My brain

Was macht währenddessen eigentlich das Leben, Herr Buddenbohm.

Nun. Ich war in der ersten Wochenhälfte noch krank und fast durchgehend mit Erholung beschäftigt, davon gibt es eher wenig zu berichten. Abgesehen vielleicht von der ärgerlichen Tatsache, dass mich die Weltlage (der Autor zeigt vage auf alles um ihm herum, hebt dann die Hände kurz zum Himmel und winkt anschließend mit resignierender Geste ab) im Ernst mehrfach von der doch so wichtigen Ruhe abgehalten hat. Also von der geistigen Ruhe.

Es hätte anders gehört, merkte ich deutlich. Aber es arbeitete und arbeitete in mir. In meinem Hirn war etwas los, es drehte und tickerte und analysierte und verglich, es ging Szenarien durch. Als wenn es irgendeinen Sinn gehabt hätte, als wenn es auch nur am Rande von Belang gewesen wäre, was ich von globalpolitischen oder gerade entscheidenden deutschen Fragen halte.

Aber man denkt dann eben doch mit heißem Bemühen, um nur ja klüger als zuvor zu sein, ungeachtet der eigenen Unwichtigkeit und Unwirksamkeit. Ich nehme an, es gilt so gerade für viele von uns.

Zwischendurch habe ich mich streng zur Ordnung gerufen, als ich nämlich drauf und dran war, mögliche deutsche Wahlergebnisse nach meiner aktuellen Einschätzung mal eben in Excel abbilden zu wollen. Ich habe das Notebook nach der ersten eingetippten Zahl verärgert wieder zugeklappt und mich lieber wieder hingelegt, und zwar mit Nachdruck.

Geht es denn noch, habe ich mich gefragt, hältst du dich jetzt für die Forschungsgruppe Wahlen oder was. Ich bin ein engagierter Bürger, habe ich mir dann leicht beleidigt geantwortet. Aber Teile von mir fragten sich gleichzeitig skeptisch, noch während ich dieses stolze Statement formulierte, ob es nicht vielleicht zu pathetisch klang.

Es kann dermaßen anstrengend sein, so allein mit sich auf dem Sof. Man sitzt da, macht sich Gedanken und merkt, wie man Kalorien verbraucht. Und es stimmt schon, dass man sich nicht immer die beste Gesellschaft ist.

Mose Allison, meine Damen und Herren. Es ist doch fast eine Pflichtübung, ihn nach solchen Absätzen zu spielen.

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 Im Bild noch eine Anmerkung im Stadtteil. Was einem auf dem Weg zum Einkauf so auffällt.

Ein Aufkleber auf einem Stromkasten: The only dangerous minority is the rich

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Die Kulturbeilage

Zwischendurch auch einmal konzentriert an etwas anderes denken, sich ablenken und flüchten.

Ich lese „Billard um halbzehn“ von Böll, ich schließe abends im Bett Bildungslücken. Ein Buchtitel, den ich gefühlt schon mein Leben lang kenne, der immer und überall herumstand, in Regalen, Literaturgeschichten und auch auf Lehrplänen. Und jetzt erst merke ich, dass meine Annahme, die mir stets selbstverständlich vorkam, es müsse im Titel 21:30 gemeint sein, falsch ist. Die Hauptfigur spielt morgens Billard. WTF.

Ich habe vermutlich etwas dumm geguckt. Also noch dümmer als sonst.

Gleich am Anfang wird da eine Sekretärin beschrieben, die an einem Schreibtisch sitzt und einen gelben, grünen oder blauen Heuss über ein Schwämmchen zieht. Und ich bin so alt und westdeutsch, ich verstehe das noch, was da ohne weitere Erläuterung beschrieben wird. Ich habe es auch gleich als Bild vor Augen, und zwar en Detail. Schon die Herzdame aber, etwas jünger als ich, versteht es nicht mehr auf Anhieb. Und die Söhne wären sicher vollkommen chancenlos. Einen grünen Heuss übers Schwämmchen ziehen, ja, is‘ klar.

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Mit für meine Verhältnisse beachtlicher Ausdauer habe ich außerdem die Lektionen von Ian McEwan als Hörbuch beendet, 22 Stunden Romanmarathon. Und wieder habe ich gemerkt, wenn in erzählenden Texten die Klimakrise oder die Coronapandemie vorkommen, gewinnen diese Werke für mich umgehend Sachbuchcharakter. Mir ist noch kein Prosatext begegnet, bei dem das nicht so war. Diese beiden Schlagwörter reißen alles Erzählte aus dem Fach Prosa heraus und sortieren es um in eine andere Abteilung.

Und im Falle von Corona ist es dann außerdem ein Sachbuch über etwas, bei dem ich mir nicht sicher sein kann, ob ich wirklich dabei war.

Also ich war selbstverständlich dabei. Wie wir alle, ich weiß, soweit bin ich noch bei Verstand – aber es fühlt sich beim Lesen oder Hören einfach nicht so an. Das haben andere Menschen zu anderen Zeiten erlebt, was da geschildert wird, vielleicht in einem Paralleluniversum.

Was mir wiederum schön belegt, dass die psychischen Verheerungen der Coronajahre wesentlich wilder waren und nach wie vor sind, als allgemein angenommen und akzeptiert wird. Aber das ist nur meine Privattheorie, das muss man nicht so sehen.

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Blick vom Balkon

Fünf Uhr morgens. Die Luftqualität ist schlecht, sagt die Wetter-App. Es ist diesig, sagt der verschwommene Lichtkranz um die Straßenlaterne. 2 Grad, meist bewölkt, einsetzender Regen in 6 Minuten. Das Rotkehlchen aber singt in der Dunkelheit, als sei dies der heranbrechende Morgen eines Wonnemonatmittwochs. Jemand rollkoffert zum Bahnhof, jemand mit einem großen Firmennamen auf dem Rücken schlurft zur Arbeit, jemand zieht einen schlaftrunkenen Hund hinter sich her und um den Block. Der gleiche Kaffee wie immer, die gleiche verlässliche Zubereitung auch. Die gleiche Sorte Milch hineingegossen, aus dem gleichen Becher wie an jedem Tag einen Schluck genommen. Er schmeckt bitterer als sonst.

Guten Morgen.

Die Welt ist währenddessen komplett verrückt geworden, was die Medien eher nicht mehr abbilden. Das berühmte „This is fine“-Meme, aber als Blick von einem beliebigen Balkon.

Die Welle schwappt über die Leute, es sind furchtbare Tage gerade, man liest sogar die Definition von Hoffnung in Philosophiebüchern nach.

„Nichts ist so trist

wie ein Optimist

mit der Nase am Asphalt

der sagt, ihm ist nicht kalt.“

Und man könnte noch mehr O-Töne aus der Blogwelt in dieser Richtung einfangen. Wie ein junger, vor die Tür geschickter Lokalradioreporter, der mit großem Mikro, zottelig umpuschelt,  frierend im Nieselregen in der Fußgängerzone steht und immer wieder „Was sagen Sie zu …“ fragt. Und alle, alle antworten: „Wir wissen es doch auch nicht“, und gehen dann kopfschüttelnd weiter.

Ich doch auch nicht, nein. Who am I, while the world burns?

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Dennoch auch die Nebenaspekte ab und zu beachten. Im Guardian ein Artikel über die Mode der neuen Machthaber in den USA, über das Power Dressing.

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Und Dan Gardner schreibt über die (Kultur-)Geschichte des Begriffs „The ugly American.“ Man hat gleich noch ein deutlicheres Bild der aktuellen Vorgänge, wenn man das liest.

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Noch einige Wahllinks, Sie könnten sich ja auch darüber gerade Gedanken machen. Einmal der Real-O-Mat, der nach dem tatsächlichen Abstimmungsverhalten wertet. Außerdem gibt es noch den Euromat, der „nur“ die europäischen Aspekte bedient.

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Zwei, drei Links

Morgens die Medien in Internet, aus Deutschland, aus Europa, aus den USA – auf allen Titelseiten, ausnahmslos, geht es um das unheilvolle Wirken der global verstreuten Ultrarechten, der Autoritären, der Techno-Oligarchen, der Freibeuter. Oder es geht um die, welche da unbedingt auch noch mitspielen wollen und es, wie in Deutschland, dummerweise vielleicht auch bald tun werden.

Wie auch immer. Nur zwei, drei Links. Etwa dieser Vortrag bei Deutschlandfunk Nova von Hein de Haas, einem Migrationsforscher, der „Mythen über Migration“ zum Thema hat.  Es geht um die Versachlichung einer strikt und durchgehend irrational geführten Debatte, bei der alle Argumente so verflacht werden, dass sie von reinen Dummheiten nicht mehr zu unterscheiden sind. Diese Versachlichung kann uns kollektiv nicht mehr gelingen, schon klar, aber man kann sich zumindest in den eigenen Gedanken noch darum bemühen.

Es gibt seinen Vortrag auch bei Youtube, da sieht man die Präsentation dazu. Und es gibt das Ganze als extended version in Buchform, hier die Perlentaucherseite dazu.

Ich habe es mir angehört. Ich höre es mir auch noch einmal an, vielleicht schreibe ich sogar etwas mit – und ich glaube, dass Sie an der einen oder anderen Stelle von den Feststellungen überrascht sein werden. Weil diese versachlichten Argumente keine Rolle im öffentlichen Diskurs spielen, uns also eher nicht durchgehend geläufig sind.

Interessant, erhellend und lehrreich ist das.

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Hier noch ein Artikel über generative KI und rechte Weltbilder: „Nostalgiemaschinen und Klischeeverstärker.“ Schau-der-haft.

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Es gibt ferner zur Bundestagswahl eine neue Wahlomat-Version für die Erststimme (Von Abgeordnetenwatch). Gab es das schon einmal? Ich kann mich nicht erinnern.

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Heitere Links sind gerade selten, für das zynische Lachen zwischendurch vielleicht den Golftracker des US-Präsidenten nehmen.

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Lächeln und winken

Weiterhin krank. Es wird etwas langweilig, aber ich bin beim Hörbuch dennoch erst bei 52%, was mehr als merkwürdig ist. Und die Frage, wie oft am Tag man einschlafen kann, sie scheint nach wie vor nicht abschließend geklärt zu sein.

Zustandsbedingt habe ich also nicht pflichtgemäß gegen das weitere Kippen der Parteien, des Staates, der Gesellschaft und der allgemeinen Stimmung nach rechts mitdemonstriert. Aber ich sah in den Timelines die vielen Bilder und die Berichte aus etlichen Orten und fand diese immerhin erfreulich. Ich saß gewissermaßen lächelnd und winkend vor dem Bildschirm.

So nährt man sich seelisch von wenigem. Man braucht auch sonst fast nichts, wenn man krank ist. Man fährt allgemein die Bedürfnisse deutlich zurück, und das sogar freiwillig. „Nur etwas Taube, etwas Franzbrot“, wie es schon bei den Buddenbrooks zur passenden Diät in Krisenfällen hieß, vom kundigen Dr. Grabow souverän verordnet.

Aber apropos Dr. Grabow. Alle paar Jahre darf ich vielleicht eine Geschichte wiederholen. Es gibt doch gelegentlich zwei, drei neue Leserinnen, die nicht alles schon kennen und textfest mitsingen können. Eine Geschichte mit Bezug zum Thema Fiktion und Realität und sicher auch zur manchmal drängenden Frage der Glaubwürdigkeit des eigenen Lebens.

Eine Winzigkeit ist es nur. Aber doch eine, bei der ich mich immer wieder fragen könnte, ob ich echt bin, ob das alles hier seriös ausgeführt sein kann und wie unfassbar flach die Scherze der Wirklichkeit eigentlich herumalbern dürfen.

Und zwar geht es um das alte Genre des Witzes mit Nachnamen. Dafür ist der Dr. Grabow bei Thomas Mann nun gerade kein gutes Beispiel, der kommt eher harmlos daher und einen Scherz kann ich in seinem Namen nicht erkennen. Auch nicht mit Lübecker Orts- und Spezialkenntnis. Die Welt der Erzählungen bietet jedoch genug Beispiele für manchmal mühsam durchdacht erfundene Nachnamen der Figuren, die in der Sekundärliteratur dann seitenlang ausgedeutet werden und Gott weiß welche tiefe Bedeutung tragen.

Als ich damals nach dem Abitur von Lübeck nach Hamburg zog, suchte ich mir einen Hausarzt um die Ecke. Das machte man damals noch so, man ging einfach irgendwo hin. Die Praxen nahmen in jenen Jahren noch alle Patienten auf, es war noch lange kein Thema, dass sie überfüllt sein könnten, dass man eine Ärztin oder einen Arzt lange suchen musste. Dieser Arzt hieß Dr. Lau.

Als ich einige Jahre später während meiner ersten Ehe aufs Land zog, suchte ich mir in der kleinen Stadt ebenfalls einen Arzt, und natürlich nach der gleichen Methode. Ich ging also einfach da rein, wo Arzt dranstand. Und dieser Arzt hieß dann Dr. Mau.

Das ist alles. Aber heute noch, mehrere Jahrzehnte später, sitze ich manchmal so herum und aus dem Nichts fallen mir diese beiden Namen wieder ein. Ich sage sie sie mir dann laut auf, Dr. Lau und Dr. Mau. Ich habe die beiden Namen noch untereinander gestempelt im Impfausweis. Und ich lache recht zuverlässig.

Denn es kann und kann doch alles nicht ernstgemeint sein. Wenn so etwas da draußen möglich ist, außerhalb eines Drehbuchs oder eines Romans.

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Ansonsten heute nur ein paar Links, ich erlebe gerade nichts. Wenn Sie nur Zeit für einen Link haben, nehmen Sie bitte den letzten.

Ein Tagesschau-Video: Annette Dittert über fünf Jahre Brexit.

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Ein weiterer Aspekt der so unterirdisch niveaulos diskutierten Frage, welcher Mensch sich mit wessen Genehmigung wohin bewegen darf oder soll: Über den auch durch Europa ausgelösten Pflegenotstand in Ghana. Audio vom Deutschlandfunk, sechs Minuten.

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Ein Kalenderblatt über den lettischen Widerstandskämpfer Janis Lipke. Fünf Minuten Antifa, so viel Zeit muss auch sein.

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Der US-Autor Garrett Graff schreibt über den Putsch durch Musk: “Imagining how we’d cover overseas what’s happening to the U.S. right now.” (Via Katharina Borchert auf Bluesky)

Nach der Lektüre vielleicht auch kurz überlegen, wie deutsche Medien über die ersten Tage der neuen Präsidentschaft berichtet haben. Mit welcher Vorsicht,  mit welch überaus dezenten Formulierungen.

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Mit Ach und Weh

Am Donnerstag und Freitag habe ich ausgiebig herumgekränkelt, bei klarem und auch unerfreulich schnellem Abwärtstrend des Allgemeinzustandes und nicht ohne zwischendurch noch die Herzdame anzustecken, man will auch nicht allein leiden.

Bis ich etwa da ankam, wo ich zuletzt bei der ersten Covid-Infektion war. Eine solche ist es nun nicht, aber normale Infekte können es auch in sich haben. Es fällt einem dann wieder ein, was fast schon vergessen war. Ich habe noch Glück, ich habe so etwas selten und nicht quartalsweise, so wie viele andere.

Aber es gilt selbstverständlich, was die Tante Jolesch bei Friedrich Torberg sagte: „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist.“ Könnte man auch mal wieder lesen, dieses Buch, muss man da nebenbei notieren.

Herumgelegen also. Mit Ach und Weh. Zwischendurch viel geschlafen, unruhige Fiebernickerchen, durchjagende Albträumchen und wirre Visionen, Sie kennen das. Was man so macht, wenn man krank ist. Sogar die Fieberbiber fielen mir zwischendurch wieder ein, aber diesen abgefahrenen Bezug verstehen vermutlich nur noch gestandene Bloggeria-Veteraninnen und Internet-Silverbacks. Those were the days, my friend, we thought they never end.

Zwischendurch immer mal wieder die Nachrichten mitgelesen. Wobei sich zeigte, dass die einigermaßen abgedrehte Nachrichtenlage, die zu durchleben wir gerade unangenehmerweise genötigt werden, sich teils von fiebrigen Träumen nicht mehr recht unterscheiden ließ und diese wiederum auch höchst ungebeten anreicherte.

Es kam mir auf diese Art alles vielleicht noch etwas verrückter und auch bedrohlicher vor als Ihnen. Und das will vermutlich etwas heißen, in diesen Tagen des freiheitlich-demokratischen Verfalls.

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Zwischendurch Marianne Faithfull winken. Auch wichtig.

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Und immer weiter die Lektionen von Ian McEwan gehört, wenn auch mit einigen Lücken, da ich zu oft einschlafe, wenn ich mich liegend mit Hörbüchern beschäftige. Es ist, wie bereits erwähnt, ein langes Hörbuch. Ich habe lange keines mehr mit einem solchen Umfang gehört.

Literarisch würde ich dem Autor mittlerweile einige freundliche Vorwürfe machen wollen. So wird etwa neben der Romanhandlung nennenswert zu viel Geschichtsunterricht eingebaut, manchmal eher lose mit der Handlung verwoben. Von wegen „show, don’t tell“, das wird hier teils ad absurdum geführt.

Aber die Vorwürfe muss ich gar nicht machen, denn auch der Geschichtsunterricht interessiert mich und ich höre also noch einmal nach, wie es damals mit der Kubakrise war, wie mit Tschernobyl oder auch mit dem aufkommenden Thatcherismus. Und ich finde alles interessant, da muss ich nicht meckern.

Kann ich das wenigstens bei einem Thema noch sagen.

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Noch dies und jenes versuchen

Gehört: Bei der Reihe „Zwischentöne“ kann ich mir auch einige der alten Sendungen anhören, dachte ich mir, und begann mit Wolf Lotter, aus dem Mai des letzten Jahres. Da geht es u.a. kurz um die lateinische Phrase nulla dies sine linea, kein Tag ohne Zeile, bzw. Linie.

Die Wendung wird auf dieser Wikipedia-Seite kurz erläutert und passt mir, wie man sich vorstellen kann, gut. Lotter sagt da: „Ein, zwei Stunden Schreiben, das braucht es, um den Kopf in einen Zustand zu bringen, um so denken zu können, wie ich es gerne hätte.“

Jo. So ist es, ich schließe mich an. Wie ich ab und zu an anderer Stelle sage, ohne das regelmäßige morgendliche Schreiben wäre ich vermutlich schon aus dem Verkehr gezogen worden. Man muss sich die Hilfsmittel zurechtlegen, wie man nur kann.

Interessant aber auch, dass Wolf Lotter das Recht auf Home-Office mit der Emanzipation des Individuums zusammenbringt, das sagte mir ebenfalls zu.

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Ansonsten im Laufe des Tages schleichend leicht angegrippt. Ab dem frühen Nachmittag erste Anzeichen von Schüttelfrost, Halsschmerzen etc. und von da an abwärts, man kennt das. Das stündlich zunehmende Krankheitsgefühl passte dann unangenehm gut zur Politik in diesem Land. Auch gewisse Werte und die Demokratie sind nicht mehr im besten Zustand. Die haben aber auch in den letzten Jahren unübersehbar abgebaut, wie wir alle bemerkt haben werden. Etwas hinfällig wirken sie mittlerweile, etwas angeschlagen, wenn nicht sogar deutlich pflegebedürftig. Die kommen ohne Hilfe doch gar nicht mehr klar, denkt man immer öfter.

Man könnte sich bei den negativen Formulierungen dieser Art noch weiter steigern, und bei gewissen Parteien habe ich ohnehin kaum noch Hoffnung auf Besserung. Das war es dann wohl.

Andererseits hilft uns die fatalistische Haltung nicht mehr weiter, wie wir ebenfalls alle wissen. Die Mühen der Ebene oder der Berge, wo sind wir eigentlich. Offene Feldschlacht und die Kunst des Krieges, allmähliche Verfertigung, Kaizen, alerta, alerta, was auch immer. To muddle through and to keep buggering on, wie in den letzten Wochen bereits für dieses Jahr vorgemerkt. Wir können aus den Geschichtsbüchern keinen Berechtigungsschein auf eine uns genehme und sich progressiv entwickelnde Weltlage ableiten, wie es aussieht. Es wirkte nur eine Weile lang so, und wir wollten es wohl auch zu lange glauben.

Jeder also wo, wie und was er kann, um es kurz zu fassen. Mit Bandenbildung und allem. Wir wollen uns doch etwas Mühe geben, wollen wir nicht?

Mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit wird sich mein Befinden allerdings in wenigen Tagen bereits deutlich verbessern, vielleicht sogar schon in Stunden. Wie es bei gewöhnlichen Infekten so ist. Beim Land, bei den Werten und bei der Demokratie wäre das in dieser Geschwindigkeit eine Wunderheilung, damit rechne ich nicht.

Es sind doch eher chronifizierte Gebrechen, die einer komplizierten Langzeittherapie bedürfen, und ein Ende ist auch nicht abzusehen. Die diagnostizierenden Fachleute machen vage Gesten der Unbestimmtheit und wissen noch nicht recht. Sie gucken mehrheitlich eher skeptisch als optimistisch, legen sich aber nicht fest. Noch dies und jenes versuchen, sagen sie, man will dann auch nicht ausgelassen haben. Wohin aber schickt man Länder, Werte und Systeme zur Kur?

Darüber heute ein wenig im Bett nachdenken. Ich lege mich wieder hin.

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Nicht gut, nur besser

Home-Office der turbulenten Art am Dienstag. Sofern man sich Arbeit am Schreibtisch in einer turbulenten Ausprägung überhaupt vorstellen kann. Immerhin, und da haben wir also wieder ein Immerhin erbeutet, so sagen wir es uns ab und zu gegenseitig während der Arbeit auf, immerhin geht es bei uns nicht um Menschenleben oder verderbliche Lebensmittel. Und dann geht’s ja noch. Sagen wir uns also vor und machen dann einfach weiter, ohne eine etwaige beruhigende Wirkung erst abzuwarten.

Aber es klingt doch irgendwie tröstlich, für einen Moment. In anderen Berufen haben sie echtere Probleme.

Während der Bürostunden wird es draußen heller als sonst, wärmer auch, freundlicher. Ich ahne es allerdings zunächst nur, es ist etwas hinter meinem Rücken, das sich ändert. Ich sehe selbstverständlich auf den Bildschirm, es ist nur so eine Ahnung. Der Kontrollgang auf den Balkon bestätigt meine Vermutung dann Stunden später: Massive Vorfrühlingsverschärfung. Der Himmel sieht heute aus wie aufgestockt, dem Blau wurden große Mengen Grauanteil entzogen, was entstehen da oben für Möglichkeiten.

Raum für neue Jahreszeiten vielleicht. In den Nachrichten sehe ich außerdem kleine Meldungen über verfrühte Vogelzugbeobachtungen und in den kleinen Beeten am Rand der Fußwege, in den städtischen Hundeklos sprießt das Unkraut in frischem Grün und drängelt sich schon. Hier und da sind auch Menschen im Bild, die seltsam entspannt aussehen.

Ein Paar sitzt auf dem gepflasterten Ufer der Kleinen Alster und sieht auf die Alterarkaden

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Falls Sie neulich meiner Empfehlung (hier) gefolgt sind und sich die dort verlinkte Meyerhoff-Lesung zur Belebung Ihrer Laune angehört haben, es gibt auch eine Folge der angenehm entspannten Radioreihe „Zwischentöne“ mit ihm. Ganz frisch ist sie noch, diese Sendung, und sie passt hervorragend hinter das Lesevergnügen.

Man hört ihm gerne zu, denke ich. 67 Minuten, auf den Wegen zum Discounter und zu anderen Läden habe ich das gehört, und feine Unterhaltung beim Alltagsprogramm war es.

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Gesehen: Eine Doku bei arte über Roy Orbison, noch einmal eine Stunde ohne Politik. Ich sammele es mir so zusammen, im Moment sogar ziemlich berechnend, tatsächlich mit Blick auf die Uhr. Es muss genug vom Tag eher unbelastet sein, dann kann mit dem Rest besser umgegangen werden. Obwohl ich es, das ist auch klar, nicht schaffen werde, gut damit umgehen zu können.

Nicht gut, nur besser. Die Zeiten drängen zu seltsamen Feststellungen.

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Gonna be a long Monday

Gonna be a long Monday, sang ich am sehr frühen Montagmorgen leise unter der Dusche, denn Du sollst Deinen John Prine ehren und situativ korrekt anbringen, wo immer es geht.

“Gonna be a long Monday

Stuck like the tick of a clock

That’s come unwound – again.”

„Der Regen beginnt in 25 Minuten“, sagte die Wetter-App bei meinem ersten Blick darauf. Eine Botschaft, nach der man gewohnt hamburgisch eingenordet ist, noch bevor man vom Draußen irgendetwas wahrgenommen hat. Nach 24 Minuten dann die ersten Tropfen auf dem Dach; ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.

Ich sah aus dem Fenster. Ein Notarztwagen fuhr mit sich drehendem Blaulicht langsam die Straße entlang. An der Kirche vorbei, einmal um den Block und wieder unter meinem Fenster durch, Schrittgeschwindigkeit nur. Das blaue Flackern spiegelte sich in den Pfützen auf der Straße und in den noch dunklen Fenstern. Vermutlich wurde da eine Hausnummer gesucht, der Mensch auf dem Beifahrersitz hatte die Scheibe heruntergefahren und sich hinausgelehnt, sah sich um. Immerhin kommen die nicht wegen mir, dachte ich, um auch diesen Tag mit einem gekonnt eingefädelten Immerhin zu beginnen. Man muss sich psychologisch hier und da zu helfen wissen.

Kalendarisch und meteorologisch verortet, so sicherte ich meine Rahmenbedingungen ab und begab mich in weitere Gewissheiten. Danach erst die Nachrichtenseiten, danach erst das ganze Elend. Dann das Home-Office, die aufgewärmten Arbeitsreste der letzten Woche. Wobei es sich mit dem Aufwärmen von Arbeit nicht wie beim Gulasch verhält, es ist keine zuverlässige Steigerung des Genusses zu erwarten.

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Gesehen: Eine arte-Doku über die Katharina Blum von Heinrich Böll: „Das Erbe einer Erzählung.“ Auch dann interessant, wenn einem die Erzählung damals im Deutschunterricht gründlich versaut worden ist.

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Die Kaltmamsell erklärt uns noch einmal das mit der VG Wort und den Blogs.

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Und zweimal gab es gerade Interviews mit Christian Drosten, die Älteren erinnern sich, einmal in der taz zum Lesen und einmal zum Hören im Radio. Es fühlt sich an, als sei es enorm lange her, dass die in diesen Interviews behandelten Themen noch an der Tagesordnung in allen Medien waren, dass wir alle über wenig anderes sprachen und schrieben. Auch nach mittlerweile fünf Jahren bleibt es dabei, dass der Pandemiebeginn damals nicht nur meinem, sondern vermutlich unserem Zeitgefühl einen schweren und wohl irreparablen Schaden zugefügt hat. Seitdem ist und war alles irgendwann, genauere Einschätzungen sind schwierig.

Und damit ab in den Tunnel der Restwoche. Und die hört auch irgendwann auf.

Die U-Bahn-Röhre des U2-Tunnels im Hauptbahnhof

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Kartoffelsuppe, Dokus, Podcasts

Den Sonntag habe ich halb tatenlos vergrübelt, weil eine Kolumne einigermaßen dringend zu schreiben war und meine Kreativität zunächst etwas außerplanmäßig untertourig lief. „Is this a deadline, which I see before me?” Wie schon der geplagte Freiberufler Macbeth bei Shakespeare bangend fragte.

Den Rest des Tages habe ich dann mit Kochen (Kartoffelsuppe), Dokus und Podcasts verbracht, es hätte also schlimmer kommen können. Ab und zu habe ich mich außerdem leicht vor der kommenden Woche gegruselt. So wurde mir nicht langweilig und die Stimmung glitt nicht in allzu entspannte Bereiche ab, man kommt da sonst auch schwer wieder heraus.

Außerdem bin ich wie immer lange draußen herumgelaufen (Regen, Kälte, das ganze Programm wieder) und habe dabei das Hörbuch laufen lassen, Ian McEwans Lektionen, das immer noch gut und ablenkend ist. Denn ablenken muss man sich für einige Stunden pro Tag in diesen Zeiten. Schon ein kurzer Nebenbeiblick auf irgendeinen Bildschirm und die abgebildete Nachrichtenlage darauf verdirbt die Laune doch recht zuverlässig.

Da, wo man im Stadtteil gerade eine Turnhalle abgerissen hat, im Zweifelsfalle bei uns immer, um ein neues Hotel zu bauen, sieht man nun ein größeres Graffiti.

Ein großes Graffiti an einer Mauer hinter einer Brachfläche: "Gentrifizierung vorantreiben!"

Abends weitere Erzählungen von Alice Munro im Bett. Und so verging meine Zeit, die am Sonntag mir gegeben war.

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Gerne gesehen: Eine ARD-Doku, bei der man schon wieder etwas bemüht an aktuellen politischen Fragen vorbeidenken muss. Wenn man das hinbekommt, dann ist die Sendung immerhin entspannt zu betrachten: Menschen am Rande der Welt – Grönland. Über einen kleinen Ort weit draußen, jenseits von allem, irgendwo hinterm Eis. 40 Häuser nur, von denen im Winter nur zehn bewohnt sind. Mit Schule, Kirche und Handel, was man so braucht.

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Gehört: Eine Ergänzung noch zur neulich verlinkten Sendung über die Eisschmelze im Klimawandel: Bayerns Gletscher sind verloren. Und zwar sind sie demnächst verloren, wenn nicht sogar sofort, unverzüglich.

Außerdem hörte ich am Wochenende zwei längere Sendungen. Eine vom Deutschlandfunk über Geschichte und Gegenwart der Baltischen Staaten: Mit feindseligen Nachbarn kennen sie sich aus. 44 Minuten sind das. Ich fand die Folge lehrreich, denn es gab, wie ich leider merkte, erstaunlich große, wenn nicht schon peinliche Wissenslücken bei mir. Besonders aus der Zeit des Umbruchs nach dem Sowjetreich.

Aber gut, es war damals auch eine stark beschleunigte, enorm ereignisreiche Zeit. So eine aufgeladene Zeit, wie wir sie gerade wieder ähnlich erleben. Und vielleicht war es damals so schwer wie heute, bei allem hinterherzukommen, obwohl wir noch nicht den ganzen Tag am Internet hingen. Ich kann mich aber nicht ausreichend erinnern.

In Bezug auf die Sowjetunion fiel jedenfalls in der Sendung der wunderbar lapidare Satz: „Es war alles für immer, bis es vorbei war.

Die zweite längere Sendung war wieder der Podcast von Carolin Ehmke, „In aller Ruhe“, diesmal mit dem angenehm nüchternen Politwissenschaftler Volker Perthes, über die Lage in den USA und in Nahost, in Syrien.

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Gelesen: Sicher etwas um die Ecke gedacht, aber man kann sich küchenpsychologisch eine Linie denken, von den in den letzten Tagen hier geposteten Links und all den wüsten Meldungen in den Nachrichten über die Lage in den USA zum sich gerade belebenden Offline-Trend des Junk-Journalings. Ich finde es einigermaßen naheliegend.

Es spricht mich nicht an, aber ich kann den Reiz nachvollziehen.

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