Die Weltoffenheit in Person

Die Kaltmamsell erwähnt hier einen Artikel in der SZ über „Kollektivitis“. Ich denke, es gibt da einen Zusammenhang mit den vorgestern von mir erwähnten vergurkten Prozessen. Man muss es gemeinsam betrachten, denn hinter jedem vergeigten Vorhaben stehen sicher viel Abstimmung und Absicherung. Mit einiger Wahrscheinlichkeit mehr denn je.

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Im Rahmen meiner am Sonntag befremdlich aufgelockerten Stimmung, ich berichtete, betrat ich einen Coffee-Shop und bestellte etwas, das ich noch nie bestellt hatte. Wie son spontaner Mensch, wie die Weltoffenheit in Person oder aber wie ein willenloser Konsument, der nach pawlowscher Manier auf das Spezialangebot der Woche anspringt. Man kann sich auch nicht immer im Griff haben.

Christmas-Latte jedenfalls, wozu man einerseits pubertäre Weihnachtswitze machen könnte. Wobei allerdings vielen Menschen mittlerweile vermutlich die assoziative Brücke zu „Warum liegen hier überall Tannennadeln herum?“ fehlt, aber das nur am Rande. Wenn Sie den Scherz nicht verstanden haben, erfreuen Sie sich bitte weiter Ihrer Jugend.

Andererseits kann ich es auch ernsthaft erklären, was das ist. Das ist hier immerhin eine serviceorientierte Veranstaltung, und Sie wollen das am Ende auch einmal trinken? Bitte sehr.

Christmas-Latte schmeckt, als hätte man ein Lebkuchenhaus aus dem Kinderzimmer entwendet, gemeinsam mit einem Schuss gemäßigten Espressos in heißer Milch püriert und dann sicherheitshalber noch reichlich nachgezuckert. Wobei man vermutlich, einer alten Internet-Tradition folgend, noch in Zauberermanier „Will it blend?“ gemurmelt hat. Wenn Sie auch diesen Scherz nicht verstanden haben … ach, egal (wir werden in den Seniorenheimen alle mit unseren albernen Meme-Erinnerungen in den Wahnsinn treiben).

Wie auch immer, es stellt sich heraus, dass man das tatsächlich trinken kann. Jedenfalls wenn es draußen sehr, sehr kalt ist und man in den nächsten drei, vier Stunden sicher kein anderes Essen bekommt.

In diesen Coffee-Shop ging ich eigentlich zum Zwecke der Entspannung. Nur um dann festzustellen, dass die Frau neben mir am Notebook lateinische Texte bearbeitete. Und ein Mann in der Nähe eine Partitur las, wobei er mit verhaltenen Gesten, aber doch gut sichtbar, ein imaginäres Orchester dirigierte. Eine Gruppe junger, wenn nicht sogar sehr junger Menschen diskutierte außerdem angeregt in englischer Sprache ein Projekt. Es fielen business-orientierte Fachvokabeln in großer Zahl. Von traditionellem Freizeitverhalten in meiner Nähe keine Spur.

Ich habe mir das alles eine Weile angesehen. Dann habe ich mein Notizbuch herausgeholt und nach Kräften „Ich bin Autor und skizziere künftige Kolumnen“ inszeniert. Man kennt es aus Tierfilmen, als Beobachter muss man sich immer ein wenig ans Umfeld anpassen, um nicht alles durch die eigene Präsenz zu versauen.

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Als Mensch mit Interesse an Stadtplanung und -entwicklung war ich außerdem wieder in dem neuen Rieseneinkaufsding am Hafen. Ich wollte dort nachsehen, wie die Weihnachtsdeko ausfällt. Alles mal vergleichen! Hier die olle Innenstadt, dort das shiny Einkaufszentrum. Diese Beobachtung fiel allerdings ernüchternd aus, denn man hat dort, nun ja, ein paar Lichterketten aufgehängt. Wenn der Dekorationsaufwand der Betreiber einen Bezug zum wirtschaftlichen Erfolg hat, ich würde ungefähr jetzt anfangen, mir Sorgen um die Zukunft dieses Standorts zu machen.

Blick auf das Westfielzentrum

Ich meine, ich habe hier Balkone in der Nachbarschaft, die wurden mit mehr Liebe und Aufwand dekoriert als die riesigen Hallen dort. Seltsam, seltsam.

Und nachdem ich jetzt dreimal und bewusst zu verschiedenen Zeiten sowohl dort als auch in den Fußgängerzonen ums Rathaus war, kann ich in Bezug auf die Besucherinnenmengen ein recht klares Ergebnis vermelden: Innenstadt versus Hafencity 3:0.

Aber schon klar, dieses Spiel ist noch lange nicht zu Ende.

Die Stahlglasstruktur der Station Elbbrücken (U-Bahn)

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Ein Kommentar

  1. Ich bin zwar alt genug für deine Referenzen, aber ich hab viel zu wenig Filme gesehen und viel zuviele Unterhaltungsromane gelesen.
    Ich dachte nur spontan an „Erna, der Baum nadelt“ …

    Zur Weihnachtsbeleuchtung: Die beste und allerpassendste Umsetzung, die mir deswegen zuverlässig jedes Mal ein auch von außen sichtbares Lächeln ins Gesicht zaubert, gibt es übrigens an der Reeperbahn. Ich habe mich soeben dagegen entschieden, hier zu spoilern. Wenn es irgendwas in Hamburg gibt, dass eins in der Vorweihnachtszeit selbst gesehen haben muss, dann das! (Am besten zur blauen Stunde, wenn es noch nicht ganz dunkel ist.)

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