Den Schimmelreiter von Storm habe ich wieder einmal durchgehört und entschieden genossen. Danach ging ich zum schon lange eingeplanten Schließen einer klaffenden Bildungslücke über: Gösta Berling (Wikipedialink) von Selma Lagerlöf aus dem Jahr 1891. Es ist gerade erfreulicherweise in der ARD-Audiothek verfügbar, gelesen von Anja Gawlick.
Dieses etwas märchenhafte Ekeby, auf dem ein Großteil der Handlung ihres ersten Romans spielt, es passt mir ausgezeichnet hinter meine gestrigen Anmerkungen zum Stadtpalais, es fügt sich also wieder.
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In dem Buch auf dem Nachttisch aber, in dem, das aktuell ganz oben auf dem stets bedenklich hohen Stapel liegt, in Virginia Woolfs Orlando, kam ich kaum weiter. Wenig mehr als die ersten 50 Seiten habe ich geschafft, obwohl die durchaus interessant waren. Schon wegen der Beschreibung der Winterkälte und des Frostes, der ganz England vereist. Das gibt es heute kaum noch, das kann man also ruhig einmal nachlesen.
Nein, es lag nicht am Buch, es lag an mir. Und es lag (der Autor zeigt mit dem Finger vage auf alles) an der Gesamtsituation. Mit der auch nur ansatzweise zufrieden zu sein mir weiterhin kaum einfallen kann. Zu müde bin ich am Abend, zu unkonzentriert und geistig zu zerfleddert und verbraucht. Zu sehr mit meiner längst chronifizierten Unzufriedenheit beschäftigt, vor allem zu sehr mit zu vielen eher unschönen Themen. Es wäre Zeit, aus der Nummer herauszukommen, aber ich suche noch nach dem Weg.
Manchmal dauert es allerdings etwas länger, man kennt es auch aus mehrbändigen Romanen und von Serien mit zu vielen Staffeln.
Das Gute daran – es soll ja ungemein nützlich sein, stets noch etwas Gutes zu finden – scheint mir dabei, dass ich mit großer Sicherheit bereit bin, ein bescheiden anmutendes, eher stilles, unspektakuläres Freizeit- oder auch Alltags-Setting als angenehm zu empfinden. Also im Gegensatz zur drohenden FOMO und den damit verbundenen Problemen, die ebenso möglich, denkbar und auch nicht unwahrscheinlich wären. Vermutlich in jeder Altersphase, besonders aber in meiner.
(Zu dem Abkürzungswirrwar um FOMO, JOMO etc. gehört übrigens auch MOMO, sehe ich gerade, das kannte ich nicht. Mystery of Missing Out: Das Gefühl, etwas zu verpassen, ohne zu wissen, was es ist. Etwa weil andere nichts mehr über ihr vermeintlich tolles Erleben in den sozialen Medien teilen. Das ist ein sehr schönes Beispiel für Probleme, auf die ich noch nicht einmal ansatzweise gekommen bin. Aber das nur am Rande.)
Ich könne mich schließlich auch, wie ich es bei einigen aus meiner Generation tatsächlich gerade erlebe, kurz vor dem Eintritt ins nächste und deutlich rentnerhaft klingende Lebensjahrzehnt intensiv mit all dem vermeintlich Verpassten beschäftigen. Mit der ominösen Bucket-List also. Mit all dem aus irgendwelchen Gründen ernsthaft noch bei zureichender Gesundheit Nachzuholenden, mit vorletzten Neuanfängen auch noch. Überhaupt mit dem Ausfüllen irgendeiner zumindest gefühlten, drohenden Leere.
Es wäre nicht abwegig, die Gedanken als einigermaßen trainierter Overthinker nahezu permanent um derlei Leerstellen kreisen zu lassen, nehme ich an.
Ich aber möchte hier einfach nur sitzen. Gerne mit einer kleinen Abwandlung des berühmten Rezeptes vom Hausarzt Friedrich Grabow, welches Thomas Manns ihn der anderen Familie mit Budden- vorne mehrfach empfehlen ließ: „Etwas Täubchen, etwas Franzbrot“. Ich würde ab und zu gerne noch „etwas Konzert, etwas Kammerspiel“ zu mir nehmen wollen.
In einem nicht unwichtigen Sinne scheint mir das eine vorteilhafte, am Ende auch Geld und Energie sparende Haltung zu sein.
Aber auch dies ist unterm Strich nur ein weiteres Kapitelchen in der schier endlos wirkenden Reihe: Man muss es sich alles passend zurechtbiegen.
Mittlerweile übrigens sind es mindestens drei Menschen, die hier meist nachts auf dem Pflaster schreibe. Es scheint eine spezielle, hochinteressante Form der Stadtteilalltagskultur zu werden und wirkt schon recht selbstverständlich: Morgens nachsehen gehen, was draußen am Fußweg wieder dransteht.
Und dann kann man es deuten und auf seinen Tag anwenden oder auch nicht, nach Belieben.
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