Vielleicht eine gute Stunde

Die verbleibende Anzahl der Tage bis zu meinem Urlaub finden wir heute ausdrücklich benannt in der Offenbarung, Kapitel 2, 10: „… und ihr werdet Drangsal haben zehn Tage lang.“

Drangsal ist überhaupt ein bemerkenswert schönes Wort, fällt mir dabei auf, das auch mal wieder verwenden. Bonuspunkte, wenn man es im Büro unterbringen kann.

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Der Pride-Month ist bereits durch, wenn ich richtig orientiert bin, aber ich habe noch ein Bild aus den letzten Tagen parat, das ich eben nachreichen und beschreiben will.

Vom Balkon aus sehe ich auf den Spielplatz hinunter, der gerade ziemlich leer ist. Es ist eine Wochenendnachmittagsstunde und das Wetter ist durchwachsen, wenn man es nett ausdrücken möchte. Schauer ziehen wieder durch, es droht auch erneut ein Gewitter und am Himmel sieht man sowohl das kräftige Kornblumensommerblau des Julianfangs als auch die ganzjährig auftretenden schwarzgrauen Wolkenhügel. Es durchmischt sich, es wird minütlich neu entschieden, was über uns den Moment gewinnt.

Wenn man da hochsieht, geht man hinterher nur mit Schirm oder Regenjacke raus, so viel steht fest. Wenn man da hochsieht, geht man vielleicht auch lieber nicht raus, denn schon wieder nass werden – ja, ist gut jetzt, wie Herr Drosten damals sagte. Man ist in diesem Sommer schon genug nass geworden.

Auf dem Spielplatz ist nichts los, nur in der Mitte steht eine einzelne Mutter. Sie hält einen großen, etwas überdimensioniert wirkenden Regenschirm, mindestens Grandhotelportiergröße, über sich und ihr Kleinkind. Das krabbelt zu ihren Füßen herum und wühlt mit beiden Händen im regennassen Sand. Lachend, wenn ich es richtig erkenne. Der Schirm der Mutter ist regenbogenfarbig bunt gestreift.

Man kann nun nicht wissen, ob dieser Schirm vielleicht in einem queeren Pride-Kontext zu sehen ist. Man kann es nur vermuten. Vielleicht gibt es Regenbogenschirme und ihre Benutzerinnen auch ohne diesen Kontext, das mag sein. In unserem Stadtteil aber, der zumindest bis vor kurzer Zeit eine große, lebendige schwule Szene mit vielen Kneipen, Clubs etc. hatte, überall die Regenbogenaufkleber in den Fenstern und die Fahnen an den Balkonen, ist es eher unwahrscheinlich, dass man den Schirm ohne diesen Kontext spazierenträgt.

Aber unmöglich ist es auch nicht.

Diese bunte schwule Szene übrigens fällt in den letzten Jahren auch mehr und mehr dem Tourismus und den immer weiter steigenden Mietpreisen zum Opfer und dünnt daher zusehends aus. Ein Club nach dem anderen muss weichen, die Szene ist fast schon ein Reiseführerrelikt und längst nicht mehr so lebendig, wie sie in den Büchern noch beschrieben wird.

Zurück zum fast leeren Spielplatz. Da ich von oben auf die Mutter mit dem Schirm hinuntersehe, kann ich von ihr kaum etwas erkennen. Nur den Rand ihres blauen Kleides sehe ich manchmal, die Schuhe. Daneben das Kind auf allen Vieren. Der Regenbogenschirm dreht sich, kreist und wippt. Wenn man an den Bewegungen eines Schirmes die Stimmung der Trägerin erkennen kann, was meist eher zweifelhaft sein wird, dann wirkt diese schirmtragende Figur dort unten an der Sandkiste in diesem Moment munter, lebhaft und vergnügt.

Vielleicht ist es eine gute Stunde mit einem bestens gelaunten Kind auf einem leeren Spielplatz. Es gibt so etwas. Ich erinnere mich sogar, auch wenn es bei mir lange her ist.

Es regnet gerade nicht, aber das hat diese Mutter – wobei es gar nicht die Mutter des Kindes sein muss, sehen Sie, man leitet dauernd nur von Wahrscheinlichkeiten ab und behauptet dann so herum – wohl nicht bemerkt. Sie schließt ihren Regenschirm nicht. Oder sie hat es doch bemerkt und hat den Schirm aber gerne über sich, mag sein. Vielleicht ist es ein besonders schönes Licht, unter diesem so farbigen Schirm, das kann man sich leicht vorstellen. Die Sonne kommt wieder durch, alles leuchtet auf, im Laub der Bäume glitzern die Tropfen.

Jedenfalls bleibt er aufgespannt, dieser bunte Schirm, und dadurch sieht die Frau etwas nicht.

Über ihr spannt sich nämlich noch etwas. Ein prächtiger Regenbogen steht jetzt in der Originalversion am Himmel. Das Naturphänomen, bekannt aus Bilderbüchern, Märchen und Naturdokus. Der Topf voll Gold am Ende des Bogens wird diesmal in der Nähe der Elbe zu finden sein, bzw. am anderen Ende auf der Uhlenhorst, nahe der Alster, im Nachbarstadtteil. Welches Ende ist eigentlich richtig?

So schön wie diesmal sieht man einen Regenbogen nicht oft bei uns. Er ist mustergültig und besonders effektvoll in der Erscheinung, vor dem schon wieder dunkler werdenden Himmel. Der Mittelpunkt des Regenbogens oben liegt in etwa über dem Regenbogenschirm auf dem Spielplatz unten. Wie unfassbar passend Momente ausgestaltet werden können. Ein Foto davon würde man vermutlich zunächst für ein KI-Werk halten, so gestellt, unwahrscheinlich und hingetrickst sieht das aus.

Aber egal. Auch wenn es noch so unecht anmutet – ich wollte Ihnen das Bild doch kurz gezeigt haben. Ich wollte es dem Pride-Month noch eben hinterhergeschrieben haben.

Es geht mitunter bunt zu, da draußen.

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Das Ende der wirren Wahnwoche

Gelesen: Eine neue Monatsnotiz von Nicola.

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Gehört: Italienische Küche – Alles nur Mythos? Ich habe nichts gegen erfundene Traditionen, wie sie in der Sendung geschildert werden. Ich finde ihre Entstehung und das Verlangen danach eher verständlich. Es wird erst da peinlich und anstrengend, wo die stets unvermeidlich humorlose Besserwisserfraktion bei jedem tatsächlich oder vermeintlich traditionsbehafteten Thema, also auch beim Essen, die einzig richtige Wahrheit predigt. Ich koche mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt. Traditionen bitte lässig erfinden und locker umgehen. Dann lebt es sich viel entspannter, daher haben wir das schon immer so gemacht.

Außerdem gehört: Ein Zimmer für sich allein – Autorinnen feiern späte Erfolge. Über Ingrid Noll, Helga Schubert, Gabriele von Arnim, ihre eigenen Zimmer und die Möglichkeit, eine Tür hinter sich schließen zu können. Ja, ein eigenes Zimmer, das wäre etwas. Quasi auf meiner Bucket-List, die ich doch gar nicht habe.

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Am Sonnabend, ich höre danach wirklich auf mit dem elenden Aggressionsthema, war in Hamburg eine weitere sommerliche Großveranstaltung. Es fand der Triathlon statt, mit über zehntausend Teilnehmerinnen.

Man rennt und fährt und schwimmt dabei in der Innenstadt und in der Alster herum. Also gibt es schon wieder absurde und vielfältige Verkehrssperrungen überall, also stehen noch einmal knatternde Hubschrauber stundenlang über unserem Haus am Himmel. Mit einem Geräusch, bei dem es nach ein paar Stunden fast allen schwerfällt, nicht stimmungsmäßig durchzubrennen. Das würdige Finale einer durchgeknallten Woche, es wurden an diesem Tag alle um uns herum endgültig verrückt.

Ein infernalisches, nervenzerlegendes Hupkonzert im monströsen Stau vor unserer Haustür von früh bis spät. Menschen mit mentalen GAU-Erscheinungen an Steuerrädern. Aus einem Fenster im Haus gegenüber lehnt sich am Nachmittag ein kleiner Junge und ruft zu den Irren in den Autos hinunter: „Wodka, Korn und Bier, alles gibt es hier!“ Er winkt mit beiden Armen, er lacht und ruft den Satz oft und laut. So laut ihn ein Kind im Grundschulalter eben rufen kann, und das ist beeindruckend laut, wie man von Schulhöfen weiß. Er hat sichtlich Spaß an seinem kurzen und einprägsamen Text, von dem ich nicht weiß, ob er irgendwo herkommt oder selbst ausgedacht ist. Ich erinnere mich nur an die Reihung „Korn, Bier, Schnaps und Wein“, so sangen es damals die Toten Hosen, in einem Land vor unserer Zeit.

Immerhin sehe ich aber auch, jetzt wird es unerwartet versöhnlich, dass ein Geschwisterkind den Jungen die ganze Zeit am Hosenbund von hinten festhält, während er sich hinauslehnt. Es ist ein wahres Sinnbild der Restvernunft nach einer wirren Wahnwoche. Diese kleine Hand am Gürtel da, im Zimmer gegenüber.

Es gibt Menschen,  die noch normal mit- und auch an andere denken, die restvernünftig handeln. Sehr gut ist das, und tröstlich auch.

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Gesehen: Eine erfreulich lange, geduldige und ruhige Interviewsendung “By Sidney Lumet“ auf arte. Was sagt er da, gleich in den ersten Minuten: „Solange ich arbeiten kann, bin ich zufrieden.“ Ja, so kann man auch zu seinem Beruf stehen. Also manche können das. Es ist nicht allen gegeben.

Sehr schöne und lange Zitatszenen aus seinen Filmen sieht man jedenfalls in der Sendung. Nach denen man dann aber all die nur kurz angespielten Filme dringend in voller Länge sehen oder noch einmal sehen möchte, also wieder ein Problem mehr hat.

Sehenswert, diese Sendung. Ich habe dem Herrn Regisseur gerne zugehört.

Segelboote an einem Steg an der Außenalster, bewölkter Himmel, sommerliche Anmutung

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Die geplanten Arbeiten

Gelesen: Innendrin hundert geworden.

Die geschätzte Landlebenbloggerin schildert in ihrem frisch renovierten Blog einerseits das Boot und andererseits eine ganz andere Kassensituation, als ich sie hier beschrieben habe. Es liegen offensichtlich einige Welten, nicht nur etliche Kilometer zwischen unseren Gegenden.

Und weil es nach dem letzten Kassentext von mir wieder mit Erstaunen kommentiert wurde: Ja, Security in Supermärkten und Discountern ist bei uns normal. Die Alkoholszene, die Drogenszene, die Armut, das Elend, die Obdachlosigkeit. Dazu noch andere Gruppen mit besonderen Problemen. Etwa die Menschen mit diversen, teils deutlichen psychischen Defiziten, wie die Gestalten, welche den ganzen Tag laut vor sich hin schimpfen und pöbeln. Oder seien es die in meinen Texten gerade geschilderten Leute mit erheblichen Aggressionsproblemen und allzu kurzer Lunte.

Ich übertrieb in den letzten Blogartikeln nicht, es gibt so viele von diesen Leuten in der Mitte der Stadt. Wenn Sie in einem Dorf wohnen, nehmen Sie einfach an, dass es viel, viel mehr sind, als sie denken. Es wird hinkommen. Und der Einkauf ist immer eine Situation der sozialen Begegnung. Ein Einkauf ist also immer kritisch. Menschen stoßen auf oder vielleicht sogar an andere. Das metallene Geräusch sich berührender Einkaufswagen als Warnsignal, der Discounter ist auch deutlich zu eng. Ein großes Problem.

Nach dem, was ich täglich mitbekomme, ist die Security zumindest in dem Laden, in dem ich am häufigsten bin, öfter bei Verhaltensproblemen als bei Diebstahldelikten im Einsatz. Und zwar signifikant öfter.

Wir haben, das darf man vielleicht gültig ableiten, zumindest in den großen Städten ein überdeutliches kollektives Benimmproblem. Man kann es anders benennen und soziologisch sicher tiefsinniger ausdeuten, aber letztlich ist es genau das.

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Okay. Wenden wir uns wieder anderen Themen zu. Ein gezeichneter Hase wird kurz eingeblendet: Seid zur Heiterkeit bereit.

Am Freitag sollten aufwändige Arbeiten von Handwerkern bei uns im Haus durchgeführt werden, diese fielen aber unerwartet und kurzfristig aus. An der Eingangstür unten hing ein Brief der beauftragten Firma, in dem als Begründung stand: „Die geplanten Arbeiten fallen wegen weiterer Arbeiten aus.“

Ein sympathischer Satz, finde ich. Wir können, wenn man lange genug darüber nachdenkt, mit dieser Argumentation alle die Arbeit, also jegliche Arbeit, umgehend einstellen: Die geplanten Arbeiten fallen wegen weiterer Arbeiten aus.

Das vielleicht auch als Outlook-Standard-Textbaustein erfassen. Diese Aussage außerdem an anderen Stellen zur Geltung bringen und anwenden. Ich kann hier im Haushalt beginnen: Das geplante Staubsaugen fällt wegen weiterer Arbeiten aus. Es ist schlüssig, es ist bündig, es überzeugt.

Ich habe noch etwa zwei Wochen bis zum Urlaub, aber vielleicht kann ich mit dieser Logik schon etwas früher aus allem aussteigen. Denn auch im Büro wird der Satz passen. Und wie er passen wird.

Aber apropos. Die Herren Söhne werden ab Mittwoch wieder Ferien haben. Die langen Sommerferien werden sie haben, bei denen wir Eltern wie immer nicht mithalten können. So viele Urlaubstage hat kein Mensch, wenn man vom Lehrpersonal absieht. Und doch ist die Sommerferienzeit in ihrer beträchtlichen Erstreckung für mich immer eine Zeit minderer Motivation und zumindest angestrebter Lässigkeit. Also für meine Verhältnisse jedenfalls. Und da ich für eine französische Firma arbeite, wird es auch außerhalb meiner eigenen Urlaubswochen im Brotberuf wahrscheinlich demnächst etwas ruhiger zugehen, wie in jedem Jahr.

Im Hochsommer ist in Paris kein Mensch, der ein auch nur halbwegs normales Leben führt, im Büro. Man bekommt von dort in dieser Zeit Abwesenheitsmeldungen mit teils beneidenswerten, fantastisch anmutenden Zeiträumen: Votre e-mail ne sera pas lu.

Was ich sagen wollte, es kann hier in den nächsten etwa sechs, sieben Wochen zu Unregelmäßigkeiten kommen. Zu verspäteten, verschobenen, ausgefallenen Texten. Es könnte ein wenig wie bei der Bahn sein, kommste heut nicht, kommste morgen, die nachfolgenden Texte verspäten sich um …

Aber vielleicht kommt es auch anders. Vielleicht schreibe ich pünktlich wie fast immer weiter, stoisch und verlässlich wie ein Uhrwerk aus der Klischee-Schweiz. Es liegen so viele Notizen noch auf Halde. Es gibt genug Material und es wird dauernd neuer Stoff anfallen. Selbst wenn man gar nichts macht, selbst wenn man nur wellnessbemüht irgendwo lesend oder dösend  herumliegt, an einem Pool vielleicht , immer fällt doch etwas an. Sie wissen jedenfalls Bescheid, wenn es hier ein wenig ungewöhnlich zugehen sollte: Es liegt nur wieder an der Saison.

Und zumindest einige der geplanten Arbeiten, soviel steht fest, werden wegen weiterer Arbeiten ausfallen.

Zwei Gänse am frühabendlichen Ufer der Außenalster, auf der einige Segelboote mit orangefarbenen Segeln zu sehen sind

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Abendliche Fenstergedanken

In Ergänzung zum gestrigen Text noch eben eine schnelle Anmerkung. Die Grundaggression in dieser Stadt war auch am späten Abend dieses etwas seltsamen Tages nicht zu überhören und weckte mich zu später Stunde sogar wieder auf. Keifende Menschen auf der Straße, schon wieder dieser schnell erkennbare Tonfall von „Willst du aufs Maul oder was!“

Als würden sich sämtliche Menschen aus den Autos heraus an die Kehle wollen. Vor unserem Haus ist eine Engstelle im Verkehr, und es macht die Menschen fertig, man kann es nicht mehr anders sagen, dass sie da etwas langsamer werden müssen. Dass sie manchmal sogar halten müssen. Eine unerträgliche Zumutung.

Bei manchen eine derart mangelnde Affektkontrolle, dass man es in Kindergärten schon kritisch würdigen würde. Da mal den Eltern eine Mitteilung machen, der kleine Benny oder wer auch immer hat heute schon wieder andere Kinder angefallen. Und dann aber schnell Stuhlkreis und Problembewusstsein.

Ich sehe aus dem Fenster auf die spätabendliche Straße hinunter, was da nun wieder los ist. Es sind normale Menschen, die da explodieren. Es sind keine Gangstertypen aus den Problemvierteln der Stadt. Es sind auch keine herumhängenden Jugendlichen, es sind keine Alkoholkranken mit Überdosis. Es sind  keine durchgeknallten Crackjunkies, keine Fußballfans im kollektiven Wahn. Durchschnittsmenschen in Durchschnittsautos sind es.

Und auch das kommt mir wieder ungemein dystopiegeeignet vor. Die Aggression steigt aus unerklärlichen Gründen einfach stetig an, alle paar Wochen eine Umdrehung weiter. Die Zivilisation hält es nicht lange aus, und dieses Szenario entwickelt sich dann auch fast wie von selbst. Man kann das alles vorhersagen, was in dem Film oder Buch passieren muss.

Wir alle können das vorhersagen, nehme ich an, man muss nicht besonders kreativ sein. Man muss nur schlicht hochrechnen, was es jetzt schon zu sehen gibt, zumindest in Großstädten. Wenn ich eben unterstellen darf, dass es in anderen Großstädten auch so zugeht wie bei uns.

Eine immer wütender werdende Welt ist jedenfalls eine weitere faszinierende Zukunftsvorstellung, und an diesem Tag kommt sie mir nicht eben unwahrscheinlich vor. Die Hauptrolle in der Hollywoodversion müsste dann einem Menschen zukommen, der sich emotional seltsamerweise noch im Griff hat, ein spockhafter Sonderling.

Ich wollte nur eine kleine Ergänzung schreiben, fällt mir wieder ein. Zwei, drei Sätze wollte ich nur schreiben, daraus ist ein Blogartikel in üblicher Länge geworden, wie ging das zu. Das war so nicht geplant, und ich mag es nicht, wenn Ungeplantes geschieht.

Im Sinne dieses Textes und der allgemeinen Trends der Zeit vielleicht gleich mal das Notebook an die Wand werfen.

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Ausgelacht und angepampt

Am Mittwoch Office-Office in Hammerbrook. Vor dem offenen Fenster kreisen tieffliegend auf dem Parkplatz herumlungernde Möwen beträchtlicher Größe und lachen mich in hysterischem Tonfall gellend laut aus, stundenlang und immer wieder. Dahinter die tief wummernden Geräusche der alle paar Minuten vorbeifahrenden S-Bahn. Neben den Gleisen werden große Gerüststangen von einem LKW mit Schwung in einen asphaltierten Hof geworfen, viele davon. KREISCH RUMPEL SCHEPPER, die Geräuschkulisse des Tages im Stadtteil der Arbeit.

Ich arbeite dezent und vergeblich gegen den Lärm an, mit vermutlich kaum hörbaren Tippgeräuschen. Was man so macht, in einem Büro.

Beim Discounter auf dem Rückweg nach Hause schreien sich später zwei Menschen an, weil sie sich um eines dieser Warentrenndinger an der Kasse streiten, als gäbe es keine wichtigen, großen Themen im Leben. Sie mit stark russischem Akzent, er mit vermutlich arabischem Akzent, beide werfen sich mit Vehemenz ihre jeweilige Herkunft und auch ihre Dummheit vor. Sie beleidigen sich nach Kräften unter Erwähnung sämtlicher Klischeevorstellungen über die jeweils vermuteten Hintergrundländer. Während die zahlreichen Umstehenden aus wer weiß wie vielen weiteren Ländern im Geiste vermutlich beliebig und aus reichem Fundus anlegen. Deutsche selbstverständlich eingeschlossen.

Der Mann von der Security steht augenrollend daneben, stöhnt und sieht aus, als würde er gerne und am liebsten umgehend die komplette verdammte Kundschaft aus dem Laden werfen. Es kommt mir ausgesprochen nachvollziehbar vor. Allerdings wäre diese Aufgabe gerade zu groß für einen allein, es ist voll.

Die Frau hinter mir in der elend langen Warteschlange vor der Kasse, immer der Personalmangel, regt sich in einem theaterhaft laut geführten Telefonat darüber auf, dass sie hier anstehen muss: „Schlimmer als bei uns! In einem reichen Land!“ Ob ich sie nicht vorlassen könnte, fragt sie dann. Was ich verneine, und was dann zu gezischten Beschimpfungen führt. Kopfhörer rein und Musik hören, Abhilfe suchen, wo es sie nur gibt.

Was wird mir zugeshuffelt? Your mind is on vacation, es passt schon.

An der Kreuzung vor der Tür brüllen sich Menschen an, weil sie sich um einen Parkplatz streiten, aus SUV-Fenstern gereckte Fäuste. Wüste Drohungen, man attestiert sich Behinderungsgrade und geistige Gebrechen. Krach gibt es auch, weil ein Greis mit Rollator nur in Zeitlupe über die Kreuzung krebst und also die herandrängenden Autos aufhält, weswegen dringend von allen Seiten gehupt werden muss.

Was ist hier eigentlich los. Ist das summer in the city, ist es vielleicht too hot in the city. Ist es der Zeitgeist oder ist es nur der Zufall der Großstadtbegegnungen. Oder ist es nur diese eine Stunde, wäre ein wenig später alles friedlich und besinnlich auf meinem Weg. Es kommt mir nicht so vor.

Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs, und gleich in dermaßen reicher Auswahl. Man wirkt schon beherrscht, wenn man gerade niemanden anschreit.

Im Laufe des Tages fühle ich mich zusehends hitzelädiert und allgemein überbeansprucht. Obwohl es schon heißer war in dieser Stadt, ich weiß. Aber was nützen pflichtgemäß klingenden Relativierungen. Wenn man durch ist, ist man durch.

Weitere Einkäufe für die ebenfalls schwächelnde Mutter und für uns. Kochen für die Familie. Etwas Haushalt, die üblichen Erledigungen. Alles ist heute zu viel, auch der Gang zur Eisdiele, sagt man das überhaupt noch so, ist zu anstrengend.

Frühes Wegklappen also und anschließendes Herunterfahren im Bett, das allerdings auch zu warm ist. Nach nur einer halben Stunde etwa mit einem alten Film von Chabrol bei filmfriend. „Die Straße von Korinth“ von 1967, Jean Seberg (mir waren die wilden Umstände ihres Todes nicht bekannt) und Michel Bouqet.

Ein nicht allzu einprägsamer Film, eine eher seltsame Angelegenheit. Aber wieder diese 70er-Jahre-Kulissen, all diese vergessenen Details. Es ist doch faszinierend, wenn man damals auch schon dabei war.

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Duckfaces und echte Enten

Am frühen Abend eines heißen Tages saß ich an der Alster, ich hatte ein Date in der Abendsonne. Ein wenig vorabendserienmäßig war es von der Ausstattung her, ein wenig posh, wie meine Begleitung befand. Die Sonne glitzerte in den Kaltgetränkgläsern wie in klassischen Werbefilmchen. Üppig gediehene Palmen standen in großen Pflanzkübeln davor, leicht wedelnd im Abendwind. Feierabendgäste der gepflegteren Art um uns herum. Büromenschen in smart casual und noch entspannter. Es war warm, so warm, die aufgeheizte Stadt. Man legte ab, was nur ging.

Unter den jüngeren Gästen am Steg einige, die sich mit den Selfies vor der Kulisse des Bilderbuchjulis erheblich Mühe gaben. Viele Versuche, aufwändige Inszenierungen, lange Begutachtungen der Ergebnisse und Nachbearbeitungen. Stative sahen wir, große Kameras auch, nicht nur schnelle Schüsse aus dem Handgelenk nebenbei. Es musste schon alles stimmen. Minutenlange Frisurkorrekturen, oft wiederholtes Herumzuppeln an Kleidchen und Klamotten, am Schmuck, an allem. Grimassierende Duckfaces auf den Selfiegesichtern um uns herum. Wie in einem Kabarettprogramm sah das aus, wenn Selfies lächerlich gemacht werden sollen. Eine zu oft gespielte Nummer, aber was interessiert das die Wirklichkeit.

Eine junge Frau in einem durchsichtigen Kleid, unter dem sich die Unterwäsche abhob und fürchterlich unordentlich saß, das konnte auf den Bildern kaum gut aussehen. Ich hatte ein ausgeprägt elterliches Bedürfnis, ihr das mahnend mitzuteilen.

Aber Contenance. Immer nur die eigenen Kinder kritisch kommentieren, und auch die besser nicht zu oft.

Segelboote im Abendlicht vor uns, langsam durchs Bild gleitend, elegant wendend. Daneben die Schiffe der weißen Alsterflotte, letzte Fahrten des Tages vielleicht schon. Außerdem Tretboote, in denen alle Plätze besetzt waren. Familienverbünde fuhren noch ein Viertelstündchen vor der Bettzeit herum. Kleinere Kinder mit Schwimmwesten hinten, die Väter vorne am Steuer, die Mütter daneben. Fast immer die Väter am Steuer.

Schwäne, Gänse, Enten und Möwen. Etliche Vögel sahen wir oben segelnd oder unten dümpelnd in dieser Szenerie. Die Sonne sank langsam am Westufer nieder, es gefiel allgemein.

Updates und Austausch, wir hatten uns länger nicht zu zweit gesehen. Wer macht was und mit wem, und auch wieder: „Was wurde eigentlich aus“, die beliebte Rubrik. Dazu die üblichen Themen unseres Alters, etwa die langsam kritischer werdenden Zustände der Eltern. Die Abläufe ähneln sich bei uns allen, Variationen auf eine Grundmelodie werden durchgespielt.

Immerhin mussten wir keine eigenen Krankengeschichten abnudeln, dafür muss man dankbar sein. Es endet üblicherweise irgendwann, dass man ohne diese Themen durchkommt. Noch einmal Schwein gehabt, das stets mitdenken.

Beim Zahlen dann die unwillkürliche Frage, als der absurd hohe Preis genannt wurde: „Kann das denn sein?! Für vier Getränke?“ Ich freute mich immerhin, dass nicht ich das laut gefragt hatte. Ich hatte es nur gedacht. So ist es nämlich, wenn man nicht oft ausgeht. Man staunt dann mit seinen Preiserinnerungen, die allmählich dezent veraltet sind, die eindeutig präpandemisch sind.

Und die Bedienung, entspannt gelaunt, mit lässiger, großer Geste über das Gewässer zeigend: „Was wollen Sie, Alsterblick!“

Und lacht und lacht. Wieder Gäste, die zu lange unter einem Stein gelebt haben oder aus der Provinz kommen. Kopfschüttelnder Abgang.

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Eine normale, gut vorstellbare Geschichte

Christian schreibt hier über den vermeintlichen Rechtsruck, mit interessanten Links, und wenn Sie dazu noch etwas sehr Schräges hören wollen, dann empfehle ich Ihnen ein Zeitfragen-Feature über die Geschichte der Reichsbürger mit höchst bemerkenswerten Tonaufnahmen aus dem Jahr 1975.

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Gesehen, und besonders gerne gesehen: Mademoiselle Chambon. Es war wiederum ein Film bei arte, ich gucke da jetzt alles leer, bis ich wieder à jour bin.

Von 2009 ist dieser Film, er wirkt noch gegenwärtig. Regie Stéphane Brizé, von dem gerade noch mehr bei arte zu sehen ist. In den Hauptrollen Sandrine Kiberlain und Vincent Lindon, beide sind ausgezeichnet besetzt. Sie waren auch privat ein Paar, lese ich nach, und trennten sich, während sie im Film gerade laut Drehbuch zögerlich und kurz zusammenkamen. Ihr Beruf bietet spezielle Gelegenheiten für ironische Entwicklungen. Es müssen seltsame Erfahrungen sein, stelle ich mir vor.

Der Film gefiel mir jedenfalls, ein leiser, zurückhaltender, betont ruhiger Liebesfilm. Dezidiert unaufgeregt mit besonders schönen Szenen der unerklärlichen Annäherung. Nicht der übliche sexuelle Magnetismus, der viel leichter zu inszenieren ist, mehr diese schwer greifbare Irritation eines obskuren Nähewunsches.

Es wurde sehenswert abgebildet, wie eine erst kaum spürbare Anziehungskraft entsteht. Eine Anziehung, wo besser keine hingehört, wo sie nicht gut passt, wo sie zumindest etwas ungelegen kommt und dann auch andere mehr und mehr stört. Wie man damit umgeht, wenn das Gefühl doch nun einmal da und nicht mehr zu leugnen ist.

Wenn man also auf einmal dieses unerwartete Problem hat, diese einigermaßen unbegreifliche Zuneigung, die so nicht bestellt war. Die Verblüffung darüber und die nachfolgende Ratlosigkeit bis zur nachvollziehbaren Entscheidungsunfähigkeit, das spielen die beiden fantastisch. Kein fröhlicher Film, auch kein sehr trauriger Film. Eine normale, gut vorstellbare Geschichte mit einem besonders gelungenen Ende. Die lange Bahnhofsszene, hervorragend. Es gibt viele Liebesgeschichten, die mit Bahnhofsszenen beginnen oder enden, diese ist eine der besseren.

Deutliche Empfehlung jedenfalls für einen ruhigen, warmen Sommerabend bei leichter Schauerneigung und heraufziehender Bewölkung. Das Wetter wird dann zur Gefühlslage im Film gut passen.

Und bei der Kombination von Bahnhofszene und Liebe muss ich noch eben Agneta anlegen, das letzte Abba-Stück, es ist quasi Pflicht. So ein schönes Video war das, ich hätte mich in diesem Zug selbstverständlich auch in sie verliebt. Und wie.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über Iwan Turgenjew, von dem hier noch die „Aufzeichnungen eines Jägers“ bei den ungelesenen Büchern liegen, wie mir gerade beim Schreiben einfällt. Dieses Buch sollte ich vielleicht schon einmal auf den Herbststapel umsortieren. Ich könnte die Zeit nach der Sommerpause im Geiste bereits angehen, ich könnte hier und da und zumindest nebenbei schon etwas vorsorgen und zurechtlegen. Die Tage werden immerhin bereits wieder kürzer.

Außerdem hörte ich noch eine Sendung über Rosa Luxemburg. Da kann ich assoziativ gerade nichts anlegen, was aber nichts macht, glaube ich. Dennoch gerne gehört.

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Die schrundige Menschheit

Hier eine Meldung, die ich erst nur aus dem Augenwinkel gesehen habe, dass sich eine Hautkrankheit gerade rasant ausbreitet. Ein Pilzbefall, der eventuell über die Barbershops weiträumig gestreut wird, welche es auch bei uns im Stadtteil seit einigen Jahren in gefühlt jedem zweiten Haus gibt. Und es werden immer noch mehr.

In einem dystopischen Erzählszenario könnte man das mit einem naheliegenden Bezug zu Corona einbauen. Mit jeder Covid-Infektion wird das Immunsystem weiter geschädigt und schwächer. Pilze und dergleichen haben nach jeder Welle umso leichteres Spiel … so ein Drehbuch schriebe sich fast wie von selbst, denke ich. Und schon nach etwa 15 Filmminuten müsste die Maske immer mehr leisten. All die Flechten, Ekzeme, Knoten, Rötungen etc., die immer mehr entstellten Hauptdarstellerinnen. Schließlich mehr und mehr aussätzig aussehende Personen im Bild, die schrundige Menschheit, die Schuppen und das Schicksal. Und dazu der Klimawandel, es wird stetig wärmer, der Schweiß brennt an den Sommertagen sengend in den entzündeten Schleimhäuten …

Aber gut, wer hat schon noch Interesse an Dystopien.

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Am Sonntag habe ich am Abend noch weiteren italienischen Autorinnen und Autoren hinterher recherchiert. Damit ich mir kurz vor dem Urlaub bei nur einem einzigen Gang durch die Zentralbücherei auf jeden Fall genug Romane, Erzählungen etc. unter den Arm klemmen kann. Genug jedenfalls, um ein paar davon später im Liegestuhl lässig wieder verwerfen zu können. Es wird schon werden.

Weiter im Troller-Tagebuch aus Paris gelesen, passend zu den Wahlergebnissen aus Frankreich, es fügte sich angenehm. Und während er im Buch über den Aufstand von 68 und die irritierte Reaktion von de Gaulle schreibt, brennen in Paris wieder Mülltonnen und Macron sagt an diesem Abend lieber nichts, es harmoniert ganz ungemein.

Gehört: Radiowissen (ich bin bald durch mit dem Archiv) über Marlene Dietrich und  über F. Scott Fitzgerald.

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Vor unserer Haustür blüht ansonsten irgendwas, ich habe es leider nicht weiter ermitteln können, das an schwülen, drückenden Hitzetagen eklig und intensiv riecht, wie ungelüfteter Puff. Was ich allerdings schreibe, ohne da besonders umfassende Kenntnisse zu haben. Es ist mehr so eine ungefähre Vorstellung, eher angelesen als erlebt. Es geht vielleicht auch in die Richtung Raps in höherer Potenz, darunter wird man sich vielleicht etwas vorstellen können. Allerdings wächst hier weit und breit kein Raps. Der nächste Acker ist erst nach langem Marsch erreichbar, nach mehreren Bahnstationen.

Überaus unangenehm körperlich riecht es jedenfalls, nach zu viel von allem. Nach besonders schwierigen Verhältnissen auch, nach einem Übermaß an unregulierten Körperflüssigkeiten und nach eher schweren hygienischen Mängeln, die man vermutlich einer Behörde melden müsste. Schwer und lastend wabert es schauderhaft durch die Saunaluft mancher Tage der Sommermitte, und an der Ecke da vorne hat sich jemand übergeben, sehe ich. Fast könnte man einen Zusammenhang vermuten, und heute sollen es üppige 28 Grad werden.

Die Stadtnatur ist auch nicht immer die Erlösung vor der Haustür, das wollte ich nur eben andeuten.

Ein Pärchen sitzt im letzten Abendlicht am Ufer der Außenalster und blickt übers Wasser. Die beiden sind von hinten nur als Silhouetten zu sehen. Am Horizont, am anderen Ufer der Fernsehturm.

Man muss in Hamburg an manchen Tagen erst ganz runter bis zur Alster, zur Elbe oder zur Bille gehen. Man muss sich am Ufer stehend beim tieferen, bemühteren Durchatmen etwas maritime Frische einbilden, um dieses urbane Draußen ausreichend schön und belebend zu finden.

Manchmal gelingt einem die Übung sogar, und das ist dann besser als gar kein Erfolg am Tag.

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Hochsommernotate

Vorweg wieder ein Nachtrag zu gestern, ich fand auf Youtube noch eine Doku zu den Gärten der Finzi Cortini, eine sehenswerte Aufbereitung der Themen von Film und Roman und der Garten- oder Parksymbolik, ansprechend bebildert:

Nebenbei beschließe ich, noch während diese Doku läuft, das lange Überlegen in diesem Jahr radikal abzukürzen und im Sommerurlaub, der in wenigen Wochen beginnen wird, einfach nur Bücher italienischer Autorinnen zu lesen. That was easy!

In der Wikipedia werden für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg 22 wichtige Autoren und vier Autorinnen genannt, dieses Verhältnis wird mit Sicherheit diskutabel sein. Es gibt jedenfalls mehr als genug Bücher von dort, die ich nicht kenne, eine reiche Auswahl gibt es. Und es wird dann vielleicht auch vom Wetter her passen, zum ausklingenden Juli hin. Ja, mach nur einen Plan.

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Und eine Kleinigkeit zur Saison noch. Ich erwähnte gestern den Hochsommer, und die Kaltmamsell tat es am gleichen Tag auch, sogar bereits in der Überschrift, mit ähnlichen Einschränkungen im Text wie ich, der Regen, der Sturm. Damit haben wir den Hochsommer also gemeinschaftlich für Nord und Süd festgestellt, das ist damit meiner Kenntnis nach sofort, unverzüglich.

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Am Sonntag machten wir wieder einen Spaziergang am Hafen, die Herzdame und ich, und weil alle Menschen, welche die Schlagzeile „Der Tourismus erholt sich“ für diese Stadt bunt illustrieren, auch gerade da waren, bogen wir am Michel ab und zogen quer durch die etwas leereren Straßen der Innenstadt, die nicht in jedem Reiseführer stehen. An einem Café kamen wir vorbei, in dem es schon Pflaumenkuchen gab. Kann es denn schon so weit sein? Ich lese das mit den Pflaumen später skeptisch wie immer nach: Frühe Sorten ab Juli. Na gut, dann will ich das durchgehen lassen.

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Und noch Weiteres zum phänologischen Kalender der großen Stadt. Ich hätte es schon vor einigen Tagen notieren müssen, vor dem erneuten Regen, denn es kommt bildlich nicht richtig hin, wenn es gerade schüttet. Die Eindrücke sind fast schon veraltet, ich müsste deutlich zügiger bloggen, wenn es um die Natur geht. Sie eilt doch recht flott durch die Jahreszeiten, diese Natur, wenn man genauer auf sie achtet.

Die Linden blühen jedenfalls bei uns wieder und die Blattläuse im Laub sondern wie immer unablässig klebriges Zeug ab und tropfen und ferkeln alles am Boden voll. Sie verwandeln zuverlässig etwa die unter ihnen parkenden Autos schon nach kurzer Zeit in etwas, das nach drastischem Wertverlust aussieht, nach Verwahrlosung auch, nach bald abzuholendem Schrott gar. Stumpf der Lack und blind die Scheiben. Das autobezogene Gegenstück zu „geteert und gefedert“, so sehen diese besudelten Wagen aus. Ein Anblick grässlich und gemein.

Ich sah hier fast rührende Szenen, als stolze SUV-Besitzer ihr Prachtstück nach einer oder nach sogar mehreren Nächten, in denen es unter den falschen Bäumen stand und kein Starkregen hilfreich die dicke Schicht abwusch, derart verwandelt wiederfanden. So viel Schmerz in den Blicken. Es war manchmal schon schön und mir auf die boshafteste Art angenehm. Besonders bei denen, die ihre Ungetüme in den Feuerwehrzufahrten etc. geparkt hatten. Und wenig sind das in diesem Stadtteil nicht, weil Freiheit etc. Man kennt das, wie allzu gut man es mittlerweile kennt.

Die Lindenblüte, das wissen wir jetzt, zeigt den Hochsommer an. Wann ist die nächste Stufe erreicht, der Spätsommer? Wenn wir mehr Libellen sehen, lese ich. Das müsste ich im Garten an der Bille bei Gelegenheit verifizieren, Libellen fliegen nicht um den Hauptbahnhof. Wenn die ersten Äpfel reif sind, das gehört auch zu den sicheren Spätsommerzeichen, und auch das würde ich im Garten merken. Wenn die Vogelbeeren reifen und die Mirabellen. Die immerhin habe ich vor der Haustür, die Mirabellen.

Nach denen werde ich also gehen können und dann berichten. Ich merke uns das vor, damit wir stets Bescheid wissen.

Ansonsten ist Montagmorgen und Element of Crime hat den Wetterbericht.


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Schlagt nach bei Hoddis

Der Sonnabend ein weiterer Tag mit einem Wetter, das es früher meiner Erinnerung nach gar nicht gab. Diese schräge Mischung aus unfassbar schwül und dabei doch wild stürmisch. An der Nordsee wehte es sogar in Orkanstärke, mitten im Hochsommer. Welchen wir daran zu erkennen haben, dass die Linden blühen. Aber das nur am Rande, dazu eventuell morgen mehr.

Man geht jedenfalls um den Block, könnte nach hundert Metern bei 27 Grad schon wieder und am besten kalt duschen und hat nach zwei Windstößen keine Frisur mehr. Man hat nur noch Haare.

Es ist ein meteorologischer Mix, der sich für mich immer noch nach Katastrophenfilm anfühlt. „Dieses Wetter ist nicht von hier“, könnte ich den ganzen Tag murmeln. Und ich frage mich grübelnd , wieso es denn bloß nicht alle dauernd und deutlich beunruhigt feststellen. Ich fühle mich in aller Ausdrücklichkeit wie bei „Don’t look up“ und verstehe die Lage nicht mehr recht.

Fortwährender Sturm ohne jede Frische als Zeichen der Zeit und des Wandels also. Und nicht einmal die neu erworbene Kopfbedeckung kann ich bei diesem Wetter tragen, denn dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut.

Schlagt nach bei Hoddis, möchte ich mahnend ergänzen, und achtet außerdem auf Eure Dachdecker. Wir z.B. haben so einen in der Familie, und, weil so viele Scherze kaum noch in Arglosigkeit aufgehen, gab es da doch gerade etwas bei der Tageschau zu denen. Moment, ich sehe nach: Der Beruf und der Klimawandel.

„Schlagt die Pointe entzwei

Sie macht unsere Kinder nicht frei“

Seit Tagen habe ich, ganz unabhängig von diesem Text hier, ein Kreisler-Stück als ausgeprägt festsitzenden Ohrwurm. Nach der ersten Wahl in Frankreich fing es an und geht gar nicht mehr weg, sein vorletztes Lied. Vielleicht hilft es mir noch einmal, den Song zu posten, vielleicht hilft es auch, eine Interpretation nachzulesen, in einem feinen Blog, das ich soeben gefunden habe.


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Gesehen: Der Garten der Finzi Contini, auf arte. Ein Film von Vittorio de Sica, nach dem Roman von Giorgio Bassani,. Ein Roman, von dem ich genau weiß, dass er in der Piper-Taschenbuch-Ausgabe lange bei mir im Regal stand, allerdings nicht mehr genau weiß, ob ich ihn auch gelesen habe oder nur jahrelang lesen wollte. Egal, heute steht das Buch jedenfalls nicht mehr im Regal, wie ich gerade verifiziert habe. Warum und wann auch immer es verschwunden ist, das entzieht sich meiner Kenntnis. Bücher führen manchmal ein seltsames Eigenleben, sie kommen und gehen, ganz wie es ihnen beliebt.

Zu dem Film drängt sich mir zunächst eine wenig feuilletongeeignete Beobachtung auf, denn wie irritierend ist bitte die Ähnlichkeit des Schauspielers Fabio Testi mit dem jungen Sascha Hehn. Ich muss dauernd bemüht darüber hinwegsehen und eine dezente Klausjürgen-Wussow-Erwartung für die nächsten Szenen niederkämpfen. Schlimm ist das, und vollkommen unangemessen bei dem Ernst der Handlung und des Themas ist es auch.

Es geht um den Faschismus in Italien, um die Entrechtung und Verfolgung der Juden und um die Lage in Frankreich und Deutschland.

[Einschub zu Frankreich: Nils Minkmar aktuell zur Situation, Christine mit dem letzten Update vor vier Tagen und ich hoffe inständig, dass meine Kolleginnen in Paris (ich arbeite für Ipsos, wenn ich auch mit Wahlforschung vor vielen Jahren zuletzt etwas zu tun hatte) auch diesmal richtig liegen.]

Wo war ich. Die Bezüge zur Gegenwart basteln sich bei dem Film wie von selbst, das wollte ich noch ergänzen. Ob man diese Bezüge sehen will oder nicht, und eigentlich möchte man doch wirklich nicht mehr. Aber wenn man etwa den eben erwähnten Fabio Testi aus Neugier nachliest, der in dem Film noch einen dem Kommunismus nahestehenden Gegner der Faschisten spielt, sieht man, dass er später Anhänger von Berlusconi und Forza Italia wurde …

Wie die Geschichte immer wieder mischt und alles durcheinanderwirft. Es ist auf die gruseligste Art faszinierend.

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