Bei aufziehendem Sturm

„Es wird empfohlen, nur wirklich dringende Reisen anzutreten“, las ich am Freitagmorgen laut deklamierend aus den Nachrichten vor. Denn die gerade erst aufgewachte Herzdame gedachte, ausgerechnet bei anschwellendem Orkan nach Sylt zu reisen. Woran sie dann später prompt bereits in Altona vorerst scheiterte, was mich selbstverständlich an die ringelnatzschen Ameisen erinnerte. Ein sehr kurzes Gedicht, dessen abschließende Verse man sich gut fürs Leben merken kann. Sie passen recht oft:

„So will man oft und kann doch nicht

Und leistet dann recht gern Verzicht.“

Die Herzdame aber dachte als typische Nordostwestfälin nicht daran, von gefassten Plänen abzurücken. Sie schlug sich im Laufe des Tages vielmehr durch diverse Regionalverkehrsabenteuer selbstverständlich doch noch bis auf die Insel durch.

Ein Erlebnis, das bei mir vermutlich für zwei bis fünf Blogeinträge oder ein Buch gereicht hätte, aber ich zog an diesem Tag das Home-Office vor. In dem es dann gerechterweise auch stürmisch zuging, es zu etlichen Störungen im Betriebsablauf des Bürogeschehens kam, die nachfolgenden Calls sich entsprechend verspäteten und die Terminreservierungen aufgehoben wurden.

Man muss für so viele Erlebnisse sein Zimmer gar nicht erst verlassen.

Tretboote an einem Steg an der Außenalster, unter grauem Himmel bei aufziehenden Sturm

Wenn bei Ihnen übrigens ein Sturm aufziehen sollte, setzen Sie sich Kopfhörer auf und hören Sie Richard Hawleys „There’s a storm a comin‘“ als Soundtrack beim Spaziergang. Während die Äste an den Bäumen sich mehr und mehr bewegen, während die ersten Tropfen fallen, während den Passanten Regenschirme entrissen werden und es sich über Ihnen tiefschwarz zusammenschiebt. Ich kann das sehr empfehlen.

“There’s a storm a-comin‘, you’d better run
There’s a storm coming, goodbye to the sun
There’s a storm a-comin‘, you’d better run boy, run
You’d better run.”

Das Video hier als Link, nachfolgend eingebettet.

Wo war ich. Vorgelesen habe ich, genau, und zwar, wie bereits erwähnt, den Satz „Es wird empfohlen, nur wirklich dringende Reisen anzutreten“. Ein zufällig und zu ungewohnter Stunde dabeisitzender Sohn sah mich etwas entgeistert an, wirkte noch verstrahlter als sonst am frühen Morgen und bekam, wie er mir erst später erklärte, in seinem Kopf in mehreren Versuchen einfach nicht sortiert, ob er noch schlief oder nicht. Denn er hatte verstanden: „Es wird empfohlen, nur wirklich nette Reisende anzubeten.“

Diese Aussage schien ihm zum angenommenen Wachzustand nicht gut zu passen. Aber dafür, so sagte er, wirkte ich doch erstaunlich präsent, real und ganz in gewohnter Weise in diesem Moment. Wie ich da stand und in geradezu väterlicher, typisch belehrender Mission etwas vom Smartphone ablas.

Er hatte da vollkommen nachvollziehbare Probleme, denke ich. Und wenn er weiter intensiv über dergleichen nachdenkt, ist er auf dem besten Wege, nebenbei noch das luzide Träumen zu erlernen. Stets die Vorteile bei allem suchen, ich sage es ja immer wieder.

Denn es gehört nach den meisten mir bekannten Methoden zum verlässlichen Weg zu diesen besonders interessanten Träumen, über die Unterscheidungen zwischen Schlaferleben und Wirklichkeit ausreichend zu grübeln. Eine gute Richtung schlägt er da also ein, könnte man meinen, und auch auf dem Weg zum Klartraum, das könnte man ihm noch als Regel mitgeben, wonach mir als Vater tatsächlich jederzeit ist, sind sicher nur besonders nette Mitreisende anzubeten.

Kinder, wie isses schön. Womit der olle Kempowski hier nun vielleicht abgeschlossen hätte.

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