was man hier unten so macht, nicht wahr. Oder, wie der Herr Hirsch so treffend gesungen hat: Sich umsonst echauffieren.

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