Aromatisiertes Oktoberregenwasser

Vorweg bin ich hoch erfreut über die freundliche Zusendung eines Fedoras. Ich brauchte eine Fortsetzung des sommerlichen Strohhuts, der im Herbst doch etwas seltsam wirken würde. Das Exemplar passt tadellos, herzlichen Dank!

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Gehört: Eine Folge von „Das Wissen“ beim SWR: „Tagebücher – Warum wir sie schreiben und wie die Forschung sie nutzt.“ Das hat Querbezüge zu Blogs, wenn man sie wahrnehmen möchte. Eine tagebuchähnliche Veranstaltung ist ein Blog immerhin in vielen Fällen, wenn auch nicht in allen. Aber der Anfang der Bloggerei, die Älteren erinnern sich, war damals schon so gemeint.

Falls das Thema Tagebuch für Sie von Interesse ist, lesenswert dazu ist auch Olaf Georg Klein mit seinem Titel: Tagebuchschreiben, besonders einladend geschrieben und das Thema aus etlichen Richtungen betrachtend. Und dann natürlich das kulturgeschichtliche Standardwerk von Gustav René Hocke: Europäische Tagebücher, ein formidabler Wälzer für besonders lange Winterabende.

Und falls jemand Tagebücher direkt konsumieren möchte, ohne literaturgeschichtliche Umwege, ich empfehle die von Brigitte Reimann und Peter Rühmkorf.

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Im tagebuchartigen Kontext, wo ich schon dabei bin, ist festzuhalten: Bei 3 Grad um 5 Uhr bietet der Sonnabend den ersten gültigen Winterjackenmorgen. Hat man dieses Gefühl auch einmal wieder gehabt. Ich spüre beim Gehen in der Kälte das seltsame Verlangen, eine Cordhose besitzen zu wollen. Das ist ein Gefühl, dass ich vielleicht noch nie vorher gehabt habe, ich kann mich zumindest nicht daran erinnern. So ändert sich die Persönlichkeit schleichend immer weiter in Ausprägung und Habitus. Man kann sich darauf kaum vorher einstellen, man kann es nur so zur Kenntnis nehmen, wenn es eintritt. Ich fühle hin, nicke und merke den Erwerb vor, warum sollte ich mich dagegen wehren.

Demnächst mal nach so etwas sehen. In den letzten Kaufhäusern der Stadt, solange es sie noch gibt.

Beim späteren Brötchenholen trägt die Kundin vor mir einen märchenhaft anmutenden nachtblauen Überwurf mit hermelinartigem Pelzbesatz, Krönungsmantel nichts dagegen. Ich muss über die Absurdität von Cordhosen nicht nachdenken, wenn andere in solche Dimensionen vorstoßen, nehme ich an. Sie trägt außerdem Hörner auf dem Kopf, goldene Hörner, um genau zu sein. Sie ist beim näheren Hinsehen schon etwas Besonderes, bestellt aber auch nur das normale Zeug, wie wir alle, Schrippen und Laugenbrötchen. Es ist fast ein wenig enttäuschend.

In den Messehallen gibt es wieder die Polaris Convention, die Stadt ist also voller bizarrer Cosplayer. Ich mag, dass man hier nicht einmal in krass abgedrehten Outfits auffällt, dass man nicht einmal dann zwingend zum Hingucker wird, nach dem sich alle umdrehen, selbst wenn genau das beabsichtigt ist.

Man kann die Toleranz in der großen Stadt immer auch als Desinteresse deuten, aber man muss es nicht. Solche Szenen wie die beim Bäcker am Morgen sind Vexierbilder, seltsam changierend zwischen Ignoranz und Liberalität.

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Verblühte Rudbeckien

Noch später sind wir in den Garten gefahren und haben dort das Wasser abgestellt. Was stets ein mühsames Unterfangen ist; wir müssen dafür erst einen der noch gelenkigen Söhne überreden, in einen engen, dunklen, teils gefluteten Schacht voller Schnecken und Spinnen hinabzusteigen und dort ganz unten dann, im Wasser stehend, am Hahn zu drehen.

Wir haben außerdem die ersten Sachen aus der Laube geräumt und nach Hause gefahren. Es muss nun einiges aus der Kälte, in so einem Bretterhaus kann es bald frieren, winter is coming.

Eine Trauerweide am Bille-Ufer, die Zweige, noch mit grünem Laub, wehen im Wind

An den Ranken hinter der Laube hängen noch letzte Herbsthimbeeren, schmecken aber längst nicht mehr. Schmecken nur noch nach kaltem Oktoberregenwasser in Fruchtverdichtung, schwach aromatisiert und kaum gesüßt.

Die Fliegenpilze aber stehen so malerisch wie im letzten Jahr auf dem Rasen, und wieder kniee ich wie anbetend davor, um das Bild fürs Blog zu machen. Und dass der letzte Sturm uns einen jungen Baum gnadenlos umgeweht hat, der nun auf halbmast über den Rasen ragt, wir nehmen es nach dieser ausgesprochen schlechten Saison voller Verluste und Desaster eher gelassen zur Kenntnis.

Es kommen auch wieder bessere Jahre. Zumindest geht man zunächst davon aus. Als Gärtnerin oder Gärtner wird man anders geduldig.

Ein Fliegenpilz im Rasen, umgeben von Herbstlaub

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Wimmeln, Tummeln, Wuseln

Gehört: Den Stevenson (Die tollen Männer) habe ich mit Genuss und sogar mit passendem Wetter durchgehört. Immer ein besonderes Wohlgefühl, wenn der Wind im Buch zum Wind über der Stadt passt.

Nun aber Kontrastprogramm, ganz andere Zeiten, Länder, Perspektiven und Themen. Nur die Bezüge zur Bibel ziehen sich durch, eine Kulturkonstante. Ich höre Helga Schubert mit: Der heutige Tag – Ein Stundenbuch der Liebe. Gelesen von Ruth Reinecke.

Ein Buch über das hohe Alter und über das Pflegen. Es geht um die Liebe, um das Weitermachen und Durchhalten, es geht also um das Leben, wobei der nahende Tod den Blickwinkel des Buches bestimmt. Vielleicht hätte ich mit dem Hören noch kurz warten sollen, bis zum Eintritt des thematisch passenderen Novembers. Aber das Buch war gerade verfügbar und das andere Hörbuch, das ich schon angefangen hatte, das gefiel mir nicht recht.

Dieses andere Buch hätte wiederum gut in den Kontext Klaus Mann und Anatol Regnier gepasst. Hervorragend hätte es gepasst, denn es waren Gedichte des geschichtlich so unerträglichen und literarisch so herausragenden Gottfried Benn, gelesen von ihm selbst.

Aber ich kam beim Hören wieder zu einem seltsamen Urteil. Denn ich finde, was ich früher bereits bei Kostproben dieser Art gedacht habe: Er liest seine Gedichte leider nicht sehr gut. Das haben andere wesentlich besser gemacht, und es ist am Ende wie mit den Songs von Bob Dylan, die erst gut und liebenswert werden, die erst zur Genießbarkeit heranreifen, wenn andere sie für ihn singen.

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Gesehen: Weiter die Serie zu Leonard Cohen und Marianne Ihlen, die sich im Gegensatz zum Buch von Helga Schubert mit der jungen Liebe befasst.

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Ich hab’s wollen wissen und bin auf’n Kirchturm aufeg’stiegen, um einen Liedtext von Ludwig Hirsch etwas für mich anzupassen. Und auf einmal, da war da unten alles so
lächerlich klein, und ich war plötzlich der höchste Punkt der Welt.

Am Freitag bin ich nach durchlittenem Home-Office zur Petri-Kirche gegangen, weil ich neulich hier erwähnt habe, dass ich schon lange nicht mehr auf dem Turm war. Da ich neuerdings dazu neige, so etwas sofort zu regeln und auf nichts mehr zu warten – es ist eine Haltung, die mir so um meinen Geburtstag im August herum auf einmal richtig vorkam, vielleicht ist sie altersadäquat – sah ich mich nur kurz in der Kirche um, wollte auch die überraschend zahlreichen Betenden dort nicht stören, zahlte vielmehr zielstrebig gleich 5 Euro im Kassenbereich unter dem Turm.

Man muss seinen Namen dort auf einem Besuchszettel notieren. Rechts daneben noch eine Spalte, in der man später abhaken soll, dass man auch wieder runtergekommen ist. Nach denen, die diesen Haken beim Rausgehen vergessen, muss dann am Abend oben jemand suchen, nehme ich an.

Ein leerer Stuhl vor einem kleinen, runden Aussichtsfenster im Turm von St. Petri

Ich war, und wer rechnet denn mit so etwas, der einzige Mensch im Turm. Alle Aussichtsplätze waren nur für mich da. Eine erstaunliche Ruhe über dem Stadtgewimmel, jedenfalls wenn die Glocken nicht gerade läuten.

Eine der Glocken im Turm von St. Petri

Schön war das. Der leere Raum dort oben, die nicht besetzten Stühle vor den kleinen Fenstern. Sonnenlicht auf staubigem Holzboden, das Geräusch der eigenen Schritte auf Brettern und Metallstufen. Dazu ein bekannter Geruch, da unterscheiden sich Kirchtürme nicht von anderen Dachböden.

Auf den Holzbalken sah ich in einer Ecke ein kleines gezeichnetes Herz, darin die Namen Hans und Helga. Es ist eine Weile her, dass diese Namen einmal modern waren, die oben erwähnte Frau Schubert könnte es bestätigen. Und neben einem der Aussichtsfenster mit einigermaßen spektakulärer Aussicht die lapidare Anmerkung mit Edding: „Aber Berlin ist besser.“ Ohne Konkurrenzdenken kommt der Mensch einfach nicht aus.

Blick vom Turm St. Petri in Richtung Rathaus

Blick vom Turm der St. Petri-Kirche in Richtung Alster

Als andere Gäste plaudernd und lärmend die Treppe hochkamen, ging ich wieder runter. Zurück ins Gewimmel, selbst weiter zu wimmeln. Wimmeln, von mittelhochdeutsch wimelen: Sich lebhaft durcheinander bewegen. Bedeutungsverwandte Verben sind Tummeln und Wuseln.

Was man hier unten so macht, nicht wahr. Oder, wie der Herr Hirsch so treffend gesungen hat: Sich umsonst echauffieren.

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Sich einfach alles nehmen

In Hamburg gibt es einen neu benannten Platz in Rotherbaum. Von mir aus betrachtet einmal halb um die Alster, also noch in Spaziergangsentfernung. Anna Politkowskaja wird dort geehrt. An dem Schild mit dem Straßennamen steht auch ein Gedenkstein, frische Blumen liegen darauf: „Wenn ich nicht mehr schreibe, haben meine Feinde gewonnen.“ Der NDR berichtete, ihr Sohn war bei der Einweihung anwesend.

Die letzten beiden Straßen-Umbenennungen, an die ich mich erinnere, waren Jan Fedder und Karl Lagerfeld gewidmet. Es geht recht gemischt zu in unserem Stadtplan.

Das neue Straßenschild "Anna-Politkowskaja-Platz"

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Gehört: Ein Zeitzeichen zur Eröffnung des ersten Supermarktes in Deutschland (14 Minuten). 1949 war das. Die radikale Veränderung des Konsums in den 1950ern wird als Umwälzung oft unterschätzt, glaube ich. Dabei war es eine dermaßen weltverändernde Entwicklung, ein alltagskultureller Umbruch der weit herausragenden Art, so einschneidend wie etwa die Industrialisierung. Vielleicht, aber das ist noch nicht ganz abzusehen, wird man die aktuelle Verschiebung des Konsums in den digitalen Bereich und hin zum Versandhandel einmal ähnlich werten. Gestern gerade Schnürsenkel bestellt, die ich in den Läden hier nicht mehr bekommen habe, es kam mir dann doch etwas seltsam vor. Schnürsenkel online bestellen! Meine Güte.

Ich kann mich an die erste Supermarkteröffnung im Umfeld meines Elternhauses in Lübeck erinnern, Anfang der 70er war das. Die Entwicklung kam bei uns etwas später an. Ich weiß noch, wie fremd und neu das alles war, wie groß die Umstellung etwa im Einkaufsverhalten meiner Großmutter, an deren Hand ich damals zum „Einholen“, wie sie es nannte, mitging. Ich glaube, ich habe im weiteren Leben keinen anderen Menschen mehr vom „Einholen“ reden hören, nur in Romanen und Erzählungen kam das Wort manchmal noch vor. Eine nordostdeutsche Vokabel war es, wenn ich es richtig recherchiere. Mittlerweile wird der Begriff wohl aussterben.

Die unbegreifliche Größe des Ladens jedenfalls, diese Fläche! Und das krasse Konzept der Selbstbedienung – sich einfach alles zu nehmen, was für eine Idee war das. Das riesige Angebot. In dem es auch viele neue Produkte gab, frisch erfundene Fertigprodukte etwa. Die man, wenn ich es als Kind richtig mitbekommen habe, gerne und ohne die geringsten Bedenken gegenüber Inhaltsstoffen, Zuckergehalt etc. probierte und schnell in den Alltag integrierte. Alles so praktisch, und etwaige Bedenken kamen erst später, viel später.

Heiße Tasse und dergleichen, es wurde alles mit Begeisterung angenommen, die schöne neue Welt. Für Norddeutsche wurde das verfügbare Konsumprogramm damals jährlich vorgestellt auf der längst nicht mehr laufenden Hamburger Messe „Du und deine Welt“, deren damalige Bedeutung man heute kaum noch erklären kann. Eine Art begehbarer Versandhauskatalog war es, dort wurde umfassend registriert, was es gab und was ging. Und wie neugierig war man darauf.

Das ist wieder etwas, bei dem ich mich fühle, als würde ich aus dem 19. Jahrhundert stammen. Ich kenne die Zeit vor der Supermarktkonsumwelt noch, wie alt muss ich denn bloß sein.

Im Bild, es ist nur halbwegs passend, die Spiegelung des Fernsehturms, der immerhin neben der Messe steht, in einem Gewässer des Parks Planten un Blomen, in dem ich gerade öfter bin.

Der Hamburger Fernsehturm spiegelt sich in einem Teich in Planten un Blomen

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We faced it all

Auf dem Weg ins Büro sah ich am Mittwochmorgen doch noch die ungeduldig wie immer erwarteten gelben Blätter. Unten am Mittelkanal haben sie nun endlich mit der herbstlichen Dekoration begonnen, so dass sogar diese Ecke der Stadt für einen Moment recht ansprechend wirkte.

Blick auf den Mittelkanal in Hammerbrook, deutlich gelb verfärbte Bäume am Ufer

Dort bin ich dann zwei, drei Minuten stehengeblieben und die Arbeit musste noch einen Moment warten. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen, ich habe also mit der gebotenen ernsten Freude erst einmal etwas passende Herbstmusik gehört.

Alles auskosten, alles mitnehmen. Sie wissen ja, man muss es sich mühsam genug zusammensuchen.

“Kiss all the pretty ones goodbye
Give everyone a penny that cries

You can throw all my tranquil pills away
Let my blood pressure go on its way

‚Cause my autumn’s done come”


Ein Augenblick für die alte Blogreihe „Was schön war“, die ich auch lange nicht mehr gepflegt habe.

Wir können das Thema abschließend auch abseits der anekdotischen Evidenz auflösen. Es gibt immer Menschen, die irgendwas akribisch mitzählen, und die meisten Ergebnisse sind irgendwo nachzulesen: Der Eintritt des Spätherbstes und auch der des Winters sind tatsächlich die beiden Phasen im phänologischen Kalender, die sich im Schnitt weiter verspäten. Alle anderen kommen tendenziell früher, wie wir dann vermutlich im Frühjahr wieder intensiv diskutieren werden.

Für den verspäteten Herbst gilt: „Der Grund hierfür ist, dass höhere Temperaturen im Herbst den Chlorophyllabbau im Blatt verlangsamen und damit zu einer späteren Blattverfärbung führen.

Die Verzögerung fällt in der Gesamttendenz gering aus, drei Tage nur. Aber wir beobachten im Schnitt doch richtig, und in einzelnen Jahren und Gegenden kann es auch wilder abweichen. Vermutlich heißt das auch, dass die Verzögerung in den großen Städten deutlicher als auf dem Land ist, wegen der entsprechenden Temperaturunterschiede.

Wie es bei Durchschnittswerten und Durchschnittsgegebenheiten so ist, man muss immer sehen, wo man da hineinpasst. Gestern übrigens, aber das nur als Scherz am Rande, sah ich aus dem Augenwinkel eine Meldung über Lieder, die Menschen besonders gerne kurz vor dem Tod hören. Ich sage es ja, alles wird gezählt, und wie gut ist das aus meiner Sicht. Eines der meistgewünschten Lieder war „My way“, was nicht ganz ohne Komik ist. Denn wir könnten es, wenn es uns doch mehrheitlich zu verbinden scheint, also auch auf „Our way“ umtexten. Es sind alles geteilte Erfahrungen. And so we face the final curtain etc.

Unter den Top Ten dieser besonderen Lieder war auch, und das immerhin fand ich überraschend, „Girls just want to have fun.“ Schriebe ich Kolumnen aus weiblicher Sicht, käme mir das wie ein Thema vor.

Aber egal, wo war ich. Das Wetter, das Laub, der Herbst. Wer die App des Deutschen Wetterdienstes nutzt, so wie ich, kann darin auch selbst Meldungen zu den entscheidenden saisonalen Veränderungen bei Pflanzen eingeben. Dann weiß die Allgemeinheit wieder mehr und muss nicht vage herumraten.

Eine gute Sache also, da mal mitmachen, ich bewerbe das ebenso ausdrücklich wie unbezahlt.

(Auf dem Startbildschirm über „Weitere Produkte“ den Bereich „Pflanzenmeldungen“ hinzufügen, dann läuft es und man kann auch sehen, was in der eigenen Region bereits erfasst wurde.)

Eine herbstliche Blüte mit hängenden Blütenblättern

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Zur Ordnung der Symbole

Frau Herzbruch zur Lage und zum Exil. Zu den Ländern, in die man meint, sich notgedrungen zurückziehen zu können, was ich in den meisten Fällen für eine Illusion halte: Ich zähle weiter mit, wenn in meinen Timelines ein Land in diesem Kontext erwähnt wird. Kanada führt.

Gleich wieder ein Lied im Ohr:

“On the back of a cartoon coaster
In the blue TV screen light
I drew a map of Canada
Oh, Canada
With your face sketched on it twice”

In dem Lied ist ein Bezug zu Rilke, sagt die Wikipedia, guck an.


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In den Läden des Stadtteils sehe ich seit Montag, als sei das ein allgemeingültig festgelegter Stichtag gewesen, irgendwo nachzulesen womöglich, deutlich anschwellende Halloween-Deko. Die Symbolik folgt dabei wieder einem strikten Kodex, wie wir es neulich erst beim Oktoberfest verhandelt haben.

Man wird es auf erstaunlich wenig Elemente herunterbrechen können, was da Halloween ausmacht. Was vielleicht heißt, man müsste aber länger darüber nachdenken, dass es stets nur eine geringe Durchschnittszahl von Zubehörteilen ist, um die zwanzig vielleicht, die für uns so etwas prägen. Mehr brauchen wir nicht. Eine Farbe, ein Kostüm, eine Handvoll Dekoelemente, vier, fünf Lebensmittel … Fertig ist das Fest, die Saison, die Jahreszeit, was auch immer. Restringierter Code bei allem.

Und diese zwanzig könnte man sicher auch noch kürzen, auf zehn, auf fünf, auf den Kern. So wie Weihnachten in den Emojis längst zu Tanne, Geschenk und Weihnachtsmanngesicht geworden ist und damit in der weltlichen Ausprägung vollumfänglich beschrieben werden kann.

Alles auf Emojis runterbrechen. Womöglich ist es auch eine Aufgabe beim Nachdenken über den eigenen Lebenslauf.

Wobei, ordnungsliebende Menschen wird es ebenso stören wie mich, die Halloween-Artikel eigentlich vor den Weihnachts-Artikeln in den Läden erscheinen müssten. Aber es ist umgekehrt, in jedem Jahr ist es umgekehrt. Schlimm.

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Nachmittags kurz in den Park gegangen. Es ist immerhin Herbst und ich habe also nachgesehen, ob ihn schon jemand totgesagt hat, diesen Park. Aber dem ist nicht so, und auch der reinen wolken unverhofftes blau war an diesem Tag nicht zu sehen oder doch nur für Minuten.

Egal, Bildbeweis machen, alles notieren und dokumentieren.

Während ich noch im Park stehe und mir ein Bild von der Situation mache, höre ich, wie jemand im Vorbeigehen zu seinem Freund sagt: „Das Gelb kommt irgendwie spät in diesem Jahr.“ Er zeigt auf die Bäume vor uns, der Freund nickt.

Am Ende, da bin ich dann wieder bei der eskalierenden Unordnung, kommt Halloween noch vor dem Gelb. Es ist eben alles außer Rand und Band.

Nur die allgemeine Stimmung nicht.

Bäume in einem Park vor Regenwolken, das Laub noch grün und kaum verfärbt

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Montag, verdämmert

In der Nacht auf den Montag werde ich durch einen der Söhne um meinen Schlaf gebracht, weil sich einer von ihnen etwa gegen zwei Uhr Essen macht. Es sind immerhin Teenager im Wachstum, da ist die Not manchmal auch zu ungewöhnlichen Stunden groß und Abhilfe dringend erforderlich. Und ich weiß, dass in solchen Momenten quasi alles konsumiert wird, was grob als essbar verstanden werden kann.

Manchmal deute ich einigermaßen amüsiert am Morgen die nachts entstandenen Spuren in der Küche. Sherlock Holmes nichts dagegen, wo führt die Krümelspur hin, wozu gehört dieser Fetzen Verpackung neben dem Mülleimer, was hat da auf die Spüle getropft. Und was muss ich alles nachkaufen.

Ah, jemand hat die seit zwei Jahren abgelaufene Blockschokolade zum Backen gefunden, die ganz hinten im Schrank war. Wie sorgsam und gründlich sie dann beide auf einmal suchen können. Ich erinnere mich dunkel, auch selbst diese Phase in dem Alter gehabt zu haben. Diese Zeit, in der ich morgens ein ganzes Toastbrot mit gruseligen Mengen Nutella konsumiert habe. Im Nachhinein ist es ein eher belastender Gedanke, und man müsste sich meinetwegen auch nicht an alles erinnern. Manches gezielt löschen zu können, das kann eine so angenehme Vorstellung sein. Aber vermutlich würde ich auch das eskalieren und es bliebe dann wenig übrig. Problem.

In dieser Nacht jedenfalls seltsame Geräusche aus der Küche, das Backblech oder was auch immer poltert dort, etwas klirrt, etwas knarrt, jemand rückt einen Stuhl. Und ich werde diese Elternreflexe, die noch aus der Kleinkindzeit stammen, hartnäckig nicht los. Das ist nur der Herzdame gelungen, die selig weiterschläft, was auch immer in dieser Wohnung nachts passiert. Ich aber werde wach und höre angestrengt hin. Immerhin stehe ich nicht mehr auf und sehe nach, was da los ist. Sie werden schon klarkommen, die Söhne, was auch immer sie da treiben. Es wird schon gutgehen.

Aber wieder einzuschlafen, das ist manchmal eine doch hohe Kunst. Und diesmal gelingt es mir nicht.

Den Montag verbringe ich entsprechend in desaströser Müdigkeit am Schreibtisch im Home-Office und fühle mich dabei, als stünden mir etwa zwei Gehirnzellen zur Verfügung. Bleischwere Augenlider, eine Körperhaltung wie ein Sandsack auf dem Bürostuhl.

Ich könnte von diesem Stuhl rutschen, denke ich zwischendurch, und einfach gleich hier auf dem Boden schlafen. Wenigstens ein Viertelstündchen. Aber, sehe ich dann, es müsste erst einmal jemand staubsaugen, wie sieht es denn da unten schon wieder aus. Und wer in diesem Haushalt „jemand“ ist, das weiß ich auch mit nur zwei blinkenden Gehirnzellen noch. Wie ich vor Urzeiten schon einmal in einer Zeitungskolumne notiert habe, ist aus mir immerhin jemand geworden.

Ich schlafe also nicht, natürlich nicht. Ich mache weiter, selbstverständlich mache ich weiter. „Aushielt er, bis er das Ufer gewann“, Fontane hat mit seinen Zeilen sicher Menschen wie mich gemeint.

Aber als ob es mir jemand danken würde, „Unsere Liebe sein Lohn“, ja von wegen.

Ich lese zwischendurch die Nachrichten vom Wochenende nach. Ich denke, wenn ich ein wenig wütend werde, was mittlerweile systemimmanent geworden ist, wenn man sich mit der Lage beschäftigt, werde ich womöglich etwas munterer, etwas belebter, springt der Kreislauf vielleicht etwas an.

Die Nachrichten aber zitieren Sätze von Egon Krenz, die Älteren erinnern sich, und das nicht nur auf einer Seite. Ich bin also doch eingeschlafen und träume einigermaßen wirres Zeug. Wie auch immer mein Unterbewusstsein nun auf diesen Herrn aus der dunklen Vergangenheit kommt, man kann das nicht immer schlüssig nachverfolgen.

Der weitere Montag vergeht in der Unsicherheit des lockenden Halbschlafs und des fortwährenden Dämmerns. Und falls noch etwas anderes an diesem Tag war, dann habe ich es mit großer Sicherheit nicht mitbekommen.

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Im Bild ein ausgedientes Klavier am Straßenrand unter einer Brücke in Hammerbrook. Etwa so einsatzbereit und verstimmt wie ich zum Wochenanfang.

Ein marodes, ausgesetztes Klavier unter einer Brücke in Hammerbrook

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Kontrastprogramm

Gehört, zumindest schon halb gehört und bereits gut gefunden – eine Lange Nacht über Hans Fallada.

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Vanessa notiert, was man aus ihrer Sicht gegen den Rechtsruck tun kann.

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Giardino berichtet von der Isle of Mull. Für mich wieder eine amüsante Querverbindung, denn ich fing gestern beim Spazierengehen das Hörbuch „Die tollen Männer“ von Robert Louis Stevenson an, es wird gelesen von Rolf Boysen. In dem Buch heißt der Schauplatz der Handlung Aros. Im Text von Giardino wiederum kommt der Ort Aros Park vor. Wie wahrscheinlich ist es wohl, dass ein solch entlegener Begriff, den ich vorher nicht einmal kannte, mir gleich zweimal in so kurzer Zeit begegnet?

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Am Sonnabend gab es im weiteren Verlauf ein rabiates Kontrastprogramm. Vom milden Mörike am Morgen auf dem Land in Nordostwestfalen, ich berichtete, zum ruppigen Großstadtrealismus in nur wenigen Stunden. Am späten Nachmittag, gleich nach der Ankunft in Hamburg, ein ausgedehnter Spaziergang in Richtung Hafen und bei letztem Sonnenlicht runter zu den Landungsbrücken. Mit Aussicht auf eine urbanromantisch bei Blohm & Voss langsam ins Dunkel abtauchende Elbe, was eine große Zahl von Touristen entlang der Promenade hervorragend inszeniert fand. Das Publikum auf den üblichen Aussichtsplätzen gab sich beeindruckt und hochzufrieden. Gute Großstadt, gerne wieder.

Blick von der U-Bahnstation Rödingsmarkt aus in Richtung Gedächtniskirche, letztes Sonnenlicht spiegelt sich in den Fassaden der Büros

Elbphilharonie und umgebende Gebäude im Sonnenuntergangslicht

Der Uhrturm an den Landungsbrücken im Abendlicht, Passanten am Geländer der S-Bahnstation im Gegenlicht

Die Helgoländer Allee hoch. Wo zwei Touristenkinder staunend vor den Lagerstätten der Obdachlosen unter der U-Bahn-Brücke standen. Sie fanden diese ebenso witzig wie wildromantisch und kommentierten sie laut. Ihre Eltern wussten nicht recht, was sie dazu sagen sollten, sie kamen wohl aus einer Gegend, in der sie so etwas bisher nicht erklären mussten. Auch das ist ein Kontrastprogramm, und ich kann es verstehen, wenn einiges in der großen Stadt ausgesprochen schockierend auf Menschen aus besinnlicheren Gegenden wirkt. Viel gelernt damals, als die Großeltern der Herzdame, die kaum je aus dem Heimatdorf herauskamen, einmal (und nur einmal) bei uns in der Stadtmitte waren.

Bei ihnen habe ich den Kulturschock gründlich mitbekommen und verstanden. Die beiden hätten auch ein anderes Universum mit vielarmigen Aliens besuchen können, so fremd war ihnen vieles, was bei uns Alltag ist. Auf dem kurzen Weg von unserer Wohnung zur Alster gingen sie über eine Straße mit so viel Spuren, wie sie es sonst von der Autobahn kannten. Nur um dann auf vermeintlich sicherem Boden von irrsinnig schnellen Inlineskatern, pöbelnden und klingelnden Radfahrern und zahllosen Joggerinnen umgenietet zu werden. Sie konnten es kaum fassen, und nichts daran fanden sie schön.

Über die Reeperbahn, die sich gerade zusehends für das übliche Samstagabendprogramm füllte, ging ich zur S-Bahn. Und dann bloß schnell weg aus der Standardamüsierzone, noch vor dem Eintreffen der partywilligen, durstigen Massen. Die ersten Gruppen liefen schon auf, es wurde hier und da bereits eng auf dem Fußweg, es wurde schon Alkohol herumgereicht, es wurde schon lauter.

"Bier Burger Wings" steht in Neonschrift an einem Eckfenster der Tanzenden Türme auf der Reeperbahn

Der Lucullus-Imbiss auf der Reepeerbahn im Dunkeln mit leuchtenden Neonlampen und -schriften

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Nach Hause und mit Buch ins Bett, weiter im Anatol Regnier.

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Im Nebel ruhte noch die Welt

Es ist Erntedank, sagt die Kalender-App, und sie wird es immerhin wissen. Ich verbinde wenig mit dem Datum, es hat keine Tradition in meiner Familie, weder in meiner Kindheit noch in der der Söhne. Ich lese routinemäßig und stets bemüht weiterbildungswillig etwas zum Fest nach und sehe, dass die beiden großen christlichen Kirchen den Feiertag nicht immer am gleichen Tag begehen. Da ist eine Woche Abstand, das habe ich nicht gewusst. In diesem Jahr feiern sie beide heute, Terminzauberei.

An den freien Tagen auf dem Land ist mir kein Hinweis auf Erntedank aufgefallen, nirgendwo, und ich bin mir nicht sicher, ob das früher nicht anders war. Wobei dieses Früher nicht allzu lange her ist. Aber wie immer – je länger ich darüber nachdenke, desto unsicherer werde ich. Wer kann schon seinen Erinnerungen trauen.

Für die Ernte im eigenen Garten, ich notierte es bereits, können wir uns schnell und wie nebenbei bedanken, es gab fast nichts. Das kann man als Gärtnerin so abtun und auf bessere Jahre hoffen. Auf wieder ertragreichere Sommer mit etwas mehr als drei Heidelbeeren, mit vielleicht wenigstens einem Kürbis und nach Möglichkeit ohne sterbende Obstbäume.

Da ist im weiteren Herbstverlauf noch etwas zu ersetzen, fällt mir dabei ein. „Pflichtgemäß Pflaume pflanzen“ muss ich in den Kalender mit den To-Dos übertragen.

Am Sonnabendmorgen fuhr ich auf dem Dorf in Nordostwestfalen mit dem Auto zum Brötchenholen. Zu Fuß wäre ich stundenlang unterwegs gewesen, die Option fiel also flach, selbst für einigermaßen leidenschaftliche Fußgänger wie mich. Ich fuhr los, sobald der Laden aufmachte, im Nebel ruhte da noch die Welt. Und diese halbe Stunde, in der ich da unterwegs war … ich weiß nicht recht, ob ich überhaupt schon einmal durch weißes, wolkiges Wabern derart wenig Sicht hatte. Es war beeindruckend, und es war auch etwas erleichternd, dass mir kaum anderen Autos oder größere Wildtiere begegneten.

Eine traumschöne Fahrt durch eine erheblich veränderte Welt war es, durch ein Herbstmorgenbilderbuch. Es war nur, wie der Kunde vor mir beim Bäcker fröstelnd zur Verkäuferin sagte, „etwas frisch am Ärmel.“ Drei Grad, es fiel in der Tat überschaubar aus. Ich war wieder nicht passend angezogen dafür, das Problem verfolgt mich in diesem Herbst offensichtlich. Zitternd und klappernd am Steuer gesessen und auf die Heizung gehofft, ein weiteres erstes Mal in der Saison.

Ich habe dann gleich nach dem Familienfrühstück noch eilig versucht, ein wenig von der schnell schwindenden Stimmung draußen einzufangen. Da stieg der Nebel aber schon und Wald und Wiesen träumten bereits nicht mehr, rührten sich schon etwas, belebten sich bereits.

Aber sonst … der Ausblick über die teils abgeräumten Äcker war noch recht dicht am ollen Mörike. Diese zwei, drei Stunden waren so nah an seinem Septembermorgen, wie sie nur sein konnten, wenn es auch schon Oktober war:

„Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.“

1827 schrieb er das. Es kommt in der richtigen Gegend und zur richtigen Stunde also immer noch hin, wie dann der Rest des Vormittages auch in aller Klarheit bewies. Fallende Schleier, blauer Himmel unverstellt, warmes Gold und alles, die volle Punktzahl wurde einwandfrei erreicht.

Für die Mitglieder des Freundeskreises deutsche Naturlyrik ist so etwas eine Art Hauptgewinn, und so oft gibt es den gar nicht.

***

Lebensbejahende Musik habe ich beim Spaziergang durch diese Nebelwelt gehört, denn es gibt ein neues Album von Dan Reeder.

And when I die

don’t bury me

just drop my tombstone right on top of me

with my arms and legs sticking out

like that cartoon we’ve all seen

and make it say

he took on this hopeless world.

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Greifvögel und Drachen

Gehört: Zwillingsforschung – Was alles in unseren Genen steckt, aus der Reihe „Das Wissen“. Das war interessanter, als ich zunächst dachte, und es ist für jeden etwas dabei. Etwa für Eltern: „Sie müssen sich schon Mühe geben, etwas falsch zu machen.“ In dieser Deutlichkeit hört man entlastende Sätze doch selten, das ist auch einmal nett. Es geht da viel um Begabungen und Neigungen, und es heißt weiter: „Wenn sie ein Minimum zur Verfügung stellen, dass die Kinder die Möglichkeiten haben, sich zu entfalten, machen die Kinder schon ihr Ding.“

Nebenbei gelernt, dass es im Stammbaum der Bachs 50 Musikerinnen und Musiker gab, was für eine üppige Zahl.

Ich hatte vor den eigenen Kindern eher wenig Kontakt mit kleinen Menschen, und ich weiß noch, dass ich in den ersten Jahren überrascht war, wie charakterlich ausgeprägt sie geliefert werden. Mir war das nicht bekannt. Wie sehr sie bereits Persönlichkeit sind, auch wenn sie gerade erst angekommen sind. Und wie sich das dann durchzieht, selbst gegen Widerstände, mit welcher Vehemenz sich Neigungen und Abneigungen durchsetzen können oder sogar müssen.

Und dann noch einmal rückblickend in mein Selbstbild eingebaut, dass es bei mir also auch so war, warum sollte es anders gewesen sein. Eine Art Perspektivverschiebung.

Für den Freundeskreis Neurodivergenz ist in der Sendung auch kurz etwas dabei. Außerdem für Menschen, die sich für traditionelle Wahlergebnisse in gewissen Gegenden interessieren, für die Lust am Autoritären oder an liberaleren Einstellungen etwa. Auch ein faszinierendes Thema. Aber bloß nicht weiter einsteigen, wer hat Zeit für das alles, nur den einen Kernsatz noch eben mitnehmen:

„Man muss sehr lange suchen, um etwas zu finden, das nicht erblich ist.“

***

Ansonsten gab es noch einen Tag auf dem Land, mit Sonnenschein, korrekter Oktoberstimmung und allem. Dieser Gegend steht der beginnende Herbst ausgesprochen gut, aber für welche Gegend würde das nicht gelten.

Frühherbstlich anmutende Bäume an einer Landstraße

Die Maisarmeen stehen noch stramm auf den Feldern und sehen allzeit grimmig abwehrbereit aus. Die Felder mit den Sonnenblumen aber wirken, als würden da Tote immer weiter unheilig paradieren. Die riesigen Stauden haben jetzt etwas Zombiehaftes, mit ihren abgestorbenen, hängenden Köpfen, ein Wiedergänger neben dem anderen, die letzten Divisionen. Kopflos, aber aufrecht.

Über den bereits abgeernteten Feldern rüttelnde Greifvögel beträchtlicher Größe, die spähen nach Mäusen und Hasen. Ich habe es neulich doch geahnt, dass noch Vögel dieser Familie im Text vorkommen werden. Aber erkennen, nein, erkennen kann ich sie nicht, sie sind zu weit oben, zu fern. Wie Drachen stehen sie am Himmel, ich stehe mit dem Kopf im Nacken darunter, und dann fällt mir ein, dass der verstorbene Großvater der Söhne auf genau diesem Feld einmal Drachen mit ihnen hat steigen lassen. Etwa zur gleichen Zeit im Jahr, vor allerdings vielen Jahren.

Am Rand der Landstraße einige Rabenkrähen, die sich um die kleinen Opfer des Verkehrs kümmern. Ernst und sorgsam arbeiten sie das ab, in schwarzer Bestatterkluft.

Ein letzter Apfel an einem kahlen Zweig

An den Obstbäumen entlang der Straße ins Dorf hängen noch letzte Äpfel und Birnen. Unter ihnen fault es, aber auf den saftig vergehenden Stücken am Boden wimmeln nun keine Wespen mehr herum. Wir sind schon weiter.

Nachher zurück nach Hamburg, weiter im Großstadtprogramm.

Auf einem Weg an Feldern entlang steht mit Kreide: "Auf geht's"

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Oktober, fortschreitend

Unsere Korrespondentin in Frankreich schreibt: „Ich bin umzingelt vom Oktoberfest.

Da kann ich anlegen, das ist auch aus meiner Sicht richtig beobachtet. Da ändert sich gerade etwas und wir sind live dabei. Schon in den letzten Jahren deutete es sich an, jetzt wird es deutlicher. Es laufen mir auch in Hamburg immer mehr Menschen über den Weg, die sich durch Textilsymbolik klar ausgedrückt in Oktoberfeststimmung befinden oder aber in diese hineinwollen. Lederhosen, Dirndl und andere Trachtenversatzstücke als, nun ja, Verkleidung, anders kann man es nicht nennen. Dazu das stete Bemühen um Bier, es wird teils in größeren Mengen mitgeführt.

Die Zubehörgewandungen fallen teils auf den ersten Blick als ausgefeilt und teuer aus, teils auch als billig und in Grabbeltischoptik. Das Kostüm der letzten Minute, nimm diesem Hut mit Plastikfeder. „Morgen ist Oktoberfest, da brauche ich noch etwas Passendes“, und alle wissen dann, was man da braucht. Man kann es aufzählen, so viele Teile sind es gar nicht. Und wie bei den unsäglichen Junggesellenabschiedsfeiern gehen die Gruppen gerne in uniformen Kostümierungen, damit das Rudel als solches sofort zu erkennen ist.

Ich sehe Grüppchen in diesen Outfitvarianten beim Einkauf. Sie erwerben wie vorgeschrieben die Waren aus der blauweiß verzierten Sonderproduktpalette Oktoberfest beim Discounter. Sie werden vermutlich später Bierzeltgarnituren damit bestücken und es passende Dekoration nennen. Es sieht aus wie in einem Werbefilm, es ist aber echt und, das kommt mir wichtig vor, es sieht keiner mehr hin. Auffällig ist es nicht mehr, auch in Hamburg nicht, wenn zur Oktoberfestzeit Grüppchen im gleichzeitig reduzierten und überdrehten, also eigentlich karikaturhaften Bayernlook durch die Straßen gehen. Es ist nichts Besonderes mehr, nur ein weiterer Termin im Partykalender der Stadt.

Es wird eine deutliche Steigerung der Oktoberfestkopien in Betrieben, Firmen, Büros, Sportvereinen, Freundeskreisen, Altersheimen und was auch immer geben. Originell und seltsam abwegig ist so etwas nicht mehr. Aber lange her ist es nicht, dass das bei uns so war.

Ein weiteres Fest mit karnevaleskem Zubehör also, mit Kostüm und Dekoration. Siehe dazu auch den Hamburger Schlagermove, bei dem die Symbolik längst ähnlich präzise festgelegt ist, bei Musik, Kleidung, Zubehör, Alkohol etc. Diese Parallelen können einen begeistern, wenn man sich für Alltagskultur interessiert.

Offensichtlich wollen wir, also wir im Mehrheitssinne, so etwas haben und machen. Wir basteln uns neue, bunte Traditionen für alle, und wie schnell das geht. Bei den Söhnen wird es dann bereits ein „Das war schon immer so“ sein.

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Wir sind ansonsten ins Heimatdorf der Herzdame gefahren. In Niedersachsen sahen einige Stellen der Landschaft immerhin nach althergebrachter Oktoberoptik aus, wenn ich schon bei Traditionen bin. Als die Sonne kurz durchkam, war es hier und da auch nicht ohne jede Schönheit. Man konnte die Gegenden hinter den überall fahrenden Treckern auf den Landstraßen auch in Ruhe und mit Muße betrachten.

Besonders die Birken sind dabei zu loben. Ihr Edelmetallflitterlook sticht heraus und leuchtet auffallend, auch streuen sie die Blätter teils schon vorbildlich in die Bilder. They drift by the window, diese Blätter, fast könnte man beim Anblick die Musik von damals auflegen.


Wir wollen uns den grauen Herbst vergolden, ja, vergolden.

Wobei wir dem Herrn Storm eine Strophe des Herbstliedes rot anstreichen müssen, sie hält der Klimawandelrevision heute nicht mehr stand:

„Und geht es draußen noch so toll,
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schöne Welt
So gänzlich unverwüstlich!“

Ich denke, wir habe mittlerweile gut verstanden, dass sie sehr wohl verwüstlich ist. Und wie wörtlich man das nehmen kann.

Ein Schulwegschild an einer menschenleeren Landstraße

Alte und ramponiert aussehende Kaugummiautomaten neben einer zugewachsenen Sitzbank an einer Dorfstraße

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