Spiegelungen des Verfalls

Die gefühlte Temperatur weicht am Morgen ab, der gefühlte Wochentag auch, das gefühlte Alter ebenfalls. So ein Tag.

Ich höre in irgendeiner Sendung, dass die Schulnoten oder überhaupt unsere so geliebten und mittlerweile dermaßen tief in der Gesellschaft verankerten und auch allgegenwärtigen Leistungsbewertungen auf die Meritentafeln der Jesuiten zurückzuführen sind, die also haben damit angefangen. Und ich wäre dafür, dieses wunderbare alte Wort wieder zu benutzen. Die Zeugnisvergabe in den Schulen und auch die Bonusprogramme für die Manager in Firmen, überhaupt alles in dieser Richtung „Jährliche Beschauung der Meritentafeln“ nennen, damit der Vorgang etwas würdevoller klingt.

Egal. Ich gehe zum Einkaufen raus und über die etwas würdelose Straße vor unserer Haustür, sie hat entwertende Mängel und Löcher. Man braucht eine Weile für die Wahrnehmung, es fällt mir nur langsam auf, weil es doch eine schleichende Veränderung ist, aber die Straße hat nun deutlich mehr Löcher als früher, größere auch, und es beseitigt sie niemand mehr. Dieses Thema mit dem Verfall der Infrastruktur beginnt tatsächlich zehn Meter vor unserer Haustür, wo eine Lücke in den Pflastersteinen nun so groß ist, dass sie radfahrende Menschen zum spontanen Salto über den Lenker animieren kann.

Es ist so eine Lücke, die man auch in der Lokalzeitung abbilden könnte, mit einem Menschen daneben, der klagend und ernsten Blickes in die Kamera sieht, was bekanntlich eine ganz eigene Fotokatagorie in Lokalzeitungen ist. Klagende Menschen vor schlimmen, ernsten Sachen. Gerne mit vor der Brust verschränkten Armen und vorgeschobenem Kinn, oft etwas kindlich beleidigt wirkend: Jetzt spielen wir aber nicht mehr mit.

Und auch hier scheint wieder das literarische Sammelgebiet auf, möchte ich meinen, „Spiegelungen des infrastrukturellen Verfalls in der deutschen Gegenwartsliteratur seit 2000“, und dann geht es in endloser Zitatkette aus Romanen und Geschichten um bröckelnde Brücken, kaputte Weichen, marode Turnhallen, einstürzende Altbauten etc., eine Fundstelle nach der anderen, herausgearbeitete Deutungsverschiebungen über die Jahrzehnte dann im Anhang. Ich würde das reizvoll finden. Die Bröckelbrücken als Metapher der Moderne, die über Straßen und Flüsse, auch die im Mund, selbstverständlich auch die über gesellschaftliche Differenzen hinweg.

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret. Das allerdings war Gryphius, das war ein anderes Kapitel. Barockdichtung könnte man auch mal wieder lesen, das mal vormerken.

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Abends dann aber nicht Gryphius, sondern Joy Williams gelesen, Kurzgeschichten, Deutsch von Brigitte Jakobeit und Melanie Walz. Sehr angetan gewesen, gleich die erste Geschichte hat ein so gelungenes Ende – wenn man selbst schreibt, auch wenn man gar keine Geschichten schreibt, kann man manchmal auf eine nicht unangenehme Art neidisch auf die Sätze anderer sein.

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In samtgrüner Weste

Am Dienstag viel Arbeit, wirklich sehr viel, ungewöhnlich viel. Danach dieses überaus unangenehme Gefühl, nachdem man ein paar Stunden keine Nachrichten mitbekommen hat, irgendwann doch wieder auf eine News-Seite zu gehen und alles skeptisch nachzulesen, denn wer weiß. Was in fünf Stunden alles passieren kann.

Es war dann aber nur das Übliche. Was auch schlimm genug ist, versteht sich, und ich habe mittlerweile einen großen Widerwillen, da überhaupt noch im Detail einzusteigen. Morgens die Presseschau aus Deutschland und aller Welt zur Belebung des noch schlafenden Blutdrucks, zwischendurch dann nur noch ein paar Schlagzeilen nebenbei und am Wochenende die ausführliche Lage der Nation als sättigendes News-Festmahl, das ist der Pflichterfüllung im Moment genug.

Der Tag gibt ansonsten nichts her, er ist kalt, auf eine freudlose Art gewöhnlich und gering berichtenswert. Oder ich habe nur wieder nicht aufgepasst, das kann natürlich auch sein. Im Grunde, so denke ich, habe ich immer nicht aufgepasst, wenn ich nichts über einen Tag zu sagen weiß. Was nicht heißt, dass es nicht in Ordnung ist, mal einen Tag nicht aufzupassen – obwohl ich da nicht ganz sicher bin. Am Ende ist auch das wieder kompliziert.

Beim Kochen immerhin eine Radiosendung über das Schicksal von Jakob Wassermann (23 Min) gehört, der zwar einerseits fast vergessen ist, bei einem Sohn aber immerhin gerade als Schullektüre vorkam, das hat mich überrascht. Ich bin sicher, er ist mir in meiner Schulzeit nicht begegnet, ich habe ihn erst viel später in meiner Zeit im Antiquariat kennengelernt.

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Außerdem eine Sendung über Katherine Mansfield (22 Minuten) beim Einkauf gehört. Als sie Cello lernte, trug sie braune Kleidung, denn sie verschmolz gerne mit dem Gegenstand des Interesses oder der Liebe. Ich könnte mir eine samtgrüne Weste kaufen, ich interessiere mich sehr für mein in dieser Art bezogenes Sofa. Da mal drüber nachdenken.

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Frisch eingetroffen: Lieblinks bei Kiki

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Es geht schon

Es nieselt den ganzen Tag quertreibend, es windet, es stürmt. Dabei ist es so warm, man könnte sich schon wieder die Jacke aufreißen, aber dann wird man schnell nass darunter. Es ist sehr Montag, es ist noch mehr Februar und das ist überaus praktisch, denn da kann man die Stimmung ohne langes und lästiges Nachdenken auf das Wetter und den Tag schieben, was auch prompt alle machen. Ich habe dann wegen der allzu deutlichen Bluesnote des Tages sogar die ersten Tulpen des Jahres gekauft. Orangeleuchtend, ein deutlicher Immerhineffekt im Wohnzimmer, jede Blüte ein florales Dennoch.

Home-Office und Haushalt, ein wirklich wahnsinnig unorigineller Montag. Aber dafür sollte man nicht undankbar sein, sonst strafen einen humorvolle Instanzen der höheren Art umgehend ab, man kennt das. Ein Montag ist es eben. Irgendein Montag. Es geht schon, es wird schon werden.

Es gibt einen schönen Clip, fällt mir gerade ein, in dem es nicht mehr regnet, das ist der Abgang von Gene Kelly bei den Muppets, in der letzten Folge der Reihe. Eine wahrhaft würdevolle Angelegenheit.

Später gehe ich durch den Hauptbahnhof und sehe, nachdem ich den obigen Absatz kurz vorher geschrieben habe, die passende Ergänzung im Real Life. Mir kommt in der Wandelhalle mitten durch die Menge all der regennassen Passanten eine junge Frau entgegen, die ihren Schirm noch aufgespannt hat. Und während die meisten Menschen leicht etwas trottelig wirken, wenn sie ihren Schirm dort aufgespannt lassen, wo es doch gründlich überdacht ist, wirkt diese Frau eher geschickt inszeniert, denn ihr Schirm ist plastikpink, ihr Schritt ist nahezu tänzelnd und ihr Gesicht strahlt.

Man fällt in diesem Bahnhof auf wie ein Einhorn, wenn man sichtlich gut gelaunt ist.

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Eine Radiosendung über den Naturalismus gehört (22 Min). Es sind feine Zitate darin enthalten, besonders die Passage von Zola über Käse. Allein dafür lohnt es sich schon, man wird allerdings etwas hungrig dabei.

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Anke trauert einer Pflanze hinterher, das verstehe ich gut. Die Birke vorm Haus fehlt mir auch immer noch, nach schon einigen Jahreszeiten.

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Bunt vor bunten Buden

Auch auf Helgoland gab es nun eine Demo, eine kleine Ausgabe der Großveranstaltungen in den Städten. „Helgoland bleibt bunt“ macht sich vor den Hummerbuden natürlich besonders gut.

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Fast wäre ich in dieser Woche mit meiner Mutter ins Theater gegangen, was das erste Mal seit dem gemeinsamen Besuch der Weihnachtsmärchen im Lübecker Stadttheater irgendwann in den frühen Siebzigern gewesen wäre. Ich erinnere mich dunkel an Peterchens Mondfahrt und glaube, ich fand es sehr unheimlich. Es kam dann aber doch nicht zum Erwerb der Karten in der Gegenwart. Sie fand es jedenfalls interessant, dass es da auf einer Bühne in der Nähe gerade einen Hauptdarsteller aus ihrer Altersklasse gibt, und vielleicht kennen Sie ja auch Menschen in Hamburg, die das besonders anspricht oder motiviert; es ist immerhin eine erstaunliche Leistung: „Dienstags bei Morrie“ im Ernst-Deutsch-Theater. Charles Brauer, der frühere Kommissar mit Manfred Krug, ist 88 Jahre alt, hier ein Bericht im NDR dazu. Vorführungen gibt es nur noch bis zum 18. Februar.

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Die Herzdame und ich sind im Garten gewesen und haben dort Meisenbälle nachgefüllt. Nach einer Weile sahen wir auch, was mit denen dort passiert: Eine Rabenkrähe vollführt einen turnerischen Akt der Spitzenklasse am hängenden Behälter und zermeißelt kunstvoll die Bälle, sieben Krähen sitzen unten im Gras und fressen vergnügt, was reichlich herunterfällt. Wir haben nicht gesehen, ob sie sich dabei abwechseln, aber es würde mich nicht wundern. Sie können Muster erkennen, sie können Systeme erfinden, sie werden sich wohl auch abwechseln können.

Einem der Gartennachbarn, aber das erzählte ich bereits, fressen die Krähen aus der Hand.

Die Schubkraft der Osterglocken reichte in den letzten Tagen für das Ausfahren von etwa zwei Dritteln der grünen Triebe, wenn das so weiterläuft, sind sie Ostern längst wieder verblüht. Davon abgesehen sieht der Garten aber noch ausgesprochen hinfällig aus.

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Es gibt einen Film- und mehrere Buchhinweise bei Au fil des mots.

Und es gibt eine neue Monatsnotiz bei Nicola.

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Am Sonntagabend gelesen: „Die Rote“ von Alfred Andersch. Ich werde schon wieder zur Bücherei müssen, seine Bücher sind zu dünn. Schlimm.

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In der Elbe, an der Elbe

Bei Kachelmann schrieben sie, dass es in dieser Woche viel Wetter geben solle, na, wenn das keine Aussichten sind.

Am Sonntag weiter im Alfred Andersch gelesen, diesmal in „Mein Verschwinden in Providence“, noch einmal Erzählungen. Es kommt darin die Redewendung vor, dass sich jemand wie ein Stint freut, die habe ich schon lange nicht mehr irgendwo gesehen oder gehört. Vermutlich ist sie auch aussterbend. Wie beim angesprochenen Fisch: „Lokale Bestandsgefährdungen.“ Beim Fisch etwa in der Elbe, bei der Redewendung an der Elbe. Ich nehme an, unsere Söhne kennen weder den Fisch als Gericht noch die Redewendung.

Außerdem lese ich in diesem Buch, dass „maximal“ als häufig vorkommendes Jugendwort verwendet wird (in einer Studentinnengeschichte aus den Sechzigern), in etwa so, wie wir „geil“ verwendet haben, und ich denke, „maximal“ ist mir in dieser Verwendung bisher noch nicht begegnet. Überhaupt aber ist dieser Band mit Erzählungen ein Dokument des Umbruchs in den Sechzigern, man möchte etwa die Passagen über höchst irritierende Miniröcke anstreichen. Und diese Erstaunen von Andersch, oder besser das von ihm beschriebene Erstaunen, denn wir wissen beim Lesen nicht, ob er selbst gestaunt hat, kombiniert sich mit einer Formänderung, denn recht eindeutig übernimmt er für seine Erzählungen den Textaufbau der amerikanischen Kurgeschichten. Faszinierend.

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Ich habe ein wenig Geld von der Krankenkasse bekommen, aus einem Bonusprogramm, wofür ich Daten, die der Kasse durchweg bereits vorlagen, noch einmal selbst eintippen und teils auch einscannen musste, warum auch immer, in eine einigermaßen kryptisch aufgebaute Seite mit unzureichenden Erklärungen und kontraintuitiver Benutzerführung – dann gab es eine mehrwöchige Bearbeitungszeit. Und da ich es bei einem anderen Thema gerade recht ähnlich erlebt habe: Ich glaube, dieses Vorgehen beschreibt viele scheindigitalisierte Prozesse in diesem Land recht gut. Das ist bei dem Thema so unser Stand.

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Ein nicht unbedingt beruhigender, auf jeden Fall aber interessanter Artikel über die Berechnung von Systemkollapswahrscheinlichkeiten, gefunden via Klimagarten auf Mastodon.

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Kleine Jahresfortschrittsmeldung

Die Republik, die schon lange im Sterben gelegen hatte, war endlich tot. Sie war daran gestorben, dass die bürgerliche Mitte sich den Gesprächsstoff vom Feinde hatte diktieren lassen und die Sozialdemokratie mit der bürgerlichen Mitte über die Argumente des Feindes debattierte.

Alfred Andersch in „Die Kirschen der Freiheit“, seinem Desertations-Buch, über die Ereignisse 1933. Heute ist sein Geburtstag, sehe ich gerade, beim WDR gibt es ein Zeitzeichen über ihn, 15 Minuten.

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Ein Nachtrag zum letzten Text: Giardino wies auf Mastodon darauf hin, dass es eine Untersuchung über das Artensterben in der Literatur gibt, siehe hier, dort wird ein Rückgang der spezifischen Bezeichnungen für Arten sogar schon ab 1835 feststellbar.

Der erste bekannte deutsche Roman mit einem Umweltthema ist übrigens meines Wissens „Pfisters Mühle“ von Wilhelm Raabe, aus den Achtzigern des vorletzten Jahrhunderts. Das ist allerdings nur dekoratives Quizwissen, ich habe das Buch nicht gelesen, nur vorgemerkt.

Freundliche zehn Grad am Morgen, sanfter Nieselregen auf den Dachfenstern. Es singen um fünf Uhr Kohlmeise, Rotkehlchen und Zaunkönig unten auf dem Spielplatz, eine Rabenkrähe krächzt äußerst unfreundlich dazwischen, als würde sie dringend noch etwas schlafen wollen. Nicht nur über den Benennungszauber schreiben, ihn auch vornehmen. Vor dem Fenster sehe ich später in der Dämmerung kahle Linden, eine grünbemooste Eiche, eine Platane, eine Mirabelle, einen Holunder, einen verirrten Bambus, Blauregen, Efeu, Zierkirsche, Weißdorn und Flieder. Viel Natur für die Mitte der Millionenstadt. Wir könnten auch steiniger wohnen, mit Blick auf Beton und Mauern. Die meisten hier in der Nähe wohnen sogar so, und vielleicht stört es sie nicht einmal.

Um den Kirchturm kreisen immer wieder zwei Möwen, die sich entweder spielerisch jagen oder ernsthaft verprügeln wollen, das kann ich nicht erkennen. Wie ich auch die Art der beiden Vögel nicht bestimmen kann, obwohl ich die Merkmale schon mehrmals nachgeschlagen habe. Ich habe bei Möwen eine seltsame und leider dauerhafte Lernsperre. Es sind jedenfalls keine Lachmöwen, das Ausschlussverfahren geht.

Eine Jahresfortschrittsmeldung am Rande: Im Drogeriemarkt stehen nun wieder die beiden Drehständer mit den Saatguttütchen für Radieschen, Salat, Bohnen etc. Sie sind noch dicht bepackt, übervoll, davon kauft jetzt noch niemand etwas.

Und in die Bildsprache der Onlinewerbung mischen sich zunehmend rote Herzchen und rosafarbene Hintergründe, der Valentinstag naht.

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Heute ansonsten Demokratie an der Basis gelebt, es gab die Jahreshauptversammlung im Schrebergarten. Gar nicht als Scherz gemeint, denn Demokratie fängt tatsächlich da an, wo man sie gerne belächelt, siehe auch Elternabende. Zwei Spiegelungen fallen mir auf, das Große im Kleinen: Zum einen ist die Demokratie auch hier anstrengend und erfordert Sitzfleisch, Geduld, das Aushalten anderer Meinungen, Kompromisse und die bemerkenswerten Leistungen von Menschen, die sich tief, tief ins Kleingedruckte wagen. Das zieht sich durch alle Ebenen so durch. Zum anderen zeigt sich auch in deutschen Kleingärtenvereinen die Bilanz der letzten Jahrzehnte, in denen man die Infrastruktur nicht oder doch im Rückblick zu wenig gepflegt hat. Es ist überall ähnlich: Die Substanz bröckelt, sei es nun bei Autobahnbrücken, bei Bahnhöfen, Schulgebäuden oder nur bei den mittlerweile uralten Wasserleitungen zwischen den Parzellen.

Es wurde lange gespart, und es war nicht gut so.

Im Tagesbild angeschmuddelte Lampions weit jenseits ihrer Buntheit, außerdem tropfnasse Lichterketten. Februarfröhlichkeit.

Angeschmuddelte Lampions weit jenseits ihrer Buntheit und tropfnasse Lichterketten hängen im Garten

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Wir haben ein Ziel

Das Gute am Februar ist bekanntlich, dass danach der März kommt, wir haben also ein Ziel, ein Ziel, wir können wieder strebsam und vorwärts leben.

Sehr belebend und passend fand ich eine Radiosendung bei Deutschlandfunk Kultur mit Yulia Kosyakova, Professorin für den Forschungsbereich Migration in Bamberg: „Schwierige Angänge in Deutschland“. Was für ein Lebenslauf, was für eine Lebenshaltung, welche Gestaltungskraft, mich hat das beeindruckt. Man erwartet nicht mehr unbedingt, dass man nach einer Sendung über Migration ohne schwere Verstimmung durchkommt, aber es geht doch.

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Gelesen: Weitere Erzählungen von Alfred Andersch, „Geister und Leute – zehn Geschichten.“ Am Wochenende mehr Andersch besorgen.

Außerdem: „Gedankenspiele über die Wahrheit“ von Clemens J. Setz. Das Buch hat den bescheidenen Umfang eines etwas längeren und überaschenderweise als gebundenes Buch erschienenen Blogeintrags, ist aber für die nur etwa dreißig Leseminuten, die man dafür braucht, informativ und unterhaltsam. Die Beweisführung, warum nicht stimmende Geschichten auch wahr sein können, sie ist durchaus gelungen.

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Und im Deutschlandfunk gibt es eine Sendung über Apps zur Naturerkennung (28 Min), in der Reihe „KI verstehen“. Die vorgestellten Apps nutze ich auch, und da die Vögel schon deutlich mehr singen und draußen bald auch wieder etwas wächst, nutze ich die Gelegenheit, den Umgang mit diesen Apps noch einmal nachdrücklich zu empfehlen. Man lernt etwas, und manches fällt einem auch wieder ein, weil man einige Bäume oder Büsche oder Blumen vielleicht schon einmal besser gekannt hat, weil man schon einmal per Du mit ihnen war, in einer anderen Lebensphase vielleicht, und sei es als Kind.

Es macht die Welt jedenfalls reicher, wenn man mehr von ihr erkennt; es ist ein leicht nachzuvollziehender Benennungszauber, den man da ausübt, denn was man anspricht, das wird wahrnehmbar, gewinnt Persönlichkeit und blättert sich auf, selbst im Straßenbegleitgrün

Man könnte, also wenn man denn die technischen Möglichkeiten und die Zeit hätte, die Erwähnung von Arten in deutschen Romanen und Erzählungen auch durchzählen, gruppiert nach Jahrzehnten, und was für eine mit Sicherheit steil abfallende Kurve wäre das seit der Nachkriegszeit. Bei der Kaschnitz, ich sehe es in ihren autobiographischen Schriften, wird dieses Abnehmen der Naturschilderungen und -kenntnisse bereits in den Sechzigern registriert, vermutlich ist es das Jahrzehnt mit dem Knick.

Wie uns dabei Selbstverständlichkeiten abhandengekommen sind.

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Am Sonntag steht überhaupt kein Termin im Kalender, sehe ich am Morgen. Der erste Gedanke ist aber keine Freude, sondern vielmehr die nagende Frage, was ich da wohl vergessen haben könnte.

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Im Bild das Ufer der Bille in der Nähe unseres Gartens.

Und es kämmt ein sanfter Wind das grüne Haar der TrauerweidenHörst du auch die Stimme, dieses Raunen überm Fluss?“

Hannes Wader sang das, damals, in dem Lied „Am Fluss.“

Eine Trauerweide am Ufer der Bille, darunter ein festgemachtes Tretboot.

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Vielbeschäftigte Tage

Vielbeschäftigte Tage, noch so eine randvolle Woche, warum liegen hier überall T-Dos herum. Ich fahre zwischen zwei Berufen durch die Stadt, mit der S-Bahn und dem Bus zur Rush-Hour und merke dabei auch, was für ein Glück ich habe, dass ich das nicht dauernd machen muss, denn wie anstrengend ist das denn. Sich in die rappelvolle Bahn quetschen, sich in den überfüllten Bus drängen, eine Treppe in der hastenden Masse hinuntergeschoben werden, über einen Zebrastreifen zwischen zwei Verkehrsmitteln in einer stürmenden Horde hasten, meine Güte. Ich vergesse in meinem regulären und eher leichtgängigen Home-Office-Betrieb schnell, wie ausgesprochen anstrengend die Alternative sein kann.

In diesem Home-Office ist allerdings zwischendurch das Internet komplett weg und vor der Haustür wird gerade gebaggert, das ist kein schönes Zusammentreffen, da hat man gleich so einen Verdacht. Und es sind doch ausgesprochen eilige Dinge zu erledigen. Ich raffe also Notebook und Zubehör zusammen und gehe mal eben ins Office-Office. Und auch das ist natürlich ausgesprochenes Glück in einer Großstadt, dass ich da eben hingehen oder schnell nur eine Station mit der Bahn fahren kann.

Am Nachmittag bitte ich eine Projektpartnerin, mir ein Buch aus einem Regal zu reichen, neben dem sie steht, und sie antwortet mit einer so deutlich privilegierten und für mich auch sympathisch heimatlich klingenden Verneinung, dass ich mich noch tagelang darüber freuen werde: „Nein, ich kann gerade nicht, ich habe Marzipan an den Fingern.“

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In der Bücherei die Jahresgebühr bezahlt, und wie gerne.

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Gehört: Noch passend zum Holocaust-Gedenken ein empfehlenswertes Zeitzeichen (15 Minuten) über Theodor Heuss: „Wir haben von den Dingen gewusst.

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Und noch ein Hinweis für den Freundeskreis Fotografie: Die Kaltmamsell beschäftigt sich mit August Sander. Falls Sie noch nie einen Bildband mit seinen Aufnahmen durchgeblättert haben, ich möchte empfehlen, das nachzuholen. Etwa in einer Bücherei, natürlich nach Zahlung der Jahresgebühr.

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Im Tagesbild Gefühlsüberschwang, vielleicht schon ausgelöst durch die milden Temperaturen. Es bricht aus den Leuten heraus, voll auf Liebe programmiert.

Ein Graffiti an einer Hauswand "Pfannkuchen" als ziemlich großgeschriebenes Wort, darunter ein Herz.

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Man hört Vögel

Auf dem Weg zur Demo neulich fiel mir in der Innenstadt auf, dass ich etliche Geschäfte nicht mehr kenne. Nicht nur als von mir betretenen Laden nicht, sondern auch als Marke nicht, so dass ich manche Geschäfte im schnellen Vorbeigehen also gar nicht verstehe. Das wird teils selbstverständlich daran liegen, dass ich aus allen relevanten Zielgruppen herausaltere, vielleicht abgesehen von Sanitätshäusern, teils aber auch daran, dass immer obskurere Marken die Innenstädte besiedeln, in denen andere, bekanntere Mieter nicht mehr gefunden werden, in denen immer öfter nur versuchs- und phasenweise Kundinnen angelockt werden, die tatsächlich noch offline etwas kaufen oder wenigstens kaufen könnten. Läden, die nur ein Jahr oder noch kürzer geöffnet bleiben, sie sind längst keine seltsame Ausnahme mehr. Serielle Vermietungen.

Damit verschwindet aber auch ein bestimmtes Stadtgefühl, das früher doch stark mit einzelnen Geschäften verbunden war. Ein einfaches und nostalgisch stimmendes Beispiel wäre etwa Brinkmann für Hamburg. Das kannten alle, da waren auch alle schon einmal drin, da konnte man sich vor der Tür treffen und es gab keine Nachfragen: „Wo ist das denn?“ Läden wie Landmarken, sie werden seltener. Nun trifft man sich nicht mehr vor Kaufhof, sondern da, wo einmal Kaufhof drin war, wo Karstadt-Sport drin war und heute aber dieses Dings ist, wo Esprit neulich noch drin war oder was war es gleich, wo das alte C&A stand, und ich glaube, ich gehe im Kopf allmählich immer mehr zu Straßen über und von den Geschäften weg, wenn ich mich in der Stadt orientiere. „Wir treffen uns vor Fielmann.“ „Wo ist denn noch ein Fielmann?“ „Wo an der Ecke die Sparkasse war.“

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In den Timelines weitere Frühjahrsverlautbarungen, man zeigt sich Schneeglöckchen- und Krokusbilder, man hört Vögel und fühlt dies und das. Ich sehe im Stadtteil schon den ersten Laden mit hasenreicher Osterdeko und im Wetterbericht wird mit einem roten Ausrufezeichen vor starkem Haselpollenflug gewarnt.

Wir blättern Kalender um.

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Die Kaschnitz zitiert im Tagebuch Italo Svevo: „In meinem albernen Leben begreife ich nicht, wie mir so etwas Ernsthaftes wie das Altern begegnen kann.“

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Es gibt neue Musik von Mark Knopfler.


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Im Bild der leuchtende Schriftzug „die eigene Geschichte“ an der Außenwand des alten Teils der Kunsthalle, zu den Gleisen hin, die zum Hauptbahnhof führen.

"Die eigene Geschichte" - eine gelbleuchtende Schriftinstallation an der Hamburger Kunsthalle

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Umfassende Ordnungsbestrebungen

Die Herzdame erweitert ihre mittlerweile umfassenden Ordnungsbestrebungen von der Ablage und den unseligen Papierstapeln auf die Medikamente und dann auch noch auf weiteres Zeug, vermutlich auch auf die vollgekramten Schränke allgemein, und ich werde, um da überhaupt noch mithalten zu können, mich demnächst dem Kühlschrank zuwenden. Der verdient ohnehin wieder eine genauere Betrachtung, gar keine Frage, es ist Zeit. Entschlossen die Kühlschranktür öffnen mit dem Marienhoflied auf den Lippen: Es wird viel passieren. Und dann kann sich die abgelaufene Fischsauce ganz hinten aber, haha, warm anziehen.

Dann noch die Küchenschränke, so geht es mit dem Aufräumtrieb durch die ersten Monate, so ziehen wir sortierend durch das Haushaltsrevier. Ab März gibt es sicher im Garten etwas zu tun, dann haben wir für so etwas ohnehin keine Zeit mehr, und März ist gleich. Bis dahin muss das Nest in Ordnung sein und bis zum Herbst auch so bleiben. Ja, mach nur einen Plan.

Im Bildungsteil des Tages höre ich äußerst passend zu unseren Bemühungen eine Sendung über den Natursortierer Carl von Linné: Ordnung in die Natur! (25 Minuten) Er hat, und es ist so eine niedliche Form, überbordende Aggressionen auszuleben, besonders unscheinbare Pflanzen nach seinen Kritikern benannt.

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Gelesen: Drei Erzählungen von Alfred Andersch, erschienen unter dem Titel „Ein Liebhaber des Halbschattens“, was auch ein schöner Titel ist. Und worinnen besonders die erste und titelgebende Geschichte eine sehr gute und empfehlenswerte ist. Ein hervorragendes Zugfahrbuch für die Mittelstrecke wäre es wohl, besonders durch Mecklenburg und Brandenburg. Allerdings reicht es, wenn ich es recht bedenke, vermutlich nicht einmal für Hamburg-Berlin, es ist doch schmal.

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Noch einmal ein kurzes Zwischen-Update zu den sozialen Medien, ich mache das alle paar Wochen oder Monate. Die Lage ist seit dem letzten Text dazu praktisch unverändert für mich. Mastodon als Stammkneipe und Wohnzimmerverlängerung. Bluesky als Etablissement nebenan, auch ganz okay, aber eben neuer und dadurch nicht ganz so heimelig. Threads dagegen als deutlich abgelegene Filiale einer bekannten Gastro-Kette. Da kann man zur Not auch einmal hingehen, macht es aber eher nicht. Facebook als Laden, in dem man Jahre nicht wahr und im Vorbeigehen immer denkt: „Ach was, die gibt es noch!?“ LinkedIn als unterkühlte Bar im Business-Class-Dienstreisehotel, mit den üblichen schwadronierenden Vertretern am Nebentisch, und wenn man da landet, dann ist eh schon alles falsch gelaufen.

Mehr Accounts für Kurztexte habe ich gerade nicht, glaube ich, aber es kann auch gut sein, dass ich etwas übersehe. Wir leben in verwirrenden Zeiten.

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Im Tagesbild noch ein entsprechender Hinweis.

Ein Schriftzug (Edding) auf einem Stromkasten an der S-Bahnstation Holstenstraße: "Die Welt ist ein Irrenhaus!"

 

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