Hüte, Bücher und Bandagen

Ich bin so reif, ich werde schon holzig.“ Bei Vanessa, hoffentlich bald bloggende Bürgermeisterin, ist wie immer alles lesenswert und dieses Zitat daher völlig unangemessen kurz. Aber hoffentlich ist es verlockend, einmal nachzusehen, in welchen Kontext es gehört.

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In Sachen feiner und feinster Literatur bin ich gerade bestens versorgt. Denn ich höre zum wiederholten Male die „Madame Bovary“ von Flaubert in der Audiothek. Es werden zu Beginn der Aufnahme allerdings weder die Übersetzerin oder der Übersetzer noch der Vorleser benannt, was ich für ein Unding halte.

Verfügbar ist das Hörbuch dort jedenfalls bis zum 22.5.2099. So steht es auf der Seite. Das sollte wohl für die meisten von uns reichen, nehme ich an. Ich werde vermutlich nicht dazu kommen, kurz vor Ablauf zu warnen, Sie müssen  das selbst vormerken. Den Genuss kann man sich bis dahin sicher gut einteilen. Es ist ein Buch, so habe ich es neulich erst in einem Podcast gehört, welches man mit ein paar Jahren Abstand wieder vollkommen anders liest. Das stimmt, ich kann es bestätigen. In meinem Fall vermutlich jedes Mal mit etwas mehr Bedauern, wenn es um den elenden Gatten geht, um die mediokre Gestalt des Charles Bovary.

Beim Wort „medioker“, ich sehe es nebenbei, gibt es drüben beim oft interessanten deutschen Wortschatz eine lange Reihe von bedeutungsverwandten Ausdrücken. Die könnte man sich ausdrucken, liebevoll ausschneiden und rund um den Spiegel im Bad kleben. Dann gehen die Tage gleich so los, dass man gut eingenordet ist, es könnte vor Selbstüberhöhung zuverlässig schützen. So wie Marc Aurel, das habe ich auch gerade irgendwo gehört, angeblich einen Diener hatte, der ihm, wenn es irgendwo Huldigungen gab, sofort „Du bist nur ein Mensch“ zuflüstern musste. Eine zweifellos sinnige Einrichtung, man sollte so etwas bei manchen Typen in Führungspositionen heute wieder in Betracht ziehen.

Sollte man aber eh schon schlecht drauf sein, wenn man vor den Spiegel tritt, kann man sich ja auf das rettende „Passabel“ konzentrieren oder auf das norddeutsch enthusiastisch lobende „Da kann man nicht meckern“.

Ich lese abends außerdem in Edith Wharton, „Zeit der Unschuld“ (Wikipedia dazu), Deutsch von Andrea Ott. Das ist eine andere Art von Literatur als der Flaubert, und es ist auch eine andere Art von Genuss. Aber entscheidend bleibt doch, dass es ein Genuss ist.

Es ist außerdem, wenn man die beiden Werke nebeneinander erlebt, ein guter Anlass, sich noch einmal bewusst zu machen, welch rettendes Element die Ironie bei tendenziell tödlich ernsten Themen sein kann. Man sollte sie regelmäßig und in üppigen Dosen zu sich nehmen.

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Der Hutladen um die Ecke bei uns hat ansonsten aufgegeben, sah ich neulich. Es hingen einige Tage lang noch die äußerst zeitgemäßen Beschwerdezettel der nun ehemaligen Inhaberin im leeren Schaufenster.

Zettel in einem leeren Schaufenster: "Online frisst Einzelhandel" sowie "Danke liebe Kunden für jahrelange Treue"

Außerdem ist der Buchhändler um die Ecke gerade verstorben. Den man vor Jahren schon durch drastische Mieterhöhungen aus seinem angestammten Geschäft in einen viel kleineren Laden verdrängt hat, der aber immerhin noch im Stadtteil war. Man weiß hier wohl noch nicht, wie es mit diesem kleinen Laden nun weitergehen wird. Oder zumindest habe ich es bisher nicht wahrgenommen.

Beim Haareschneiden höre ich, und es überrascht dann nicht mehr, dass der Salon, in den ich immer gehe, ebenfalls schließt. Der Salon, den ich gewiss nicht zu wechseln gedachte, denn ich hatte nach den Besuchen dort einen so verlässlich hohen Wiedererkennungswert im Spiegel.

Das Sanitätshaus ein paar Häuser weiter steht darüber hinaus schon seit Wochen leer, und abgesehen von dem Hutladen ist es ein Muster: Es verschwinden die Läden, die man irgendwie brauchbar und nützlich finden konnte.

Getauscht werden sie mit einiger Wahrscheinlichkeit jedes Mal gegen Läden, die im Tourismuskontext passend und gewinnträchtig wirken. Denn so geht es zu in den Szenevierteln, die in den Reiseführern und auf den Empfehlungsseiten im Internet stehen. Geschäftlich ist das alles verständlich und logisch, in den Einzelfällen sicher auch gut nachvollziehbar. Für die Anwohnerinnen ist es dennoch ein Problem. Wir unterscheiden uns da nicht von anderen touristischen Brennpunkten. auch wenn der Blick aus etlichen Fenstern hier nicht ganz so attraktiv ist wie in Venedig oder Dubrovnik.

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Bei der Kaltmamsell notierte ich mir den letzten Satz dieses Postings zur späteren beruflichen Verwendung. Manchmal brauche ich solche Sätze, vielen Dank.

Neulich habe ich aber auch aus den sozialen Medien einen Satz gerne mitgenommen, genauer aus einem Posting der Fledermaus auf Bluesky: „Aus strukturellen Defiziten sollten keine individuellen Optimierungsaufträge werden.

Es gibt ab und zu Zitate, da kann man es wirklich kaum abwarten, sie im Büro anbringen zu können.

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Sie können hier Geld in die virtuelle Version des Hutes werfen. Herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch. Die Daten dazu finden Sie hier. Und wer mehr für Dinge ist: Es gibt auch einen Wunschzettel.

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2 Kommentare

  1. In dieser Stadt hier werden solche leerstehenden Geschäfte schnell zu Barborshops oder Tattoostudios, Imbissen oder chinesischem Plastikkram. Alles was so wirklich dringend gebraucht wird.

  2. Wobei ich die verwegene These aufstellen würde, dass ein Hutgeschäft schon seit Jahrzehnten nicht mehr von der Nachbarschaft leben konnte und vor allem auf weiter Reisende Kundschaft setzte.

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