Die Woche vor der Tür

05:46, draußen steht jemand und brüllt seit etwa zwanzig Minuten immer wieder „Hallo!“ durch den Stadtteil. Sehr laut und irgendwie fordernd wird das da gebrüllt, vor allem aber enervierend häufig. Ich nehme an, es ist die neue Woche, die da herumsteht und brüllt, und so eine ist das also. Na dann.

Diese Woche beginnt immerhin mit einem Urlaubstag, was ich fast sympathisch finden könnte. Es ist aber, wie es sich unter uns fortgeschritten Erwachsenen fast von selbst versteht, keineswegs ein Urlaubstag, welcher der Erholung dient, sondern vielmehr administrativem Geraffel und einem damit verbundenen Besuch in der Heimatstadt. Was man so macht, nicht wahr. Und was macht man nicht alles, wie Helge Schneider vielleicht an dieser Stelle etwas zwanghaft ergänzen würde.

In der KI-Szene übrigens reden sie dauernd von Zeitersparnis in krassen Dimensionen, geradezu reflexmäßig tun sie das. Und schon als sei es ein Naturgesetz führen sie da immer die Buchung von Tischen in Restaurants oder von irgendwelchen Business-Trips nach Berlin etc. als Beispiele an, außerdem noch das Auffinden von freien Slots im eigenen Kalender. Das sind Beispiele, die mir keine Zeit sparen, exakt gar keine. Ich reserviere keine Tische, ich buche nicht Berlin und ich habe eh keine freien Slots im Kalender. Und wenn ich sie hätte, ich würde es nicht zugeben, denn dann würde sie ja umgehend jemand kapern wollen, Freibeuter nichts dagegen.

Aber selbst wenn ich Tische und auch Berlin buchen würde, ich wäre doch dermaßen skeptisch und vorsichtig gegenüber jeder gerade verwendbaren Form von KI, dass ich alles dreimal, viermal prüfen würde, dass ich selbst zum Vergleich auch noch …

Dass ich also am Ende Zeit investieren müsste. Und nichts, gar nichts bliebe mir erspart.

Wenn Sie aber demnächst eine KI entwickeln, die mir das Wohngeld für Verwandte mit hundertprozentiger Zuverlässigkeit beantragt und organisiert, die sich um die Ausbildungs- oder Studienplätze für den Nachwuchs kümmert und die meine hochspeziellen Steuersonderfragen souverän für mich und zu meinem Vorteil klärt – ich würde mich vielleicht interessiert zeigen. Also in ein paar Jahren, nehme ich an. Sie wird dann womöglich meine Verrentung klären können. Okay, das wird mir dann auch ins Konzept passen, nehme ich an, und um mich gegenüber der Technik versöhnlich und dankbar zu zeigen, buche ich dann direkt nach dem Renteneintritt auch einen Tisch in Berlin, in einem freien Slot. Ja, mach nur einen Plan.

Es wird ansonsten die Woche, in der ich im neuen Büro starte. Und ein neues Büro, das ist wiederum das erwachsene Pendant zu neuen Heften bei Schulkindern. Zum Schuljahresanfang, zu dieser Situation also, in der man kurz glaubt, dass irgendetwas besser werden und vorangehen könnte. Es ist einer dieser Momente, zumindest war es damals bei mir immer so, in denen man sich kurz für steigerungsfähig hält. Daran gibt es auch nichts abzuwerten, das ist ein durchaus angenehmes Gefühl, ich mag das. Auch seine Selbsttäuschungen muss man irgendwann liebgewinnen und pflegen, sie helfen hier und da.

Blick über den Zollkanal am Hafen

Ich testete am Wochenende also schon einmal den neuen Arbeitsweg. Er ist geringfügig länger als die alte Strecke, ich werde daher etwas schneller gehen müssen. Aber es gibt wesentlich bessere Ausblicke und Fotomotive, kein Zweifel. Vorauseilend suche ich mir im Gehen schon einmal etwas passende Musik heraus, die zu meinem schnellen Schritt, zur geschäftigen Stadt am Weg und überhaupt zu den mutmaßlichen Vibes der Woche passt.

Dann wollen wir mal sehen.

Das Video hier auch als Link.

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Sonntagsdiverses

Pardon, ich kam heute am Morgen vom regelmäßigen Bloggen ab, woran der gleich vorkommende Michael Maar die Schuld trägt. Aber er wird leicht daran tragen, schon klar.

Vorweg ist noch ein Dank notwendig, und zwar an den freundlichen Menschen, der heute zum Trinkgeld einen so dermaßen netten Satz schrieb, dass es mir tatsächlich etwas weiterhalf, weil es genau im richtigen Moment kam.

Ich freute mich beträchtlich, echtjetztmal.

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Das Institut Pierre Werner sagte mir nichts, bis ich Videos von dieser Einrichtung auf YouTube fand. Ein luxemburgisches Kulturinstitut, man kann das hier nachlesen. Und Kulturinstitute, die gibt 4s ja heute kaum noch, da freut man sich schon einmal.

Gefunden habe ich von denen zuerst ein Video mit Michael Maar, das mich ansprach. Und zwar schon deswegen, weil er meine entschiedene Aversion gegen die Begriffe „Narrrativ“ und „spannend“ teilt. Da hat man gleich eine entscheidende Gemeinsamkeit. Er kam mir aber auch davon abgesehen sympathisch vor.

Das Video (hier als Link) fand ich durchgehend interessant, es geht um Stil und Sprachgebrauch.

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Okay, was sonst. Sehenswert fand ich auf arte diese Doku zu Edith Piaf (59 Min.). Auch weil ich den Eindruck hatte, dass sich von ihrer Wirkung, die etwas Magisches gehabt haben muss, nichts, aber auch gar nichts auf die erhaltenen Filmaufnahmen übertragen hat. Auf den Gesang, das schon. Aber ihre Erscheinung, ihr Charisma – man kann es einfach nicht nachvollziehen. Was das Wunder nur größer macht.

Ich habe außerdem weitere Film-Dokus in den letzten Tagen gesehen. Die ich zwar nur begrenzt empfehlenswert finde, weil einem – oder zumindest mir – der Erzählstil nach einer Weile doch leicht auf die Nerven geht, die aber als Kurzweil etwa beim Schnippeln des Gemüses oder beim Umrühren der Suppen allemal geeignet sind:

Sigourney Weaver

Désirée Nosbusch

Tim Burton

Claudia Cardinale

Gary Cooper

Billy Wilder

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Eine der Trends, wenn ich es überhaupt einen Trend nennen kann, der für mich eher schwerer zu greifen ist, den ich aber doch einmal benennen möchte – ich habe den Eindruck, dass mir in diesem Jahr mehr als je zuvor manche Zahlen, die in den Nachrichten benannt werden, sich auf eine neue Art der Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit entziehen. Dass ich also etwas höre, irgendeine Meldung, in der Zahlen und Summen genannt werden, und wenn ich dann darüber nachdenke, was man ja durchaus nicht immer macht, vielleicht sogar eher selten, dann komme ich immer öfter zum einzig möglichen Schluss: WTF.

Wie isses nun bloß möglich? Wovon reden die da? Und was ist das für eine Welt geworden, wie konnte es eigentlich kommen.

Man hört es vermutlich schon an diesen Fragen: Es ist wieder einmal zu klären, ob es am Lauf der Welt, an meinem Alter oder an meiner Generation liegt, dass da etwas nicht mehr zusammenpasst. So klar ist das manchmal nicht zu trennen und es könnte auch alles auf einmal vor sich hinwirken, was es noch verwirrender macht.

Jedenfalls, um Sie nicht ohne zwei Beispiele zu lassen, vor einiger Zeit schon, im Sommer etwa, ging es in den Nachrichten kurz um den Verkauf der hauptsächlich pornös genutzten Seite Onlyfans (Wikipedia-Link). Ich kenne de Seite nicht weiter, obwohl ich sogar zwei Anbieterinnen dort aus ganz anderen Kontexten kenne. Aber ich hatte verstanden, dass sie gerade der Standard ist, wenn man etwa speziellere Bilder, Videos etc.  von sich verkaufen möchte. Acht Milliarden wurden da als Wunschpreis genannt, und das war für mich, wie soll ich sagen, dimensionssprengend. Die Zahl passte für mich nicht zum Objekt. Wie kann das so sein, wie kann das der Wert sein.

Kreideschrift auf dem Pflaster: Geld ist nur Papier

Wenn man sich aber die Wikipedia-Seite zu der Firma tatsächlich durchliest, merke ich gerade, ist da kein Mangel an weiteren erstaunlichen Zahlen, etwa wenn am Ende gewisse Einkommen genannt werden und das Kopfschütteln schon wieder schlimmer wird.

Zum anderen wurde in den letzten Tagen gemeldet, dass Spotify gerade AI-Tracks löscht. Was ich fast gelangweilt überhört hätte, sollen sie mal machen, ja, ja, … wenn nicht auch da eine Zahl genannt worden wäre: 75 Millionen AI-Tracks flogen da nämlich raus. Bitte was. Das liegt nun auf eine gewisse Art nicht mehr in meinem Zahlenraum bei diesem Kontext, vielleicht geht es Ihnen auch so? Das ist … anderweltlich, mehr als seltsam und vollkommen abwegig.

Man sitzt etwas ratlos davor, nicht wahr. Man hat auch bei weitem nicht genug Finger zum Nachrechnen, und man kommt sowieso aus einer anderen Zeit und möchte eigentlich nur noch abwinken. Aus einer Zeit kommt man, in der das Wünschen und der Live-Gesang von echten Menschen noch geholfen haben.

Man legt dann vielleicht zur Beruhigung die Musik von damals auf, weil das doch fast immer und bei nahezu allem geholfen hat. Und weil es auch heute noch hilft, wie man hofft. Was einem aber auch deswegen einfällt, weil der Herbst währenddessen voranschreitet. Weil vor dem Fenster etwa in diesem Moment gerade zwei, drei Blätter vorbeiwehen und wir bei dem einen Lied der Saison also ruhig noch etwas dranbleiben und weitere Interpreten auftreten lassen können, unter uns … jetzt möchte ich an Michael Maar wieder anschließen und suche mir daher ein unnötiges Fremdwort … Impresarien.

Das Video hier auch als Link.

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Weitere beachtenswerte Links heute auch bei Happy Buddha, wenn noch irgendwo Mangel herrschen sollte.

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Für eine Handvoll Links

Falls Sie Beruhigung und Trost nach einer weiteren Woche voller Werktage brauchen, ich empfehle den neuen Podcast von Bill Nighy „Ill-advised: A podcast for people who don’t get out much and can‘t handle it when they do“. Ein Podcast, der uns, wie der Titel bereits sagt, nicht weiterhilft. Der aber doch entspannt, denn es tut gut, Bill Nighy zuzuhören. Es ist ein wenig wie bei Christian Brückner, er könnte mir auch Einkaufszettel vorlesen und ich würde es gut finden.

Ich sehe auf der Seite zum Podcast auch wieder einen Satz, den ich allzu verlockend für Standard-Antworten im Büro finde: „I’ll see what I can do (which is probably very little).“

Die erste Folge mit dem Titel „Procrastination“ ist jetzt erschienen und enthält auch Musik- und Literatur-Tipps.

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Ein Sohn war in Prag. Wo er gewiss viel erlebt und gesehen hat, was er allerdings altersgerecht mit „War gut“ derart bündig zusammengefasst hat, dass noch Raum für Fantasie blieb. Welche sich bei mir mit Assoziationen verbindet, denn es liegen drei Kaiser begraben in Prag, da war doch was? Was war das noch?

Ich lese das also nach, das mit den drei Kaisern in Prag, und guck an, es stimmt gar nicht. In Wahrheit sind es nämlich vier, der olle Brecht hat beim Texten geschummelt oder war zumindest dichterisch frei wie stets. Hier der Wikipedia-Link zu seinem Lied von der Moldau, in dem die Kaiser, deren Erwähnung im Lied ich vage erinnerte, erwähnt werden. Es enthält Zeilen, die auch in unseren Zeiten wieder mit einiger Hingabe gesungen werden können:

Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt“

Man kann es sich etwa von Katha Ebstein vorsingen lassen, und warum auch nicht.

 

Hier auch als Link.

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Das Thema der nachlassenden sozialen Bindungen, der schwindenden Begegnungen und der zunehmenden ungewollten oder aber auch gewollten, jedenfalls aber verstetigten Vereinzelung treibt mich öfter um, wie Sie wissen. Bei BBC-Global sah ich dazu auf YouTube einen kurzen Film, in dem es um nachlassendes Partygeschehen und auch um den Rest der Entwicklung geht. Also insgesamt um das Bröckeln des sozialen Kitts.

Hier auch als Link.

Das ist nun eine Betrachtung aus den USA. Zumindest von hier aus betrachtet würde ich es aber für abwegig halten, dieses Thema so lange zu besprechen, ohne die Pandemie und ihre Folgen gerade für die Jugendlichen auch nur zu erwähnen.

Und bezüglich der Partys ergeben sich bei mir auch methodische Nachfragen. Denn ich bin mir nicht sicher, ob Jugendliche über Generationen hinweg unter Partys etwas verlässlich Gleiches verstehen.

Aber das nur am Rande. Unterm Strich wird es dennoch hinkommen, was da berichtet wird.

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Eine eher absurde Koinzidenz war es dann, dass bei meinem Medienkonsum zweimal nacheinander innerhalb von nur 5 Minuten das aparte Wort Ataraxie (Wikipedia-Link dazu) vorkam, welches ich sonst eher nicht im täglichen Menü habe. Nämlich einerseits in einem Artikel auf 54books, der sich berechtigt über den Zusammenhang zwischen LinkedIn und der Stoa mokiert. Und sich dabei gegen eine gar nicht so kleine Szene richtet, in der „die Stoa als Lifehack für männliche Geschäftseigentümer zwischen 30 und 60 vermarktet wird“.

Dieser empfehlenswerte Text von Daphne Schwarz findet sich hier: „Die römischen Kaiser von LinkedIn – Das Elend der zeitgenössischen Begeisterung für die Stoa.

Andererseits gab es den Begriff auch in einem Podcast aus der Reihe Radiowissen, in dem es um das Thema Trost, um dessen Definition und Wirkung ging.

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Kreideschrift auf dem Pflaster: Hier wird es Menschen leicht gemacht zu stranden

 

Ich möchte noch auf einen neuen Kommentar unter einem Text von mir hinweisen. Unter diesem Artikel „Einige Anmerkungen zum Niveau der Bilder da draußen“ die Anmerkung von Grete aus Berlin. Denn sie bestätigt, was ich tatsächlich ab und zu gerne bestätigt bekomme, dass es nämlich wirklich einigermaßen weit weg von der Wirklichkeit vieler anderer Menschen entfernt ist, wie es hier zugeht. Ich habe oft Mühe, das glaubwürdig rüberzubringen, was ich hier vor der Tür sehe, weil es notwenigerweise fast immer überzogen wirkt. Da finde ich solche Kommentare manchmal geradezu erleichternd, so bitter der Inhalt auch ist.

Schließlich gab es, und es passt perfekt in diesen Zusammenhang, ein neues Video zu einem alten Lied vom Großdichter und Singer-Songwriter-Gott Tom Waits. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob es unter Trost fällt oder eher weiter in den Abgrund drängt. Es wird am Ende eine Frage des Geschmacks und der, haha, Ataraxie sein.

Hier als Link, nachfolgend eingebettet.

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Das Tagewerk und Trenchcoatjahre

Ich lernte gestern auf Instagram, wo ich mich eigentlich nur kurz entspannen wollte, dass wir 2012 alle in eine andere Wirklichkeit abgebogen sind, mitsamt der ganzen Welt um uns herum, quasi all inclusive. Das hatte, so sagte man da, und ich musste mir dann arg Mühe geben, dem zu folgen, etwas mit dem Nachweis des Higgs-Bosons in jenem Jahr zu tun und es beweise sich unter anderem leicht nachvollziehbar dadurch, dass einige eben doch noch wissen, wie Mandela in den Achtzigern gestorben sei und eben nicht in den Neunzigern Präsident von Südafrika … woraus man leicht ableiten könne … Dimensionen, Multiversen, Verschiebung, Blahfasel. WTF.

Ich fühlte mich wieder wie bei einigen Krimis, bei denen ich einfach nicht mitbekomme, wer da nun wann wen und warum. Es ist mir oft zu kompliziert, es interessiert mich häufig auch nicht genug. Oder sagen wir so, ich habe keinen ausgeprägten Sinn für Verwicklungen. Wie man geistige Schlichtheit vielleicht auch elegant umschreiben kann.

Ich überlegte sicherheitshalber aber nach dem Clip noch, was mir überhaupt zum Jahr 2012 einfällt, kam spontan aber auf nichts. Ich habe mir da damals keinen Merker gesetzt. Das Jahr ging vermutlich einfach so vorbei, quasi unbeachtet. Die Söhne waren noch klein, ich werde beschäftigt gewesen sein. Ich las die Ereignisse des Jahres 2012 nach, man findet online alles so einladend sauber aufgelistet. Vom Jubiläum 100 Jahre Biene Maja über die Schlecker-Insolvenz bis zu einer Präsidentschaftswahl in Island.

Das hatte ich alles nicht abgespeichert. Wenn ich 2012 mit den anderen Jahren danach vergleiche, war es wohl eher unauffällig. Was mir dann allerdings sofort verdächtig vorkam, so viele Krimis habe ich dann doch gesehen und verstanden. Man hätte vielleicht früher misstrauisch werden können. Ein Jahr in einem etwas zu gewöhnlichen Trenchcoat war es nämlich, es stand so betont unauffällig im Kalender herum. Aber gerade da muss man eben besonders genau hingucken, wenn jemand etwas wie einen bemerkenswert unauffälligen Trenchcoat trägt. Das kennt man doch. Wieso fiel es mir denn damals nicht auf.

Aber gut, es fiel uns allen nicht auf (sagen Sie jetzt nichts). Was wohl aus der alten Wirklichkeit, also aus der davor, in den letzten 13 Jahren geworden ist? Da jedenfalls bei Gelegenheit mal weiter drüber nachdenken, über unser kollektives Abbiegen 2012. Etwa wenn mir sonst absolut nichts mehr zum Denken einfallen sollte.

Ich entnehme ansonsten den Nachrichten, dass textende Menschen in Europa demnächst keine Schinken mehr schreiben und auch keine Themen mehr verwursten dürfen. Weil sich zu viele Menschen in Hungersituationen versuchsweise dicke Bücher aufs Brot geschnitten haben, so in etwa wird es begründet. Das muss man verstehen, das konnte so einfach nicht mehr weitergehen. Okay.

Alles hinnehmen, alles veratmen, man hat ja mittlerweile Übung. Mal wieder The Moody Blues dabei hören, das könnte passen.

“The earth turns slowly round
Far away the distant sound
Is with us here, lost and found”

Und dann geht es auch schon wieder, nicht wahr.

Aber irgendwann, so steht doch zu befürchten, werden unsere Köpfe vom vielen Schütteln lose. Materialermüdung wird es am Ende sein, man kennt das auch vom zerfallenden, abgeliebten Kinderspielzeug. Und dann werden sie uns einfach abfallen, die Köpfe, vielleicht noch während wir die letzten Nachrichten auf Instagram verfolgen.

Kreideschrift auf dem Pflaster: Be Light

An der anschließenden Diskussion, ob es sich dabei um sogenannte sanfte Tode handelt, müssen wir dann gottseidank nicht mehr teilnehmen, das können die nach uns erörtern. Und diesen beruhigenden, tröstlichen Gedanken nehme ich jetzt als das stets notwendige Immerhin des Tages mit in die nächsten Stunden. Ich starte die Freitagsfleißarbeit also motiviert wie immer und vermutlich wie wir alle. In dem halbwegs sicheren Gefühl, dass auch dieser Werktag am Ende so wertvoll wie ein kleines Steak gewesen sein wird.

Wenn man das noch so sagen darf.

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Geht doch

Ich müsste nachdenken, länger nachdenken, wann ich zuletzt da draußen etwas lustig fand. Irgendeine Begegnung, eine Begebenheit, einen Dialog von Passanten oder sonst etwas, solche Szenen scheinen gerade Mangelware zu sein. Oder ich halte mich an den falschen Ecken der Stadt auf, das mag auch sein. Am Ende fehlt gerade in der Innenstadt ausdrücklich die Komik, was weiß ich. Denn ich würde sie doch erkennen, diese Szenen, wenn sie da wären, hoffe ich. So verbittert bin ich nun auch wieder nicht. Oder doch zumindest nur auf die gute, alte und mittlerweile bewährte Statler-and-Waldorf-Art, in der Humor ausdrücklich noch möglich und willkommen ist.

Aber da ist meistens nichts. Mir fällt nur gerade nebenbei ein, dass ich den Text zum Stichwort Ghana immer noch nicht geschrieben habe, den ich neulich angekündigt habe. Aber das fiel auch mehr unter „schön“, was da zu diesem Stichwort gehörte, nicht unter „lustig“. Es ist doch eine andere Kategorie im Katalog der angenehmen Möglichkeiten. Und das dann demnächst mal verbloggen, ja, ja.

Egal, jedenfalls begab es sich im Supermarkt, dass ich doch einmal wieder in freier Wildbahn gelacht habe, deswegen komme ich überhaupt darauf. Gelacht, wie so ein Mensch mit sonnigem Gemüt. Und zwar ohne mich dafür erst per zugeschalteter und professioneller Unterhaltung aus dem Internet amüsieren zu müssen.

Denn es war so, dass ich eine asiatisch anmutende Suppe zu kochen gedachte. In welche nach alter Sitte ein Stängel Zitronengras gehört, um den Geschmack eindeutig fernöstlich zu verorten. Diesen Stängel suchte ich also beim Gemüse und legte ihn später zu meinen anderen paar Sachen auf das Laufband an der Kasse. Die junge Kassiererin, neu in diesem Laden, machte zunächst das Übliche und Selbstverständliche, sie scannte und griff von Artikel zu Artikel, von Joghurt zu Paprika. Bis sie zu dem Zitronengrasstängel kam. Den sie ohne jede Bedenkzeit mit spitzen Fingern anfasste und in den Mülleimer neben sich warf, um dann nach der Milch zu greifen, die als Nächstes auf dem Band lag.

Der erfahrenere Kassierer, der anleitend hinter ihr stand, hatte etwas Mühe, ihr trotz seines Lachanfalls die Existenz von Zitronengras zu erklären. Welches sich doch in der Tat von zu entsorgendem Unrat unterscheidet, im Preis, in der Verwendung und auch im Geschmack. Was die junge Frau dann mit Staunen und Heiterkeit zur Kenntnis nahm: Was es alles gibt! Und was diese Leute alles kaufen, was die im Ernst alles zu essen scheinen! Sogar solche … na, Halme. Man macht sich ja keinen Begriff davon, bevor man an so einer Kasse sitzt. Lebensmittel gibt es, die hat man im Leben noch nie gesehen.

Anlass für Spott kann ihr Versehen allerdings kaum sein, ich würde lieber nicht darauf wetten, dass ich mit hundertprozentiger Sicherheit alle Produkte aus dieser sehr gut sortierten Abteilung für Obst und Gemüse erkennen würde. Wir bleiben mit unseren Kenntnissen alle in irgendeinem Rahmen.

Kreideschrift auf dem Pflaster: Be Gentle

Jedenfalls aber habe ich durch meinen Einkauf zur Erheiterung dort sowohl beigetragen als auch an ihr teilgenommen, und das auch noch sinnvoll im Rahmen der für die Allgemeinheit nützlichen Reihe „Hier wird ausgebildet“.

Und später gab es dann sogar noch Suppe. Es war also nicht alles schlecht an diesem Tag, das konnte ich dann auch einmal wieder sagen. Geht doch, wollte ich fast noch beschwörend ergänzen, es geht doch.

Falls Ihnen jetzt spontan nach einem Rezept sein sollte, der Herbst ist immerhin auch die traditionelle Suppenzeit in diesem Land, es handelte sich um etwas in dieser Art. Aber frei interpretiert und variiert, das hat sich seit Jahren so bewährt. Hauptsache, dieser, na, Halm ist beim Kochen lange genug in der Brühe.

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Man sieht sich, man sieht sich nicht

Nicola bloggte wieder. Es ist immer schön, wenn Blogs Pausen überstehen. Und zwar schrieb sie über Sachbücher. Von welchen wenigstens eines hier auch schon eine Rolle spielte, nämlich das mit dem so schwierigen Titel, der vermutlich spontan ganze Kundensegmente noch vor dem Regal im Buchladen vergrault: „Moralische Ambition“ von Rutger Bregman. Denn moralische Ambition, das klingt doch gleich so, als dürfe man da etwas nicht. Das klingt also, haha, gleich so, als dürfe man sich auf keinen Fall darauf einlassen. Irgendwas mit Dürfen und Müssen ist nämlich immer, liebe Gemeinde.

Zur späteren Lektüre ist das Buch hier noch vorgesehen.

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Der Neue Wall, an aufgespannten Leinen hängen sehr viele bunte Regenschirme als Herbstdeko über der Straße

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Ansonsten bleibt es bei meinem ausgeprägt seltsamen Beziehungsmuster zum Zufall, wie es sich an einem weiteren Beispiel frisch bewiesen hat. Denn ich ging am späten Nachmittag durch die Stadt und hörte zwei Podcasts, die ich beide gerade nicht wiederfinde, aber egal. Es ging jedenfalls um Themen, zu denen wir alle vermutlich schon recht viel wissen, zu denen wir auch viele mahnende Worte schon gehört haben, bei denen es aber auch nicht schadet, weiter und erneut darüber nachzudenken.

Nämlich um digitales und analoges Erleben. Um die Dominanz der Smartphones im Alltag, um parasoziale Beziehungen zu Influencern etc., auch um die immer weiter nachlassende Gedächtnis- und Konzentrationsleistung vieler Menschen. Kurz, es ging am Ende um all das, was es zwischen den Bildschirmen und dem sogenannten Real Life zu bedenken gibt. Wie wir da hin und her wechseln, wie wir was dosieren, woran wir regelmäßig scheitern und wie es besser gehen könnte.

Und während ich das so hörte und zwischendurch den Stream sogar anhielt, um über Aspekte auch in meinem Alltag nachzudenken, was ja ab und zu nützlich sein soll, während ich mich also noch bemühte, meine Situation kritisch hinterfragend zu bewerten, wie es sich für Menschen mit Anspruch und moralischen Ambitionen nun einmal unweigerlich gehört, fuhr ich in einem Einkaufszentrum eine Rolltreppe hoch und sah, dass da gerade jemand die Rolltreppe hinunterfuhr. Es war schon wieder ein wenig wie im Film und wirkte arg gestellt.

Denn lange, lange hatte ich sie nicht gesehen, dabei ist sie doch ein wichtiger Mensch für mich. Digital hatte ich sie aus den Augen verloren, teils auch wieder wegen der allgemeinen Verlotterung unserer langjährig liebevoll gepflegten Beziehungsgeflechte durch die elende Zersplitterung der Plattformen nach dem Tod von Twitter. Noch Nachrichten geschickt, die dann aber ins Leere liefen. Eine Weile abgewartet, man kennt das. Dann kamen etwas Leben und einige Ereigniskarten dazwischen, bei ihr und auch bei mir. Und auf einmal waren schon etliche Monate vorbei, dann ein Jahr, und man sah sich gar nicht mehr.

Aus dem eine Weile noch nagenden „Man müsste mal“ wurde dann bald ein leise zweifelndes „Wie kam das jetzt eigentlich“. Sie kennen das vermutlich, denn so geht es zu und so wiederholt es sich auch, wie man im Rückblick durch die Jahre erkennt.

Man sieht sich gar nicht mehr. Es sei denn, man läuft sich tatsächlich über den Weg. Wofür es in Großstädten aber eine etwas aufwendigere Versuchsanordnung braucht. Die eventuell enorm viele Spaziergänge, die sogar Job-, Beziehungs- und Wohnungswechsel oder dergleichen beinhalten muss, damit die beiden Linien doch einmal wieder sekundengenau zur gleichen Zeit einen präzisen Punkt auf dem Stadtplan kreuzen können. Und dann müssen außerdem, wie in diesem Kontext unbedingt zu erwähnen ist, beide auch gerade nicht auf das Smartphone sehen.

Denn sonst haben sich die Götter umsonst bemüht. Oder die Göttinnen. Wen auch immer man da für zuständig halten mag, und welche Heilige auch immer für die Wahrscheinlichkeitsrechnung und die Zufälle zuständig ist, Sankta Stochastika vielleicht. Ich kenne mich da nicht aus.

Aber es ist jedenfalls ein gutes, altes Prinzip, sich über den Weg zu laufen, das wollte ich nur eben sagen. Und es ist digital vermutlich gar nicht so einfach nachzubilden.

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And in between we do a lot of standing around

Auf gedanklichen Umwegen, die sich jeder Nachvollziehbarkeit entziehen, lande ich am Wochenende bei Warren Zevon (Wikipedia-Link) und trage dann nach engerem Kontakt mit seinem leider überschaubarem Gesamtwerk einen Empty-Hearted-Town-Ohrwurm davon. Es gibt Schlimmeres, kann man sich da immer noch sagen, und man hat mit Sicherheit Recht dabei.

Es ist zwar nur dirty old Hamburg, dessen verregnete Wege ich im aufziehenden Unwetter beschreite, aber zum innigen Mitsummen reicht in einem anständigen Oktober vermutlich jede beliebige Großstadt aus:

“I’m walking down the sidewalks of LA
Wishing I had a warmer jacket
And the leaves are falling down.”

***

Jemand sitzt unter einem Schirm an Anleger Jungfernstieg und sieht auf die Binnenalster

***

Im Regen und im Sturm sehe ich, und es wird wohl ein sogenannter Zufall sein, während eines Spaziergangs fünf Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen, die an unterschiedlichen Stellen des Stadtviertels trotz der äußerst ungünstigen Wetterbedingungen Eicheln, Kastanien und vielleicht auch anderes Zeug unter Bäumen aufsammeln. In einem Fall sogar aus einem Rollstuhl heraus, mit einem langen Greifer. Das ist keine leichte Übung, sehe ich im Vorbeigehen, da gibt sich jemand viel Mühe. Ein anderer Passant bietet Hilfe an, das wird freundlich abgelehnt. Nur Selbstgesammeltes zählt vielleicht.

In einem anderen Fall wird trotz offensichtlich heftiger Rückenschmerzen der sammelnden Person etwas zusammengeklaubt, lautes Stöhnen beim Aufrichten und Bücken. Und dann sehe ich noch eine Sammelnde, die ist längst so nass, wie man im stundenlangen Hamburger Herbstregen nur nass werden kann, wenn man weder geeignete Outdoorkleidung noch einen Schirm dabeihat.

In den Kitas wird also wieder gebastelt, denke ich. Thoughts and prayers für das Betreuungspersonal, mich hat es damals nicht begeistert, dieses Basteln mit den Kindern. Wobei die Söhne erfreulich wenig ambitioniert waren, weiß ich noch. Das kam mir entgegen in jener Zeit.

Wenn man nun aber fremd hier wäre, denke ich dann weiter und sehe den Sammelnden noch eine Weile zu, wenn man unsere Gebräuche nicht kennen würde, die Sitten nicht und auch nicht die Traditionen, was würde man sich dann wohl zusammenreimen. Wenn man die Menschen in dieser Stadt da so sieht, wie sie unter dem nassen, herumwehenden Laub ausgerechnet bei diesem Wetter nach den Kastanien suchen, die da zwischen der Hundekacke, den Scherben und den Kippen unter den großen Bäumen liegen.

Wie sie Plastik- und Leinenbeutel mit den seltsamen Früchten, Nüssen oder was sie nun genau sein mögen, füllen, und wie sie das alles emsig wegschleppen. Würde man sich fragen, ob man die am Ende nicht doch essen kann? Und ob bei Regen und Sturm vielleicht aus irgendeinem Grund die besten Exemplare fallen, die größten, die leckersten dieser Kugeln? Oder würde man sich fragen, ob man die womöglich verkaufen kann, diese immerhin ganz hübschen braunen Dinger, an die Anhänger des Kunsthandwerks oder gar an Touristen. Die kaufen eh alles. Hamburger Herbstkastanien im Präsentkörbchen oder so, ein beliebtes Mitbringsel, fast klingt es plausibel.

Man stellt sich doch nicht einfach so in den Regen. Wobei … wie es bei Wolfgang Borchert hieß, dessen Denkmal nicht weit von hier steht:

„Stell dich mitten in den Regen,

glaub an seinen Tropfensegen,

spinn dich in das Rauschen ein

und versuche, gut zu sein.“

Aber davon abgesehen: Nein, man stellt sich doch nicht einfach so mitten in den Regen und sammelt irgendwas auf. Oder doch?

Man kann sicher auch zu Schlüssen kommen, deren Denkmuster wieder bei Asterix belegt sind: „Die spinnen, die Hamburger.“

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Alles mit Maß und Ziel

Ein weiterer Fall von „And so it begins …“. Ein Fall zwar, der ganz und gar nicht unerwartet kommt. Den ich aber dennoch als stets bemühter Chronist hier verzeichnen möchte, gerade weil man in Norddeutschland damit gerechnet hat und nur der Zeitpunkt bisher nicht genauer definiert war. Man hat es jedenfalls dann erwartet, wenn man nicht etwa seit zwanzig Jahren alle Nachrichten weiträumig vermieden hat. Der erste Artikel also, zumindest der erste, den ich mitbekomme, in dem es um die Aufgabe deutscher Küstenregionen geht.

Dann wollen wir mal sehen, wie schnell wir im Laufe der nächsten paar Jahre da noch ein „That escalated quickly“ dranpappen können. Also zumindest quickly in einem geschichtsbuchmäßigen Sinne.

Passend dazu regnete es gestern beim Schreiben dieser Zeilen sintflutmäßig und ganztägig. Was mich daran erinnerte, dass in Gebieten wie etwa auf der Halbinsel Eiderstedt keineswegs nur das Meer etwas vom Land will, sondern auch die Starkregenmengen auf dem Land ein nahezu unlösbares Problem darstellen können. Denn was nicht abfließen kann, das ist erst einmal da und füllt dann eben aus, was es vorfindet. Man kennt es auch aus Badewannen.

Später am Tag kamen die ersten Sturmflut- und Orkanwarnungen der Saison auf den diversen Apps dazu. Dazu sah ich vor dem Balkon die jagenden, dräuenden, dunkelgrauen Wolken über dem Kirchturm. Die Wetterfahne in wildem Umschwung, die pfeilschnellen Möwen im Wind. Es fügte sich alles wieder passend und schon fortgeschritten oktobrig zusammen.

Regendunkle Straße im kleinen Bahnhofsviertel

***

Ansonsten trägt das Laub unten auf dem Spielplatz nun eindeutiger und bald auch schon mehrheitlich und wie immer den ganz großen Trends verpflichtet die gewohnten Herbstmodefarben. Immer öfter kommen in diesen Tagen auch Vögel diverser Sorten auf unserem Balkon vorbei, um sich kurz über die Nusssituation zu informieren. Es sind routinemäßige Revierprüfungen.

Es gibt bei uns bisher allerdings noch keine Nusssituation. Das stellen sie dann auch schnell und kopfschüttelnd fest und fliegen mehr oder weniger dezent schimpfend (im letzteren Fall sind es Elstern) weiter. Vermutlich um die Sache auch bei unseren Nachbarinnen und Nachbarn einmal kurz anzugehen: „Wir möchten mit Ihnen über Nüsse sprechen.“

„Wird Herbst da draußen“, sang die Knef damals, und das kann man sich auch in jedem Jahr wieder anhören, finde ich, wenn es doch passt. Hier der YouTube-Link.

Und Fenster blicken ernst, entschlossen,

als sähe keiner rein noch raus.

Ein Pudel schüttelt sich verdrossen,

ein Unbekannter hat beschlossen:

Wird Herbst da draußen, und in mir.

Für meine bewährte Playlist mit den 65 Variationen zu „Les feuilles mortes“ ist es allerdings noch etwas zu früh im Jahr. Das Laub hängt noch zu fest an den Bäumen und am abgelaufenen Sommer. Es wird erst in zwei, drei Wochen mitsamt den alten Erinnerungen und dem vielleicht neu dazugekommenen Bedauern zusammengeharkt und entsorgt werden können. Aber ich spiele doch schon einmal auf einem Spaziergang durch die regendunkle Stadt die stildefinierende Version von Montand an, um zu prüfen, ob ich den Prévert-Text noch kann.

Der Text kommt mir jedes Jahr etwas anders vor, stelle ich dabei fest. Aber das liegt nur an den vergehenden Jahren und an den stattgehabten Erfahrungen, das liegt nicht etwa an variabler oder upgedateter Lyrik. Ich kann eine ansprechende Menge vom Text noch mitsingen, also in aller Dezenz, versteht sich.Das habe ich gar nicht erwartet, ich gönne mir daher eine winzige Dosis Selbstzufriedenheit und Stolz, einen ganz kleinen Moment nur. „Alles mit Maß und Ziel“, wie mein Vater zu sagen pflegte. Ich weiß nicht, ob er wusste, dass es ein Statement von Goethe war, welches er häufig zitierte. aber das ist ja auch vollkommen egal. Beide jedenfalls, sowhl mein Vater als auch Goethe, haben sich eher nicht daran gehalten, haben es nur gesagt oder geschrieben. Vielleicht haben sie es aber immerhin gesagt, also gedanklich parat gehabt, so könnte ich es auch sehen.

Kennen Sie die Talkshow-Version dieses Liedes von den toten Blättern? In der Yves Montand einfach so singt, ganz unvermutet, aus dem Stand, oder nein, aus dem Sitzen. Ohne Begleitmusik jedenfalls, ohne alles. Und es ist fantastisch, es ist eben Montand.

Vielleicht lesen Sie hier noch nicht lange genug mit, um diese Version zu kennen. Das wäre in diesem Fall sehr gut, es wäre fast beneidenswert. Denn dann können Sie die Aufnahme jetzt kennenlernen, das muss schön sein. Beachten Sie bitte auch die Frau im Publikum direkt links hinter dem Sänger – so guckt man also im Moment der Epiphanie.

Et la mer efface sur le sable
Les pas des amants désunis.”

Schon dafür hat sich dann das Schulfranzösisch gelohnt, nicht wahr.

Hier der Weg zum Chanson als Link, nachfolgend eingebunden:

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Just one more text

Ich weiß gar nicht, wie das nun wieder kommt, aber neuerdings kann ich jeden Text hier fast komplett durch Ergänzungen zum vorhergehenden Text füllen. Das war doch sonst nicht so, was sagt mir das jetzt. Werde ich allgemein rückbezüglicher und was soll das heißen, wenn es so sein sollte. Ist es am Ende auch wieder ebenso altersgerecht wie erwartbar? Bloggen wie ein etwas verschlissener Columbo im angeschmuddelten Trenchcoat. Also nachlässig winkend aus dem Raum, aus dem Text gehen. Dann aber kurz innehalten, sich umdrehen und diejenigen, die einem da gerade nachsehen, unvermutet behelligen mit: „Just one more thing …“

Aber wie auch immer. Hier jedenfalls eine kurze, nachgereichte Doku zum gestern erwähnten Vince Guaraldi. Von dem es weiterhin faszinierend wenig Bewegtbilder zu geben scheint, oder zumindest hat YouTube wenig vorzuweisen.

Es tritt in diesem Clip kurz auch Charles M. Schulz auf, dann hat man den ebenfalls einmal gesehen.

Nachfolgend eingebettet, hier auch als YouTube-Link.

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Dann eine weitere Ergänzung. Caroline Wahl kam neulich bei mir vor, ich erwähnte auch, dass ich ihre Bücher nicht gelesen habe. Und zwar habe ich sie nicht etwa aus Gehässigkeit oder Voreingenommenheit nicht gelesen, sondern nur so nicht gelesen, wie man eben vieles, im Grunde fast alles, nicht gelesen hat. Weil man nun einmal nicht alles gelesen haben kann.

Markus Gasser aber hat sie auf seine professionelle und dabei sympathische Art gelesen und hält uns darüber einen kleinen Vortrag, den ich interessant fand. Ähnlich wie von dem ebenfalls neulich erwähnten Tilman Spengler findet man von Markus Gasser übrigens viele, viele Literaturvideos in handlicher Länge auf YouTube. Falls man zwanzig, dreißig Minuten zwischendurch sinnvoll füllen möchte, kann ich diese Folgen empfehlen.

In seinem Video über Patrick Süskinds Parfüm (hier) unterteilt er als ausgesprochen leidenschaftlicher Leser die Literatur einerseits in Bücher, die man bereits liebt, und andererseits in solche, die man noch nicht zu lieben gelernt hat. Das ist eine dermaßen freundliche, den Schreibenden weit entgegenkommende Definition, die man vielleicht selbst dann im Sinn behalten sollte, wenn einem spontan gegenläufige Argumentationslinien einfallen.

Sein Video zu Caroline Wahl hier als Link und nachfolgend eingebunden. Er liest darin auch etwas von ihr vor, und diese Stelle zumindest gefiel mir.

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Ab und zu werfe ich grundlos einen Blick auf die Liste der kognitiven Verzerrungen in der Wikipedia, sie kam hier früher schon mehrfach vor. Ich halte das für empfehlenswert, da Zweifel am eigenen Rechthaben jederzeit ausgesprochen sinnvoll sind. Wenn man die vielfältigen Möglichkeiten der geistigen Entgleisungen durchgeht, kommt man jedenfalls schnell zu dieser Schlussfolgerung, denke ich.

Und dann hier und da auch einmal etwas genauer nachlesen, weil es doch ein so faszinierendes Gebiet ist. Etwa die „Turkey Illusion“ von Bertrand Russell. Eine Denkfigur, die mir auch gut für den Smalltalk geeignet zu sein scheint, leicht zu erklären, leicht anzuwenden. Mit einem leichten Grusel mag man vielleicht nach Kenntnisnahme die eigenen Schätzungen und Hochrechnungen im Alltag analysieren und sich fragen, wo diese spezielle Illusionsform überall möglich ist.

Von diesem Truthahn ist es schließlich nicht weit zum berühmteren schwarzen Schwan, und wenn Sie den genauer nachlesen, stellen Sie vielleicht beim Lesen in der Wikipedia ebenso überrascht wie ich fest, dass es mittlerweile auch die Denkfigur des grünen Schwans gibt.

Ich sage es ja, wenn man nicht dauernd aufpasst!

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Etliche pinkfarbene Gerbera in Ginflaschen als Vasen auf einem Tisch in der Außengastro

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Für die Neigungsgruppe KI und Technikfolgen hier noch ein Deutschlandfunk-Podcast zu einem weiteren eher abgründigen Thema: „KI und Erinnerungen – Wie KI unseren Blick auf die Vergangenheit trübt“ (31 Min.).

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Geschichtliche Kreise und Schleifen

Gestern war auch eine Art Feiertag, weil ja immer einer ist. In diesem Fall war es der Jubiläumstag der Peanuts-Geschichten von Charles M. Schulz. Am 2. Oktober 1950 erschien seine erste Folge, ich hörte dazu einen erhellenden Podcast beim SWR, über den Zeichner und die großen Fragen des Lebens (28 Min.). Alltagssituationen, so heißt es da, werden bei den Peanuts ins Grundsätzliche erhoben, das mache ihren Reiz aus. Dieses Muster wird Menschen, die Literatur, Blogs oder auch Filme und Serien konsumieren, irgendwie bekannt vorkommen.

Passend zu den Peanuts und zum großen Kürbis sah ich im Discounter auch die ersten Halloween-Süßigkeiten, Weingummivampire und dergleichen. Diese Süßigkeiten, die in ärgerlicher Unordnung der zeitlichen Abläufe stets erst nach den ersten Weihnachts-Süßigkeiten in die Läden kommen, wie ich wiederum krückstockfuchtelnd anmerken muss.

Aber egal. Man muss sich weniger aufregen, nicht mehr. Aber es ist eine Unordnung in der Welt, an der Menschen mit Sinn für Systeme verzweifeln müssen, das ist jedenfalls auch so ein Gesetz. Und ob nun Kürbis, Halloween oder Peanuts, Hauptsache Herbst, nicht wahr.

Und wenn es Herbst ist, woran kein begründeter Zweifel mehr bestehen kann, und wenn man an die Peanuts denkt, dann schalte man bitte die folgende Musik dazu (hier auch als YouTube-Link). Es ist, möchte ich meinen, fast eine Art von heiliger Pflicht. Und der Oktober eignet sich ohnehin auch gut als Vince-Guaraldi-Gedenkmonat. Er hat so einen etwas oktobrig anmutenden Klang in vielen Stücken.

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Eine Anmerkung noch zu der gestern erwähnten Podcastnacht, die weiter unten weiterhin beworben wird.  Sie ist nämlich wieder ein Beispiel für ein Phänomen, das ich seit vielen Jahren mit Kulturschaffenden aller Ausprägungen in dieser Stadt diskutiere, nämlich für die stetig weiter abnehmenden Chancen, Termine solcher Art auch nur annähernd so erfolgreich zu verbreiten, wie es „früher“ einmal selbstverständlich war. Wobei sich das „früher“ diesmal auf eine Zeit bezieht, in der es noch eine oder sogar zwei große Regionalzeitungen gab, drei, vier Fernsehsender und im Falle von Großstädten auch noch eine Zeitschrift mit akribisch und in Handarbeit gelisteten Terminen, sowie beflissen zusammengetragenen Hinweisen auf Regelmäßiges und Neues.

Blick über die Binnenalster vom Jungfernstieg aus, eine Taube fliegt halb angeschnitten durchs Bild

Man kann es vermutlich nicht mit Zahlen belegen, aber raten kann man es, was sich da geändert hat. Vielleicht hat man früher unfassbare 70 % des Zielpublikums erreichen können, vielleicht verbleibt man heute unter 20 %. So in der Art wird es wohl ausfallen, was sich da verschoben hat, nehme ich an. Auf eine Weise hat es sich verschoben, an der man zumindest auf den ersten Blick keinen Vorteil erkennen kann, wenn man den Blick einmal auf das Thema Termine verengt.

Es ist also kaum möglich, einen solchen Terminhinweis so zu streuen, dass „man“ das zur Kenntnis nehmen kann. Also „man“ in einem weit gefassten Sinn. Es ist eher kategorisch unmöglich.  Und dummerweise muss man da nicht bei Veranstaltungen dieser Art aufhören, es geht auch um viel Größeres, um Ausstellungen in Museen, um Opernpremieren, Festivals etc., die wir nicht mehr allgemein teilen können, die nur noch spezielle und immer noch spezieller werdende Segmente erreichen.

Allgemein werden wir nur noch bei den aktuell letzten Resten der großen Gemeinsamkeit, also bei den riesigen Sportveranstaltungen. Die bis heute noch sogar im allgegenwärtigen Smalltalk derart verankert sind, dass man sie fast unweigerlich auch dann mitbekommt, wenn man nicht einmal das allergeringste Interesse dafür aufbringen kann. Die Informationen dazu werden uns gewissermaßen reingedrückt.

Nebenbei gedacht hört dieses Thema aber bei Terminen nicht auf. Es bezieht sich auch auf Informationen aller Art, die immer schwerer geteilt werden können. Ein bekanntes Beispiel war etwa diese Großaktion mit dem Führerscheintausch, bei der weithin auffiel, dass es unfassbar viele Menschen einfach nicht mitbekommen haben. Teils bis heute nicht. Aber die Aktion läuft noch bis 2033, da geht also noch etwas.

Man könnte aber, wenn man wieder etwas romanhaft denkt, sich auch ein Land in naher Zukunft vorstellen, dem gerade etwas passiert. Das, vorstellen kann man sich ja alles, etwa angegriffen wird, sagen wir, von einem aggressiven Nachbarstaat. In langsamer Eskalation, erst nur per Störaktion mit Drohnen und dergleichen, dann Sabotagen, schließlich Überfälle – und es bekommen einfach nicht genug mit. Es ist eine geschichtlich relevante Situation, die sich den Menschen dieser Gegenwart aber einfach nicht erschließt. Oder doch nur einem sehr kleinen Teil, den man für so einen Roman selbstverständlich braucht. Die Topcheckerinnen, die allfälligen Heldenfiguren.

Wenn wir mal fünfzig Jahre weiterdenken, vielleicht nur dreißig, dann sind wir womöglich schon so weit. Oder ich finde es zumindest erstaunlich gut vorstellbar. Die Menschen werden dann keinen Weg mehr finden, ihre Informationslage zu synchronisieren und abzugleichen. Sie müssen das erst wieder mühsam herstellen und sich erkämpfen. Sie erfinden dann, tadaaa, vielleicht so etwas wie eine gedruckte Hamburger Wochenzeitung.

Auch bei Science-Fiction denkt man fast unweigerlich irgendwann in geschichtlichen Kreisen und Schleifen, nehme ich an.

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