Ach, vergeblich das Posten

Gehört: Ein Podcast-Gespräch mit dem Titel „Kollektive Katharsis“, von Carolin Emcke mit Katja Kipping geführt. Es geht um Solidarität, um soziale Projekte und soziale Arbeit, es geht um Wohlfahrt. Eine Sendung aus der Reihe „In aller Ruhe.“

Ein angenehm entspannt geführter Austausch ist das, bei dem ich auch vieles über den Paritätischen Wohlfahrtsverband gelernt habe. Also über eine seltsame Begriffskombination, die ich in den Nachrichten seit Jahrzehnten stets halb ratend hingenommen habe. Egal, es ist nie zu spät, etwas profundere Kenntnisse zu erwerben, das fand ich gut. Interessant waren auch die Abstecher in die Haushaltspolitik und in die Prozesse der Finanzierung von sozialen Projekten.

Auch wenn es, ich weiß, zunächst nicht wahnsinnig interessant klingt. Es kommt eben darauf an, wer gefragt wird.

Außerdem gehört: Eine Sendung beim Deutschlandfunk Kultur über die von mir verehrte, vielgelesene und oft zitierte Mascha Kaléko. Ihr dichterisches Gesamtwerk steht hier griffbereit. Quasi lyrische Hausapotheke, aber damit verbindet man einen anderen Namen. In der Sendung kommen auch die Vertonungen von Dota Kehr vor, und wenn Sie die noch nicht kennen sollten, holen Sie das nach.

Quasi kultureller Imperativ.

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Und sonst ist es kalt. Zum ersten Mal in diesem Winter ist es richtig kalt, eiskalt sogar. Zweimal schon habe ich beim Spazierengehen meine Winterjacke geschlossen, das kommt sonst kaum vor. Auf den Pfützen am Straßenrand und auf dem Spielplatz sehe ich im Vorbeigehen das erste Eis der Saison. Schwarzspiegelnd am Wochenendmorgen, und kurz darauf schon von kleinen Kindern mit Feuereifer zerhackt und zertreten, mit Steinen beworfen und abtransportiert.

Die müssen sich auch ranhalten, um diese elementaren Erfahrungen in aller Eile mitzunehmen. Denn es taut bald wieder und das Nassgrau kommt in Kürze zurück, um uns dann bis etwa Ende März zu belästigen.

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Ich sehe am Wochenende zwischendurch immer wieder gewohnheitsmäßig aufs Smartphone, muss aber allmählich einsehen, dass dies keine gute Idee mehr ist. Zumindest dann nicht, wenn ich auf Bluesky oder Mastodon nachlese, was dort geschrieben wird. Threads habe ich ohnehin gerade gelöscht, es war kein schmerzhafter Verlust.

Es ist dermaßen runterziehend, gallenbitter und bis zum Erbrechen repetitiv apokalyptisch, was dort zu lesen ist … und es werden mit einem solchen, pardon, famosen Dressurerfolg die von den Rechten aus dem Hut gezauberten Themen aufgeschnappt und immer wieder enthusiastisch im Kreis weitergereicht, dass ich das Gerät jeweils nach ein paar Blicken schon an die Wand werfen möchte.

Stattdessen lieber Bilder oder Filmchen ansehen, denke ich mir irgendwann. Das kann auch entspannen. Etwa auf Instagram, denn Tiktok habe ich vor Monaten schon aussortiert – aber nein, mit Instagram war auch gerade etwas. Und viele, denen ich folge, posten deswegen dort schon nicht mehr. Einige Accounts sind bereits komplett verschwunden, es ist auch verständlich.

Auf den News-Seiten, auf den guten, alten News-Seiten von einst qualitativem Kaliber, sehe ich gleichzeitig ein unfassbar flächiges, unreflektiertes Versagen gegenüber den radikalen Rechten. Ein Versagen, mit dem sich vielleicht irgendwann die Geschichtsbücher beschäftigen mögen, ich aber gerade nicht mehr.

Die Welt „meines“ Internets scheint in diesem Jahr nach langer, schwerer Krankheit endgültig zu sterben und Geschichte zu werden. Ich muss es mir eingestehen. Ein Kapitel Kulturgeschichte wird diese Zeit, die immerhin recht lang war, wenn wir es nur wohlwollend genug betrachten. Und warum sollten wir es anders halten.

Es ist alles nur eine Phase, man landet wieder bei fundamentalen Wahrheiten. Wo aber bleibt das Positive, Herr Buddenbohm – Blogs gibt es noch hier und da. Vielleicht werden es sogar wieder ein paar mehr, in den Zeiten der galoppierenden Verelendung, Verblödung und Nazifizierung der großen Seiten und Plattformen. Vielleicht gibt es noch eine späte Blüte in meinem Biotop?

Man darf sich ab und zu mit Möglichkeiten aufheitern. Man darf sich auch jederzeit Illusionen hingeben, und die Unterscheidung dazwischen kann uns auch erst einmal egal sein.

Ich mache noch einmal Bluesky auf. Ich lese den ersten Eintrag, es geht um irgendwas, was ein radikaler Rechter gesagt hat. Was auch sonst.

Ach, vergeblich das Posten!

Spät erst erfahren Sie sich:

Bloggen und stille bewahren

Das sich umgrenzende Ich.

So oder so ähnlich stand es schon damals bei Gottfried Benn. Über dessen Lebenslauf man aber auch um Gottes willen nicht weiter nachdenken darf.

Ich weiß, ich weiß.

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Im Bild heute ohne jeden Zusammenhang, die alten Bilder müssen nur raus, die Treppen im Levante-Haus in der Innenstadt. Wobei Levante – da ist man dann geistig schon wieder im Strom der Nachrichten. Kein Entkommen nirgends.

Schlimm.

Das historisierend ausgeführte Treppenhaus im Levante-Haus

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Bewertung von hier aus

Ich kann es selbstverständlich nur von hier aus bewerten, und von hier aus sehe ich durchaus nicht alles. Ich habe auch nicht sämtliche Informationen, wie könnte ich die haben. Aber doch, soweit ich es eben vernünftig und nach sorgfältigen Abwägungen beurteilen kann, aus persönlicher Sicht und auch versuchsweise darüber hinaus einigermaßen sachlich und bemüht neutral hochgerechnet – diese ersten beiden Wochen des Jahres waren eher nichts.

Die brachten es nicht, die taugten nichts. Die waren vielmehr schadhaft und im Grunde ein Fall für durchaus berechtigte Beschwerden, für ernsthafte Reklamationen und grantige Mangelbewertungen. Und wenn ich es richtig verstehe und mitbekomme, denn ich versuche noch mehr als sonst, besonders gut aufzupassen, ist diese Einschätzung deutlich mehrheitsfähig.

Aber, liebe Gemeinde, aber! Wir haben noch 50 weitere Wochenversuche allein in diesem Jahr. Was für ein Reichtum an Möglichkeiten. Und danach haben wir womöglich sogar noch mehr, wer kann es wissen, und auch das wollen wir nicht geringschätzen. Das wollen wir vielmehr ausdrücklich und in Dankbarkeit würdigen und schon am nächsten Montag also erneut voller Schwung und Tatkraft … ja, ist gut.

Ich höre schon auf.

[Der Autor sieht seltsam blass und angestrengt aus, er wippt im Stuhl vor und zurück. Vor und zurück, und dann wieder vor und zurück. Womöglich macht er es auch noch etwas länger, es sieht ganz danach aus, wir brechen das hier erst einmal ab.]

Egal. Musik, wir alle brauchen viel mehr Songs zum Mitsummen.

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Aber wo ich gerade seltsam die Rollen vertausche und den Autor schreibend beobachte, aus welcher Position auch immer – ich sah vorhin, dass es ein neues Buch von Wolf Haas gibt. Ich nehme an, es wird die eine oder den anderen hier interessieren, jedenfalls merke ich es mir vor. Er macht in diesem Roman auch Späße mit Rollen, las ich in der Zusammenfassung, womöglich ist es also auch etwas für den Freundeskreis Fiktion und Realität.

Die Rezensionen zum Roman, ich habe die Suchergebnisse eben kurz überflogen, haben bemerkenswert enthusiastische Überschriften, fast einheitlich fallen sie so aus.

Nicht so gut dagegen ist die gleich verlinkte Rezension bei The New Republic über den neuen Roman der ebenfalls von vielen hier gerne gelesenen Elizabeth Strout: Tell me everything. Da geht es auch, und ich lese es so zum ersten Mal, glaube ich, um die Frage, wie Trump und Konsorten im Text vorkommen. Wie sich die Autorin also dazu verhält:

Olive reviles Trump, but the Trump supporters she gets to know are invariably the salt of the earth …“

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Kurz zurück zur Chronik, ich hänge etwa hinterher. Für den Freitagvormittag zitiere ich eben den geschätzten Christian Fischer: „Es liegt eine große Unlust über all dem.“

Und für den Freitagnachmittag übernehme ich noch eben eine Formulierung der ebenso geschätzten Kaltmamsell, denn man kann seine Tage auch mit geraubten Sätzen vollständig abbilden: „Zu Hause Häuslichkeiten.“

Beides trifft es sehr gut.

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Im Bild heute ohne jeden Zusammenhang der Kirchturm vor der Haustür, mit immerhin attraktiv beleuchtetem Treppenhaus.

Ein Kirchturm am frühen Abend mit beleuchtetem Fenster, hinter dem man eine Treppe erkennt

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Im Freizeitpark bei Nacht

Gehört: Ein Zeitzeichen zum Geburtstag von Rio Reiser.

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Um es vorwegzunehmen, die Antwort auf die vorgestern so hoffnungsfroh gestellte Frage, was die Maus am Donnerstag macht, sie fiel doch eher ernüchternd aus. Man hätte beim vollständigen Memorieren des Gedichtes gewarnt sein können, ich weiß.

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Es kommt am Vormittag eine Mail an meinen Abi-Jahrgang-Verteiler. Das jährliche Update der Adressen etc. Es wird darin vorausschauend darauf hingewiesen, die beruflichen Mail-Adressen vielleicht einmal gegen private Varianten auszutauschen, rechtzeitig vor Eintritt des Rentenalters. Und guck, da war das Thema wieder.

Im Büro passend dazu der Smalltalk mit den Kolleginnen, die noch wenige Wochen vor sich haben, noch einige Monate, noch ein Jahr …

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Der Deutsche Wetterdienst meldet währenddessen den Blühbeginn der Hasel in Norddeutschland. Wird sind damit, ob es heute noch einmal schneit oder nicht, im Vorfrühling angekommen. Früher als gewöhnlich, aber wer würde sich noch wundern. Die Nordsee ist warm wie nie und LA brennt ab, das ging auch durch die Nachrichten. Man liest es so nebenbei oder schon nicht mehr, wie die anderen Meldungen aus dieser Rubrik.

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Mehr Positives müsste man finden. Wir merken es alle, wir reden ja auch alle immer öfter davon, online und offline. „Was ist eigentlich gut?“ Vor ein paar Tagen erst habe ich genau diese Frage wörtlich in einem eher beiläufigen Gespräch gehört. Und man wird dann auch noch fündig.

Ich habe es einfach. Ich muss für das Gute nur einschlafen, denn ich träume sensationell. Richtig gut träume ich. Wobei ich sonst nicht zum Selbstlob neige, aber träumen kann ich, so viel steht fest. Auf äußerst angenehme Art unterhaltsam träume ich. Manchmal auch im genau richtigen Ausmaß anspruchsvoll. In jedem Fall aber wahnsinnig interessant und auch mitreißend, um das von mir so sehr gehasste Wort spannend zu vermeiden. Mitunter auch auf eine faszinierende Art seltsam, abgedreht und abstrakt. Und selbstverständlich auch nicht ohne explicit content. Für den ich nicht einmal nachweisen muss, dass ich wirklich mindestens achtzehn Jahre alt bin, für den ich auch nicht erst Warnungen wegklicken muss, es ist komfortabel eingerichtet.

Vor allem aber, wenn man die Lage der Wirklichkeit bedenkt, träume ich insgesamt verblüffend erbaulich. Ja, das ist im Ernst das treffende Wort. Ich komme gestärkt aus meinen Träumen heraus, ich stehe frühmorgens auf wie seelisch frisch betankt. Und das fast vollkommen verlässlich. Wie bestellt also, wie per Abo und gerne wieder.

Am Ende wird es so etwas wie eine seelische Inversions-Wetterlage sein. Ich nehme doch an, die andere Variante wird üblicher sein. Dass also die Nächte noch schlechter sind als die Tage, dass man unter Albträumen leidet und sich nachts an seinen quälenden Ängsten, Sorgen etc. abarbeitet. Dass man von den zahllosen Problemen der wach verbrachten Stunden bis weit in den unruhigen Schlaf hinein belästigt und verfolgt wird.

Ich dagegen habe die heile Welt bei Nacht. Freizeitpark nichts dagegen.

Die Nacht ist da, das was gescheh‘“, so sang Gustav Gründgens einst. Über den ich lieber nicht lange nachdenken will, sonst bringen mich die Assoziationen zu seinem Lebenslauf erneut in Gefahr, da muss ich im Geiste schnell eine Kurve nehmen.

Sonst lande ich am Ende doch bei den aktuellen Themen und also auch bei dem Elend mit den Rechten. Sonst müsste ich noch einmal eine Stunde schlafen, um die Belastungen des Wachzustandes erneut auszugleichen.

Plötzlich wieder so müde. Dermaßen müde.

Ein Aufkleber "Nie wieder Faschismus" auf der Rückseite eines Verkehrsschildes

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Mittwochsmeldung

Eine Blog-Nachricht aus Österreich und eine aus Los Angeles.

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Am Mittwochmorgen habe ich so ausgeprägt wie selten ein ausgesprochen unangenehmes Gefühl, für das es dieses berühmte Comicbild aus Tim & Struppi gibt, welches in den sozialen Medien wieder und wieder ritualisiert geteilt wird. Es kann und kann an diesem Tag nicht erst die Wochenmitte sein. Unmöglich ist das, es ist auszuschließen und sollte keineswegs Bestandteil meiner Wirklichkeit sein. Es müsste mindestens Donnerstag sein, eher aber Freitag, und morgen also frei, endlich frei.

Wie es auch schon auf das Monatsende zugeht, und sicher nicht erst der 8. Tag sein kann.

Der Januar war doch bereits vollkommen ausreichend mit allem befüllt, wir werden uns darauf doch sicher einigen können. Übervoll ist er längst, let’s call it a month. Immer wieder das Drosten-Zitat im Sinn und auch auf den Lippen, am liebsten aber auch als Autoresponder in Outlook, als probate Antwort auf alles: „Ja, ist gut jetzt.

Wenn man das so weiter rechnet – wir werden am Jahresende vermutlich etwa ein Jahrzehnt mit dem Jahr 2025 zugebracht haben. Und das ist in einer ohnehin stark alternden Bevölkerung womöglich etwas ungünstig.

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Ansonsten ein Tag in Hammerbrook, das Office-Office. Zu Fuß gehe ich am frühen Morgen dort hin, durch die Dunkelheit, durch die Kälte, durch den Sturm auch, schon wieder durch den Sturm. Ein wilder Südwest weht um mich herum, in Spitzen bis 9 Bft und meine Winterjacke flattert wie das Cape von Batman im Wind. Die Frisur aber sitzt, der Noise-Cancelling-Kopfhörer hält mir Haare und Hirn zusammen.

Der Mittelkanal in Hammerbrook an einem dunklen Januarmorgen, Licht aus den Fenstern der Bürogebäude an den Ufern

Ich höre unterwegs weiter Münklers „Welt in Aufruhr“, während eine ruppige Böe gerade ein größeres Bauzaunteil quer über eine Kreuzung vor mir verschiebt. Das passt wieder schön zusammen, es wirkt wie für mich inszeniert, und ich nicke der Realität also anerkennend zu. Auch würdigen, was geboten wird.

Im Coffee-Shop hole ich mir vor der Arbeit noch das richtig gute Zeug to-go. Ich werde dort mit einem freundlichen „Da bist du ja wieder“ begrüßt, und es klingt fast ein wenig so, als hätte auch ein „endlich“ in diesen Satz gepasst. Mit einiger Sicherheit ist dies im Offline-Teil der Welt der netteste Satz der Woche bisher, ach was, des Jahres sogar. Stets sollte man sorgsam auch auf so etwas achten, damit die Stimmung ebenfalls weiterhin sitzt.

Der Rest des Tages aber … fragen Sie nicht, nein, fragen Sie nicht.  Fragen wir uns lieber, was die Maus am Donnerstag macht, das ist zielführender und verweist immerhin auf neue Möglichkeiten.

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Dieses eine Spielzeug

Ich betreibe Konzentrationssport, es ist ungemein anstrengend. Und zwar höre ich ein Sachbuch als Hörbuch. Ein Sachbuch, bei dem der Inhalt eher nicht fluffig aufbereitet ist, also nicht bewusst unterkomplex angelegt ist, wie es heute modern ist. Wobei dann schon unangenehm auffällt, wie schnell und wie oft ich geistig abdrifte, auch weit abdrifte. Oder dass ich einem etwas längeren, komplizierteren Satz nur mit Wiederholungen zu folgen vermag. Es ist womöglich also an der Zeit, Konzentrationssport zu betreiben.

Jedenfalls: Welt in Aufruhr von Herfried Münkler, gelesen von Wolfgang Wagner. Ungekürzte 15 Stunden, das reicht diesmal für ein paar Spaziergänge mehr. Ob es einen an irgendeiner Stelle vom allgemeinen Fatalismus abbringen kann, das muss sich erst noch erweisen, nach den ersten beiden Stunden sind Zweifel daran angebracht. Es wird also für die seelische Verfassung am Ende gar nicht besser sein als das Doom-Scrolling, obwohl doch so viele gerade zum Lesen von Büchern raten, um dem entschlossen zu begegnen.

Ich habe den Verdacht, ich doomscrolle hinterher nur qualifizierter.

Aber die Lage ist nun einmal, wie sie ist. Und wenn das Nachrichtengemisch sich auf dem Niveau der letzten Tage weiterentwickelt, woran ich leider kaum Zweifel haben kann, dann werden wir schon bald zeitlich nicht mehr hinterherkommen. Selbst dann nicht, wenn wir uns auf wenige Quellen beschränken. Es wird zu viel sein, an zu vielen Fronten und zu viel zu vielen Themen. Und auch damit wird man dann irgendwie umgehen müssen, auch dazu muss man erst noch eine Einstellung suchen und finden, auch Werkzeuge, Methoden etc.

Als ob man nicht schon genug zu tun hätte.

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Es starb Peter Yarrrow, das war der von Peter, Paul and Mary. Wir winken also ein letztes Mal dem Vater von Puff, dem Magic Dragon. Ein wundertrauriges Lied. In dem Video gleich sieht man ein komplett seliges, verzücktes Publikum, die Aufnahmen der Zuhörerinnen sind bei diesem Jubiläums-Auftritt fast interessanter als die der Gruppe. Das ist schön, das ist dermaßen nett und rührend, das gibt es ja heute kaum noch, möchte man beim Zusehen krückstockfuchtelnd murmeln und schon wieder äußerst nostalgisch werden. Als wenn es einen Sinn hätte, als wenn an der Nostalgie etwas Wahres wäre.

Bei diesem Lied allerdings kann die Nostalgie auch recht gezielt sein und vielleicht auch tatsächlich auf eine Wahrheit verweisen. Nämlich bezogen auf dieses eine Spielzeug, welches bei uns damals, also ganz damals, die Rolle von Puff hatte. Wir werden doch alle so etwas gehabt haben, hoffe ich. Es gehört wohl in jeder Kindheit so, dass irgendetwas derart mit einem lebt und mit einem Abenteuer besteht. Diese Abenteuer, von denen andere gar nichts ahnen.

Das entsprechende Stofftier bei mir gibt es sogar noch. Es liegt weitgehend unbeachtet und also auch unbehelligt in einem der Kinderzimmer der Söhne. Ab und zu zwinkern wir uns heimlich und in alter Verbundenheit kameradschaftlich zu, wenn ich beim Staubsaugen an dem Regal vorbeikomme. An diesem Regal, in dem es vermutlich durchgehend an jene Zeiten denkt, in denen es bei uns beiden noch etwas lustiger zuging.

In einer plattdeutschen Version des Liedes, gesungen etwa von Knut Kiesewetter, gab es das Land Honalee aus dem Original natürlich nicht, sondern einen norddeutschen Hinweis für den Freundeskreis Insel:

„Drees, de Wunnerdraken leevte anne Strand
Keem de Harvst mit Stormgebruus flog hej na Helgoland.“

Und dort treibt er sich auch heute noch herum, möchte ich annehmen. Vielleicht sollte ich beim nächsten Besuch der Insel etwas mehr darauf achten. Ja, vielleicht sollte ich mir wieder einmal etwas in dieser Art vornehmen. Etwas, das Sinn hat und schön ist.

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Heute nicht, mit Verzögerung und später

Etwas Geschichtsunterricht habe ich gehört. Natürlich zum Faschismus, damit es sich aktuell und spannend anfühlt, heute muss doch alles spannend sein. Zwei Folgen von „Alles Geschichte“ beim BR zum Ende von Mussolini gab es. Einmal über den italienischen Widerstand, einmal über die Republik von Salò. Letztere wäre mir nicht einmal ein Begriff gewesen, manchmal entdeckt man auch überraschende Bildungslücken. Die kam damals im Geschichtsunterricht wohl nicht vor, diese Republik, und sie ist mir auch danach nicht begegnet. Nanu.

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Ein neues Wort für den Smalltalk habe ich gelesen: Climateflation. Damit kann man dann im Supermarkt vor dem Olivenölregal mit anderen Menschen ins Gespräch kommen und gemeinsam über die absurd anmutenden Preise lachen. Also wenn man unbedingt mit anderen Menschen im Supermarkt Gespräche führen möchte. Und wenn man außerdem noch lachen kann. Es fällt verschieden aus.

***

Die Nachrichtenlage, die unser Kanzler vielleicht als „irgendwie komisch“ bezeichnen würde, findet im Moment nur in meinem Computer und auf meinem Smartphone statt. Nichts aus den Schlagzeilen, kein einziges Element aus den aktuellen Debatten und Skandalgeschichten hörte ich in meinem Umfeld als Element des Smalltalks, nicht einmal eine witzig sein sollende Andeutung. Und kein Graffiti wurde hier in der Gegend in den letzten Tagen neu gesprüht. Kein frischer Aufkleber pappt an irgendeinem Laternenpfahl, keine Demos mit neu gemalten Schildern und frisch getexteten Sprüchen starten abends vor dem Hauptbahnhof. Gar nichts dergleichen. Ich kann einfach vom Schreibtisch aufstehen und rausgehen, und da ist dann nichts.

Also da ist schon etwas, versteht sich. Da sind diverse unübersehbare Probleme, besonders sozialer Natur, aber auch bezogen auf den Verkehr, auf die Infrastruktur etc. Man wird schon fündig und sieht die Zeichen der Zeit, wenn man etwas aufpasst und halbwegs informiert ist. Man sieht diese Zeichen auch, siehe oben, jederzeit auf den Preisschildern im Supermarkt.

Aber es sind die Spuren einer zeitlich ausgedehnteren, breiteren Gegenwart, das sind alles Themen, die uns schon länger begleiten. Man kann man sich noch, während man durch die Straßen geht und die Szenerie aufmerksam liest, eine gewisse Langsamkeit der Entwicklung einbilden. Einen ruhigen Fluss der Ereignisse, eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit des Ablaufs und auch eine halbwegs überschaubare Gemächlichkeit in der Eskalation.

Guckt man dagegen auf Bildschirme, liest man online die wirren Weltnachrichten nach, die roten Eilmeldungen und den ganzen Rest, geht es da um eilige, dringende Entwicklungen und um Einstürze. Man sieht die Geschichte Haken schlagen und die Welt geradezu zusammenkrachen, besonders wenn einem das Herz eher links schlägt.

Oder es kann sich zumindest nach einem Zusammenkrachen anfühlen. Man meint irgendwann, das Bersten zu hören.

Wie auch immer. Ich habe es gut, ich kann jederzeit in den Hauptbahnhof gehen und mich dort zu den anderen Menschen vor die große Anzeigetafel stellen, auf der die Abfahrtszeiten stehen. Ich kann die Zeiten der Züge der nächsten Stunden studieren, wie es da alle um mich herum auch machen. Und genau wie die vielen Reisenden neben mir kann ich all die Verspätungen nachlesen, auch wenn ich gar nicht mit einem Zug fahren möchte, gar kein Reisender bin. Einfach nur so, zur Beruhigung kann ich das machen.

„Verzögerung“, lese ich dann da oben etwa, „heute nicht“, lese ich danach. „Fällt aus“ steht natürlich auch dort und immer wieder das ganz schlichte, das allen Druck und alles Drängeln aus unseren Zeitplänen nehmende „später.“

Probier’s mal mit Gemütlichkeit kann ich dabei leise pfeifen oder summen und wieder nach Hause gehen, wo es warm und trocken ist, mit Ruhe und Gemütlichkeit. Überhaupt soll es entspannend sein und uns zur Ausschüttung von Glückshormone verhelfen, ab und zu etwas zu summen.

Es erdet mich immerhin ein wenig. Es kann beruhigend wirken, diese Zugmeldungen nachzulesen. Und man soll die Verdienste der Bahn auch nicht unerwähnt lassen, denke ich. Die hat es gerade schwer genug und wird viel zu oft heruntergemacht.

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Ein Porträt einer Katze

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Hinnehmen und Bewirken

Falls Sie mindestens kreisstadtmäßig urban wohnen und demnächst 49 Minuten Zeit bei Tageslicht haben, was zugegebenermaßen im Januar etwas anspruchsvoll klingt, habe ich einen unterhaltsamen Vorschlag für Sie. Hören Sie sich den folgenden Podcast vom Deutschlandfunk zum „Überschreiben der Städte“ und zur Grenze zwischen Kunst und Widerstand an. Es geht um Graffiti, hören Sie das, während Sie selbst spazierengehend auf die Graffitis der eigenen Stadt gucken. Ich habe das tatsächlich so getestet, und es hat mir Spaß gemacht. In der Sendung werden an mehreren Stellen auch Graffitis vorgelesen und beschrieben. Man sieht dann unwillkürlich zumindest für einen Moment wieder etwas genauer auf die Tags in der eigenen Gegend.

Laut gelacht habe ich beim Hören, als einer der interviewten Sprayer mit dem gebotenen Ernst des Meisters sagte, dass man es aber von der Pike auf lernen müsse, dieses Verzieren der Häuserwände. Ich möchte wetten, dass er es mit erhobenem Zeigefinger gesagt hat, es klang so. Gleich habe ich die Ärzte dabei im Ohr gehabt: „Geh doch zu Onkel Werner in die Werkstatt.

Es wird außerdem der Song „Rappers Delight“ von der Sugarhill Gang kurz angespielt, bei dem ich eben auf die Talkshow-Version von Sandra Bullock verweisen möchte, falls Sie die nicht kennen:

Es lohnt aber auch unbedingt, sich das Original des Songs noch einmal anzusehen und nebenbei festzustellen – das Ding ist bereits unfassbare 45 Jahre alt. Meine Güte. Dann ist man selbst also auch mindestens … ab und zu trifft es einen doch.

Aber apropos. Gerade las ich bei Heinz Bude, in seinem „Abschied von den Boomern“, dass uns, ich zitiere sinngemäß, um den sechzigsten Geburtstag herum – das trifft auf mich allmählich zu – klar wird, „was man hinnehmen muss und was man noch bewirken kann.“ Und obwohl es Heinz Bude beim Schreiben des Buches nicht wissen konnte, ist auch das ein trefflich passender Satz, bzw. ist es eine passende Frage gerade für die Besinnungsarbeit am Anfang des Jahres 2025.

Schöne Grüße auch an die Leserinnen in Österreich, aber das nur am Rande und ohne jede Überheblichkeit. Wir werden hier früh genug dran sein.

Ein Aufklkeber an einem Ampelmast: Merz muss weg.

Wo war ich. Ach ja, der Song. Noch mit Krawatte dargebracht, das glaubt einem auch keiner, wenn man es nicht gesehen hat. Ruhig etwas lauter machen, ne.

Und bei arte kann man, wenn man sowieso schon bei diesen Themen gelandet ist, passend gerade etwas zu den Wurzeln der Hiphop-Kultur und auch noch etwas weiter zurück, bis zu Funk und Soul und wiederum deren Anfängen etwas lernen.

Nämlich in dieser vierteiligen Doku über James Brown, die mir als Wochenendunterhaltung diente: Say it out loud. Wieder einiges gelernt dabei. Musikgeschichte find ich meist halbwegs entspannend, obwohl nicht gerade wenig Politik in den Folgen vorkommt.

Danach noch etwas James Brown gehört, mit deutlich mehr Kenntnis, das war also ein Gewinn.

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Vom Zusammensuchen des Werkzeugs

Die gerade erst im Blog erwähnte Goethe-Biografie von Thomas Steinfeld kam prompt als Geschenk. Ich bin einigermaßen verblüfft und natürlich begeistert. Daher weiß ich jetzt auch, dass sich die 800 Seiten gewichts- und umfangsmäßig nach einem wahrhaft großen Vorhaben anfühlen. Man wird nach dem abendlichen Lesen in den Armen fühlen, was man im Bett gehalten hat, aber ich freue mich auf die Lektüre.

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In der Zeit (Paywall) schreibt Ulrich Machold einen Essay über ein Thema, mit dem ich seit Jahren allen Leuten um mich herum offline und online auf die Nerven gehe. Ich zitiere den Untertitel, weil er erklärender ist: „Wenn es keine Idee von einem Morgen gibt, verliert die Gesellschaft den Glauben ans Heute.

Dieser Essay endet, und es ist nicht als Kritik an Ulrich Machold gemeint, allerdings etwas schwach. Ich sehe aber auch nicht, wie er besser enden könnte. Denn ich denke nach wie vor, es liegt daran, dass wir als Gesellschaft an dieser Stelle gerade schwach enden.

Das mit dem schwachen Ende gilt ebenfalls für einen Text zum Jahreswechsel von Robert Misik in der taz. Er schreibt da auch über den Negativismus, über unsere allzu schlechte kollektive Gefühlslage: „Immerhin, wir leben noch“ – und es gibt einen ausgesprochen unbefriedigenden Ausklang in den letzten Absätzen.

Das möchte man alles so nicht stehen lassen. Ich jedenfalls nicht, denn ich bin, wie mehrfach betont, trotzgeleitet und renitent. Ich möchte es anders haben, als es ist. Um die Gefühlslage also wenigstens für heute zu retten, reiche ich eben noch eine eher aufbauende Überschrift aus den USA nach. Dort ist man uns in der drastischen Abwärtsbewegung und also auch im intensiven Nachdenken darüber bekanntlich deutlich voraus. Ich sehe da gerade einen Titel, der uns vielleicht etwas anders stimmen kann. Der vor allem auch den gewiss großen Freundeskreis Fiktion und Realität sofort ansprechen dürfte: „Don’t like the way things are going? Wait for the inevitable plot twist.

Das in diesem Artikel von Dan Gardner ganz am Ende zitierte „Keep buggering on“ von Churchill legen wir uns in Gedanken vielleicht einmal neben das neulich zitierte und von Judy Garand gesungene „We’ll have to muddle through somehow.“

Denn so füllt sich der Werkzeugkasten für den Umgang mit der Wirklichkeit in diesem Jahr. Man muss es sich alles etwas mühsam zusammensuchen.

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Und sonst: Wir haben Weihnachten in den Keller gebracht, es war mir ein Fest.

In der Innenstadt sah ich beim Spaziergang überall neue Plakate und Schriftzüge in den Schaufenstern. „End of season sale“, wie jetzt in routinierter Weltläufigkeit das heißt, was wir früher noch provinziell und sprachlich ungelenk Winterschlussverkauf genannt haben. Das konnte auch keinen Spaß machen, mit dieser knarrenden Bezeichnung, man versteht das im Rückblick.

Leere Kleiderbügel in einem Schaufenster, jeder trägt einen lilafarbenen "Sale"-Plastik-Clip am Haken

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Im Schmuddelweiß der Stadtmitte

Noch einmal ein Dank, diesmal für die freundliche Zusendung des „Nachtstimmers“ von Maarten `t Hart, Deutsch von Gregor Seferens. Hier eine Rezension dieses Romans beim Deutschlandfunk. Es klingt wieder vielversprechend, außerdem geht es um Orgeln, das ist schon einmal ein feiner Ansatz und wird auch in diesem Jahr passen. Demnächst ins erste Konzert 2025 gehen.

Der Stapel der Bücher neben dem Bett wächst gerade beträchtlich, er wird bald schon für die langen Sommerabende reichen, und es ist gut so. Herzlichen Dank!

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Nach längerer Pause, weil ich doch wieder von allem abgekommen war, habe ich endlich das empfehlenswerte Buch von Anatol Regnier durchgelesen: „Jeder schreibt für sich allein – Schriftsteller im Nationalsozialismus“ (Es kommen auch Schriftstellerinnen darin vor). Dieses Buch hatte ich vor einiger Zeit aufgrund einer nur kurzen Erwähnung bei Anke Gröner entdeckt.

Die Bezüge zur Gegenwart springen einen bei der Lektüre permanent an, wenn man heute über Kultur unter Diktaturen liest. Es gibt manchmal ein deutlich unangenehmes Timing, wenn man etwa einen Absatz bei Regnier liest, dann kurz rüber in die Nachrichten sieht und es nicht fassen kann, wie direkt diese Bezüge sein können, wie parallel die Themen. History repeating, und zwar in der denkbar schlechtesten Ausprägung. Man muss sich wieder zur Gefahr von rechts verhalten und damit irgendwie leben, wie lästig und unnötig ist das denn.

Gerade sehe ich eine passende Radiosendung über die Lage in Österreich: Die Literaturszene der Alpenrepublik nach dem Rechtsruck. Eine seltsame Sendung allerdings, ich höre reihenweise Aussagen, denen ich widersprechen möchte. Aber was weiß ich schon von Österreich.

Im Buch von Regnier werden jedenfalls viele Zwischentöne zugelassen. Es kommt ohne moralischen Rigorismus aus und urteilt eher zurückhaltend, das gefiel mir. In der öffentlichen Debatte der Gegenwart neigt man stark zu drastischen Schwarzweißunterscheidungen, ich teile das eher nicht. Der Mensch ist ein Durcheinander, in seinen Gedanken, in seinen Ansichten, auch in seinen Taten. Das war, fällt mir ein, auch in Kempowskis Roman „Alles umsonst“ gut dargestellt, diese Uneindeutigkeit der handelnden Personen. Die Unmöglichkeit, sie in jedem Fall klar erkennbar und auf einen Blick nach gut und schlecht zu gruppieren. Es geht dabei nicht simpel zu wie bei den Tauben im Märchen, wenn sie flugs die Erbsen sortieren.

Um ein aktuelles Beispiel zu nennen, als jener unsympathische Milliardär, der deutlich reicher ist, als es Dagobert je war, gerade diesen sogenannten „Gastartikel“ in der ebenfalls unsympathischen Zeitung hatte, las ich in den Timelines viele Forderungen, dass dort sofort alle kündigen müssten. Also vehemente Forderungen nach moralischer Eindeutigkeit und prozeduraler Logik, wenn so, dann so, und zwar sofort. Außerdem wurde die eine Person, die dann tatsächlich gekündigt hat, gleich als Widerstandskämpferin und moralische Heldin gefeiert.

Ich denke, beides wird der Wirklichkeit vermutlich nicht gerecht. Das neulich hier erwähnte „muddling through“ ist viel näher an dem, was mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Mehrzahl der Betroffenen stattfinden wird, ob es uns passt oder nicht.

Und nur manchmal wird alles recht klar sein oder uns zumindest so vorkommen. Wie hier bei der nun ehemaligen Karikaturistin der Washington Post.

***

Ansonsten die ersten beiden Bürotage geschafft. Etwas Schneeregen erlebt, etwas Graupel, etwas puren Schnee und das erste Stadtmitte-Schmuddelweiß des Winters. In den Vororten und in anderen Gegenden des Landes sieht es deutlich schöner aus als bei uns, sehe ich online. Man nimmt, was man kriegen kann.

Die ersten vereisten Wege gab es auch bereits und ich sah sogar schon, wie Sanitäter in der Innenstadt Gestürzte aufsammelten und im Krankenwagen wegfuhren. That escalated quickly.

„Freu dich nicht zu früh auf den Sommer,
Weihnachten ist grade erst vorbei
Im Treppenhaus riecht es noch nach Glühwein
Und im Fernsehen läuft der weiße Hai.“

Sven Regener hat es geschrieben, und es passt gerade gut. Aber es gibt mittlerweile viele Situationen, zu denen es passende Zeilen von Element of Crime gibt. Man könnte auch „Mit Element of Crime durchs Jahr“ und ähnliches herausbringen, Zitate auf Kalenderblättern, auf Postkartensets usw.

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Würdevoll antriebslos

Gestern also mein erster Arbeitstag, während die Herzdame noch Urlaub hatte und die Söhne selbstverständlich noch Ferien. Da waren sie wieder, meine drei Probleme.

Starkes Fremdeln mit der Arbeit und mit diesem Timing. Beim Befinden des misslungenen Timings waren sich wenigstens alle einig, die sich da im Berufskontext trafen, die beiden Werktage in dieser Woche sind vollkommen verkehrt. Die hätte man noch frei haben müssen, die fühlen sich einfach nicht richtig an. Man hat da einen Planungsfehler gemacht, einen schweren. Immerhin war es ruhig, gab es erst einmal keine Meetings, keine Calls. Alle Welt ist in dieser Woche noch im Urlaub, verzögert den Jahresbeginn oder hat schlicht überhaupt keine Lust, mit anderen Menschen zu reden. Es ist mir alles recht.

Die Kolleginnen aus Bayern haben am Montag noch einen weiteren seltsamen Feiertag, sehe ich nebenbei. Bei uns eher leistungsorientierten Norddeutschen dauert es dagegen über hundert Tage bis zum nächsten. Es bietet keinen Trost, sich den Wandkalender und die rot markierten Tage zu besehen.

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Bei einer Radiosendung aus der Reihe „Das Wissen“ habe ich immerhin etwas Passendes auf dem Weg nach Hammerbrook gelernt, nämlich dass das Wort Gelassenheit auf Meister Eckhart zurückgeht. Er hat das für uns durchdefiniert und sprachlich zusammengebastelt. Was man aus heutiger Sicht als lässige Leistung würdigen kann.

Der für die Söhne so überaus wichtige Zustand der gechillten seelischen Verfassung hat seine Wurzeln danach tief im 13. Jahrhundert, könnte ich jetzt kulturgeschichtlich ableiten. Und wenn man es so sieht, kommt es einem gleich etwas würdevoller und ehrenhafter vor, wie die beiden da antriebslos herumhängen, während andere Menschen arbeiten.

Doch, doch.

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Außerdem gehört: Eine Sendung beim Deutschlandfunk über die neue Goethe-Biografie von Thomas Steinfeld. Das Buch mit stolzen 800 Seiten bezeichnet er da als „die schlankeste Version“ seines Vorhabens, und ich glaube, ich werde es lesen wollen.

Wie es mir für mein Seelenheil ohnehin sinnvoll vorkommt, aber das wird individuell verschieden ausfallen, mich noch stärker als bisher schon mit dem zu beschäftigen, was wir als Kultur-, Werte- und Bildungskanon etc. demnächst zu verteidigen haben werden.

In diesem Sinne habe ich mit großer Zufriedenheit gestern auch die Edith Wharton durchgelesen, „Winter“, das wieder zeigte, wie wenig Buchumfang man für tiefe Tragik braucht. Eine sehr einfache, sehr schlimme Geschichte. Und ihr einziges Buch, wenn ich es richtig mitbekommen habe, das auf dem Land spielt. Alles andere von ihr war urban geprägt, war New Yorker Stadtliteratur, und wird demnächst wohl verwunschzettelt. Es ist immer wieder schön, finde ich jedenfalls, dass man mit der Weltliteratur niemals fertig werden kann, dass aus Vergangenheit und Gegenwart noch unendlich viel für uns bereitsteht.

Man darf sich ausdrücklich überreich versorgt fühlen. Wenigstens in dieser Beziehung darf man das, und das ist nicht nichts.

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Ein Graffiti auf einer Bodenplatte: "Mehr Liebe"

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