Ein Ziehen zur analogen Seite hin

Wir machten vor den üblichen Ritualen mit Bescherung, Festessen etc. einen Spaziergang durch das Dorf und über den Friedhof, auch den Schwiegervater zu begrüßen, die Großeltern der Herzdame und andere, die schon vorgegangen sind. Am Grab eines jüngeren Menschen sah ich, und sicher sah ich so etwas zum ersten Mal, ein kleines Glas Nutella. Statt Blumen. Oder zusätzlich, das mag sein.

Es erinnerte mich etwas an das Denkmal für Johannes Paul II., das bei uns im kleinen Bahnhofsviertel neben der katholischen Kirche steht. Zu seinen Füßen werden oft Blumen abgelegt, teils erstaunlich üppig, manchmal aber auch verschiedene Lebensmittel. Wein und Sekt standen dort schon, Brötchentüten lagen da und waren durchaus kein Müll, sondern eher Geschenke. Sogar Tupperdosen lagen schon vor dem Sockel, mit irgendetwas darin, was jemand selbst zubereitet haben wird. Opfergaben, Liebesgaben. Vielleicht zur Bestechung, als Bittzauber voller Hoffnung oder auch aus reiner Zugewandtheit, aus frommer Liebe sogar. Aus einem Wunsch heraus jedenfalls, etwas geben zu wollen, schenken zu wollen.

Sofern es nicht gerade aus Angst geschieht, was sicher auch manchmal als Erklärung infrage kommen wird, kann man sich also einen Bezug zu Weihnachten denken. Es gibt eine Linie von den Geschenken unter dem Baum, also falls es bei Ihnen auch noch so altmodisch inszeniert wird, zu diesem kleinen Glas Nutella am Grab oder zu dem selbstgebackenen Kuchen vor dem Denkmal für den toten Papst. Es gibt eine Linie von der Liebe zu den Opfergaben. Diese Linie wird sehr, sehr alt sein, menschheitsalt vielleicht.

Kalt war es auf diesem Spaziergang, ungewohnt kalt, und es war schön, danach wieder im Haus zu sein. Wo eine Mittagsschlafkatze für mich bereitlag, schon warmgeschnurrt und mit halbgeschlossenen Augen, hinter denen sich ganz andere Sphären auftaten. Ein wunderbarer Service, den ich in Hamburg doch manchmal vermisse.

Eine liegende Katze mit einem auffälligen schwarzen Fleck auf der Nase

Ich bestaunte nach dem Nickerchen ein wenig die zurückgelassene Plattensammlung des Schwiegervaters. Ich blätterte sinnend und mich erinnernd durch die Alben, die einen ganzen Schrank füllen, und klein ist der nicht. Mit Bewegungen blätterte ich da, die ich lange nicht gemacht habe. Die nur noch der Freundeskreis Vinyl täglich erlebt, wir anderen aber längst nicht mehr. Ich sah mir einige Cover genauer an, ich freute mich auch wieder über Gemeinsamkeiten in etwas exotischeren Geschmacksbereichen (etwa bei Aphrodite’s Child) und auch über die angestrebte Vollständigkeit bei den Großen, etwa bei den Beatles oder bei Chuck Berry.

Platten aus der Sammlung des Schwiegervaters, George Rafferty, Jimi Hendrix, Best of Beat

Tage könnte man investieren, um sich einmal durch diese Sammlung zu hören, und eine verlockende Idee schien mir das zu sein. Platten auflegen und Lieder anspielen, ganz wie damals. Genauer lesen, was alles auf den Covern steht. Bilder ansehen. Aber der Plattenspieler ist längst nicht mehr angeschlossen, die Verkabelung der verbliebenen Geräte des Hifi-Enthusiasten ist ein vermutlich kaum zu lösendes Rätselwerk und die Zeit dafür habe ich ohnehin nicht. Aber so ein Ziehen zur analogen Seite hin spürte ich doch wieder, und etwas Schlechtes war das nicht.

Nebenbei stellte ich im Bereich des Digitalen fest, dass ich wieder einen Termin in Hamburg nicht rechtzeitig mitbekommen hatte. Immer wenn ich denke, jetzt habe ich mich dermaßen gründlich abgesichert, jetzt kann unmöglich noch etwas durchrutschen, wird mir prompt der Beweis für das Gegenteil auf dem Bildschirm angezeigt. Es hat manchmal etwas von digitaler Häme.

Zum Ausgleich habe ich umgehend Karten für Fortuna Ehrenfeld erworben, im März werden sie in Hamburg sein.

Ob das Leben sich bis dahin allerdings heavy tanzbar gestalten wird, es kommt mir durchaus weiterhin zweifelhaft vor, und das ist milde ausgedrückt. Aber man muss den Möglichkeiten immer etwas Raum lassen, das ist ebenfalls wichtig.

Und am Abend dann die Möglichkeit für sehr gutes Essen. So etwas hilft manchmal auch weiter, wie wir alle wissen. Tanz den Rosenkohl, wie man als Mensch murmeln könnte, der damals bei der Neuen Deutschen Welle dabei war.

Eine Schüssel mit geputztem Rosenkohl

 

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