Kulturvorhaben

Hamburg gibt mehr Geld für Kultur aus. Die geplagten Menschen aus Berlin möchten diesen Absatz vielleicht überspringen? Ich könnte es verstehen, man muss seine seelische Stabilität manchmal auch zu schützen wissen.

Davon abgesehen: Auch die guten Nachrichten mitnehmen und prominent hier einbauen. Frohsinn verbreiten und Aussicht auf Gelingendes. Auch einmal mit etwas einverstanden sein, es kommt selten genug vor. Und, versteht sich, diese mit meinen Steuern ausdrücklich gerne finanzierte Kultur dann im Gegenzug auch besuchen, ansehen und erleben.

Um das ansonsten eher dämonisch am Kalenderrand erscheinende nächste Jahr wenigstens mit einem konstruktiven Gedanken anzugehen, mit immerhin einem mehr als keinem. Wenn wir sonst schon bei nahezu sämtlichen Themen mit bedauerlicher Sicherheit eher zum Heulen und Zähneklappern, zum Händeringen und Haareraufen übergehen werden. Zwischendurch können wir hier immerhin ins Theater, ins Konzert, ins Museum gehen.

Ich werde es jedenfalls so machen, das ist zumindest der Plan. Ich werde mich passend verhalten und mein Kulturbudget ebenfalls erhöhen. Das wird in Zeiten der massiv bedrohten Demokratie ohnehin angemessen zu sein.

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Gehört, und es passt im weitesten Sinne noch in den Zusammenhang: Eine Sendung beim Deutschlandfunk über die Evolution der menschlichen Gewalt: Weshalb Krieg uns nicht in den Genen steckt. Ein Titel, bei dem man zunächst spontan widersprechen möchte, sofern man die Weltlage am Rande zur Kenntnis nimmt. Es geht um patriarchale Strukturen und ihre verheerende Wirkung auf die Gesellschaft. Es geht in biologischer Hinsicht um unsere verwandten Primaten, und es geht auch wieder um die Mutter fast aller unserer Probleme. Also um die neolithische Revolution, in der unsere Vorfahren die selten dämliche Idee hatten, den Besitz und die Arbeit zu erfinden.

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Ansonsten gerne gesehen: Diese Doku auf arte über Cary Grant. Ein schüchterner Mann voller Selbstzweifel und schlimmen Ängsten, man sah es ihm nicht eben auf den ersten Blick an.

Außerdem gesehen: Eine weitere arte-Sendung, diesmal über Italo Svevo, dessen Zeno Cosini ich viel zu spät, erst in diesem Jahr gelesen habe. Der Herr ist interessant, seine Bücher sind es auch. Fast noch interessanter kam mir in dieser Sendung aber Triest vor, seine Stadt.

Besonders faszinierende Bilder sah ich da, ungeheuer anziehend. Man könnte glatt meinen, dort einmal hinzumüssen, um etwa zehntausend Fotos zu machen. Aber ich habe ja, siehe oben, schon einen anderen Plan.

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Ansonsten Urlaub

Frau Büüsker wie immer lesenswert, diesmal über die CO2-Lobby und das Flüssiggas.

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Bei den Blättern gibt es einen freigeschalteten Artikel von Michael Tomasky (Wikipedia über ihn) aus der November-Ausgabe. Es geht um  die rechten Medien in den USA, um ihre entscheidende Rolle bei der Wahl. Es geht auch darum, dass erstaunlich viele Menschen die Logik dahinter nicht verstehen, wohl auch nicht verstehen wollen. Und ich habe oft, viel zu oft den Eindruck, dass auch in Deutschland nicht gesehen wird, wie sehr und vor allem wie unrettbar uns die gemeinsame Informationsbasis, die als verlässliche Wahrheit über viele Jahrzehnte zumindest galt, in den letzten Jahren abhandengekommen ist.

Es wird dramatisch unterschätzt, wie weit diese Verlagerung der Information schon gediehen ist, auch bei uns. Insbesondere mein ansonsten stets und so verlässlich topcheckendes Online-Umfeld hat hier eine beachtliche Verdrängungsleistung, die mich oft wundert. Ein echter Bubble-Effekt, nehme ich an.

Ergänzend noch einmal Michael Tomasky in The New Republic, mit ein paar weiteren Aspekten.

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Ich habe ansonsten Urlaub, also sehe ich wieder den Sender arte leer und versuche darüber hinaus, einigen der in den letzten Wochen gespeicherte Links nachzugehen. Hier noch etwas nachlesen, dort etwas nachhören. Es hat sich einiges angesammelt, es ist nicht alles schon nach 14 Tagen komplett veraltet.

Zwei Dokus habe ich über Autoren gesehen, deren Werke ich nicht, nicht mehr oder noch nicht (wer weiß) lese. Zum einen etwas über Tolkien und seine erfundenen Welten, seine Inspirationsquellen und seinen Lebenslauf. Ich bin nie recht mit ihm warm geworden, ich habe seine Bücher nicht oder zumindest nicht durchgelesen. Mich hat nie eine Fantasy-Welle voll und ausreichend lange erwischt, jedenfalls nach der Kindheit nicht mehr.

Ich kenne auch von den so berühmten Verfilmungen seiner Bücher nur Teile. Die ich dann eher langweilig fand, Menschen und andere Wesen ziehen von Schlacht zu Schlacht und hin und her, von links nach rechts durchs Bild und umgekehrt, dann wieder Schwertkampf, repeat. ich habe aber dennoch die relevanten Hauptfiguren und auch die wichtigsten Handlungsstränge recht sicher parat. Ich verstehe also Anspielungen und Vergleiche, wovon es im Alltag nicht eben wenig gibt. Siehe auch Star Wars oder Harry Potter, mit diesen Werken verhält es sich ähnlich.

Immer wieder finde ich das faszinierend, etwas zu kennen, ohne es zu kennen, ohne es durch Lektüre gelernt zu haben. Einfach nur, weil es im Laufe des Lebens ohne jedes Bemühen in mich eingesickert ist, durch die zahllosen Spiegelungen in der Popkultur, durch Parodien (Die Star-Wars-Reihe etwa damals in den Mad-Heften), durch Smalltalk etc.

Und ich mag bei Tolkien seine Verstiegenheit in exzentrische Themen. Es ist mir grundsätzlich sympathisch, dass sich jemand eigene Welten ausdenkt und Sprachen erfindet, in alte Schriften abtaucht und Jahre mit Mythen verbringt, ich mag solche Formen der Besessenheit.

Zum anderen sah ich eine Sendung über Stephen King, Das notwendige Böse. Horrorbücher sind auch nicht mein Lieblings-Genre, ich habe kaum jemals etwas aus dieser Rubrik jemals gelesen, auch fast keine Filme dieser Art gesehen. Immerhin aber habe ich vor Jahren einige Kurzgeschichten von King konsumiert und auch sein Buch über das Schreiben („Das Leben und das Schreiben“), welches ich, wenn ich es richtig erinnere, gut fand.

Ich schätze außerdem seine Meinungen zu Politik und Religion. Ich kann gut nachvollziehen, wie er dabei die Verbindungslinie zum Horror zieht, ich teile diese Sichtweise. Und ich folge ihm in den sozialen Medien. Es ist immerhin gerade besonders interessant, einige Stimmen aus den USA mitzubekommen, die bei der aktuellen Nummer „kissing the ring“ nicht mitmachen.

Es ist aber sowieso eher egal, ob ich die Bücher der beiden Herren nun lese oder nicht. Dokus über Schreibende finde ich fast immer interessant, sehe ich fast immer mit Sympathie und hoffe auch meistens, irgendetwas dabei zu lernen.

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Im Bild eine Farbansicht aus vergangenen Tagen, mit unwirklich blauem Himmel. Gefühlt ist es Monate her, dass wir hier so etwas über uns gesehen haben.

Blick über die Außenalster von St. Georg aus, blauer Himmel darüber, Winternachmittagslicht

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We’ll have to muddle through somehow

Jemand spielt Klavier im Haus, ich höre es beim Tippen. Es ist etwas dezenter als sonst. Ich weiß daher nicht recht, ob der gleiche Nachbar wie immer spielt oder ob die Musik nicht doch von weiter unten kommt. Ob es am Ende ein neues Klavier im Haus gibt, denn nach dem übenden Kind klingt es auch nicht. Die Melodie kommt nur dünn und dezent durch die Wand. Sie bleibt auch teilweise im Mauerwerk stecken, es fehlen einige Verbindungen im Auf und Ab der Melodie. Ich brauche eine Weile, um das Stück zu erkennen. Es wird das gleich folgende Lied sein, ja, ich bin mir fast sicher.

Ich zeige Ihnen die nicht eben aufheiternde Originalversion mit weinendem Kind, vielleicht ist sie nicht so bekannt:

Wie jemand auf Youtube in den Kommentaren schreibt, erschien der Film mit dieser Szene darin 1944, im Jahr 1943 wurde gedreht. Man muss also wieder den historischen Kontext mitdenken, bevor man im üblichen, routiniert gegenwärtigen Zynismus auf die Textzeile: „Next year all our troubles will be out of sight“ mit einem abfällig gezischten „Ja, von wegen!“ reagiert. Es passt dann nicht mehr recht, so zu reagieren, wenn man das Entstehungsjahr bedenkt. Das Publikum hatte damals noch ganz andere Probleme als wir.

Es kommt allerdings schlimmer. In der ersten Textversion des Liedes hieß es in der ersten Version der Verse noch, halten Sie sich fest:

Have Yourself a Merry Little Christmas
It may be your Last.
Next Year we may all be living in the past”

So rabenschwarz und geradezu erschütternd war es zunächst gedacht. Fast wirkt es wie eine Parodie, obwohl es die eigentliche Idee ist. Judy Garland hat beim Dreh auf Änderungen bestanden, der Text kam ihr zu furchtbar vor, sie wollte diese Zeilen so nicht singen. Und Frank Sinatra forderte Jahre später für seine so berühmt gewordene Aufnahme noch einige weitere Anpassungen. Der Text wurde also in Etappen aus der depressiven, verzweifelten Stimmungslage gehoben, in die er einmal gehört hat.

Weswegen wir auch das in der Originalversion so bemüht tapfere und tränendrückende „From now on, we’ll have to muddle through somehow” eher nicht mehr als Textzeile kennen. Auch diese Zeile wurde durchgetauscht, sie wurde sicherheitshalber ausgewechselt gegen das aufmunternde, allerdings auch etwas lau und konventionell anmutende „So hang a shining star upon the highest bough.“

Aber man könnte an dieser Stelle des Liedes, man könnte gerade in diesem Jahr zumindest in Gedanken doch kurz in der Originalversion des Textes mitsingen, nicht wahr. Sie wirkt dermaßen aktuell.

“From now on, we‘ll have to muddle through somehow.”

Falls Ihnen das aber zu flach vorkommt, berufen Sie sich einfach auf Charles E. Lindblom, der das Konzept des Mudddling Through in der Organisationsheorie dargestellt hat. Es kommt immer gut, wenn man etwas mit Namen und Quellen versehen kann.

Und falls Ihnen der Begriff zunächst allzu negativ vorkommt, ich habe sicherheitshalber noch einmal nachgeschlagen. Die englischen Wörterbücher deuten den Ausdruck allesamt eher positiv. Er wird auf ein erreichbares Ergebnis und auch auf ein Gelingen bezogen.

To muddle through meint in diesem Sinne kein Scheitern in Zeitlupe, sondern vielmehr einen Erfolg, der langsam und auf Nebenstrecken, auf verschlungenen Pfaden und ohne definierte Etappen oder Zeitplan erreicht wird.

Und das ist zumindest für mich vielleicht nicht der schlechteste Plan für das kommende Jahr.

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An allem vorbeidenken

Gestern also die Vertrauensfrage im Bundestag. Ich hätte mir die Debatte als Urlaubs-Entertainment live ansehen können, aber ich habe ein dermaßen großes, in den letzten Jahren auch leider immer weiter eskaliertes Problem mit dem Fremdschämen, ich halte so etwas nicht mehr aus. Körperlich unangenehm ist es, da hinzusehen, da zuzuhören. Es ist wie mit den Talkshows, die schaffe ich auch nicht, und es ist mir ein Rätsel, wie Sie das immer alle aushalten und es als Abendunterhaltung halbwegs entspannt hinnehmen können.

Jedenfalls der Bundestag, natürlich doch kurz reingesehen. Was für überaus unangenehme Menschen treten da auf, was für unangenehme Verhaltensweisen und Reden bekommt man mit. Was für übertrieben gut sichtbare Charakterdefizite werden da in albernem Stolz präsentiert. Dazu diese kaum noch verbrämten Lügen, der überall durchscheinende Populismus. Die so flotte Abkehr von allem, was noch als glaubwürdig und wenigstens im Ansatz ethisch motiviert durchgehen könnte.

Mir reicht es dann schnell, ich möchte das nicht sehen. Ich finde es schon fordernd, davon zu lesen.

Am besten an allem vorbeidenken. Oder auch manchmal zurückdenken. Sich dann aber wieder stets bemüht aufsagen, dass früher auch nicht alles besser war und versuchen, sich das zu glauben. Danach erneut um die so unangenehmen Menschen und Themen in der Gegenwart irgendwie herumdenken.

Im Grunde also eher ratlos hin- und herdenken Man hat es wahrhaftig nicht leicht.


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Wenn Sie auch genervt sind von der Zerspanung der Social-Media-Timelines in drei oder noch mehr verschiedene Plattformen, Openvibe ist vielleicht die richtige App. Das Tool fasst alles zusammen in eine Ansicht, und man kann dann heiter ignorieren, was von welcher Plattform herkommt. Weil es einen im Grunde auch nicht interessiert. Also mich jedenfalls nicht.

Gefunden habe ich das Werkzeug via Markus Trapp auf Bluesky. Ich habe allerdings nicht recherchiert, ob die App und die Macher dahinter in jeder Beziehung okay sind, ich habe also schon wieder ein to-Do.

Man möchte einfach nur sitzen, und sie wachsen einem dennoch so zu, diese To-Dos, ich sage es ja.

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Wir werden es immer schon gemacht haben

Die Herzdame und ich waren im Kirchenkonzert, es gab das Weihnachtsoratorium von Bach. Ich erfinde mir oder uns damit gerade einige Traditionen neu, womit man zu beliebigen Zeitpunkten anfangen kann. Keineswegs muss man dabei nur auf die Vergangenheit bauen. Dazu kann ich ebenfalls eine Rainald-Grebe-Liedzeile mitsummen, fällt mir ein: „Wahre Schönheit kommt von innen, kann man jederzeit mit beginnen.“ Aber das nur am Rande.

Zwei Traditionen lege ich jedenfalls ab 2024 fest, wir wollen es mit der Anzahl auch nicht übertreiben. Zwei brandneue Traditionen erscheinen mir plausibel und machbar. Das Brahms-Requiem im Michel und ein Weihnachtsoratorium von Bach also. Es gibt in keiner Stadt mehr Aufführungen dieses Oratoriums als in Hamburg, las ich irgendwo, es ist also nicht besonders schwierig, einen passenden Termin zu finden.

Jetzt muss ich beides lediglich fünf, sechs Jahre durchhalten, schon wird es eine ehrwürdige Tradition sein. So läuft das nämlich: „Das haben wir schon immer so gemacht.“

Dieses Konzert hätte in der evangelischen St. Jacobi-Kirche stattfinden sollen, ich berichtete, die aber wegen dringender Renovierungsarbeiten spontan geschlossen werden musste. Eine andere christliche Fraktion, die katholische Variante, bot Hilfe und Raum an, man plante hopplahopp um, das Konzert konnte dann im Mariendom in unserem kleinen Bahnhofsviertel stattfinden, fast vor unserer Haustür.

Das katholische Christentum ist mir noch deutlich fremder als das evangelische, aber dass die beiden Glaubensgemeinschaften sich heute gegenseitig freundlich bei der Kirchenmusik aushelfen, statt sich in offener Feldschlacht umzubringen wie früher, das immerhin ist ein mittlerweile gut abgesicherter geschichtlicher Fortschritt. Der auch, soweit ich weiß, nicht gerade von irgendwelchen Irren wieder zurückgedreht wird. Und das muss man ausdrücklich würdigen in diesen Zeiten.

Denn Fortschritt, da stehen wir ja drauf, in unserer progressiven Bubble.

Die Front des Mariendoms am Abend

Den Mariendom hatte ich vor diesem Abend etliche Jahre nicht mehr besucht. Zuletzt mit den Söhnen, als sie noch klein waren. Irgendwann bei einem Pflichttermin sicherlich, vermutlich auch um Weihnachten herum, noch in der Kindergartenzeit. Sicher führten sie dort damals irgendwas auf, ein Krippenspiel oder weiß der Kuckuck was. Ich weiß es nicht mehr, wir wissen es nicht mehr, diese Auftritte verschwimmen alle längst im Rückblick.

Ich konnte mich an die Gestaltung des Innenraums der Kirche jedenfalls überraschend wenig erinnern. Es kam mir alles erstaunlich fremd darin vor, ganz so, als sei ich ein staunender Tourist auf der Durchreise und nicht etwa ein Nachbar. Als sei ich zum ersten Mal in diesem Dom. Was im besten Fall aber nur heißt, dass ich damals, vor zwölf Jahren oder wann auch immer das war, nur Augen für die eigenen Kinder und ihre Freunde hatte. Guck mal, guck mal, jetzt machen sie dies, jetzt machen sie das.

Der Herzdame ging es ebenso wie mir, wir nahmen es erfreut als beiderseitige Bestätigung, genau so wird es also gewesen sein. Und ich fand dann, dass es ausgezeichnet zum Basteln von neuen Traditionen passt, sich nebenbei noch eben die Vergangenheit schön zu deuten.

Es ist nur konsequent. Bei der Gelegenheit muss dann Jan Johansson noch einmal ran, es passt so gut. Man darf das leise mitpfeifen, auch oder gerade am Montagmorgen:

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Fonda, Redford, Simenon

Zwei arte-Dokus habe ich gerne gesehen, eine über Henry Fonda und eine über Robert Redford. Beide mit viel Bezug zur Geschichte der USA und auch zu den Veränderungen in der Gesellschaft im letzten Jahrhundert, wie sie sich in ihren Filmen und Rollen spiegeln. Es geht bei beiden Schauspielern auch um Ideale und Anstand. Um altmodisch gewordene Begriffe also, durch deren Benutzung man sich mittlerweile recht eindeutig als aus der Welt gefallen und gestrig deklariert.

Robert Redford lebt noch, er ist ein alter, amerikanischer Mann. Und man kann sich nicht genug darüber wundern, dass ein Land einen Typen wie ihn und gleichzeitig den neugewählten Präsidenten hervorbringen kann, einen anderen alten, amerikanischen Mann. Auch wenn er etwa zehn Jahre jünger ist.

Was für eine kaum noch glaubwürdige Distanz zwischen den beiden liegt, in welch verschiedene Universen sie gehören. Es ist eine Distanz, die schon wieder etwas kinomäßig anmutet. Ich werde diese Bezüge zum Medium Film offensichtlich nicht mehr los, und aus guten Gründen nicht. Sie ergeben sich so in diesen Zeiten, in denen die stark überzeichneten James-Bond-Bösewichte, die uns jahrzehntelang kaum glaubwürdig vorkamen, die auch gar nicht glaubwürdig sein sollten, mitten unter uns und äußerst unangenehm real sind.

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Ich hätte, was die Sprache und den Erzähltonfall betrifft, gerne noch mehr Herta Müller gehört. Ihr „Die Nacht ist aus Tinte gemacht“ hat mir sehr gefallen, aber inhaltlich überfordern mich ihre Werke gerade etwas. Man muss dem Erdulden von negativen Themen auch Grenzen setzen, solange man es noch kann. Was nichts an ihrer Berechtigung ändert, und ein anderes Mal wird es sicher wieder passen.

Kurzentschlossen bin ich erst einmal zu leichterer Lektüre gewechselt, zu Maigrets Memoiren von Simenon, gelesen von Walter Kreye. Deutsch von Hansjürgen Wille, Barbara Klau und Bärbel Brands.

Das ist, wenn Sie sich für Literatur, für das Schreiben und auch für das schwierige Verhältnis von Fiktion und Realität interessieren, ein erhellendes und faszinierendes Buch. Simenon treibt darin gedanklich einiges auf die Spitze und findet schöne Drehungen. „Die Wahrheit wirkt nie wahr“, lässt Maigret etwa den Herrn Simenon an der einen Stelle sagen (ja, tatsächlich so herum). Es ist ein komplizierter Sachverhalt für alle schreibenden Menschen, aber es ist so.

Walter Kreye hat ein Interview gegeben, als er die sämtlichen Maigrets neu eingelesen hat. Er stand, so erzählt er es, gerade auf einer Leiter am Bücherregal in seinem Wohnzimmer, direkt vor den sämtlichen Simenons, er streckte die Hand nach einem Band aus, als der entscheidende Anruf mit der Frage kam, ob er nicht die Krimi-Reihe von Simenon komplett einlesen wolle.

Kann das denn sein, klingt das wahr? Für Sie vielleicht nicht?

Für mich als Vielschreiber, der im Geiste dauernd die Begebenheiten des Alltags mitschreibt und die Wirklichkeit dabei manchmal etwas verharmlost, weil sie zu drastisch und zu überzeichnet ist und daher erstaunlich oft unglaubwürdig wirkt, klingt das wahr. Denn ich weiß, so geht es zu.

Aber in einer Welt, in der die James-Bond-Bösewichte als reale und sogar wählbare Personen herumlaufen, müssen wir das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit ohnehin komplett neu bewerten.

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Im Bild die Herzdame, die Wirklichkeit mittels Fotofilter in Fiktion verwandelnd. Wenn man erst einmal darauf achtet …

Die Herzdame, von hinten fotografiert, wie sie am Fischmarkt steht und über die Elbe mit dem Smartphone fotografiert. Später Nachmittag, es dunkelt schon, beleuchtete Fähren auf der Elbe, Hafenkräne im Hintergrund.

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Eine Frage des Timings

Am Freitag war ich dann noch einmal im Home-Office. Es waren die allerletzten Stunden der Saison, die ich da am Schreibtisch saß. Während die Herzdame schon im Urlaub war, woran ich aber lieber nicht zu konzentriert dachte, das alte Neidproblem rumorte im Hinterkopf. Wenigstens hatten die Söhn Schule, und sie haben sie auch in der nächsten Woche noch. Das ist das für mich erreichbare Mindestmaß an ausgleichender Gerechtigkeit beim Thema Ferien und Urlaub.

Ich arbeitete mit leider unbefriedigenderen Ergebnissen als erwartet, mit mehr Komplikationen und Verwirrungen auch. Es war mir alles am Ende etwas zu unordentlich, und ich habe die Arbeit mit jenem nicht so guten Gefühl beendet, mit dem man morgens etwa aus dem Haus geht, ohne das Bett gemacht zu haben. Sie kennen das vielleicht. Mir war auch so, bildlich gesprochen, als gingen nicht alle Schubladen zu, als stünde noch dreckiges Geschirr in der Spüle, als hätte niemand die Fransen des Teppichs gekämmt etc.

Als Kind hatte ich eine Weile lang tatsächlich diesen Teppichfransentick, fällt mir dabei wieder ein. Die mussten stets gerade ausgerichtet liegen, das war anstrengend und kostete mich Zeit und Nerven. Weil es den ignoranten Erwachsenen vollkommen egal war, die trampelten da dauernd drüber und verwüsteten alles, die fanden meine Bemühungen eher erheiternd. Unordnung und frühes Leid, das ist ein Buchtitel, den ich immer wieder zitieren kann, bei erstaunlich vielen Themen.

Natürlich ist sie längst überwunden, diese Tic-Phase. Was allerdings nur heißt, dass ich nie wieder Teppiche mit Fransen in meinen Wohnungen gehabt habe. Aufpassen bei allem!

Wie auch immer. Richtig ist sicher, dass ein ordentliches Ende in meinem Job ohnehin nur begrenzt erreichbar ist. Das muss man aushalten, das muss man alles veratmen können, auch die Entropie im Office Management. Letztlich arbeite ich mit Menschen, und da ist man schon beim Kern des Problems. Wenn nicht beim Kern aller Probleme.

Dann am Nachmittag, viel später als geplant, das Notebook zögerlich zugeklappt. Mit einem leicht wahnhaften Gedanken daran, am Montag trotz Urlaub doch noch einmal kurz … mich dann aber entschieden zur Ordnung gerufen. Contenance, Herr Buddenbohm, Contenance.

Seit dem Herbst war deutlich mehr Werk als sonst, es war etwas fordernd, to say the least. Viel gemacht, an vielen Themen und auch ungewöhnlich lange, sogar zu befremdlichen Tageszeiten. Und dummerweise nicht nur im Brotberuf, es folgte wieder alles dem so überaus unerbittlichen Gesetz der Serie.

Hab drei Bestseller geschrieben

Und vier Staudämme gebaut

So viel Käse gerieben

So viele Ohren abgekaut“

Rainald Grebe hat das einmal schön zusammengefasst und besungen, wie es sich anfühlt, wenn es einem so ergeht. Ich fühle sehr mit dem „nimmermüden Hammerwerfer“ im Text des Liedes, der sich da noch im Kreis dreht, der sich immer noch im Kreis dreht, auch jetzt gerade noch.


Na, egal. Jetzt für einige Zeit einiges fallenlassen. Mich selbst etwa und sicher auch einige Themen.

Was mir umso leichter fallen wird, als ich beim finalen und geradezu feierlichen Zuklappen des Firmennotebooks kurz noch darüber nachdachte, was eigentlich dieses komische Gefühl sein könnte. Dieses etwas unangenehme und belastende Gefühl, das ich aus Zeitgründen schon den ganzen Tag verdrängt hatte. Das ich jetzt doch einmal erkunden musste, und dann kam ich auch schon drauf, nach nur wenigen Momenten des etwas dümmlichen Hinfühlens: Halsschmerzen. Ach guck.

Meine Tanzpartnerinnen damals beim Lindy-Hop konnten es nicht durchgehend alle bestätigen, ich weiß, aber ich bin mir doch recht sicher: Timing kann ich.

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Nach bewährtem Muster

In den Nachrichten las ich Meldungen vom schwachen, eher enttäuschenden Weihnachtsgeschäft, die Handelsverbände beschwerten sich. In der Stadt sehe ich die Bestätigung dazu nicht. Das ausbleibende Geschäft drückt sich nicht in geringeren Besuchszahlen in den Haupteinkaufsstraßen aus. Die Leute kommen immer weiter in die Stadtmitte, in Scharen und in Massen kommen sie. Zwischen dem Bahnhof und dem Rathaus ist es dermaßen voll, dort steckt wie in jedem Jahr während der Öffnungszeiten der Märkte und Geschäfte ein kompakter Menschenauflauf fest und rührt sich kaum noch vorwärts, man kommt nicht mehr durch.

Vielleicht aber erwerben sie dort alle nur ein, zwei Becher Glühwein, nur eine Bratwurst und ein kleines Tütchen gebrannte Mandeln. Vielleicht sehen sie sich die Ware in den Läden nur an und vergleichen die Preise. Das mag sein, das ist sogar wahrscheinlich.

Und, wenn man einmal darauf achtet, eine Beobachtung aus den Vorjahren bestätigt sich erneut. Es tragen wenig Menschen Tüten, Taschen etc. in den Händen. Vergliche man die heutige Vorweihnachtsmenschenmenge mit einer von vor zehn, zwanzig Jahren, ich bin sicher, man würde so viel mehr Gekauftes in den Händen der Passanten auf den Bildern von damals sehen. Das ganze Zeug eben, das heute per Paket herumgefahren und ausgeliefert wird, während die Konsumenten nahezu unbelastet auf den Weihnachtsmärkten stehen.

Filmszenen fallen einem vielleicht ein. New York in der Weihnachtszeit, die schwer bepackten Menschen vor den Geschäften. Drei große Pakete auf den Armen, schon in Geschenkpapier, an den Händen noch die baumelnden Taschen. Es fällt ihnen etwas herunter, sie können sich nicht danach bücken, sie müssten dafür erst alles ablegen. Jemand sammelt im Vorbeigehen das Teil für sie auf, flüchtige Blicke, dann ein Lächeln, zwei Sätze – man lernt sich kennen und schon zwei Szenen später wird daraus eine romantische Komödie nach bewährtem Muster. Man kennt das.

Bilder, die man parat hat. Die man in seiner Vorstellung auch weiterhin beliebig oft abspulen kann, so oft hat man sie gesehen. Aber da draußen sind sie kaum noch wiederholbar, wir sind längst weiter.

Man merkt es auch an den Dingen, die wir nicht mehr bemerken, wie an diesen fehlenden Taschen, Tüten und Paketen. Für die Einstiegsszene der romantischen Komödie müsste man heute, um halbwegs im Bild zu bleiben, einen betont attraktiven Menschen Pakete aus dem Weihnachts-Online-Shopping ausliefern lassen. Dann wird bei einem anderen, zufällig ebenfalls ungeheuer attraktiven Menschen geklingelt, der duschbedingt gerade eher wenig anhat, es ist auch in diesen Filmen alles drastischer und schneller geworden. Zwei, drei Sätze an der Tür und boom, noch 85 Minuten bis zum Happy End.

Na, Hauptsache es gibt eines.

Die große Uhr in der Wandelhalle des Hamburger Hasuptbahnhofs vor Weihnachtsbeleuchtung

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Raum für Notizen

Vorweg ein Dank für die freundliche Zusendung dieses Kalenders aus der Duden-Reihe mit alten und mehr oder weniger vergessenen Wörtern, merci!

Ich nehme stark an, man wird ein paar der Begriffe in den Texten des nächsten Jahres hier wiederfinden.

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Ich habe ansonsten, merke ich gerade und gucke vermutlich etwas dumm dabei, rein gar nichts zu berichten. Was sicher darauf hinweisen wird, dass ich wieder einmal, und diesmal sogar über einen erschreckend langen Zeitraum von mehreren Tagen, nicht aufgepasst habe. Die Söhne kennen das auch aus der Schule, wie ich von ihnen weiß.

Wo haben sie das nur her und warum hatte ich nichts Besseres zu vererben.

Wie auch immer, es kommt leider gelegentlich vor. So sehr ich mich normalerweise um Aufmerksamkeit bemühe, um das andere, ähnlich klingende und dabei so gründlich esoterisch verheizte Wort mit A vorne zu vermeiden. Eine Art geistiges Erschlaffen wird es sein, ein Nachlassen der Anspannung, das sich unterm Strich aber dummerweise nicht nach Erholung anfühlt. Auch nicht nach dem, was Sohn I vermutlich als gechillt bezeichnen würde. Und was eher positiv zu werten ist, wenn ich ihn richtig verstehe.

Gechillt zu sein kam in der Jugendzeit meiner Generation interessanterweise noch nicht als erstrebenswerter Zustand vor. Es ist eine neuere Erfindung und ich fremdele etwas damit. Ich habe den Eindruck, dass da ein Wandel stattgefunden hat, ein dezenter, kaum auffälliger. Es ist wohl so, dass wir damals sein gechillt als gelangweilt empfunden hätten. Denn auch die Lieblingszustände der Menschen scheinen einem steten Wandel unterworfen zu sein. Was man wiederum nicht zu werten hat, nur mitzuschreiben, wenn man sich als Chronist versteht.

Wie auch immer. Mein Zustand kommt mir eher wie komatöse Müdigkeit vor, wie tiefe Lustlosigkeit auch und vielleicht noch wie eine Ahnung von dunkelgrauem Winterblues der eher unromantischen Art. Wozu ich sonst nicht unbedingt neige. Aber, wenn ich das dem eher spärlichen Smalltalk dieser Woche bisher korrekt entnehme, man scheint jetzt allgemein zu solchen Zuständen zu neigen.

Jahresendschwäche statt Jahresendspurt, wie es gestern in einem Gespräch präzise formuliert wurde. Es nickten alle und verstanden sofort, was gemeint war. Wir waren allerdings auch alle etwa gleich alt in der Runde, es wird am Ende wieder eine Rolle spielen.

Es steht jedenfalls kein einziges Stichwort im Notizbuch. Und nichts steht in der Notizen-App auf dem Smartphone, in die ich gelegentlich etwas hineindiktiere, auf den langen Stadtspaziergängen. Es kommt mir ein wenig merkwürdig vor, so ungewohnt ist das, diese Leere. So viel Raum für Notizen überall, wer soll das denn füllen und wann.

Am Ende, wer weiß, war aber tatsächlich nichts. Das ist selbstverständlich denkbar und möglich. Also abgesehen von den Teilen des Alltags, die immer sind, von denen aber wirklich niemand Berichte braucht.

[Der Autor unterbricht das morgendliche Tippen an dieser Stelle, sieht minutenlang ausdruckslos die Raufaser vor ihm an, wippt sachte vor und zurück und mümmelt dabei das morgendliche Stück Marzipan aus dem Adventskalender weg. Heute in der Geschmacksrichtung „Crispy Waffel“, was ist das wieder für ein moderner Unfug. Früher war Marzipan stets und ausschließlich zartbitter ummantelt. Wir hatten ja nichts, und vielleicht war es hier und da gut so.]

Nun.

Morgen mehr. Nehme ich an.

Noch ein Lied? Noch ein Lied. Mit einem Refrain, den man zum Jahresende ruhig etwas einwirken lassen kann. Es passt schon.


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Die Abende in der Villa Buddenbohm

Bei der Deutschen Welle sah ich einen kurzen und bemerkenswert positiv stimmenden Film, was in unseren ausgeprägt dystopiegeneigten Zeiten doch besonders auffällt. Es war ein Beitrag über die Casa Verdi, über ein Seniorenheim für Musikschaffende, finanziert aus dem Vermächtnis des Komponisten. Eine sympathisch anmutende Einrichtung, fand ich.

Sollte ich eines Tages doch noch Dichter und reich werden, womit es allerdings allmählich etwas knapp wird, denn mir geht es nicht anders als Kid37, der gerade schrieb:

Habe jetzt begonnen, meinen ersten Krimi zu schreiben, weil ich gehört habe, so etwas liefe gut als Genre und man käme auf diese Weise zu Geld, ohne dass man dabei selbst eine Bank überfallen müsste.

… sollte ich also doch noch Dichter und reich werden, ich werde vielleicht einmal über ein entsprechendes Vermächtnis für Blogschaffende nachdenken wollen, so anregend fand ich dieses Filmchen über die Casa Verdi. Villa Buddenbohm oder ähnlich würde es dann heißen. „Nur Lumpen sind bescheiden“, wie es damals in großer Schrift auf diesem einen Poster mit Hans Albers stand. Es hing lange bei mir an der Wand. Wo ist es eigentlich geblieben, bei welchem Umzug kam das denn weg. Egal.

Exkurs – apropos Bescheidenheit. Da fällt mir auf einmal wieder ein, wie ich als sehr junger Mensch, gerade erst Abitur gemacht, gerade erst nach Hamburg gezogen, noch hoffnungsfroh, jung und lebenshungrig in der großen Stadt, zum ersten Mal bei einer Ärztin war, die ich vor diesem Besuch schon flüchtig aus der Buchhandlung kannte, in der ich damals als Aushilfe arbeitete. Sie fragte mich auf die übliche Weise allgemeinmedizinische Kriterien ab, fragte nach Gewicht, Größe und Beschwerden. Fragte schließlich auch nach meinen Vorerkrankungen, und ich sagte scherzhaft und in bester Stimmung: „Nichts, nur Größenwahn“.

Sie sah mich prüfend an, sie schrieb es ernst mit. Und sie wiegte den Kopf auf eine Weise, die mir doch etwas unangenehm war. Ich sagte sicherheitshalber, dass das gerade ein Scherz gewesen sei. Sie sah mich an und sagte, sie glaube nicht an solche Scherze. Man müsse in ihrem Beruf immer alles ernstnehmen, was ein Hinweis sein könnte. Wirklich immer müsse man das, das habe sie gründlich gelernt und es habe sich auch bewährt. Wir diskutierten noch eine Weile, bis mir das Gespräch bald unangenehm wurde, da wir uns so gar nicht einig wurden. Ich war nach diesem mir doch seltsam vorkommenden Dialog kein zweites Mal bei jener auf mich allzu ernst wirkenden Ärztin, wie man sich vermutlich vorstellen kann. Ich suchte mir einen anderen Hausarzt.

Weswegen mein Größenwahn also niemals behandelt worden ist, sondern erst mühsam und über Jahrzehnte rauswachsen musste. Das wollte ich nur eben erwähnt haben.

Na, was sind das für alte Geschichten, ich schweife ab.

Jedenfalls könnten die in dem später zu gründenden Etablissement residierenden Seniorbloggerinnen und Social-Media-Veteranen genau wie die Damen und Herren aus der Musikbranche in der Casa Verdi gemeinsam gut ausgestattet und betreut wohnen. Und sie könnten sich vor allem, um ihrer Berufs- und Lebenserfahrung gerecht zu werden, bis zum letzten Tag vollkommen hemmungslos gegenseitig Content sein.

Sie könnten sich auch in endloser Folge abends in trauter Runde vor dem Flackern eines künstlichen Kamins alte Texte vorlesen. Weißt du noch, weißt du noch, und als Zugabe liest zu später Stunde noch irgendwer die besten Tweets aus dem Jahr 2019 oder aus einem anderen guten Jahrgang.

Sie würden vor allem aber in solch anregender Umgebung sicher dermaßen durchdachte und zitierfähige letzte Worte finden, es wären jedes Mal besonders schöne Stellen in den letzten Blogs, geradezu Feste für das lesende Publikum da draußen. Soweit ein Publikum dann noch vorhanden und lesefähig sein wird. Irgendwie ist es doch eine erbauliche Vorstellung, ist es nicht?

Na, man träumt so vor sich hin. An diesen besonders kurzen Abenden der ach so langen Winterwerktage.

“And in the winter
Extra blankets for the cold
Fix the heater getting old.”

Gleich wieder ein Ohrwurm für den Rest des Tages.

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