Ansonsten gibt es gleich mehrere frische Corona-Fälle im Umfeld. Und, aber das ist diesmal nur eine zufällige Gleichzeitigkeit, einen Elternabend, der digital stattfindet. Nanu!
Leichte Throwback-Wallungen wollen bei dieser äußerst unangenehmen Kombination dringend veratmet werden, merke ich, denn Verdrängung kann ein so überaus kostbares seelisches Gut sein. Beim Elternabend fällt dann das auffällige Wort „Verleihfeier“, welches sich auf das Abitur bezieht und mir mit einiger Sicherheit noch nie vorher begegnet ist. Verleihfeier. Seltsam. So hieß das damals bei uns nicht.
Aber wir hatten ja eh nichts. Nicht einmal dieses Wort, wie ich mit bebender Unterlippe feststellen muss.
In Hamburg gibt es übrigens durch die ungewöhnlich späten Sommerferien gerade das eventuell kürzeste Schulhalbjahr jemals. Zumindest haben jetzt mehrere Lehrkräfte erwähnt, dass sie sich an nichts Vergleichbares in ihrem Berufsleben erinnern können. Selbstverständlich werden dennoch alle Beteiligten genötigt, das übliche und also rappelvolle Programm in den deutlich knapperen Zeitraum zu pressen. Es war ein wenig erwartbar.
Nicht unerheblichen Stress wird das auslösen, zwei Arbeiten in jeder Woche werden geschrieben werden müssen und dergleichen. Sprechen Sie also die Jugendlichen und Kinder der Stadt in diesem Jahr besser nicht auf die besinnliche Vorweihnachtszeit an, wenn der Herbst vorangeschritten ist.
Sie werden dabei vielleicht ausfällig oder handgreiflich, und ich könnte es verstehen.
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Ich höre nach wie vor die „Madame Bovary“ von Meister Flaubert (Audiotheklink) und wundere mich nebenbei erst nur am Rand, dann aber immer mehr, dass es in all den Jahren seit dem Erscheinen des Buches noch niemanden gab, der das Buch noch einmal und aus der Sicht von Charles erzählt hat. Ich finde es dermaßen naheliegend.
Vielleicht gab es das aber auch längst und das Werk ging sang- und klanglos wieder unter, mag sein. Oder ich habe es einfach verpasst, weil es nicht bekannt genug geworden ist. Aber gut, neben Flaubert zu bestehen, das ist auch nicht die leichteste Übung im Literaturbetrieb.
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Und apropos Literaturbetrieb. Ich schreibe hier bekanntlich oft über die Bezüge zwischen der Realität und ihren mehr oder weniger passenden Abbildungen oder Verzeichnungen in Büchern, Filmen etc. Da kann ich auch einmal etwas Originelles ergänzen, das ich so vermutlich noch nicht hatte: Denn neulich war ich in den ersten drei, vier Minuten einer romantischen Komödie. Womit man doch nicht unbedingt rechnet, nicht wahr. Oder ich jedenfalls nicht.
Das fand statt in einer Buchhandlung, was zweifellos ein hervorragend gewählter Ort ist, um romantische Komödien beginnen zu lassen. Da hat man dann gleich und trotz der absehbar flachen Liebeshandlung im Rest des Films etwas Niveau signalisiert. Eine Buchhandlung in einem ausgeprägt woodyallenhaften New York wäre vielleicht eine noch bessere Wahl gewesen als die etwas trostlose Filiale einer großen deutschen Kette, in der ich war. Aber man muss nehmen, was einem die Gelegenheit zu bieten hat.
Da stand ich also vor einem Regal und suchte ziellos vor mich hin, was eine in diesem Zusammenhang selbstverständlich ungewöhnlich attraktive Frau neben mir auch gerade machte. Wobei ich das „äußerst attraktiv“ zunächst nur aus dem Augenwinkel feststellte, denn ich bin meist um Höflichkeit bemüht und starre keine Menschen auffällig an. Nicht einmal solche.
Wir griffen dann aber beide gleichzeitig nach einem ebenfalls attraktiven Buch, und unsere Hände hätten sich dabei berühren können. Wenige Zentimeter nur dazwischen, ach was, Millimeter nur, und dann ein nachfolgend ausgetauschtes Lächeln, zwei Lächeln also, schließlich sogar einige Sätze.
Solche Sätze, die sich auffällig leicht und gefällig ergänzten. Solche Sätze, bei denen ein für Hamburger Verhältnisse ungewohnt direkt nachfolgender Gedanke an einen Kaffee oder dergleichen, irgendwo gemeinsam getrunken und warum eigentlich nicht sofort, gar nicht mehr so abwegig schien. Sondern im Gegenteil verdächtig naheliegend, wie ungewohnt auch immer.
Solche Sätze auch, bei denen ich die allzu nahe liegende Frage, was ausgerechnet ich denn bitte in so einem Filmbeginn als männliche Hauptrolle verloren haben könnte, gerne noch etwas länger verdrängt hätte. Für einige ausgesprochen wohltuende Minuten wenigstens.
Bis ihre beiden kleinen Kinder und ihr Mann im Gewühl des vollen Ladens wieder zu ihr fanden und sie dann sofort anderweitig beschäftigt war, und das auch sehr. Aber für einen Moment …
Es ist dann auch einmal nett, so etwas, und das ist noch zurückhaltend ausgedrückt. Etwas anregender ist es auch, etwas belebender und deutlich stimmungsaufhellender als diese trostlosen Standardszenen in den ewigen Arthouse-Doku-Dramen, in die einen der Alltag sonst immer wieder unberbittlich hineinschreibt. Als könne man nur genau diese eine Rolle, so wie Pierre Brice für uns immer Winnetou war. Kann ich nur eine Rolle? Bin ich denn der Apache des Alltags?
Der wirft einem aber auch Fragen hin, dieser Alltag – schlimm.
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Wichtige Frage: Wenn es jetzt Verleihfeiern gibt, ist dann ein Feierverleih eine Geschäftsidee?
Ach, Herr Buddenbohm
Wie sehr ich Ihnen in all der alltäglichen Düsternis diesen beinah romantischen Moment gönne!
Mir fiel zu deinem #RomanzenRomanBeginn der schöne Satz ein: „Flirten ist das Spiel mit dem Feuer, ohne sich die Finger zu verbrennen.“
Ich bin eine bekennende Anhängerin davon, das Flirten an sich deutlich auszuweiten und dabei keine Zielgruppe zu haben. Also: fremden Personen aller Geschlechter/Alterstufen/etc. Komplimente zu machen. Oder ihnen, z. B. beim gemeinsamen Warten (woraufauchimmer), freundliche Gesprächsanfänge testweise zuzuwerfen …
Dann kann mensch dieses schöne Gefühl der Leichtigkeit und Verbundenheit, das du beschreibst, etwas häufiger als nur sehr gelegentlich haben.
Manchmal stelle ich mir vor, dass der Mensch, der immer diese Kreidebotschaften auf den Boden schreibt, auch mal hier in den Blog guckt und sich dann freut, wenn seine Kunstwerke hier eine zweite Verwendung finden.
sehr gerne gelesen.
und schönen tag noch!