Einige Anmerkungen zu Stendhal, zum Edelschimmel und auch zu Arbeitszeiten

Das zuletzt begonnene Hörbuch, „Das Leben des Henry Brulard“ von Stendhal ist etwas langweilig. Ich kann einige positive Beschreibungen dazu, die ich online finde, nicht recht nachvollziehen,  höre es aber weiter und auch bis zum Ende. Aus einem Grund, der vielleicht seltsam anmutet: Ich finde es erstaunlich entspannend, mich bei vorgelesenen Texten aus dem vorigen Jahrhundert und dem davor zu langweilen.

Also ich lasse mich von denen, verstehen Sie mich nicht falsch, auch gerne bestens unterhalten, belehren oder amüsieren. Wenn der Inhalt denn entsprechend vorgestellt und ausgebreitet wird. Aber ich finde in manchen dieser Bücher, die, wenn ich sie nicht als Hörbücher konsumieren würde, sondern etwa in einem Antiquariat finden würde, sicher alte, stockfleckige, angestoßene, ledergebundene Schwarten wären, eine anziehende Art von sympathischer Edellangeweile.

Ja, genau so fühlt es sich an. Etwa wie Edelschimmel beim Käse. Bei dem auch etwas eigentlich Schlimmes durch eine seltsame Drehung der Deutung den kundigen Konsumentinnen schmackhaft vorkommt, merkwürdig willkommen und sogar teuer ist.

Ich mag diese sehr spezielle Form der Ödnis jedenfalls, sie beruhigt mich.

Es gibt, wie hier und da erwähnt, gar nicht so vieles, was mich beruhigt. Ich bekomme etwa beim Hören von ausdrücklich beruhigend gemeinter Musik eher Lust auf Kettensägenmassaker als auf Besinnlichkeit. Was für mich übrigens zu Problemen in einer bestimmten psychologischen Praxis führt, in der dieses Wellness-Klangschalen-Walbrunst-Hotelbarpiano-Tibetgong-Zeug verlässlich im Wartezimmer läuft. Da mal nicht verhaltensauffällig werden – es ist für mich manchmal ein wenig herausfordernd. Dabei gehe ich da nicht einmal als Patient hin. Nur als Begleitperson für einen anderen Menschen mit (noch) mehr Bedarf in dieser Richtung.

Hellgrüne Schrift an einer Fassade: Peace

Eine zweite Form dieser merkwürdigen und besonders verzehrtauglichen Langeweile kenne ich schon seit meiner Kindheit. Das ist die, welche sich einstellt, wenn ich abgedrehten Musik-Nerds zuhöre (fast immer sind sie männlich), die weit, weit über meine Interessen und Kenntnisse hinaus absurd verästelte, entlegene Fakten und Geschichtchen, schräges Spezialwissen und skurrile Sonderfälle aus dem Werden und Vergehen von Genre-Untergruppen, Stilrichtungen, Bands, Sängerinnen und Sängern detailreich und mit freakhafter Freude vor den Hörerinnen ausbreiten.

Derartiges habe ich schon aus meinem ersten eigenen Radio geliebt. Wenn da spätabends, als ich längst nicht mehr hören durfte, weil am nächsten Tag doch wieder früh Schule war, jemand etwa erzählte, wie der Drummer einer Band, von der ich nie gehört hatte, bei einer anderen Band, von der kein Mensch jemals gehört hatte, kurz mitgespielt hat und daher auf einem vergriffenen Album mit einem seltsamen Titel, den man sicher nie wieder im Leben hören wird, für 10 Sekunden gut zu erkennen ist. Mit nachfolgendem Soundbeispiel, an dem man als Laie nichts, aber auch gar nichts erkennen kann. Und ein Gesprächspartner in der Radiosendung stimmte dann freundlich zu, wusste aber selbstverständlich noch Weiteres und Besseres.

Dabei einzuschlafen – es war ein Traum. Heute noch höre ich manchmal Podcasts zur Musikgeschichte, die verdächtig weit über meinen Horizont hinausreichen, ohne mich lebhaft für ihren Inhalt zu interessieren.

Bei anderen Themen gibt es diesen netten Effekt aber nicht. Es muss schon Musikgeschichte sein oder Literatur, besonders die aus dem 19. Jhdt. Man ist doch, wenn man es sich so überlegt, immer noch ein wenig seltsamer, als man ohnehin schon von sich annimmt. Aber andererseits – Sie werden es ja sicher auch sein.

Meine aktuelle Eels-Phase kommt hier passend dazwischen, nicht wahr.

“You’re such a beautiful freak,
I wish there were more just like you
You’re not like all of the others.”


***

Einen Satz aber doch noch aus dem Henry Brulard, denn einen interessanten Satz findet man in fast jedem Buch. Diesmal eine kurze Passage, die Sie bitte mit den aktuellen Debatten über Arbeitszeiten, Fleiß und abendländische Werte in Verbindung bringen können. Stendhal beschreibt da einen Lehrer in der Jugendzeit der Titelfigur. Einen Abbé von zwar ausdrücklich minderen Kenntnissen und Begabungen, der aber auffällig gerne unterrichtete:

„Kurz, er war ein Mann, der täglich fünf bis sechs Stunden arbeitete – etwas Seltenes in der Provinz, wo man den ganzen Tag lang herumbummelt.“

***

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4 Kommentare

  1. Eels! Beautiful Freak! Danke für die Erinnerung, hab ich ewig nicht gehört. War das nicht das Album, bei dem der Vertretungstonmann bei der Aufnahme von…

  2. Diese Entspannungsmusik hat mich für alle Zeiten für Kosmetikstudios und ähnliche Wellness-Einrichtungen verdorben.

  3. Heute wohl eher: „Kurz, es war eine Person, die täglich fünf, sechs Stunden des Wachseins nicht arbeitete – etwas seltenes in der Welt, die immerzu Verfügbarkeit und Reaktion verlangte.

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