Lektüre-Update: Die „Zeit der Unschuld“ von Edith Wharton (Perlentaucherlink) habe ich durchgelesen, das waren sinnvoll gefüllte Stunden. Das Buch hat, wenn Sie sich für so etwas interessieren, ein ausgesprochen feines Unhappy-End. Sehr durchdacht, sehr klug und so weise, so tugendsam auch, wie es im richtigen Leben wohl niemals zu erleben wäre. Aber es ist doch schön, davon zu lesen, denn wer immer strebend sich bemüht etc. Irgendwo muss die Motivation für diese ganze Chose hier auf Erden ja herkommen.
Von Edith Wharton also Weiteres vormerken und später lesen, da geht noch etwas.
Nun aber erst einmal auf dem Nachttisch ganz oben: „Orlando“ (Wikipedia-Link) von Virginia Woolf. Deutsch von Melanie Walz. Einer Online-Rezension entnehme ich diese Bewertung: „Ich habe mich gelangweilt und verstanden habe ich nichts.“
Wenn ich also beim Studieren dieses Werkes nur ein klein wenig verstehe, werde ich schon wieder einem anderen Menschen etwas voraushaben. Und das ist doch toll, in unserer so überaus konkurrenzorientierten Welt. Wir nennen es sportliches Lesen.
Oder so.
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Ich habe doch noch einen kleinen und vermutlich nun wirklich letzten Nachklapp zur abgelaufenen Reisesaison. Eine Verstärkung dessen ist es allerdings nur, was ich bereits mehrfach geschrieben habe und was Sie vermutlich auch längst denken. Warum nehme ich es dann hier auf? Weil Bestätigung manchmal auch guttut, versteht sich.
Einen Podcast hörte ich. Er bleibt unverlinkt, denn ich will mich keineswegs über den Menschen lustig machen, den ich gleich zitieren werde. Ich denke, dass er in einem gewissen Sinne mit seinem Denkfehler für uns alle steht und eine Art von gesellschaftlicher Fehlleistung abbildet, zu der wir also sämtlich neigen. Es ist daher egal, wer es genau war und in welcher Quelle, es ging in diesem Podcast auch gar nicht ums Reisen. Nur ein kurzes Nebenbei-Thema war das.
Da erwähnt jedenfalls jemand den geplanten Urlaub im nächsten Jahr. Er will in ein eher kleines europäisches Land reisen. Und recherchiert also rechtzeitig, was es da alles gibt. Vorher war er noch nie dort. Er sucht nach den Hotspots in diesem Land, was muss man unbedingt gesehen haben, was sind die absoluten Highlights.
Und dann sagt er, dass er das aber alles noch genauer nachlesen wird, wo er da hinwill, denn „das soll da ja nicht so touristisch überlaufen sein“. An diesen weithin bekannten Hotspots, die in jedem Reiseführer, auf allen Online-Travel-Portalen stehen und lebhaft empfohlen werden, zu denen er nun auch will.
Es beweist erneut, so denke ich jedenfalls, dass wir, wie intelligent und geistig sortiert auch immer wir sein mögen, offensichtlich einfach nicht in der Lage sind, uns selbst als Touristen wahrzunehmen. Touristen können kategorisch nur andere Menschen sein. Es gibt zu dem Begriff einfach keine passende Ich-Form. Le touriste, c’est ne pas moi, wie es ein berühmter französischer König selbstsicher formuliert hätte.
Touristen werden außerdem, auch das ist absolut regelhaft, stets mit zumindest einem Anklang von Abwertung wahrgenommen und geschildert, oft aber auch mit vernichtender Kritik und großer innerer Distanz. Von fast allen Menschen werden sie so geschildert, quer durch sämtliche Bildungs- und Sozialschichten. Und zwar selbst dann noch, wenn diese Menschen selbst gerade reisen und in einer langen Schlange vor irgendeinem Hotspot anstehen. Kommt in diesem Moment ein Mensch mit Mikro vorbei und befragt sie dazu, beschweren sie sich verlässlich über all die anderen. Auch das kam so in einem Podcast neulich vor, ich hörte die Interview-Ausschnitte.
Und ich finde das überaus faszinierend.
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„Orlando“ habe ich vor einigen Jahren gelesen als Pflichtlektüre für eine Fortbildung. Mir ging immer der Begriff „durchbeißen“ im Kopf herum. Ich fand die Konstruktion sehr interessant, ob ich etwas verstanden habe, weiß ich gar nicht. Auf jeden Fall lesenswert finde ich. Viel Erfolg und auch Vergnügen für Sie.
Gute Frage, wann man Tourist ist und wann nicht. Die Arroganz, den Tourismus pauschal abzulehnen, selbst keinesfalls ein Tourist sein zu wollen, finde ich etwas albern. Auch wie man reist hängt doch in erster Linie von den individuellen Gegebenheiten ab. Die Lust am Reisen und Erleben eint doch alle gleichermaßen.
Eine meiner inzwischen verstorbenen Tanten, ein „Fräulein“ dank ehemaliger persönlicher Lage (der Verlobte fiel im Krieg) sowie Gesetzeslage, hat mit Gesellschaftsreisen einen Grossteil dieser Welt gesehen, sie war Touristin aus Leidenschaft und hatte im wahrsten Sinne des Wortes einen weiten Horizont. Selten ist mir eine ähnlich tolerante Person begegnet. Auto fahren war ihr aufgrund körperlicher Einschränkung nicht möglich, aber vor Flügen war ihr nie bange.
Und ja, natürlich besuchte sie viele Hotspots der Welt.