Mann mit Hut

Nach wie vor folge ich meiner kleinen Sommerobsession und suche mir weitere Soundtracks, Spaziertracks zusammen. Manchmal scheinen sie sogar zum täglichen Schreiben, zum Text zu passen. Allerdings ganz ungeachtet der Filme, aus denen die Stücke kommen, die meisten davon kenne ich nicht. Ich will einmal sehen, ob ich einige Melodien hier nach und nach unterbringen kann.

Ich habe mir einen Hut gekauft, eine Art Strohhut. Sommersonne auf dem Kopf finde ich nicht mehr so verträglich wie früher, habe ich in den wenigen und genau abgezählten Sonnenstunden der letzten Wochen gemerkt, und andere Kopfbedeckungen mag ich eher nicht. Also keine Baseball-Caps etc. für mich.

Nein, ich kaufte mir so einen altmodischen Strohhut, wie er fast unverändert seit hundert Jahren und mehr auf Männerköpfen vorkommt. Anhand alter Bilder ist diese Konstante leicht zu beweisen. In Form und Farbe wurde die Kopfbedeckung kaum variiert. Nur stand auf dem Etikett meines Exemplars jetzt irgendwas mit Recycling, das wird neu sein.

„Schwierig,“ sagte die Herzdame danach zuhause kopfschüttelnd und sah mich ausgesprochen skeptisch, wenn nicht schon direkt missbilligend an: „So etwas kann man nur am Strand tragen.“ Ich konnte das modegeschichtlich souverän widerlegen, was sie aber nicht interessierte. Meinung ist Meinung, und Meinung geht vor Fakten, man kennt das leider.

Aber egal. Ich trage einen leichten Anzug und einen sommerlichen Strohhut. Ich gehe so in die Stadt, ich zähle dort Männer mit Hut. Immer schön, wenn man etwas nachzählen kann, finde ich. Vielleicht sollte ich das auch beruflich … Ja, schon gut.

Zwölf Männer mit sommerlichem Hut zähle ich in einer halben Stunde in der rappelvollen Fußgängerzone hinter dem Bahnhof. Was ist das nun für ein Ergebnis, wie bewertet man das. Es ist ein okayes Ergebnis, befinde ich freihändig und ohne alle Benchmarks und Zielgrößen. Denn ich befinde bei solchen Fragen in aller Selbstherrlichkeit, was immer ich gerade befinden möchte. Es geht immerhin um nichts, nein, es geht hier nur um mich.

Und ja, zugegeben, einige Passanten gucken etwas seltsam. So viele Männer mit Hut laufen hier nicht herum, schon gar nicht mit Anzug und Hut. Es ist mir aber egaler als in früheren Jahren, stelle ich fest. Ich bin dezent overdressed und es macht nichts. Ich gehöre gerade so. Alles ist bekanntlich nur eine Phase, und Phasen wollen ausgelebt werden.

Ich bin immerhin nicht der Einzige, denke ich bemüht wie immer, während ich an einer Ampel auf grünes Licht warte. Ich habe hier zwölf Mittäter gesehen. Um mich herum ansonsten ein Volk in legerer Sportkleidung, in Jogginggemütlichkeit und in Normcore der tiefenentspannten Art. Ich habe gar nichts dagegen, sollen sie alle anziehen, was sie wollen. Vielleicht mache ich da auch bald wieder mit.

Ich ticke nur anders in diesem Jahr.

Dann stellt sich jemand neben mich, der hatte einen verdammt weiten Weg bis zu dieser Ampel, denn der muss aus einer anderen Zeit gekommen sein. Wie auch immer das zugegangen sein mag, er muss mehrere Jahrzehnte durchquert haben.

Er trägt einen edlen Nadelstreifenanzug, wie ich ihn lange nicht mehr in freier Wildbahn gesehen habe. Dazu eine Melone, einen regelrechten Bowler-Hat, wie damals in der Londoner City, auf dem Weg in die Börse. Und er trägt dazu auch einen wahrhaft mustergültigen John-Steed-Gedenkschirm, eng zusammengerollt. Wenn dieser Schirm actionfilmtaugliche Zusatzfunktionen der tödlichen Art hätte, es würde mich keine Sekunde wundern.

Der Mann sieht insgesamt aus wie mit der Bastelschere aus irgendeinem Filmmagazin geschnitten, dann hier in diese Hamburger Straßenszene eingeklebt. Es ist eine Art Collageneffekt. Plötzlich und nur sekundenlang sehe ich ungemein lebhafte Erinnerungsbilder. Ich sehe, wie ich so etwas als Kind gemacht habe, mit Schere und Klebestift. Stundenlang Modekataloge von Otto und Quelle zerschnippelnd. Im Kinderzimmer auf dem Fußboden, Bilder immer wieder neu zusammenfügend. Wir hatten ja nichts.

Mein bescheidener und gewöhnlicher Strohhut jedenfalls ist gar nichts gegen das Outfit dieses Gentlemans. Niemand sieht mich hier, alle sehen ihn an. Es wird mit Fingern auf ihn gezeigt, ich sehe es. Eine Gruppe Jugendlicher staunt unverhohlen, gleich werden sie Beweisfotos machen. Gut, denke ich. Mein Sommerhut ist eher dezent und geht also klar.

Wir gehen schließlich nebeneinander über die Straße, der Mann mit der Melone und ich. Zwei Männer mit Hut. Irgendwo müssen Trends eben anfangen, warum nicht hier vor dem Hauptbahnhof.

„Ich kaufe mir noch einen“, sage ich nach diesem Spaziergang entschlossen zur Herzdame. Denn so ein Hut weht schnell weg in einer winddurchtosten Stadt, wie es Hamburg in diesem Jahr fast durchgehend ist. So ein Hut kommt schnell abhanden. Die Herzdame hebt die Augenbrauen. Skeptische Blicke in Beziehungen, manchmal muss man sie einfach aushalten. Oder die Hand zum Hut heben, damit freundlich winkend lässig grüßen.

Fast schon vergessene Gesten sind das. Die auch einmal wiederbeleben.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.

Langsam weitergehen, alles veratmen

Bei der Kaltmamsell gab es Erhellendes aus dem Kartoffelkombinat, mit interessanten Angaben auch für die Landwirtschaft in der ganzen Republik:

In Deutschland gibt es 260.000 landwirtschaftliche Betriebe, in 7.000 davon und auf nur 2 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird Gemüse angebaut.

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Frau Frohmann rezensiert in aller Kürze und ungeheuer treffsicher ein paar klassische Novellen. Besonders gerne gelesen.

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Mit der Herzdame bin ich am Sonntag, ich trage noch nach, durch die Hafencity spaziert. Wo wir selten ausgiebig herumgehen, so dass wir uns ein fast touristisch anmutendes Gefühl in der eigenen Stadt gerade noch erhalten können. Wo wir auf dem für uns immer noch unterhaltsamen Weg von den Elbbrücken zu den Landungsbrücken interessiert und neugierig nach Fotomotiven für Instagram gucken, wie es alle angereisten Besucherinnen Hamburgs auch tun.

Das ist immerhin angenehm, so ein kleines Ausflugserlebnis abseits der Routinen. Ein paar Schritte und zwei, drei Stunden aus dem Alltag. Öfter als etwa einmal im Quartal wird man das nicht machen dürfen, sonst nutzt es sich zu schnell ab. Aber wenn man nur quartalsweise geht, kann man immer noch mit mildem Erstaunen auf etwas zeigen und sagen: „Das stand da letztes Mal aber noch nicht!“ Und es stimmt dann zuverlässig auch. Die Bautätigkeit ist immer noch enorm dort, nach all den Jahren des Riesenprojektes.

Da man als Hamburger allerdings immer, wenn man durch die Hafencity geht, irgendetwas kritisch anmerken kann oder muss, stellen wir diesmal fest, dass es viel zu wenig Eis dort zu kaufen gibt. Wie lange man dafür laufen muss! Durch insgesamt zu wenig Schatten! Nirgendwo Erfrischungen! Und dort, wo es dann doch endlich Eis gibt, wo man das rettende „Gelato“ finalmente sieht, kostet die Kugel dann 2,50. Das ist noch teurer als bei uns im sogenannten Szeneviertel.

Man könnte sich kurz über solche Preise ereifern. Man kann es aber auch kurzentschlossen lassen. Denn es ist Sonntag und es passt auch nicht zum touristischen Gefühl, sich allzu sehr aufzuregen. Langsam weitergehen, Eis lecken, alles veratmen. Fotos machen, „Guck mal“ sagen.

Und dann taucht bald die Elbphilharmonie an der nächsten Ecke auf und die Straßen und Szenen werden wieder voller und vertrauter, werden wieder zu unserem altbekannten Hamburg, daher auch zu unserem Alltag, und das Wochenende vergeht.

Die Elbphilharmonie in klassischer Touristenansicht, Wolken und blauer Himmel spiegeln sich in den zahllosen Scheiben

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Auf arte gesehen, der Film ist nur noch drei Tage verfügbar, halten Sie sich also ran, denn es lohnt sich: Die Braut trug schwarz von Truffaut aus dem Jahr 1968, mit Jeanne Moreau, Michel Bouquet, Charles Denner.

Eine eher abwegige Nebenbemerkung zum Film. Es kommt attraktive braune Ware vor, ein Tonbandgerät, ein kleiner Plattenspieler etc., und ich bekam beim Sehen Lust, richtiggehend Lust auf diese alten Geräte mit den großen Tasten und dem Sound der Zeit. Ein Nostalgieflash erster Klasse. Überhaupt Tasten, diese leider weitgehend verschwundenen Bedienelemente.

Truffaut mochte diesen Film später eher nicht sehr, lese ich. Ich dagegen war zufrieden. Das geht mir auch bei Chabrol so, habe ich neulich bei einem seiner Filme nachgelesen und gemerkt. Offensichtlich schätze ich Werke, welche die Urheber nicht so schätzen, was heißt das nun wieder.

Vielleicht, ich will es positiv sehen, bin ich einfach gut geeignet als kultureller Resteverwerter.

Danach noch eben gesehen, es ist kurz: Truffaut – Filme voller Liebe. Das sind zusammengeschnittene Interviewschnipsel mit recht beliebig arrangierten Kommentaren zu seinen Filmen. Wenn man die mag, dann ist es interessant, sonst ist es vollkommen entbehrlich.

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Der Garten gab ein Gürkchen

Nils Minkmar über die Lage in Frankreich: „Das politische System hat den Geist aufgegeben. Es ist, wie wenn der Kühlschrank aufgibt: Immer am heißesten Tag des Jahres und kurz vor einem Fest, das Haus voller Besuch. Ignorieren kann man es nicht.

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Ein kurzer Text aus der Reihe „Klimawandel in den Blogs

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Ein Nachtrag aus der letzten Woche: Die Herzdame bringt mir am Freitagmorgen freundlicherweise eine Rumkugel vom Bäcker mit, denn Rumkugeln sind für mich ein probates Hilfsmittel an berechenbar schwierig werdenden Tagen. Wie ein wenig groß geratene, leicht sedierende Pillen. Weil aber gerade EM ist, sind die Streusel auf dieser Rumkugel schwarzrotgelb. Das korrekte Gold war vermutlich aus Kostengründen nicht verfügbar, die Inflation, die Zeiten, der Niedergang. Verfassungskonforme Dekostreusel über braunem Teig gibt es also, und es schmeckt alles wie immer und enthält Alkohol. Die Rumkugel als tiefsinniges Symbol der Zeit, und warum auch nicht.

Alles spiegelt sich in allem.

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Ich habe mir einen weiteren Film noch einmal angesehen, für den ich vor etlichen Jahren im Kino war, 2015 war es (damals mit Isa, von der es übrigens bald, na ja, im Oktober, ein neues Buch geben wird, um betont rechtzeitig darauf hingewiesen zu haben, manche planen ja weit voraus):

Ewige Jugend, das war der Film. Er war damals so erfolgreich, ich kann wohl dazuschreiben, dass Sie ihn vermutlich kennen. Er gefällt mir immer noch, er hat das Wiedersehen hervorragend bestanden. Was für eine Bildsprache, ich mag Opulenz bei Filmen, es verhält sich ein wenig anders als bei Büchern.

Den auf der Wikipedia zitierten Kritiken kann ich dann leider mit angemessener Einsicht entnehmen, dass ich männlich und vermutlich auch fortgeschritten alt genug bin, um diesen Film zu mögen. Denn von „Rentnerfilm“ ist da abfällig die Rede, gar von „Machismo-Phantasie.“ Es mag sein, es mag sein. Warum sollte ich darüber erhaben sein.

Allerdings hat Isa der Film an jenem Abend vor Jahren auch gefallen, wenn ich mich richtig erinnere. Und Rentnerfilme mit Michael Caine sind für mich generell in Ordnung, glaube ich. Siehe dazu auch „Mr. Morgans letzte Liebe“, neulich erst gesehen, erwähnt und auch gemocht.

Ich denke, ich könnte mir stundenlang Filmszenen ansehen, in denen ein stark gealterter Michael Caine wenig macht. In denen er nur so herumsteht und guckt, etwa von der Seite in die Kamera. Ich finde das ungemein beruhigend.

Und Beruhigung, da stehen wir doch drauf. Mit oder ohne Rumkugeln.

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Wir haben das gar nicht geplant, als wir vor sechs Jahren den Schrebergarten übernommen haben, wir haben damals an die Teenagerzeit der Söhne noch lange nicht gedacht, aber es zeigt sich jetzt doch, dass so ein Garten mit einer Laube darin ein hervorragendes Hilfsmittel ist, um eine Familie besonders im Sommer auf die denkbar friedlichste Art situationsgerecht zu zerteilen. Ein dermaßen praktischer Rückzugsraum, für wen auch immer. Wenn es so weitergeht, brauchen wir allerdings bald einen digitalen Belegungskalender, wer wann mit wem und wie lange.

Dies jedenfalls auch als Tipp, falls Sie jüngere Kinder haben und gerade über einen Garten nachdenken. Er kann auch später noch angenehme Effekte haben, wenn die Kinder nicht mehr auf der Schaukel sitzen.

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Der Garten gab uns ansonsten ein Gürkchen mit, so die Herzdame lobend, „wirklich sehr gurkigem Geschmack“, und eine Handvoll roter Johannisbeeren. Fünf Stück genau. In diesem seltsamen Jahr der gärtnerischen Bescheidenheit kann ich die Ernte stückweise mitschreiben.

Die Bille an der Billerhuder Insel, Boote an den Ufern

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Normale Menschen machen seltsame Dinge

Meine Erwähnung der Sendung über Konsalik neulich findet eine Fortsetzung in Frankreich.

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Barcelona gibt es künftig ohne Ferienwohnungen. Mit dieser Regelung würde im kleinen Bahnhofsviertel um uns herum auch einiges frei werden.

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Ich habe ein Kalenderblatt zum Tod von Frank Schirrmacher gehört (14 Minuten), es enthält die bemerkenswerte Formulierung „er war der Sohn eines Ministerialrats und einer Polin.“

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Abends einen Film bei Mubi gesehen: Jung & Schön, ein Film von François Ozon (der mit den „8 Frauen“ damals), mit beeindruckender Marine Vacth in der Hauptrolle.

Die Handlungen der Hauptfigur werden nur dargestellt, nicht erklärt. Der Film wird dabei dennoch nicht auf diese unangenehme Art kryptisch, die sich belastend nach Deutscharbeit anfühlt. Deuten Sie das mal bitte alles richtig, schreiben Sie mal eine treffsichere Interpretation streng nach Schema, 45 Minuten Zeit.

Das gefiel mir, ich halte das für eine angenehme Art des Erzählens. Normale Menschen machen seltsame Dinge. Und so ist es dann eben, damit muss man irgendwie klarkommen. Ohne in jedem Fall eine korrekte Abhandlung über die jeweiligen Beweggründe schreiben zu können, ohne weiterhelfendes Rätselraten.

Die Lebenserfahrung bestätigt das, so undeutbar geht es da draußen nun einmal zu. Und hier drinnen womöglich auch.

Danach noch gesehen, ebenfalls bei Mubi, ich habe gerade eine ausgeprägte Filmphase:

Wo in Paris die Sonne aufgeht“, ein Schwarzweißfilm von 2021, vom Regisseur Jacques Audiard, durchweg grandios besetzt. Ich dachte zu Beginn allerdings mindestens zehn Minuten lang, dass mir der Film eher nicht gefallen würde. Und zehn Minuten sind viel für solche unentschlossenen Entscheidungsphasen. Es fing alles so deprimierend urban-verlassen-herunterziehend an, schon diese endlosen Hochhauslandschaften ohne Farbe. Hammerbrooksche Trostlosigkeit in Potenz, wer will das sehen, das habe ich ja am Montagmorgen, wenn ich das möchte. Ich brauchte also eine Weile – und der Film gefiel mir dann doch.

Das Durchhalten beim Kulturkonsum kann also auch einmal richtig sein. Aber es bleibt eine spannende Frage, wieviel Zeit man genau richtig einsetzt, bevor man etwas abbricht. Entsprechend auch, wie viele Seiten man bei Büchern zweifelnd und mit wachsender Skepsis durchhält, zwanzig oder mehr, wie lange man im Theater, im Kino sitzen bleibt und sich fragt, was das da soll.

Ich bin, glaube ich, bisher nur einmal aus einem Theaterstück gegangen. Aus einer mir unerträglich vorkommenden Hamlet-Inszenierung, welche die Feuilletons dann selbstverständlich am nächsten Tag ausführlich bejubelt haben.

Schließlich einen deutschen Film, was aber nicht auffiel, und das heißt immerhin auch etwas: Das Zimmermädchen Lynn von Ingo Haeb, mit Vicky Krieps und Lena Lauzemis.

In allen drei Filmen geht es hauptsächlich um Liebe, Anziehungskräfte, Sex und Nähe und Partnerschaften, es kommen kaum andere Probleme vor. Und man kann noch einmal denken, was ohnehin selbstverständlich ist, dass diese Themen nämlich locker ausreichen, um Geschichten und ganze Leben zu füllen, so schwierig, schön, furchtbar, vielfältig und inhaltsreich sind sie.

Und dafür, dass sie vollkommen ausreichen, um uns jahrelang Tag und Nacht voll zu beschäftigen, dafür machen wir uns immer wieder erstaunlich viele andere Probleme.

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Zahlen an den Wänden

Vorweg ein herzlicher Dank für die freundliche Zusendung von Lion Feuchtwangers „Erfolg“, das Buch stand auf dem Wunschzettel. Der Roman „weitet sich zu einer Geschichte der allgemeinen deutschen Zustände in der Epoche des beginnenden Nazismus aus„, schrieb Victor Klemperer damals. Die Gegenwartsbezüge werden einen also mit Gewissheit überall anspringen.

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Morgens in den Nachrichten die Meldungen über Hitzetote, über eine Unzahl sterbender Pilger in Mekka, über vom Himmel fallende Vögel und Fledermäuse anderswo. Dann weiter über noch mehr Rekordtemperaturen in verschiedenen Weltgegenden. Daneben, etwas kleiner, die Nachricht, dass wir so viel fossile Energien verbrauchen wie nie zuvor.

Es gehört auch zum Menschsein, denke ich, es macht uns auch aus, dass wir in der Lage sind, die eigene Art knalldumm und furchtbar zu finden. Ich glaube nicht, dass andere Lebewesen auf diesem Planeten dazu auch nur ansatzweise befähigt sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Ameise in ihrer rastlosen Arbeit irgendwann innehält, ihre Verwandten ansieht und skeptisch denkt: „Was sind wir denn bitte für eine schauderhafte Gurkentruppe.“

Aber wir, wir können das.

Was wir alles können.

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Eine zeitlich gerade passende Radiosendung über echte, gefälschte, verbogene und erlogene Traditionen zur Sonnenwende, über völkische Feuer, Ting-Taumel, Druidendarsteller und schwedische Bräuche im Möbelhandel.

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Ansonsten gab es wieder das Renten-Thema im Büro, ein weiterer Abschied. Und wieder die erwartbaren Gespräche, wer arbeitet noch wie lange. Vielleicht sollten wir, also wir alle aus dieser Altersgruppe, uns die entscheidenden Zahlen gut sichtbar an die Wände hinter den Schreibtischen hängen. Dann hat man die Restwerte beim Smalltalk immer parat, muss nicht jedes Mal erst nachfragen und kann jederzeit vergleichen.

Diese Restwerte werden uns eh unweigerlich durch die verbleibenden Jahre begleiten, das langsamste Herunterzählen des Lebens wird es vermutlich sein.

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Nach der Arbeit kurz in den Garten, dort eine weitere Handvoll reifer Himbeeren gegessen. Immerhin. Dann noch einmal kopfschüttelnd vor den Beeten gestanden, aber das motiviert die Kümmerpflanzen dort auch nicht mehr.

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Die kurze Zeit der Kirschen

Nachdem ich mir den Film „Nachtblende“ mit Romy Schneider, Fabio Testi, Jacques Dutronc und Klaus Kinski angesehen und etwas anstrengend gefunden habe, sehe ich noch einmal einen viel späteren Film des gleichen Regisseurs. „Die Treue der Frauen“. Mit Pascal Greggory und Sophie Marceau, die darin eine Liedzeile singt, in der es um die Zeit der Kirschen geht. Nur kurz singt sie diesen Text, leicht zu überhören, eine winzige Unaufmerksamkeit reicht aus und man hat es verpasst. Sie singt es aber, während ich gerade eine Kirsche esse, und Sie wissen, ich bin ein großer Freund solcher Gleichzeitigkeitsmomente im Alltag.

Ich liebe diese etwas zauberischen Parallelen. Ich beachte sie, ich würdige sie auch nach Möglichkeit ausführlich. Also stoppe ich den Film und sehe mir die Szene noch einmal an. Also nehme ich mir dabei auch noch eine Kirsche. Und ich höre genauer zu und lese schließlich nach, was ich da höre.

Ich lese über dieses Lied, „Le temps des cerises“, das in Frankreich allgemein bekannt ist und einen linken Widerstandskontext hat, das man hier aber nicht unbedingt kennt. Es kommt meines Wissens, das heißt aber selbstverständlich nicht viel, nirgendwo prominent vor, in keiner Version.

Ich höre und sehe mir dann etliche Varianten auf Youtube an, das ist immer eine schöne Beschäftigung. Aufnahmen von Yves Montand, Juliette Gréco, Nana Mouskouri etc., quer durch die französische Chansongeschichte. Es gibt auch Joan Baez, Wolf Biermann oder Hannes Wader, Reinhard Mey. Aber bei allem Respekt, ich bleibe diesmal doch im französischen Bereich der Kultur.

So kann man jedenfalls hervorragend von einem Film abkommen, und warum auch nicht. Es gibt interessante Versionen dieses Liedes, teils sind es bewegende Aufnahmen. Hier etwa Charles Trenet, er singt in schwerer Zeit von den Kirschen.

Das Lied wird nach dem langsamen Einstieg angenehm swingend, und man könnte nach ein paar Takten glatt noch einmal den Lindy-Hop-Grundschritt durchs Wohnzimmer … doch, ich komme ernsthaft in Versuchung.

Aber sie ist kurz, die Zeit der Kirschen, mais il est bien court le temps des cerises, so singt er da.

Und bei dieser Zeile ist es wirklich empfehlenswert, eine Kirsche im Mund zu haben, das wollte ich nur eben sagen. Zur Nachahmung empfohlen.

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Gehört, leider unpassend in diesem Zusammenhang, aber so ist es eben: Eine Folge Radiowissen über Bismarck. Es gab dabei keine neuen Erkenntnisse für mich, aber eine Wiederholung des Stoffes schadet immerhin nichts, wie mir mitlesende Geschichtslehrerinnen gewiss jederzeit bestätigen können.

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Zwei Texte zum Ernst der Zeit las ich. Einen von Constantin Seibt: „Ein Kind meiner Zeit“ mit der Frage, was zum Teufel alle gerade übersehen, und eine Buchbesprechung von Maya Goodfellow im Guardian: „What if there is no solution?

Spät fragt ihr, aber ihr fragt, denke ich mir beim Lesen. Die Verdrängung ist am Ende doch nicht das, was uns über Wasser hält.

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Der Vorhang fiel für Donald Sutherland, da ist das folgende Video sicher überaus erwartbar. Wie fast immer gilt, dass es auch interessant ist, die Geschichte des Songs nachzulesen. Ich hätte Mitte der Achtziger als Entstehungszeit des Songs geschätzt, und ich lag tatsächlich einmal richtig. Auch schön.

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Wenig von allem

Die Herzdame brach am Montagmorgen zu einer weiteren Dienstreise auf, ins entlegene Dortmund. Wo kaum Hotelzimmer zu finden waren, weil auch da Fußball gespielt und das Stadion reichlich besucht wurde. Dienstreisen zu EM-Zeiten sind eher speziell, berichtete sie, man sollte das meiden. Sie residierte notgedrungen irgendwo weit vor der Stadt mitten im Wald, fand es aber leider wenig romantisch dort. Zumal auch das Reisen bei Unwettern und Starkregenereignissen nicht empfehlenswert ist. Unbill aller Art.

Auf ihrer Rückreise dann ausgefallene Züge, verspätete Züge, Personen im Gleis, Rehe im Gleis, Fußballfanmassen auf Bahnhöfen. Das ganze Programm, bei dem man irgendwann denkt, dass ein Pferd vielleicht doch das bessere Verkehrsmittel war. So überaus treu und zuverlässig, man kam damit irgendwie durch. Oder zumindest steht es so in den Büchern.

Abenteuer der Zeit jedenfalls. Aber auch passend zu meinem Text „Und dann steht man da und wundert sich“, denn auch bei Reisen, sogar bei so kurzen Reisen, erwartet mittlerweile niemand mehr, dass sie einfach und gelingend ablaufen. Dysfunktionale Regelfälle als Kennzeichen der Epoche, so stellt es sich dar.

Ich dagegen bin nach der Arbeit im Home-Office nur kurz in den Garten gefahren, denn es gab sagenhafte zwei, drei Stunden ohne Regen, es war ein bemerkenswerter Tag. Ich habe einem Sohn den Rasenmäher erklärt und diese schöne Aufgabe damit an die nächste Generation übergeben.

„Eines Tages wird das alles dir gehören.“

„Na toll.“

Nebenbei gab es die ersten beiden ausgereiften Himbeeren für mich. Und bei einem Rundgang durch die Beete die verfestigte Erkenntnis, dass die Ernte insgesamt so mickerig und kläglich wie nie zuvor in unseren sechs Parzellenjahren ausfallen wird. Es gibt wenig von allem und von etlichem nichts, so kann man den Ertrag knapp zusammenfassen. Der Erntedank wird später im Jahr entsprechend kurz ausfallen können, man kann das Nahrungsangebot dieses Fleckchens Erde knapp abnicken und durchwinken.

Aber auch damit sind wir, so lese ich in einigen Kleingärtnerinnenlogs etc., nicht allein in diesem Jahr. Es scheint überall oder zumindest bei vielen etwas sonderbar oder noch schlimmer zuzugehen. Das nasse Frühjahr, der späte Frost, die allmächtigen Schnecken, meine Herren und deine. Das Wetter, das Klima oder die Trockenheit der letzten Jahre. Was weiß ich, was wissen wir, alles zusammen wird es sein oder man sucht es sich eben aus, wie es argumentativ passt.

Wieder zuhause sah ich letzte und allerletzte Spargelrezepte in den Foodblogs, der Vorhang fällt allmählich fürs Frühlingsgemüse. Spargelsilvester am 24. Juni, also gleich, dann auch das Rhabarberfinale. Ich glaube, ich habe versehentlich nur ein einziges Mal Spargel gegessen in diesem Jahr, auch nur einmal Rhabarberkompott.

Das passt gut den Kontext der Merkwürdigkeiten 2024.

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Beim Bäcker, ich sah es am Morgen, kann man jetzt „Stürmer“ kaufen, das sind rasengrün gefärbte Kuchenstücke. Passend zum sportlichen Großereignis.

Nun ja. Immerhin noch besser, als wenn etwas mit diesem Namen wieder im Presseregal an den Kiosken ausliegen würde, wie man in unseren Zeiten zumindest nebenbei denken könnte.

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Die Kaltmamsell hat noch an meine Bahnhofsgeschichte „Pano“ etwas angelegt.

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Gehört: Eine Folge Radiowissen über Hans Leipelt, also über die Weiße Rose in Hamburg, und dann noch eine über Vicki Baums Menschen im Hotel. Ein Buch, an das ich mich ausgesprochen gerne erinnere.

Ein Aufkleber an einem Mülleimer an der Hafenpromenade: "Alle zusammen gegen den Faschismus". Im Hintergrund das Museumsschiff Rickmer Rickmers.

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Gesehen, nein, noch einmal gesehen in diesem Fall: Heimat, süße Heimat von Jirí Menzel, aus dem Jahr 1986, doch schon so alt. Weil man ab und zu auch Wohlfühlfilme braucht, nach denen man nicht noch mehr an der Welt verzweifeln möchte. Wobei die Darstellung häuslicher Gewalt in der Geschichte nicht eben gut gealtert ist. Man würde das heute anders aufbereiten und sicher nicht mehr einfach so und nebenbei in einem humoristischen Erzählschwung aufgehen lassen.

Da auch mal eine richtige Entwicklung zur Kenntnis nehmen. Wichtig.

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Zeitzeichen und Sätze

Ich höre am Morgen ein Zeitzeichen über Habermas, „Großdenker der Frankfurter Schule“ (15 Minuten). Was auch ein wenig lustig ist, da sich die Kulturszene in meiner Stadt gerade bei einem Streit über die „Hamburger Schule“ zerlegt hat. Daran waren aber eher keine Philosophen beteiligt.

(Kleiner Spaß nebenbei: „Stadtnamen + Schule“ googeln, auch ein Ranking der Städte in diesem Land.)

Ich weiß nun sicher nicht genug über Habermas. Wie ich bei der Philosophie insgesamt eher erbärmlich schwache Kenntnisse habe, ich bin nie mit dieser Wissenschaft warm geworden. Schon mehrmals im Leben habe ich gedacht, das müsste mich eigentlich interessieren. Einfach so herumdenken, das müsste doch passen, also mach doch mal. Studiere das doch mal, lies das doch mal alles nach. Und dann zündete es aber jeweils nicht.

Ich konnte mich immer nur mit Teilchen der Denkgebäude halbwegs begeistert befassen, nie mit den komplexeren Theorien, nie mit den Mühen der Ebene. Vermutlich auch eine Frage der Konzentrationsfähigkeit, meine Grundschullehrerin hat es damals ja gleich gesagt. Aber egal.

Herr Habermas wird da jedenfalls zitiert mit dem Satz: „Indem wir miteinander sprechen, begeben wir uns auf Konsenssuche.“ Darauf wollte ich kurz hinaus.

Ich habe leider nicht genau verstehen können, wie alt dieser Satz von ihm ist, ich nehme aber an, er hat ihn in den 60ern gesagt oder geschrieben. Er klingt ein wenig abgehangen, dieser Satz. Es muss eigentlich so sein. Denn es ist ein Satz, nicht wahr, bei dem man sofort und allerdings ohne adäquaten Tiefgang anmerken möchte, dass das doch heute kein Schwein mehr so sagen würde, nach ein paar Jahren Internet, Twitter, Politpodcasts und Talkshowformaten.

Es kommt einem, es kommt zumindest mir mittlerweile eher abwegig vor, das so edel zu sehen, wie es Habermas formuliert hat. „Indem wir miteinander reden, bemühen wir uns um die Durchsetzung unserer Meinung.“ So würde man es in diesen Zeiten vermeintlich treffender formulieren wollen. Der Satz beschreibt auf diese Weise umgestaltet die Welt doch etwas erkennbarer. Die Konsenssuche als Relikt der Vergangenheit.

Wenn Sie viel auf Social Media herumlungern, werden Sie da in den letzten Tagen vehemente Diskussionen gesehen haben, oder nein, keine Diskussionen, eher Kommentarwürfe und Meinungshagelschauer, die das so zu bestätigen scheinen. Von Konsensfindung oder auch nur Bemühungen in diese Richtung keine Spur.

Aber wie gesagt, es ist nicht mein Fachgebiet. Und wenn es um die Historie der Sprache des Menschen geht, ist der Gedanke sicher richtig. Wir haben uns vermutlich abgestimmt und den Konsens gesucht, bei der Großwildjagd und beim gemeinsamen Sammeln von leckeren Beeren und so. Früher.

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Außerdem gehört: Eine Folge Radiowissen über das Bildungsbürgertum, Wissen als Währung. Wenn Sie mit dem Thema Schule und Bildung zu tun haben, hören Sie da mal rein. Es wird sie als geschichtliche Ableitung des Gymnasiums etc. interessieren.

Und schließlich noch eine Folge über Luise Rinser, die ich nie gelesen habe und die mir auch als Schullektüre nicht begegnet ist. Und bei der mir der große Skandal im Jahr 2011 um ihre teils erfundene Biografie, um ihre falschen Angaben zu ihrem Leben und Leiden im Dritten Reich komplett entgangen ist. Nanu.

Aber gut, das war noch die Kleinkindzeit hier im Haushalt. Ich war vermutlich stark abgelenkt.

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Pano

Jemand spricht mich in fremder Sprache auf der Straße an, ich komme gerade aus dem Supermarkt. Ein Mann etwa in meinem Alter, mit etwas verwirrtem Blick und offensichtlich in Eile, wenn nicht schon in Hektik. Er will vermutlich einen Weg wissen, das kommt hier manchmal vor. Nicht mehr so oft wie früher, es haben alle Navigations-Apps auf dem Handy, aber noch ab und zu.

Der Mann sagt allerdings komplett unverständliche Sätze in einer Sprache, die ich nicht recht einsortieren kann. Ungefähre Richtung Südosteuropa wäre mein erster vager Tipp. Mehrfach sagt er „Pano.“ Und guckt mich dabei hoffnungsvoll an. Er sagt, mit beiden Händen Abwehr gestikulierend, „No English“, und dass er kein Deutsch kann, das ist eh schon klar.

Was aber ist Pano? Ich gucke kurz irritiert und schalte nicht eben bemerkenswert schnell. Er formt mit Mühe und unter erheblichem Muskeleinsatz um den Mund herum aus dem Pano ein „Pannof“, so dass ich endlich erfolgreich Bahnhof raten kann, so dass ich ihm jetzt auch mit der Hand die Richtung weisen kann. Der Weg von hier aus ist einfach, immer geradeaus.

Es ist manchmal schön, jemandem den Weg zeigen zu können. Eine simple Freude, gelungene Kommunikation und Interaktion, sogar über sprachliche Hürden hinweg.

Denke ich mir so. Und es ist wohl etwas schade, dass wir das nur noch selten können oder müssen. Noch ein Thema, bei dem Menschen immer weniger mit Menschen zu tun haben, und es gibt doch entschieden zu viele solcher Themen. Dieser Mann in der Fremde jedenfalls freut sich jetzt sichtlich, womöglich ist er vor mir an anderen Passanten gescheitert, das kommt mir wahrscheinlich vor. So sehr freut er sich, so sehr strahlt er, für einen Moment fürchte ich, dass er mich umarmen möchte.

Aber er hat sich dann doch im Griff und geht schnell weiter, auf die Uhr sehend, Richtung Pano. Ein paar Schritte geht er, dann fängt er an zu laufen. Wer weiß, vielleicht bekommt er seinen Zug noch eben in letzter Minute und ich bin damit ein Teil, ein winziger Teil irgendeiner Geschichte. Ich habe es wieder einmal zur Nebenfigur gebracht, wofür man in aller Regel aus dem Haus gehen muss. Das gelegentlich als Motivation im Alltag mitdenken.

Der Schriftzug "Komm raus" auf einer Wand an einem Treppenaufgang vor einem Haus

Oder, nehmen wir es ein wenig romantischer, er holt sie gerade noch rechtzeitig am Bahnsteig ab, an dem sie in diesen Minuten die letzte Hoffnung verlor, dass er noch wie verabredet auftauchen könnte. Oder ist das bereits Kitsch. Egal, nichts ist so kitschig wie die Wirklichkeit. Ich kann mir das ruhig so vorstellen, beschließe ich. Dann wirkt mein Anteil daran gleich noch ein wenig netter, am Ende habe ich das nächste Kapitel überhaupt erst ermöglicht. Man kann jetzt umblättern, und das nächste Kapitel beginnt dann erfreulicherweise mit einem Plural: „Sie gingen“ oder dergleichen. „Als sie am nächsten Morgen aufwachten …“

Weil ich ihm den Weg gezeigt habe, nicht wahr. Ich habe Anteil. Und wer läuft nicht gerne zumindest als Kleinstrolle durch Liebesgeschichten.

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Frieren und Verdampfen

Das Sommergefühl am entspannten Sonntagmorgen, welches man Mitte Juni doch halbwegs sicher erwarten kann, es wird erzeugt durch den Biss in einen überreifen Pfirsich. Keineswegs aber ist das Wetter an diesem Gefühl beteiligt, das spielt weiterhin einfach nicht mit.

Fruchtsaftsabbernd stehe ich vorgebeugt über der Spüle, wie es anders bei diesem Obst auch kaum denkbar ist. Aber immerhin diese Junijuli-Süße auf der Zunge, denke ich. Immerhin die entsprechenden Assoziationen im Kopf und all die Erinnerungen an den früher so sicher erscheinenden Zusammenhang zwischen Sommerfrüchten und Wärme. Man bastelt es sich im Geiste wieder alles einigermaßen zurecht. So wie man es kannte, soll es sich anfühlen, so wie es vermeintlich gehört.

Dabei ist mir weiterhin entschieden pulloverig zumute. Unter meinen nackten Füßen ist das Laminat in der Küche heute auch nicht warm genug.

Und der Regen, er läuft an diesem Morgen wieder in wirren Spuren und sich unentwegt eilig erneuernd über die Scheiben der Dachfenster. Dahinter, nur verschwommen zu erkennen, der alte Kirchturm. Wabernd beult er sich aus, durch die Tropfen betrachtet.

Und der Regen, er regnet jeglichen Tag.

Später am Tag dann doch entschlossen einmal rausgehen, der Mensch braucht Bewegung. Und da kommt die Sonne tatsächlich ebenfalls raus, noch während ich den ersten Schritt vor die Tür mache, genau gleichzeitig treten wir beide hervor.

Dann braucht es nur noch wenige Minuten und einige Schritte in der ungewohnt gleißenden Helligkeit bei rapide steigenden Temperaturen, und ich verdampfe schier in meinen vermeintlich so klug gewählten, regentauglichen Klamotten. Es geht etwas hin und her hier, in diesem Junapril.

Aber egal. Anderswo sterben die Menschen gerade an Hitze und in zwei Wochen steht die 30-Grad-Marke auch hier schon drohend im Wetterbericht, ich will mich lieber nicht beschweren.

Ich schreibe nur mit.

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Auf den Straßen sehe ich später alles voller Menschen in Orange. Holland spielt in dieser Stadt und das halbe Land scheint dafür angereist zu sein. Die EM ist auch für eher Desinteressierte beim besten Willen nicht zu übersehen. Und zwar spielen die Holländer gegen Polen, aus diesem Land laufen aber weniger Fans herum, obwohl es auch nicht weit weg ist. Diese Fans dann durchweg in rotweißer Kleidung.

Einige aus den beiden Ländern tragen auch Perücken, Kostüme etc., mehr oder weniger lustig, alles orangefarben oder rotweiß. Vieles aus Plastik ist dabei, billig glänzendes Partyzubehör. Und außerdem ist noch Opferfest, da tragen besonders die Gläubigen aus afrikanischen Ländern prächtige, bunte Festkleidung, vieles in ebenfalls glänzendem Blau, vermutlich eher nicht so billig, und das mischt sich dann auf sonderbare Weise in der Menge mit den bunten Fußballkostümen.

Da geht einiges thematisch wild durcheinander, ergibt aber im Mix ein ungemein farbenfrohes, hier äußerst ungewohntes Bild in den Fußgängerzonen und unten am Hafen, wo ich herumspaziere, eine geradezu karnevalistische Anmutung in der Stadt, mit etlichen sonderbar gut gelaunten Menschen.

Immerhin aber ohne Bützchen, alles hat Grenzen.

Über diesem Szenario stehen mehrere Hubschrauber wie angepinnt am Himmel über der Stadtmitte, knatternd begleiten sie uns über Stunden durch den Tag. Das unvermeidliche Hintergrundgeräusch der sommerlichen Großereignisse, wie auch die fast konstanten Polizeisirenen um den Bahnhof herum. Als würden sie da immer im Kreis um das Riesengebäude fahren, Stoßstange an Stoßstange.

Wie man in den Nachrichten lesen kann, gab es auch Grund für die Betriebsamkeit der Polizei. Nicht alles ist lustig und bunt an diesem Wochenende.

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Noch später und wieder zwischen zwei Schauern, hop heisa bei Regen und Wind, kurz in den Garten gefahren und dort die erste nasse Kirsche direkt vom Baum gegessen. Immer ein Höhepunkt des Schreberinnenjahres. Allerdings sind die Kirschen damit deutlich vor den Stachelbeeren reif, die nicht recht vorankommen wollen in dieser merkwürdigen Saison, und das verwirrt mich schon wieder. War das denn jemals so? Oder geht wirklich alles durcheinander?

Man müsste auch das akribisch nachlesen, um es besser zu verstehen, aber ich komme dann davon ab.

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Vanessa war hier um die Ecke und hat jemanden erfolgreich angefeuert. Mir kommt dieser letzte Platz, von dem sie berichtet, ehrenwert und respektabel vor.

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Nils Minkmar schreibt wenig erbaulich über die Lage in Frankreich. Aber was kann man schon noch erwarten. Und was kann man uns allen noch wünschen, außer vielleicht bonne chance. Und viel ist das wahrlich nicht.

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