Bericht aus zehn Metern Fußgängerzone

In der Spitalerstraße kommt mir kurz vor dem Hauptbahnhof ein Geschäftsreisender entgegen, vermutlich ist er eben erst einem Zug aus einer anderen Stadt entstiegen. Eilig hat er es, das sieht man gleich, und warm ist ihm schon geworden, von diesem kurzen, aber doch schnellen Gang durch die belebte Fußgängerzone, in der im Zickzack gehen muss, wer schnell sein möchte. Einen Tagestrip-Rollkoffer zieht er hinter sich her, auf den er oben noch einen Notebook-Rucksack an die Stangen geschnallt hat, die zum Griff führen, an dem er zieht. Einen Mantel trägt er über dem Arm, einen Kurzmantel im Business-Class-Standard-Look. Und eine Mappe hat er unter dem Arm mit dem Mantel. Sicher wichtige Papiere darin für das anstehende Meeting, dem er so zügig entgegenstrebt.

Der Koffer holpert über das Pflaster, er springt und hüpft. Er bockt und verdreht sich schließlich sogar. Der Notebookrucksack löst sich und baumelt, das kleine Gefährt streikt und zickt, es stellt sich quer. Der ziehende Mann bremst unwillig seinen forcierten Schritt. Er dreht den Koffer ruckartig wieder richtig und stellt ihn neben sich ab. Er richtet die Riemen des Rucksacks und hebt einen Zeigefinger. Strengen Tonfalls spricht er den Koffer dann an, und es ist ein Tonfall, den man gut kennt. In jedem Park hat man ihn schon gehört. In genau dieser Art nämlich reden Menschen mit renitenten Terriern und unwilligen Dackeln. Na, darfst du das? Hm? Darfst du das denn?

„So ja nun nicht, mein Freund!“, höre ich den Mann mit hervorgekehrter Autorität zum Koffer sagen, und danach geht die Predigt in dieser Art noch weiter, aber den Rest verstehe ich nicht mehr genau.

Nur etwa zehn Meter weiter unterhält sich eine Rentnerin der besonders gepflegten, damenhaften Art gerade mit den Schaufensterpuppen bei Peek & Cloppenburg. Ein angeregtes Gespräch führt sie mit den starren Figuren. Die ungerührt immer weiter durch sie hindurchsehen. was die Redende nicht im Mindesten stört. Heiter und freundlich plaudert sie weiter mit ihnen, scheint kommentierend zu vergleichen, was sie und die Plastikdamen heute anhaben.

„Ewig werden sie ihr schweigen, nie von den Gestellen steigen“, da passt auch einmal ein Schiller-Zitat (Die Antiken zu Paris, schönes Gedicht, aber das nur am Rande).

Sie spricht mit den Puppen dabei in einer so angeregten Weise, dass man schon beim Zusehen eine Ahnung davon bekommt, dass diese Dame auf jeder Garden-Party eines Konsulats an der Außenalster deutlich zur Belebung beitragen und die Sache mit Sicherheit geschmeidiger für jene machen würde, die durch Smalltalk eher herausgefordert werden. Also etwa für Menschen wie mich, die eher dem Schaufensterpuppenlager zuzurechnen sind.

Aber wie auch immer. Ich halte diese beiden Bemerknisse nur nebenbei fest, ich diktiere sie unauffällig in Stichworten der Notizen-App auf dem Smartphone. Bestimmte Formulierungsideen versuche ich aber probeweise gleich mit. Um gleich beim Entwurf eine Ahnung davon zu bekommen, wie etwas später vorgelesen klingen könnte, was immer ein wichtiger Maßstab für einen Text ist.

Was unterm Strich allerdings heißt, dass auf zehn Metern Fußgängerzone gerade einer mit seinem Koffer redet, eine mit den Schaufensterpuppen und einer mit seinem imaginären Publikum. Aber davon abgesehen, versteht sich, gibt man sich mehrheitlich Mühe, einigermaßen normal zu wirken und nicht weiter aufzufallen. Und den meisten gelingt es auch, wenn man nicht allzu genau hinsieht.

Das Gedicht von Schiller hatte ich vor Jahren einmal in der Version des Clubs der toten Dichter im Blog, fällt mir noch ein. Damals hatte ich das Konzert gesehen, mit Dirk Darmstädter als Leadsänger, ein grandioser Abend war es.

Im Frühjahr 2026 kommt das nächste Programm von ihnen, sehe ich gerade: Morgensterns Galgenlieder, diesmal mit dem Schauspieler Hans-Werner Meyer. Ich kann die Truppe sehr empfehlen.

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Das Wort Love auf einem Regenrohr an einer Hauswand

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