Afk

Aus undramatischen und banalen, aber doch unumgänglichen Gründen erscheint der nächste Text hier erst Richtung Wochenende.

Der Mensch, der bei uns im Stadtteil seit einiger Zeit nächtlich in steter Fleißarbeit mit Kreide auf dem Pflaster schreibt, versorgt mich mittlerweile übrigens mit Textschnipseln für alle Lebenslagen, auch für diese:

Kreideschrift auf dem Pflaster: "Weggucken"

Themen bedienen

Wenn das Internet ein guter Ort ist. Das kommt dabei heraus, wenn man hier und da phasenweise nicht mitliest und sich ein wenig ausklinkt. Mir ist diese ganze Aktion komplett entgangen. Schlimm.

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Auf einer Party erhalten die Herzdame und ich ansonsten ein freundliches Smalltalk-Update von einem Paar, das schon von hier weggezogen ist und das vielleicht damit im Trend liegt. Es könnte sich so andeuten. Raus aus dem kleinen Bahnhofsviertel also, wegen der irrsinnig hohen Mieten, wegen der vielen Junkies und überhaupt wegen der galoppierenden und im Moment unaufhaltsam wirkenden Verelendung. Auch wegen der sommerlichen Touristenmassen, die überall im Weg stehen. Was für eine absonderliche Mischung diese Zusammenstellung ist, aber so ist nun einmal die Lage hier.

Bei Uwe Johnson, habe ich gestern gesehen, nein, gehört, heißen die New Yorker Junkies, die er in seinen Jahrestagen am Rande vorkommen lässt, „Rauschkranke“. Ein deutlich freundlicherer Begriff als Junkies.

Es gibt diese Jahrestage als Hörbuch, gelesen von Caren Miosga und Charly Hübner, es sind allerdings gesamt beeindruckende 74 eingelesene Stunden. Ich werde da in der Leihfrist von 14 Tagen sicher nicht durchkommen können, es scheint vollkommen unmöglich. Aber egal.

Ich werde es später fortsetzen, wenn mir das Buch wieder einmal über den Weg läuft und für mich frei ist. Denn die öffentlichen Bibliotheken müssen immer noch technisch so tun, als seien die Dateien der Hörbücher im Streaming einzelne „Exemplare“, wie früher, als man noch alles anfassen und in Regale stellen konnte. Digitalisierung, aber irgendwie negativ gedacht: Lass mal einfach die Nachteile und Begrenzungen von heute auf die neue Technik von morgen übertragen. Wofür die Bibliotheken aber nichts können, sie haben das nicht verursacht.

Auf einem Zaunteil steht "Hier ist Kultur", jemand hat handschriftlich ergänzt: "Leckmeinereier", so geschrieben

Da jedenfalls auch einmal drüber nachdenken, über dieses Wegziehen in einen besinnlicheren Stadtteil. Aber was soll man noch alles tun und wo finde ich es schon besinnlich. Und überhaupt andere Stadtteile, da möchte man doch gleich den Kopf schütteln und lieber erst einmal abwinken.

Zum Herbst hin wird immerhin meine Bürozeit in dirty old Hammerbrook ein Ende finden. Ein anderer Stadtteil wird dann öfter eine Rolle spielen, neue Bilder vom Arbeitsweg wird es hier geben und das Thema Wechsel wird damit in diesem Jahr schon ausreichend bedient werden können. Denke ich mir und lege das Thema vorerst wieder ab.

Eines nach dem anderen.

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Musik, Mauersegler und munteres Lachen

An einem Wochenendmorgen die schrillen Schreie der ungewöhnlich tief jagenden Mauersegler über dem Spielplatz. Laut ihres Wikipedia-Eintrags rufen sie „sprieh“, „srriü“ oder „sisisisi“. Der letzte Ruf erinnert vielleicht etwas an italienische Sprachkursdialogbeispiele.

Wie immer freue ich mich über diese seltsam schönen Wörter, mit denen die Vogelsprache so kunstvoll dargestellt wird, wundere mich dann aber viel zu lange, wie man denn bloß auf das p in „sprieh“ gekommen sein kann. Ich gehe ans Fenster, ich höre noch einmal hinaus, ich erkenne kein p. Aber was weiß ich schon, am Ende ist mein Ohr nur nicht geschult genug.

Räumlich unter den Mauerseglern, aber geräuschmäßig doch genau gleichauf, ist Flohmarkt auf dem Spielplatz. Eltern verkaufen an improvisierten Ständen oder auf Wolldecken im Sand Spielzeug und Kleidung an andere Eltern. Früher, als die Teenager noch handlich waren und nicht über uns hinweggucken konnten, haben wir das dort auch gemacht. Wir haben all das Zubehör nach und nach rund durch den ganzen Stadtteil getauscht und gehandelt, und manchmal kamen Dinge nach ein, zwei Runden sogar wieder.

Kreideschrift auf dem Pflaster: "Hallo", daneben ein gemaltes Bümchen

Stimmengewirr und das helle Lachen der Kinder. Ein ausgesprochen munteres Lachen, unbeschwert klingt das. So lachen Erwachsene nicht mehr, fällt mir nebenbei auf, oder zumindest nicht so laut und meist nicht ohne Hilfsmittel, siehe dazu etwa Aperol und anderes auf den Tischen vor den Lokalen ein paar Meter weiter, gleich hinter der Kirche.

Die Sonne scheint an diesem Morgen. Es ist warm und die Kirchentüren stehen weit auf. Auch die Orgel hört man dadurch zwischendurch, an- und abschwellende Melodienbögen. Manchmal werden sie sacht verweht, meist sind sie mit dem Lachen der Kinder, dem Reden der Eltern und dem Rufen der Vögel verwoben.

Wenn wir älter werden und hier einmal nicht mehr wohnen sollten, können wir uns an so etwas erinnern und es wird dann sicher seltsam romantisch klingen: Mauersegler, Musik und munteres Lachen. Obwohl mir jetzt, in dem Moment, in dem ich dies akribisch notiere, nicht einmal ansatzweise romantisch zumute ist. Es fällt mir nur gerade auf, was zu hören ist, in aller Sachlichkeit.

Eine Krankenwagensirene schneidet jäh aufjaulend durch diese Geräuschkulisse. Die Köpfe auf dem Spielplatz drehen sich kurz und in schön synchroner Bewegung dem blinkenden Blaulicht nach: Man sieht nach, wo das wohl halten wird. Am Ende kennt man jemanden in dem Haus. Das könnte ja sein, es ist ein sehr kleiner Stadtteil. Aber dann biegt der Wagen schon um die Ecke und ist weg.

Wie auch die Mauersegler. Die werden erst am späteren Abend für einige abschließende Kreise über dem dann menschenleeren Spielplatz wiederkommen und die letzten Fliegen und Mücken abräumen. So lange werden sie woanders jagen, ich weiß nicht wo. Nie habe ich gesehen, wohin sie von hier aus verschwinden, nie habe ich gesehen, woher sie wiederkommen. Man hört sie, man hört sie nicht. Immer sind sie einfach irgendwann weg, irgendwann wieder da.

Wie die Sommererinnerungen aus vergangenen Jahren. Erinnerungen an was weiß ich, an so etwas wie heranwehende Kirchenmusik vielleicht, an Stimmengewirr vom Spielplatz oder an dieses muntere Lachen von den Schaukeln.

Munterer jedenfalls, als es einem beim Erinnern dann meist zumute ist.

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Für eine Handvoll Links

Zwischendurch war ich etwas krank und unerwartet wenig denkfähig.  Eine Art Sommergrippe im Expressdurchlauf, wie im Zeitraffer erlebt und dadurch heftiger als gewohnt.

Das war eine gute Gelegenheit, schon etwas ältere und längere Musik-Podcasts der weniger nerdigen Art zu hören. Dazu dienten mir mehrere Folgen von „Der Soundtrack meines Lebens“, in welchen prominente Standardsympathen, was ich nicht so abfällig meine, wie es vielleicht klingt, über die Musik in ihrem Leben reden.

Ich hörte (bitte bei Interesse in der eigenen Podcast-App suchen, ich fand keine vernünftigen Links):

Markus Kavka

Robert Stadlober

Charly Hübner

Michael Mittermeier

Nils Bokelberg

Ich habe dazu aufgrund der oben erwähnten Einschränkung im Denkvermögen keine geistreichen Anmerkungen zu machen. Es kam mir nur am Rande meines etwas verdämmerten und gedämpften Bewusstseins so vor, als sei dieses Format der musikalischen Lebenserzählung eine besonders interessante Art, die Geschichten der Politik und die der Kultur, die der soziologischen Entwicklung und auch die der Technik zu verknüpfen.

Und wie es bei solchen Erzählungen nicht anders zu erwarten ist – man kann hier und da selbstverständlich anlegen, man hat dieses und jenes auch so oder ähnlich erlebt und gehört, mitgesungen, mitgemacht etc. Und das ist manchmal auch nett.

Menschen sitzen am Anleger Jungfernstieg, im Hintergrund die Binnenalster mit der Fontäne

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Zwei Zitate zum Songschreiben oder zum Schreiben an sich bei Ligne Claire. Ich kann mich dem Kommentar darunter anschließen.

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Creezy empfahl hier ein Blog mit hoher Textfrequenz über Kunst und Kultur, das gebe ich gerne weiter. Weiterbildung und feuilletonistische Hinweise in einem Format, welches man auch bei Zeitmangel gerade noch konsumieren kann. Etwa hier, in dem Text über den MacGuffin – den Begriff kannte ich noch nicht. Siehe dazu aber auch Tschechows Gewehr im gleichen Blog.

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Hauswände in Boulogne-sur-Mer. Da war ich sogar schon einmal! Wenn auch in einer Zeit, die sich wie ein anderes Leben anfühlt. Dabei war es nur eine andere Ehe, aber man kennt es aus Romanen – so etwas fühlt sich hinterher wie ein früherer Band der eigenen Biographie an. Das war jedenfalls da, wo sich unser damaliger Hund am Strand in reichlich totem, fortgeschritten verwestem Fisch gewälzt hat. Es war ein großer, stämmiger, schwerer und langhaariger Hund. Das ergab eines dieser seltsamen Probleme, die einen ganzen Urlaubstag kosten, während man immer verzweifelter versucht, es zu lösen.

Es war auch da, wo das Hotelzimmer erstens winzig war und zweitens schwarz gestrichene Wände und Möbel hatte. Eine seltsam deprimierende Wahl für einen Urlaubsort. Ein schwarzes Loch, das dann intensiv nach totem Fisch stank. Es war nicht unsere schönste Nacht.

Ja, man macht etwas mit. Und man hat auch, wenn man zurückdenkt, immer schon etwas mitgemacht.

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Der Fernsehkrimi als autoritäre Mustererzählung

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Gehört: Ein WDR-Zeitzeichen über Charles Goodyear: Gummi, Glanz und Elend. (15 Min).

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Da ich ihn neulich schon erwähnt hatte, fing ich wieder ein Hörbuch von ihm an, von dem Herrn von Keyserling nämlich. Von dem baltischen Herrn mit dem Vorzugsdeutsch in der Extra-Edelausführung also. „Seine Liebeserfahrung“ (Wikipedia dazu), eine Erzählung von 1906, fand ich in der App der öffentlichen Bibliotheken, und zwar gelesen von Peter Matic (Wikipedia zu ihm).

Den mag ich als Vorleser sehr, allerdings ist er einer der wenigen Fälle, bei denen ich beim Hören der Stimme umgehend und zwingend an seinen Job als Synchronsprecher denken muss und daher stets Ben Kingsley bei allem vor mir sehe, was da geschildert wird.

Aber Ben Kingsley ist so gut, versteht sich, den kann man sich problemlos in viele Rollen hineindenken. Auch in den hier erzählenden Liebhaber ohne Fortune, es passt schon.

Das Buch kenne ich bereits, wie vermutlich mittlerweile alles von Keyserling. So viel ist es auch gar nicht, er schrieb ein überschaubares Werk.

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Gesehen: Walther Zieglers Camus in 60 Minuten. Sicher ein gekonnter und erhellender Vortrag, er macht das wirklich gut, aber ich bleibe auch im xten Anlauf dabei: Mit Camus werde ich nicht warm. Und es wäre, haha, eine wahre Sisyphos-Aufgabe, mit dem Bemühen um eine Annäherung noch einmal anzufangen.

Außerdem sah ich, wiederum von Herrn Ziegler, die Folge über Buddha. Deutlich zugänglicher als Camus für mich, aber das wird verschieden ausfallen.

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Einige Anmerkungen zu Stendhal, zum Edelschimmel und auch zu Arbeitszeiten

Das zuletzt begonnene Hörbuch, „Das Leben des Henry Brulard“ von Stendhal ist etwas langweilig. Ich kann einige positive Beschreibungen dazu, die ich online finde, nicht recht nachvollziehen,  höre es aber weiter und auch bis zum Ende. Aus einem Grund, der vielleicht seltsam anmutet: Ich finde es erstaunlich entspannend, mich bei vorgelesenen Texten aus dem vorigen Jahrhundert und dem davor zu langweilen.

Also ich lasse mich von denen, verstehen Sie mich nicht falsch, auch gerne bestens unterhalten, belehren oder amüsieren. Wenn der Inhalt denn entsprechend vorgestellt und ausgebreitet wird. Aber ich finde in manchen dieser Bücher, die, wenn ich sie nicht als Hörbücher konsumieren würde, sondern etwa in einem Antiquariat finden würde, sicher alte, stockfleckige, angestoßene, ledergebundene Schwarten wären, eine anziehende Art von sympathischer Edellangeweile.

Ja, genau so fühlt es sich an. Etwa wie Edelschimmel beim Käse. Bei dem auch etwas eigentlich Schlimmes durch eine seltsame Drehung der Deutung den kundigen Konsumentinnen schmackhaft vorkommt, merkwürdig willkommen und sogar teuer ist.

Ich mag diese sehr spezielle Form der Ödnis jedenfalls, sie beruhigt mich.

Es gibt, wie hier und da erwähnt, gar nicht so vieles, was mich beruhigt. Ich bekomme etwa beim Hören von ausdrücklich beruhigend gemeinter Musik eher Lust auf Kettensägenmassaker als auf Besinnlichkeit. Was für mich übrigens zu Problemen in einer bestimmten psychologischen Praxis führt, in der dieses Wellness-Klangschalen-Walbrunst-Hotelbarpiano-Tibetgong-Zeug verlässlich im Wartezimmer läuft. Da mal nicht verhaltensauffällig werden – es ist für mich manchmal ein wenig herausfordernd. Dabei gehe ich da nicht einmal als Patient hin. Nur als Begleitperson für einen anderen Menschen mit (noch) mehr Bedarf in dieser Richtung.

Hellgrüne Schrift an einer Fassade: Peace

Eine zweite Form dieser merkwürdigen und besonders verzehrtauglichen Langeweile kenne ich schon seit meiner Kindheit. Das ist die, welche sich einstellt, wenn ich abgedrehten Musik-Nerds zuhöre (fast immer sind sie männlich), die weit, weit über meine Interessen und Kenntnisse hinaus absurd verästelte, entlegene Fakten und Geschichtchen, schräges Spezialwissen und skurrile Sonderfälle aus dem Werden und Vergehen von Genre-Untergruppen, Stilrichtungen, Bands, Sängerinnen und Sängern detailreich und mit freakhafter Freude vor den Hörerinnen ausbreiten.

Derartiges habe ich schon aus meinem ersten eigenen Radio geliebt. Wenn da spätabends, als ich längst nicht mehr hören durfte, weil am nächsten Tag doch wieder früh Schule war, jemand etwa erzählte, wie der Drummer einer Band, von der ich nie gehört hatte, bei einer anderen Band, von der kein Mensch jemals gehört hatte, kurz mitgespielt hat und daher auf einem vergriffenen Album mit einem seltsamen Titel, den man sicher nie wieder im Leben hören wird, für 10 Sekunden gut zu erkennen ist. Mit nachfolgendem Soundbeispiel, an dem man als Laie nichts, aber auch gar nichts erkennen kann. Und ein Gesprächspartner in der Radiosendung stimmte dann freundlich zu, wusste aber selbstverständlich noch Weiteres und Besseres.

Dabei einzuschlafen – es war ein Traum. Heute noch höre ich manchmal Podcasts zur Musikgeschichte, die verdächtig weit über meinen Horizont hinausreichen, ohne mich lebhaft für ihren Inhalt zu interessieren.

Bei anderen Themen gibt es diesen netten Effekt aber nicht. Es muss schon Musikgeschichte sein oder Literatur, besonders die aus dem 19. Jhdt. Man ist doch, wenn man es sich so überlegt, immer noch ein wenig seltsamer, als man ohnehin schon von sich annimmt. Aber andererseits – Sie werden es ja sicher auch sein.

Meine aktuelle Eels-Phase kommt hier passend dazwischen, nicht wahr.

“You’re such a beautiful freak,
I wish there were more just like you
You’re not like all of the others.”


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Einen Satz aber doch noch aus dem Henry Brulard, denn einen interessanten Satz findet man in fast jedem Buch. Diesmal eine kurze Passage, die Sie bitte mit den aktuellen Debatten über Arbeitszeiten, Fleiß und abendländische Werte in Verbindung bringen können. Stendhal beschreibt da einen Lehrer in der Jugendzeit der Titelfigur. Einen Abbé von zwar ausdrücklich minderen Kenntnissen und Begabungen, der aber auffällig gerne unterrichtete:

„Kurz, er war ein Mann, der täglich fünf bis sechs Stunden arbeitete – etwas Seltenes in der Provinz, wo man den ganzen Tag lang herumbummelt.“

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Was wir nicht verstehen

Ich habe die „Lichtjahre“ von James Salter durchgelesen. Ich hatte das Vergehen der Zeit im Roman bereits erwähnt, und da es um eine Ehe und eine Familie geht, bringt dieses Vergehen der Zeit es mit sich, dass nicht alle Personen lebend auf der letzten Seite des Buches ankommen. Was nicht bemerkenswert wäre, hätte es mich in diesem Fall nicht gerührt. Und das ist eine Gefühlsregung, der ich beim Lesen von Romanen sonst eher nicht zuneige. Ich rechne es dem Salter also hoch an, hier irgendetwas anders als andere gemacht zu haben. Ein außergewöhnliches Bemerknis.

Um halbwegs im Genre, in der Richtung und Stimmung zu bleiben, lese ich gleich den nächsten eher dicken Band, und zwar „Die Interessanten“ von Meg Wolitzer, Deutsch von Werner Löcher-Lawrence. Hier Perlentaucher, hier Wikipedia, und wiederum ist es ein Werk mit einem einladenden Anfang.

Der Sommerurlaub wird allerdings gleich noch etwas dringlicher, wenn ich gerade eine Neigung zu dicken Romanen entwickeln sollte. Schlimm.

***

Zur allgemeinen Aufheiterung habe ich zwischendurch einige Folgen von Kranitz gesehen. Deutscher Komödienstoff ist das, ein Improvisationsformat sogar, und ich habe tatsächlich gelacht und bin nicht vor Fremdscham fast eingegangen. Mehr Lob geht für dergleichen kaum.

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Wir nähern uns ansonsten der Phase, in der es bei der Jugend im eigenen Haushalt, bei deren Freunden und auch bei deren Eltern nun öfter um die Möglichkeiten nach der Schule geht. Und ich stellte fest, dass eine der Vorhersagen, die mir dazu seit Jahren gemacht worden sind, prompt eintraf. Eine dieser scherzhaften Drohungen meine ich, als nämlich vor einiger Zeit jemand sagte, dass sie, also die Kinder, dann vielleicht irgendetwas studieren oder auf andere Art lernen werden, „was wir nicht einmal verstehen“. Wobei man sich das „wir“ als einen ausgeprägt boomerhaften Kollektivbegriff vorstellen muss.

Eine einfache Definition für Boomer übrigens, abseits von Geburtsjahrgängen, eher am Mindset ausgerichtet, so las ich neulich: Alle, die zum Computer noch Rechner sagen. So stellt es sich aus Sicht der Jüngeren dar, stand da, und ich fühlte mich angesprochen.

Gestern las ich jedenfalls zum ersten Mal ein paar Studiengänge nach, um für den etwaigen Smalltalk mit den Söhnen zum Thema streberhaft gewappnet zu sein, und es stimmt. Es gibt Ausbildungsvarianten, da lese ich die Überschrift und habe keinen Schimmer, was denn damit bloß gemeint sein könnte. Auch bei diesem Thema nämlich fällt man allmählich aus der Zeit.

Oder ist schon längst gefallen und hat es nur nicht gemerkt, weil man sich „am Rechner“ um andere Themen gekümmert hat.

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Man ist selbst der Freak geworden.“

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One of those days

Wenn Blogger verschwinden

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Es gibt neue, nostalgieverstärkende Musik für den Freundeskreis des schönen und beruhigenden Themas „Musikgeschichte und die milden Melodien alter Männer“. Aber kein Spott, ich mag den Inhalt dieser Schublade ausdrücklich und es gehört für mich zu den Maßnahmen der Lebenserleichterung, dergleichen zu hören.

Blixa Bargeld und Nikko Weidemann haben ein Album „Blixa Bargeld sings Bowie“ herausgebracht. Mit englischen und teils auch mit deutschen Texten.

Beispiele wie folgend:

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Außerdem gehört: Eine kurze Radiosendung über den neu herausgekommenen Briefwechsel Ingeborg Bachmann  – Heinrich Böll. 20 Min.

Ein Zeitzeichen über den Baader-Meinhof-Prozess: Showdown zwischen Staat und RAF.

Und noch ein weiteres Zeitzeichen, über die Nazis auf den Kanalinseln: Die vergessene Besetzung.

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Ansonsten viel Kümmern und Koordinieren, Küche und Klagen auf hohem Niveau. Die Tage vergehen ob der Fülle an Aufgaben und Themen schnell, aber unbefriedigend und unfrei, siehe dazu auch wieder das Nietzsche-Zitat neulich.

In einer überregionalen Zeitung gibt es einen Artikel über den drogenbedingten Niedergang dieses Stadtteils. Ich sehe nur die Überschrift, der Großteil des Textes liegt hinter einer Paywall, dürfte mich aber inhaltlich kaum überraschen.  Ich bin dauerhaft vor Ort, ich bekomme es mit. Und schön ist es nicht, dies mitzubekommen.

Es ist dann wieder einer der sogenannten Zufälle, dass ausgerechnet an dem Tag, an dem ich auf diesen Artikel stoße, ein Rekord gebrochen wird: Sieben, und zwar nicht auf einen Streich, aber in einer Straße.

Sieben zombiehaft heruntergekommene Drogenopfer kommen mir da auf meinem frühen Morgenspaziergang entgegen, und nur sie, sonst niemand. Alle mindestens leicht irren Blickes, wenn nicht mit einem schon als panisch zu bezeichnenden Ausdruck um die Augen. Als sähen sie nicht mich auf sie zukommen, sondern so etwas wie Mumien, Monstren, Mutationen.

Abgerissene Typen. Taumelnd, zitternd und teils kaum verständlich brabbelnd. Vielleicht fluchend, vielleicht bettelnd, vielleicht irgendetwas oder auch irgendwen weiter oben beschwörend. Ich weiß es nicht, ich kann es nicht verstehen.

Beschwörungen werden es jedenfalls sein, die für viele von ihnen ohne erfreuliches Ergebnis bleiben werden, denn es gibt für eine ungeheuerliche Quote der Drogenopfer keinerlei Rettung. Schon gar nicht, wenn es um Crack geht.

Sie haben sich vermutlich alle gerade erst aus Hauseingängen und aus Gott weiß welchen urbanen und seelischen Abgründen erhoben. Sie ziehen in den Tag, halten sich die schmerzenden, krampfenden Körperteile, brauchen dies und das, und wie dringend sie es brauchen. Sehen mich da auf der ansonsten noch menschenleeren Straße kommen und überlegen womöglich kurz.

Siebenmal Blicke wie in einem Krimi und der eine fasst sich, als ich ihn gerade passiere, auch noch auf diese Art in die Jacke, wie man es tausendmal im Fernsehen gesehen hat. Holt dann aber nur Zigaretten heraus, halb aufgerauchte, aufgesammelte, zerbrochene und geknickte Kippen, deren übler Geruch ihn deutlich umweht.

Es gibt jedenfalls Momente, das wollte ich nur eben sagen, da muss man es schon ziemlich dringend wollen, in diesem Bahnhofsviertel zu wohnen.

Kreideschrift auf dem Pflaster: "Warm anziehen"

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Einige Anmerkungen zu blassroten Melonenspuren

Nur mit großer Mühe schreibe ich diese Zeilen. Denn ich muss meine Unterarme dabei etwas albern und gekünstelt in der Luft halten, was vermutlich seltsam spitzfingrig und affektiert aussieht. Ich kann sie beim Tippen aber nicht, wie es für mich normal und auch wünschenswert wäre, auf dem Tisch, nicht einmal auf dessen Kante, ablegen.

Dort würden sie unweigerlich festkleben. Der Küchentisch ist, um ein norddeutsches Wort zu benutzen, das ich allerdings schon immer schrecklich fand, backsig, also klebrig. Dergestalt klebrig ist er, dass die Unterarme sogar ein deutliches und überaus unangenehmes Geräusch machen, wenn ich sie wieder anhebe, nachdem sie eine Weile Tischkontakt hatten. Es ist ein Geräusch, das alles in mir triggert, was nur irgend zum Hausmann neigt, und wenig ist das nun nicht. Es triggert außerdem den Widerhall meiner gut erinnerten Lübecker Großmutter, die beim beiläufigen Gang durch die Wohnungen der Verwandtschaft damals stets feststellte, wo man einmal feucht durchzuwischen habe, um einen ordnungsgemäßen und also wünschenswerten Zustand herzustellen.

Ich habe dazu nur einmal eine Steigerung von ihr gehört, fällt mir gerade ein. Das war, als sie mich in meinem ersten WG-Zimmer besuchte. Welches sich dabei gerade in einem Zustand befand, mit dem man auch die Exzesse gewisser Bands mit Drogenhintergrund hätte bebildern können. Ich war damals der Ansicht, dass das so gehörte, in meinem jugendlichen Alter, es kam mir cool vor. Da stand sie also zwischen den herumkollernden leeren Flaschen, den übervollen Aschenbechern, zwischen dem undefinierbaren Zeug, der gebrauchten Wäsche und den Resten aller Art, die sich frei und wild über den Fußboden verteilten, sie sah sich ruhig um. Und sagte dann nach einer Weile mit Bedacht: „Vielleicht mit einem Kehrblech anfangen.“

Sie war ein betont lösungsorientierter Mensch, wie sich mir erst im Rückblick erschließt.

Aber egal, ich war also gedanklich und in den ersten Zeilen dieses Artikels bei dem Tisch, an dem ich hier sitze. Manchmal kommt man gedanklich ohnehin nicht viel weiter, Sie kennen es vielleicht. Und man muss es auch gar nicht, um für einen Tag genug Text zu haben. Es ist immer genug da, wo man auch hinsieht, und das ist sehr gut so.

Ich hebe langsam einen Fuß an. Auch der Fuß klebt, auch der Boden klebt also. Ich höre wieder ein etwas ekliges, leise schmatzendes Geräusch, während sich meine Haut langsam vom Laminat löst. Und das, was da klebt, es reicht weit. Wie ich jetzt erkennen kann, wenn ich den Boden in einem bestimmten Winkel betrachte.

So etwas passiert, wenn Teenager nachts vollreife Wassermelonen in großen Mengen essen. Was ich auch aus den restlichen Spuren in der Küche, und wenig sind das nicht gerade, absolut sicher schließen kann. Sherlock Holmes nichts dagegen, der Fall kann als gelöst betrachtet werden.

Assoziationen an Wildschweine in der Suhle bieten sich umgehend an. Aber hey, denke ich, um dennoch positiv zu bleiben: Obst, Vitamine, Sommer und Sonnenschein. Außerdem bin ich nicht vollkommen unschuldig, denn ich habe seit Tagen nicht gekocht. Es ist mir zu heiß in der Küche unter dem Dach, um darin am Herd zu stehen. Von irgendetwas aber muss der Mensch in den Hitzemonaten leben, auch und gerade als Heranwachsender.

Wenn ich jetzt anfangen würde, diese blassroten Melonenspuren sämtlich selbst zu beseitigen, es wäre erstens pädagogisch vollkommen wertlos und würde zweitens auch meine Schreibzeit blockieren. Der einzig dafür verfügbare Slot am Tag wäre dann bald verpasst, und da hört es doch wohl auf. Sie wollen schließlich etwas zu lesen haben. Also einige von Ihnen zumindest. Und ich möchte bitte geschrieben haben. Denn so gehört es mittlerweile in mein Selbstbild: Ich möchte meine Tage stets als jemand verbringen, der schon geschrieben hat. Und ich schätze es generell nicht, Dinge anders als sonst zu machen.

In dem hervorragenden Roman, den ich gerade lese, „Lichtjahre“ von James Salter, wird das Vergehen der Zeit durch das Altern des Familienhundes dargestellt. Vom übersüßen Welpen bis zum greisen Tier, grauschnäuzig und halbblind, so geht es langsam und unerbittlich durch die Kapitel. Mit diesem Hund altern die Kinder, die Ehe, die Liebe und auch die Ambitionen der Eltern, ihre Lebensentwürfe. Ebenso verändern sich die Gegend und die gesamte Stimmung des Buches. Sehr gekonnt wird es eingesetzt, dieses Hilfsmittel der Zeitvermittlung. Gar nicht aufdringlich, eher dezent.

Man könnte als Autor, überlege ich, aber umgekehrt auch das Dauerhafte am Familienleben, das gefühlt ewig Gleichbleibende und die endlosen Wiederholungen der Alltäglichkeiten als Leitmotiv durch sämtliche Kapitel darstellen. Man könnte dieses Beständige etwa durch Variationen der Klebrigkeit in die Passagen und Szenen einfügen, denke ich mir.

Und zwar über die diversen im Laufe der Jahre flächig verteilten Körperflüssigkeiten hinweg. Unter Beachtung all der zerspeichelten Breizubereitungen aus der Kleinkindzeit, dazu noch mit Erwähnungen von zertretenen und verstreuten Kindergeburtstagskuchenresten. Mit den heimlichen und längst untrennbar mit dem Stoff verbundenen Bettschokoladen. Auch mit den unzähligen vergossenen Limonaden und dem auf jedem Quadratmeter der Wohnung in jedem Sommermonat immer wieder vertropften Eis aus Waffeln und Bechern. Mit den vergessenen Bonbons in den Hosen- und Jackentaschen und den ungeschickt versteckten Lollis unter Kissen und Decken. Mit den nachlässig und nur vermeintlich kurz geparkten Kaugummiresten unter Tischen und Stühlen. Und mit diesen so schwer zu deutenden Unaussprechlichkeiten in den leergeräumten Ranzen nach jeglichen Ferien.

Quer durch sämtliche in Frage kommenden Untergruppen von Lebensmitteln, es sind nicht eben wenige. Bis hin zu den erst am Ende der Jugendzeit auftretenden Pfützen von alkoholhaltigen Mixgetränken der zuckersüßen und bunten Art:

Klebejahre.

Na ja. Vielleicht ist es auch ganz okay, dass ich keine Familienromane schreibe.

Die Boxen mit den Kleinpreissüßigkeiten in einem Kiosk

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Montag, unfrei

Frau Novemberregen macht etwas, das ich ebenso korrekt wie nachahmenswert finde. Zwar komme ich gerade nicht zur Nachahmung, nicht einmal ansatzweise, aber loben und preisen und sich ebenfalls vornehmen kann man es ja dennoch, was sie da macht, nämlich das Lesen von Primärquellen. Etwa hier gerade erwähnt im Zusammenhang mit dem Sudhoff-Bericht, also mit der Masken-Affäre.

Schön fand ich aber auch ihre Bemerknisse in Sachen Lanz und Kerner, mit äußerst wohlwollender Schlussfolgerung. Ich lachte.

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Ich habe außerdem gemerkt, dass Walther Ziegler einige seiner Vorträge auf Youtube hat. Ein praktisches Format, das man gut in den Alltag einbauen kann. Eine Stunde schafft man vielleicht hier und da.

Ich sehe mir die Folge über Nietzsche sogar zweimal an, ich denke dann allerdings, ich sollte vielleicht auch mal Nietzsche lesen. Von wegen Primärquellen, siehe oben. Aber das, so steht wieder zu befürchten, wird dann mehrere Stunden verlangen.

“… denn wer von seinem Tage nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave, er sei übrigens, wer er wolle: Staatsmann, Kaufmann, Beamter, Gelehrter.“

So schrieb Nietzsche und meinte uns. Man fühlt sich gleich noch etwas unfreier, wenn man dieses Zitat von ihm erst verinnerlicht hat. Wir sind damit erneut bei der bewährten alten Regel: Kein Tag ohne Demütigung.

Davon abgesehen gab es am Wochenende den Schlagermove in Hamburg, es war im Zentrum ein wenig belästigend. Mit Hunderttausenden von, ich schreibe es nach empirischer Erkundung rund um den Hauptbahnhof, sturzbesoffenen Gästen. Die Veranstaltung wird, falls Sie erneut das Verrinnen der Zeit spüren möchten, seit nun 28 Jahren aufgeführt, und der allmähliche Wandel des Publikums über die Jahre wäre eine soziologische Untersuchung wert, mit zahlreichen Belegen und Bildbeweisen.

Denn dass da massenhaft Tagestouristen im Rentenalter oder kurz davor in neonbunten, aus dem Versandhandel bestellten Plastikkostümen anrollen und schon mit deutlicher Schlagseite aus dem Zug steigen, der sie in die große Stadt und zum riesigen Fest brachte, das war nicht immer so. Dass sie sich, ein längst warmgewordenes Piccolöchen oder eine Bierdose aus dem Zug noch in der winkenden Hand, den grölenden, singenden Massen anschließen und dann vermutlich nur noch ein, zwei Stunden bei halbwegs nachweisbarer Zurechnungsfähigkeit vor sich haben, das war auch nicht immer so.

Also zumindest nicht in diesem Ausmaß. Es ist doch ein Wandel hin zum noch entschlosseneren Trinken eingetreten.

Zeiten, Sitten, dies und das.

Ein Aufkleber an einem Laternenmast: Suff statt SUV

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Schnitzler, Ernaux, Stendhal, Rühmkorf

Gehört: Ein sehr kurzes Hörbuch habe ich angefangen, nachdem ich Schnitzlers Traumnovelle unwillig fast vorgespult hätte, da sie mir zu lang wurde und ich das Erwartbare diesmal wider Erwarten nicht genießen konnte.  Nicht alle Bücher eignen sich also für den wiederholten Genuss.

Aber egal, es ist immerhin interessant festzustellen, welche da für einen in Betracht kommen. Welche auf diese Art als literarische Heimat gelten können. Herr Fontane ist bei mir etwa auf diese Art von Dauer, dito Joseph Roth oder Eduard von Keyserling. Deren Werke gehen problemlos mehrfach. Auch die eher allgemein ungeliebten Bücher von ihnen, siehe Effi Briest, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich könnte schon wieder, merke ich beim Notieren, denn schon der Anfang von Effi Briest etwa, er ist sehr gut. Man hat es nur damals in der Schule nicht verstanden.

Mit dem Stechlin könnte und möchte ich alt werden, mit den in seinen Büchern so dekorativ aussterbenden baltischen Baronessen des von Keyserling auch. Für mich sind es therapeutisch wirksame Werke. Beruhigend und kullturell erdend, ohne dabei sedierend zu sein.

Angefangen habe ich danach ein Buch, kaum hat es allerdings Buchlänge, einer modernen Frau, Annie Ernaux. Von der es etliche Hörbücher gibt, fast durch die Bank sind sie eher kurz, das ist zwischendurch auch willkommen. „Der junge Mann“ hörte ich, übersetzt von Sonja Finck, gelesen von Maren Kroymann. Es geht um die Liebe einer älteren Frau zu einem deutlich, also sichtlich jüngeren Mann. Nur in wenigen Sätzen übrigens geht es dabei um den Vergleich mit älteren Männern und jungen Frauen. Vielleicht weil sich dieser Vergleich allzu sehr, allzu platt anbietet.

Beim Deutschlandfunk fand ich eine Rezension dazu. Das Hörbuch bekam ich diesmal über die App der öffentlichen Bibliotheken, die man gar nicht genug loben kann. Das Büchlein beginnt mit dem Satz: „Wenn ich die Dinge nicht aufschreibe, sind sie nicht zu ihrem Ende gekommen, sondern wurden nur erlebt.“ Als Daily-Blogger hört man es und nickt dabei überaus verständnisinnig.

Dieses Buch reicht allerdings nicht einmal für einen Abendspaziergang, man muss dann schon wieder weitersehen. Weswegen ich noch bei Stendhal landete. In der ARD-Audiothek gibt es ein mir bisher unbekanntes Werk: „Das Leben des Henri Brulard –  Erinnerungen eines Ichmenschen“. Deutsch von Friedrich von Oppeln-Bronikowski, was ein wenig wie ein Name aus einem Fontane-Roman klingt, gelesen von Hans Helmut Dickow.

Beim Lesen des Buchtitels muss ich fast zwanghaft das zitieren, was hier sicher mindestens einmal im Jahr im Blog vorkommt. Nämlich die folgende Stelle aus einem meiner liebsten Rühmkorf-Gedichte, „Phönix voran“: „Wenn ich mal richtig ICH sag, wie viele da wohl noch mitreden können?

Das einzige Gedicht übrigens, das ich jemals irgendwo öffentlich vorgetragen habe. So etwas merkt man sich. Ich finde es mit jedem Jahr besser, falls Sie es aber versehentlich noch nicht kennen und auch in diesem Blog nicht schon fünfmal gesehen, gehört oder gelesen haben, es gibt eine Aufnahme von ihm:

Die Rühmkorf-Bände mit den sämtlichen Gedichten auch mal wieder in die Hand nehmen. Der repetitive Genuss, ja, ja.

Im Bild das inhaltlich halbwegs passende Firmament von Stephan Huber und Raimund Kummer. Kunst im öffentlichen Raum, in diesem Fall im U-Bahntunnel.

Das Firmament-Kunstwerk im U-Bahntunnel, Beschreibung siehe Link.

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