Eine Dankespostkarte

Ich habe vielfach und längst (pardon) zu danken für ein Eichhörnchenfutterhaus, was sicher ein besonders gutes Wort für einen Kurs „Deutsch als Fremdsprache“ ist, für verschiedene Schreibutensilien und für Gedichte von Karl Krolow, für gleich mehrere Puzzles, für das Buch „Anfänge“ von David Graeber und auch für diverse Summen im Hut, die wir im Moment für den Sommer beiseitelegen, wenn kein anderer Verwendungszweck angegeben ist. Neulich etwa kam „Kultur“, das wird noch im März so verarbeitet, die Planung läuft. Ganz herzlichen Dank! Immer denke ich, den nächsten Dank musst Du aber wirklich viel schneller schaffen, und dann gelingt es mir wieder nicht. Schlimm.

Es ist mir aber auch lange kein Bild mehr untergekommen, vorgekommen, wie auch immer, ich habe einfach zu wenig gesehen, was sich in der Langweiligkeit der Jahreszeit begründet, ich stumpfe da stets etwas ab und nehme nur noch unzureichend wahr, was um mich herum geschieht oder sich präsentiert. Im Folgenden dafür eine noch aktuelle Bewegtbild-Sequenz von erheblicher Unglaubwürdigkeit, die ich Ihnen gerade deswegen zeigen möchte. Die Szene ist dermaßen klischeehaft, dass sie nur ausgedacht sein kann, da sie aber echt ist, frage ich mich doch wieder etwas, in welcher Dimension ich hier eigentlich lebe. Die Welt ist Text, der Text ist Welt, die Kulissen sind Klischee, die Klischees sind die Kulissen.

Wie auch immer. Im Bürohaus hinter unserer Wohnung arbeiten Unternehmensberaterinnen und -berater. Manchmal sind da junge Menschen dabei, ich habe es irgendwann schon einmal beschrieben, die enorm danach aussehen, als hätte man sie für einen Kinofilm über eine große Unternehmensberatung gecastet, so neu, teuer und gut sitzend sind die Anzüge und Kostüme, so glänzend die Schuhe, so hart und schnell der Gang, so entschlossen die Kinnpartie, so präzise die Frisuren und Rasuren. Ich sehe sie meist zur Mittagszeit, wenn sie zum Essen gehen und dabei noch Kurzmeldungen beruflicher Natur ins Handy bellen, knapp und zackig. Sie müssen sich diese Leute bis zur Lächerlichkeit typisch vorstellen, dann erst haben Sie ein stimmiges Bild, denn natürlich kommen sie auch tatsächlich so vor, irgendwo haben fast alle Karikaturen ihren konkreten Anlass und Ausgangspunkt. Zwei von dieser Art kommen mir am frühen Nachmittag entgegen, kurz vor unserer Haustür. Ich komme eben beladen vom Einkauf, meinen Hackenporsche so motiviert ziehend wie ein Pferd nach langen Dienstjahren die Touristenkutschen am Nordseedeich. Die jungen Leute streben vermutlich zu einem schnellen Essen, sie sehen beim Gehen auf Handys und Uhren, keine Zeit, keine Zeit.

Im Vorübergehen ein Satzfetzen, kurz nur: „Die zwanzig Leute werden freigestellt, das ist ja nun das kleinste Problem.“

Links von mir in diesem Moment das Schaufenster eines sozialistischen Verlages im Souterrain, aktuelle Titel, dort ausgestellt: „´Die Krise des Marxismus“ und auch „Gewerkschaft? Ja, bitte“.

Rechts von mir die Schlange vor der Essensausgabe in der Kirche, etwa sechzig Menschen stehen gerade auf dem Kirchhof und warten vor dem Portal, in einer langen Reihe um das Denkmal für den Heiligen Sankt Georg herum, der seine Lanze in den Lindwurm bohrt. Die meisten der Wartenden haben auch einen Hackenporsche dabei, die sind aber durchweg noch leer und werden erst in der Kirche gefülllt.

Das ist alles. So trifft es zusammen, so passt es auch. Es hat keine Moral, es belehrt auch niemanden, es findet nur einfach so unverbunden und parallel statt und jemand schreibt es auf. Ein paar Schritte weiter, im Fenster des tailändischen Massagesalons mit dem rot blinkenden Schild „Geöffnet“, stehen eine Winkekatze und ein großer, hölzerner Nussknacker unerklärlich nebeneinander, als gehöre das so. Eine merkwürdige Verbindung auch das, aber es fällt kaum auf.

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Kaffeetassen vor alten Büchern

Ich wache um 4 Uhr 30 auf und verlasse Bett und Komfortzone. Ich mache Buchhaltungskram am Morgen. Ich verschicke Rechnungen, ich bezahle Rechnungen, der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Besinnlich in den Tag. Woher kommt dieser Bibeltext? Ich bin da kein Experte, immer alles nachsehen. Aus dem Buch Hiob, ausgerechnet. Das mal heute nicht weiter verfolgen.

Der erste Blick in den Wetterbericht, zweistellige Temperaturen sind vielleicht in etwa zehn Tagen zu erwarten. Ein Countdown, ein Countdown, ich male entschlossen einen Strich ins Notizbuch. Noch sind es minus 2 Grad da draußen, mir kommt es vor wie minus 20, ich habe keine Frostabwehrreserven mehr. Ich bin nicht der Einzige damit, ich sehe es in den Timelines, man friert kollektiv. Ich sah es gestern auch draußen an den Radfahrerinnen, die rotnasiger und in sich gekrümmter aussahen als den ganzen Winter über, die bibbernd an den Ampeln hielten. Und ja, ich weiß, der Winter war zu warm und Schnee und Eis da draußen wäre jetzt die Regel und auch die Rettung. Man kann das verstehen, man kann es auch beklagen, man kann es auf emotionaler Ebene dennoch nicht warm genug finden, denn der Mensch ist eine komplexe Angelegenheit und jederzeit fähig, merkwürdige Sachen im Hirn direkt nebeneinander zu arrangieren.

Die Mirabelle vor dem Haus trägt einen lichtgrünen Schleier, hauchzart. Kaum zu sehen. Erste Krokusse im Stadtteil sind bereits verblüht, abgeknicktes Lila.

Die Söhne haben heute den letzten Schultag, dann sind die zweiwöchigen Hamburger Märzferien, die wieder nur sie haben, ich nicht. Nie werde ich über diesen Neid hinwegkommen, nie. Home-Office, während sich nebenan die Teenager in den Kinderzimmern noch zehnmal umdrehen, eine schwere Übung wird das, eine Challenge, wie man heute reflexmäßig sagt. The holiday-challenge for parents.

Ich sage einem Sohn, dass ich ein Problem mit seinen Ferien habe. „Probleme sind nur dornige Chancen“ sagt der Sohn reflexmäßig, es ist ein Zitat des Finanzministers, ausgerechnet. Ich verfluche Tiktok, wo derlei so erfolgreich verbreitet wird, nur Unsinn lernt der Nachwuchs dort. In meinem Erwachsenen-Tiktok dagegen sehe ich wieder viele dampfende Kaffee- oder Teetassen vor alten Büchern in englischen Cottages, umgeben von prachtvollen und doch seltsam lässig wirkenden Gärten, so soll das sein. Außerdem gleich mehrere Butler und Benimmexperten, die mir den korrekten Umgang mit Keksen oder Besteck erklären, mindless content von der allerbesten Sorte. „Ladies and gentlemen, when we drink tea …“ Die Aufforderung, alles mit Besteck zu essen, sie endet mit erhobenen Augenbrauen und „… we are not vultures.“

Das mal so bei nächster Gelegenheit auch an die Söhne weitergeben.

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Märzenblüte

Ich sehe im Stadtteil auf dem Weg ins Büro blühendes Frühlingsscharbockskraut, das man, ich habe es gerade auf Tiktok gelernt, auch gegen Skorbut (Skorbut = Scharbock) knabbern kann. Aber ich habe gerade nichts mit langen Seereisen zu tun und äse daher vorerst nicht, der unvermeidliche Beigeschmack von Hundeurin würde auch etwas stören, nehme ich an. In der Schweiz, das lerne ich in der Wikipedia, nicht auf Tiktok, heißt die Pflanze Glitzerli, und da möchte man den Schweizern doch sofort ein paar Extrapunkte vergeben. Glitzerli, wirklich schön. Denken Sie das bitte mal mit, wenn Sie irgendwo Frühlingsscharbockskraut sehen, aber denken Sie auch den Großvatersatz, an die Bauernweisheit: Märzenblüte ist ohne Güte. Als Kind habe ich das irgendwann gehört oder gelesen und mir aus unerfindlichen Gründen lebenslang gemerkt, manchmal kann man es sich selbst nicht recht erklären. Ich jedenfalls sage diesen Satz im März dauernd, einen Finger mahnend erhoben. Und warum auch nicht, es passt in so gut wie jedes berufliche Umfeld, einfach jeden kleinen Erfolg so kommentieren und abwerten. Ich kann sonst nur noch eine weitere Bauernregel, und die ist erst im Mai dran, Wiedervorlage.

Der Radetzkymarsch vom Roth, gelesen von Michael Heltau, ist übrigens ganz wunderbar, ein Erlebnis, der Hörgenuss des Jahres bisher. Sehr empfehlenswert, das überträgt eine sanfte, melancholische Ruhe, mit der man die paar restlichen Wochen bis zum deutlicheren Wechsel der Jahreszeiten vielleicht etwas besser ertragen kann. Sie ziehen sich doch wieder sehr, diese etwas öden Februarmärzwochen, wie immer.

Was noch? Erstmals zum Monatswechsel Taschengeld per Dauerauftrag an das Konto eines Sohnes transferiert, das sind so die kleinen Etappen des Auswilderns. Er kann sich jetzt selber Geld am Automaten abheben, Schluss mit der feierlichen Auszahlung von Bargeld. Die Kontoeröffnung war ein bürokratischer Akt erster Klasse, viel Papier, viele Unterschriften, viel Belehrung und Ermahnung seitens des Geldinstitutes, inklusive eines historischen Exkurses über die Geschichte der BLZ. Na, wenn es der Kundenbindung dient.

Die Herzdame ist währenddessen auf Dienstreise weit im Süden, in Dortmund, ich halte hier die Stellung und verschanze mich im Alltag. Es gab Spaghetti Bolognese, es gibt Fischstäbchen. Ich habe im Moment keine Lust aufs Kochen, das merkt man leider, es ist daher alles etwas suboptimal, aber es läuft immerhin. Buddenbohm expects himself to do his duty.

Egal. Jetzt weiter im Radetzkymarsch. Es ist noch viel Buch übrig, und das immerhin ist gut so.

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Der lange Weg zur Diagnose – Ein Lese-Hinweis

Ein Text von Maret Buddenbohm

Mein Blogartikel „Reiß dich doch einfach mal zusammen“ ist inzwischen schon ein paar Tage her, aber ich freue mich immer noch über das durchweg positive Feedback und die vielen Rückmeldungen von Betroffenen oder deren Angehörigen – viel mehr als ich vermutet hätte und vieles davon hat mich auch sehr berührt.

Es wurde mehrfach danach gefragt, ob ich nicht über meinen Weg zu den Diagnosen schreiben könne, was ich auch gerne tun wollte. Es hat dann ein paar Anläufe gebraucht, da mir einfach die Zeit fehlte und als ich dann endlich mittendrin war, klingelte das Telefon und das Magazin „Donna“ fragte an, ob ich nicht einen Artikel für sie schreiben will – und zwar *Trommelwirbel* über meinen langen Weg zur Diagnose.

Anfangs war ich etwas unentschlossen, da ich mich nicht kurzfassen kann, prinzipiell immer alles wichtig finde und damit ein ganzes Heft oder Buch füllen könnte. Außerdem war es mir wichtig, meine Erfahrungen mit den Blogleserinnen zu teilen, von denen ja nicht alle Donna-Leserinnen sind.

Am Ende habe ich mich dann aber für die Donna entschieden, gerade weil die Leserschaft noch einmal eine andere ist und auch wegen der hohen Reichweite. Mir ist es ein großes Anliegen, in meiner knappen Zeit möglichst viel Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu richten. Ich hoffe, die Blogleserinnen sehen es mir nach und lesen den Artikel eventuell in der aktuellen Ausgabe.

Ich freue mich jedenfalls, dass ich die Gelegenheit hatte, für ein bekanntes Magazin zu schreiben!

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 28.2.2023

Der Blogaufruf aus der letzten Linksammlung wurde aufgegriffen, so geht es nämlich auch.

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Fünf Nonsense-Studien bei Jochen, am schönsten vielleicht die mit den Fallschirmen.

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Im letzten Newsletter von Berit Glanz geht es u.a. um „mindless content“, also um das Zeug, das man konsumiert, wenn man nichts mehr konsumieren möchte, bei dem man auch nur ansatzweise denken muss. Sie landet bei Insta Reels, die ich für diesen Zweck auch am besten finde, noch besser übrigens als Tiktok. Tiktok hat einen dermaßen scharf eingestellten Algorithmus, dass man permanent in engen Schubladen landet, mag man ein vegetarisches Rezept, werden danach 100 vegetarische Rezepte vorgeschlagen, ziemlich konsequent sogar, ich finde das oft etwas nervtötend. Man mag eine Ansicht von Edinburgh, zack, hier sind 136 weitere Ansichten von Edinburgh. Ja, ist gut jetzt. Instagram ist viel lahmer in der Auswahl und bleibt zumindest bei mir daher bunter, nach den vegetarischen Rezepten kommen weiter Bilder aus den Highlands in angenehmen Brauntönen, lustig sein sollende Memes, japanische Altstädte im Regen, herumtollende Pandas und Clips von seltsamen Herrenmodenschauen etc. Wirklich ein sehr buntes Programm, und nichts davon ist des Nachdenkens wert. Aber immer hübsche Bildchen dabei.

Ich habe eine Weile überlegt, was ich eigentlich früher gemacht habe, als es noch gar keinen mindless content gab, jedenfalls nicht im heutigen üppigen Sinne. Als Jugendlicher und junger Erwachsener habe ich sicher manchmal eine Schallplatte aufgelegt und eine Zigarette dabei geraucht, doch, so wird es gewesen sein. Dann dem Rauch zugesehen, wir hatten ja nichts. Aber danach? War das auch mit CDs noch so? Ich bekomme es nicht mehr richtig zusammen, mir fehlen die Erinnerungsbilder, vielleicht liegt es am Nichtrauchen. Vermutlich gab es noch anderes, aber es ist mir gerade komplett entfallen. So etwas wie Stricken oder dergleichen habe ich nie gemacht, so etwas wird es also nicht gewesen sein, es gab keine hobbymäßige Beschäftigung irgendeiner Art, ich habe keine Männchen geschnitzt, keine Sonnenuntergänge aquarelliert, keine Aschenbecher oder Vasen getöpfert. Habe ich die Wand angesehen? Raufaser als mindless content. Kann sein.

Da fällt mir ein, vor Urzeiten habe ich auch regelmäßig ferngesehen, wie alle damals. Ja, das könnte es gewesen sein. Was man alles aus dem Blick verliert, wenn man es längere Zeit nicht mehr macht, es ist doch erstaunlich.

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Frau Klugscheißer trifft Gorillas.

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Durchs gefällige Niedersachsen

Eine kleine Premiere: Ich habe Sohn I gebeten, etwas für mich zu tun, es ging um etwas auf einem Regal, ich kam da nicht an – er aber schon, und wie lässig. „Über den Kopf gewachsen“, so zeigt es sich dann, und es kann also auch nützlich sein.

Der andere Sohn stand, während ich dieses notierte, in Omas Garage und hackte für sie Holz für den Rest der kleinen Kältewelle, was er mit imponierender Kraft und vollem Einsatz bewältigte. Wir machten an diesem Wochenende auf dem Land also regen Gebrauch von gewissen Fähigkeiten des Nachwuchses, das war auch einmal schön.

Die Rückfahrt nach Hamburg dann bei Sonnenschein und blauem Himmel, eine vollkommen ungewohnt gewordene Beleuchtung, eine seltsam wirkende Kulisse, Niedersachsen sah auf einmal ganz gefällig aus, Schweinemastanlagen in schönem Licht. Im Straßenbegleitgrün hin und wieder gelb aufblitzende Forsythienblüten, an vielen Stellen auch weiße Schneeglöckchenteppiche und lilafarbene Krokusse. Die Rechtschreibkorrektur übrigens, sie wollte eben gerade aus der Forsythienblüte lieber „Forsythien bluten“ machen, wir leben wirklich in immer härteren Zeiten. Hard boiled garden content.

Bei der Ankunft in Hamburg fahren wir am Nachmittag durch ein aberwitziges Polizeiaufgebot, es braust gerade von allen Seiten mit Blaulicht und Sirenen heran und überall durchs kleine Bahnhofsviertel, zwanzig, dreißig Mannschaftswagen und mehr, es hasten Sturmtruppen im Laufschritt herum, Passanten stehen starr und gucken verschreckt und es sieht alles etwas unwirklich nach Film aus, es ist dann aber wieder nur: Sankt Pauli spielt gegen Rostock. Eine der schlimmsten Begegnungen. Im Hauptbahnhof, ich sehe es kurz darauf bei meinem üblichen Gang durchs Revier, sieht es nach Vorbereitung zum Bürgerkrieg aus, es fehlen nur noch die Barrikaden und brennende Reifen oder dergleichen. Mir wird ein Sport mit solchen Folgeerscheinungen in diesem Leben nicht mehr sympathisch werden.

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Ich höre den Radetzkymarsch von Joseph Roth, gelesen von Michael Heltau, damit bin ich einen Roman hinter Anke Gröner, die schon bei der Kapuzinergruft ist. Der Radetzkymarsch dauert 17 Stunden, das reicht für ein paar Einkaufsrunden und Abendspaziergänge.

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Äpfelchen, Rübchen und anderes

Sonnabend. Der Tag in Nordostwestfalen beginnt damit, dass die Katze mich missbilligend ansieht. Und zwar tut sie das, was auch immer ich mache. Katzen können sehr gut missbilligend gucken. Es ist im Grunde eine gute Vorbereitung auf einen weiteren Tag, an dem man stets bemüht durch den Alltag hampelt und am Ende sowieso denken wird: Wie man es macht, man macht es doch verkehrt. Und irgendwer guckt einen dann am Abend so an, wie es die Katze am Morgen tat. Das einmal seelisch verinnerlichen, noch bevor der erste Kaffee fertig ist. „Allerdings“, so sage ich zu dem Tier und trinke einen lebenserleichternden Schluck, „brauche ich für diese Morgengedanken gar keine Katze. Ich weiß das alles schon. Und zwar schon längst.“ Im Blick der Katze liegt jetzt die reinste, flammende Verachtung. Sie weiß noch mehr, denke ich und sage daraufhin lieber nichts mehr. Diskussionen ruhig auch einmal ausweichen, wenn man sie eh nicht gewinnen kann.

In den Timelines lese ich mehrere Schnee-Erwähnungen am Morgen. Ich friere schon beim Lesen und sehe sicherheitshalber nicht aus dem Fenster. Ich will das gar nicht wissen, ich bin durch mit dem Thema für diese Saison.

Ich höre „Hotel Savoy“ von Joseph Roth, gelesen von Hans Korte, der mir bisher noch gar nicht als Vorleser begegnet ist. Es ist angenehm, ihm zuzuhören.

Gesehen: Diese Doku über Colette auf arte. Hier kommt man ohne Reenactment aus, und ich finde die Art, wie sie die historischen Filmszenen montiert und zu Collagen arrangiert haben, sehr gelungen. Gucken Sie mal bei Minute 37, man tanzt da auf einem Fest fröhlich die raumgreifende „Aeronette“ und freut sich auf die Zukunft des Fliegens. Wenn Sie an Kulturgeschichte oder sogar an der Geschichte des Tanzes (oder auch des Fliegens) interessiert sind – ein schöner Moment ist das, unbedingt sehenswert. So fing das also an mit der Begeisterung für etwas, das man heute eher wieder sein lässt. Also ich jedenfalls. Auch die Sommerreise haben wir gerade per Zug gebucht, wenn ich da mal eben heruminfluencen darf. Wobei man in unseren Zeiten alternativ etwas mit Windkraft tanzen könnte, es würde womöglich sogar in den Armbewegungen ganz ähnlich aussehen, und da es etwas mit Mühlen zu tun hätte, wäre es dann eben die „Moulinette“ …Nur scheint mir die Stimmung heute nicht annähernd ähnlich gelöst und optimistisch zu sein. Und ich würde es auch gar nicht mitbekommen, denn ich gehe schon seit etwa drei, vier Jahren nicht mehr zu Veranstaltungen, auf denen getanzt wird. Na, es ist eben alles nur eine Phase, das gilt keineswegs nur bei Kindern.

Auch gesehen, und damit bei den arte-Literatursendungen wieder auf dem letzten Stand, die Doku über Jack London. Wieder großartiges Bildmaterial, fantastische Fotos. Und dass es eine Verbindung von Jack London zum ökologischen Landbau gab – man lernt noch einmal etwas.

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In UK werden jetzt auch die Äpfel und Birnen knapp, von wegen an apple a day, sie werden sich da drüben etwas Neues ausdenken müssen. Und Lauch und auch Mairübchen fehlen (man soll turnip gegen swede tauschen, da muss man schon etwas fortgeschritten vokabelfest sein) und überhaupt, Tomaten und Gurken sowieso. Hier macht ein Sohn bald eine Klassenfahrt nach England, vielleicht werden wir ihm sicherheitshalber etwas mitgeben müssen, die Äpfelchen für eine Woche vorschneiden und eintuppern oder dergleichen. Vorsichtsmaßnahmen bei Reisen ins Ungewisse.

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Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 25.2.2023

Im Newsletter von Frau Büüsker geht es um die Vermittlung von Umweltnachrichten und um Teflonpfannen, von denen ich längst keine mehr im Haushalt habe, sehr gut, auch einmal etwas richtig gemacht. Immer lesenswert, dieser Newsletter.

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Bei der Kaltmamsell lese ich, dass sie beim Joggen Sonnencreme benutzt, das liest sich aus dem schier ewigen Grau des Nordens heraus vollkommen absurd, das klingt irgendwie nach Juni/Juli/August, nach noch fernen Monaten und Märchenland. Was steht da weiter: „Mein Schlafzimmer roch deutlich nach dem Sonnenschein, der es über den Tag gewärmt hatte.“ Wie weit weg kann denn bitte München sein, zwei, drei Tagesreisen sind es wohl mindestens, ich werde das im Sommer übrigens nachprüfen. Ansatzweise habe ich es schon im Testverfahren, ich bin nämlich immerhin drei Stunden nach Süden gefahren und jetzt in Nordostwestfalen, hier ist es allerdings exakt so grau wie in Hamburg, gar keine Änderung.

Außerdem habe ich im Text der Kaltmamsell noch das Wort „Sibspace“ (der Begriff wird dort erläutert) gefunden, und diese Bezeichnung nehme ich gerne mit, die kommt mir nützlich vor.

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Frau Herzbruch zum Ukraine-Krieg und zu Waffenlieferungen. Punktgenau.

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Passend dazu und auch passend zum Jahrestag gibt es noch einmal ein Update zu Tetiana von unserer Korrespondentin in Frankreich, einige werden die Geschichte der Familie verfolgt haben, nehme ich an.

In der Küche meiner Schwiegermutter liegen Handschuhe aus Gummi auf der Arbeitsplatte, ich sehe es beim Kaffeemachen, sie sind halb blau und halb gelb und ich weiß nicht, soll das vielleicht einen aktuellen Bezug haben oder nicht, waren die immer schon so? So ist das nämlich mit den Zeichen im Alltag, Herr Eco hätte da jetzt noch wesentlich mehr zu sagen können.

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Und überhaupt: Please blog. Don’t wait for the Pulitzer piece. Tell me about your ride to work, about your food, what flavor ice cream you like. Let me be part of happiness and sadness. Show me, that there is a human being out there that, agree or not, I can relate to.” Gefunden via Lars Reineke. Man will und muss der Zeitenwende im Bereich Social Media doch irgendwie begegnen.

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Kultur am Abend

Die Woche ist zu voll mit Arbeit, ich komme nicht dazu, mich auf das Schreiben genug zu besinnen, ich komme nicht rein. Es geschieht aber ohnehin nichts, es ändert sich gerade nichts, es bleibt alles, wie es schon seit Tagen oder Wochen ist, in der Schwebe, februarig, immerhin hellgrau, jedenfalls mit gutem Willen betrachtet, und an dem soll es nicht mangeln. Das Wetter, es bleibt noch tage- oder wochenlang lang exakt so, die Arbeit sicher auch, der ganze festgefügte Alltag, einfach Kurs halten. Nächste Woche der März, haben wir das.

Ich wollte in diesem Jahr in jedem Monat etwas mit Kultur unternehmen, das wird mir im Februar nicht gelingen. Die Theaterkarten, nach denen ich sah, sie kosteten sechzig Euro, das war mir zu viel, ich habe die Buchungsseite etwas erschreckt wieder zugemacht. Womöglich sehe ich das falsch, man könnte sicher so argumentieren, ich ahne es. Und doch … ich meine: Sechzig Euro. Oha.

Im März dann zum Ausgleich zweimal was mit Kultur unternehmen? Ich traue es mir nur begrenzt zu. Aber stets bemüht bleiben, ja doch.

Stattdessen habe ich etwas Kultur zuhause konsumiert.

Gesehen: Erich Maria Remarque – sein Weg zum Ruhm. Eine Doku auf arte, mit den heute unvermeidlichen Reenactment-Szenen, Max von Thun sieht man dabei als Remarque. Am Ende eine kurze Sequenz aus dem wunderbaren Interview mit Friedrich Luft von 1962. Ich hatte es im Blog schon einmal verlinkt, man kann es auf Youtube hier finden.

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Beim WDZ-Zeitzeichen eine Folge über den Herrn Malewitsch, das ist der mit dem schwarzen Quadrat. Der kurze Text (13 Minuten) enthält das fraglos hinreißende Detail, dass er fliederfarbene Damenstrümpfe als Krawatte getragen haben soll, das werde ich mir ab jetzt immer zu seinem schwarzen Quadrat, ach was, zu jedem schwarzen Quadrat dazudenken. Aber auch sonst: Interessante Geschichte.

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Bei SWR2-Lesenswert eine ebenfalls kurze Folge, 5 Minuten nur, über einen Essay von David Graeber über Piraten. Ja, Piraten. Warum auch nicht, es kann so vieles faszinierend sein.

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Und zum Abschluss noch der geschätzte Nicholas Palmquist. Sehr schön ist das. Das ist sicher das erste Bild eines noch entstehenden Stückes „Call me Ishmael.“ Nein, ist es nicht. Aber es sieht so aus, jedenfalls für mich, ganz eindeutig sieht es so aus.

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Drei von neun

Ich habe in der Home-Office-Mittagspause drei von neun Fenstern geputzt, das klingt wie eine bestenfalls bescheidene Erfolgsquote. Es ist aber ein größerer Akt und ist vor allem auch eine Frage der Überwindung, denn es sind mit Möbeln oder Pflanzen zugebaute Dachfenster, fast durch die Bank sind sie schlecht zu erreichen. Ich muss da also schon ein deutliches Motivationshoch abwarten, dass sich in den härteren Wintermonaten eher nicht einstellt, wegen der Stimmungsgroßwetterlage. Nun. Ein Anfang ist gemacht. Es kommt aber, das ist eine erhebliche Enttäuschung, dennoch nicht mehr Licht hinein, da draußen ist nämlich gar kein Licht. Womöglich ist immer noch Februar, es nervt allmählich entsetzlich. Es kommt gerade eben so viel Licht hinein, dass ich ahnend erkennen kann, wo noch Tropfen und Schlieren und Streifen auf den Scheiben sind. Man muss sich dann auch wieder entschlossen von dieser Arbeit abwenden können, sonst verliert man sich in so etwas und die Nachbarn in den Häusern gegenüber stehen am Ende kopfschüttelnd an ihren bestimmt stets viel saubereren Fenstern und sehen herüber, was macht er da denn bloß und warum, wie oft will er noch über die Stelle wischen.

Die Herzdame und ich hatten vor vielen Jahren einmal eine Nachbarin, die nahezu jeden Tag ihre Fensterrahmen (!) von außen (!) geputzt hat. Und so möchte man ja auch nicht enden.

Es weht währenddessen immer weiter ein kalter Wind durch Norddeutschland, der, wenn man unterm Dach und also exponiert wohnt wie wir, immer noch nach Winter klingt, nach Oktobernovemberdezember, nach Unwetter und ganz großem Hui, und manchmal auch, wenn es Abend wird und der schräg treibende Regen dazu kommt, ein wenig nach Gruselfilm. Aber die Krokusse im kleinen Bahnhofsviertel öffnen jetzt doch alle ihre Blüten, wenn es gegen Mittag etwas heller wird, wenn der Himmel kurz vom Grau zum Beige changiert.

Ansonsten viel Arbeit, unerfreuliche Nachrichten in der Welt und im Privatleben, dazu dichtbepackte Werktage. Die Frisur sitzt. In den Nachrichten, eben sehe ich es, wird Saharastaub vermeldet, am Donnerstag soll er auf unseren Fenstern landen.

Weitermachen. Immer einfach weitermachen.

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