Mit Panoramablick und Rundflug

Ich hatte neulich in einem Text die Radiosendung über Overtourism in Südtirol verlinkt. Wo war denn das – hier. Die Sendung haben Sie vielleicht nicht gehört, sie war ja auch recht lang. Und überhaupt sind Links nach wie vor erfreulich freiwillig. Deswegen möchte ich zwei Aspekte, die dort benannt wurden, noch einmal separat wiedergeben.

Weil sie in mir erstaunlich lange nachklingen und weil sie mir dermaßen typisch für unsere Zeit erscheinen. Weil das auch der Herzdame auffiel und weil die beiden Aspekte ausgesprochen gesellschaftsromanhaft daherkommen. Also weil sie die Wirklichkeit dermaßen präzise und fokussiert darstellen, dass es unweigerlich seltsam ausgedacht wirkt.

Da war zum einen die Aussage eines Menschen von der Bergwacht. Der darauf hinwies, dass es „früher“ (vermutlich irgendwann v.C.) allgemein als peinlich empfunden wurde, auf einer Wanderung oder Klettertour die Bergwacht rufen zu müssen. Ein peinliches und schlimmes Versagen war es in jener unbestimmt damaligen Zeit. Sehr unangenehm für die Opfer, wie konnte das denn bloß passieren, eine Schande. Aber heute, so sagte er da, wird das Antretenlassen der Rettung als Plan B bei einem Ausflug billigend, wenn nicht sogar schon willig, in Kauf genommen.

Ich habe sofort und deutlich ein Bild dieser Menschen im Kopf, die so planen und kalkulieren. Ein Bild dieser Menschen, die ihre Bergtouren so angehen, dass sie sich denken, ach, wenn wir nicht mehr können, dann lassen wir uns eben retten. Was ist schon dabei, wozu sind die denn da, diese ach so edlen Retter. Irgendwer zahlt auch Steuern für die, da sollen sie ruhig mal was leisten für ihr Geld. Und weißte, dann sieht man vielleicht auch mal einen Hubschrauber von innen, wenn man da runtergeholt wird, wie stark ist das denn.

Solche Leute kenne ich, solche Leute habe ich schon erlebt. Nicht genau mit diesem Verhalten und Text, aber doch mit dieser Haltung und, wie sagt man heute, mit diesem Mindset. Ich könnte spontan einen Dialog schreiben, in dem so ein Typ, den ich mir auch problemlos weiblich vorstellen kann, später auf einer Party davon erzählt, wie er das in bemerkenswerter Coolness gedeichselt hat. Da oben auf diesem Berg, in jenem Sommer. Das ist aus meinen Erfahrungen leicht ableitbar und beschreibt einen gewissen Menschentypus unserer Zeit gut und treffend.

Die andere Stelle, die mir ebenfalls nicht mehr aus dem Kopf geht, bezog sich auf jemanden, der beruflich da oben im Gebirge Touristen auf Wanderungen begleitet.

Und der äußerst genervt davon war, dass gewisse Menschen mit viel Geld auf seinen Touren immer öfter lärmend um ihn herum und über ihn hinwegfliegen. Weil sie sich Rundflüge in allerlei Geräten leisten können. Und weil mittlerweile ein Rundflug nach dem anderen stattfindet, wo immer die Aussicht halbwegs nett ist. Das mit der Ruhe in den Bergen kann es auf diese Art dann dummerweise nicht mehr geben. Aber die da ganz oben immerhin, die haben es vielleicht noch schön leise in ihren sicherlich schallgedämmten Kabinen.

Auch bei diesem Fall kann ich mir die entsprechende Urlaubserzählung unangenehm plastisch vorstellen.

Und daneben ist es dann nur noch ein gesellschaftssatirischer Randaspekt, dass in allen Radiosendungen über Overtourism stets irgendwelche Menschen zu Wort kommen, direkt an den betroffenen Orten, die dort hingereist sind und an den überlaufenen Spots dann über die anderen reden, also über die Touristen, ohne jemals irgendeinen Bezug zu sich selbst herzustellen.

Aber man muss es wohl verstehen, denn die anderen, die sind immer so unangenehm viele. Und man selbst ist eben verlässlich nur man selbst, verbleibt einzeln und fällt also kaum auf und kann auch kaum etwas ausmachen. Man kommt schließlich nicht als Masse daher, das sind die um einen herum. So kognitiv dissonant wird es in etwa wohl sein.

Und ich habe es in diesem Jahr ausgesprochen leicht, darüber locker lästernd zu schreiben, denn ich habe nicht vor, in diesem Sommer zu reisen.

Wie ungemein befreiend, zumindest in dieser Hinsicht.

Kreideschrift auf dem Pflaster: Die grosse Freiheit

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Ein Kommentar

  1. Besser kann man overtourism wohl nicht ausdrücken:
    „die anderen, die sind immer so unangenehm viele. Und man selbst ist eben verlässlich nur man selbst“.
    Lol.

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