Anmerkungen zum Ganztag

“Mama notes” schreibt in der Brigitte über die Ganztagssschule und die Bauchschmerzen, die man als Elternteil mit ihr haben kann. Das Thema bewegt natürlich alle Eltern von Grundschülern. Wir haben bisher nur ein paar Wochen Erfahrung damit, wir können das Kind noch früher abholen, bis zu den Herbstferien ist das eine Art Eingewöhnungszeit mit besonderer Flexibilität. Und da zeigt sich: Das Kind will überhaupt nicht früher abgeholt werden, das Kind will da sein, wo die anderen Kinder sind – wie es wohl alle Kinder immer wollen.

Nach der Schule sind die Kinder, wenn das Wetter es zulässt, noch draußen und ziehen in Rudeln über die Spielplätze und um die Häuser, ohne dass wir permanent hinterherhelikoptern. Das scheint hier wesentlich besser als in anderen Gegenden zu klappen, warum auch immer. Vielleicht weil es so ein kleiner Stadtteil ist, weil es ein Dorf mitten in der Millionenstadt ist. Hier rauschen zwar jeden Tag Touristenmassen durch, aber unter den Einheimischen kennt jeder jeden, das ist etwas speziell, fast wie damals in Travemünde. Wenn Sohn I hier heimlich bei Rot über eine Straße gehen sollte, ich würde es kurz darauf von einem anderen Elternteil erfahren. Weil man hier so leicht nichts unbeobachtet macht.

Auf diese Art sieht man an Sommertagen vielleicht tatsächlich nicht mehr viel vom Kind, aber das entspricht dann doch ziemlich genau dem, wie auch meine Kindheit war. Kurz reingehen, um Essen oder Wasser oder Nähe zu tanken, dann bloß wieder raus, zu den anderen. Wieder rein, wenn es dunkel wird und das auch nur gegen erbitterten Widerstand: “Es ist doch dahinten noch hell!” Im Herbst und im Winter findet dann deutlich mehr Familie statt, Brettspielsaison und Bücherabende, das war früher so, das ist heute so. Bis jetzt kommt mir das alles ganz gut vor. Wenn es nach der Ganztagsschule tatsächlich weitesgehend keine Hausaufgaben gibt, dann ist vermutlich alles in Ordnung – wenn die Kinder in der Schule genug Spaß haben.

Denn die verdammten Hausaufgaben, sie haben uns damals doch auch für ein bis zwei Stunden drinnen festgehalten, und das war weitesgehend spaßfrei, lästig und enorm langweilig. Das waren zwar ein, zwei Stunden, die man jeden Tag zu Hause statt in einer Einrichtung verbrachte, aber ganz sicher tat man das nicht freiwillig und beglückend war es auch nicht, eher im Gegenteil. Dieses Gefühl, noch 50 Lateinvokabeln lernen zu müssen, während andere schon am Strand waren, das ist definitiv eine eher unschöne Erinnerung.

Mich stört am Konzept der gebundenen Ganztagsschule in Hamburg nicht die geregelte Zeit, mich stört vor allem, dass man bei der ganzen Reformarbeit der Grundschulen nicht an Sport- und andere Vereine gedacht hat. Denn wenn das Kind stets bis sechzehn Uhr in der Schule ist, kann beispielsweise ein Schwimmvereinstermin nur um 17 Uhr stattfinden, alles andere ist bei jüngeren Kindern schlicht nicht machbar. Und wie viele Schwimmvereinstermine in Hamburg gibt es wohl um 17 Uhr? Haha, genau. Sohn I geht jetzt mit Sondergenehmigung zu einem früheren Termin. Das ist der Punkt, wo das Konzept überhaupt nicht aufgeht, wo den Vereinen aller Sportarten in Kürze deutlich Nachwuchs fehlen wird. Die Vereine, die Sportarten, die Freizeitbeschäftigungen, sie müssen alle, alle in die Schulen, sie müssen in den Ganztag, es geht sonst einfach nicht. Es kann gar nicht gehen. Was sagen Lehrer, Trainer, Vereinsmeier dazu? Sie gucken wissend und betroffen und heben die Hände zum bewölkten Hamburger Himmel. Was machen die Schulpolitiker? Sie schrauben lieber wieder an G8/G9 herum, man möchte allmählich schreiend weglaufen, wenn man die Kürzel nur hört.

Das geht vermutlich noch jahrelang so. Und das ist wirklich schade.

 

20 Kommentare

  1. Das Nachmittagsprogramm (Wahlprogramm, AGs, Zeug) unserer zukünftigen verlässlichen Grundschule mit Ganztagsoption wird v.a. von dem benachbarten Gymnasium und, tada, vom größten Sportverein der Stadt betrieben. Da scheint der Verein in die Schule zu gehen, genau.
    Wie das in der Praxis geht, erzähl ich dann nächstes Jahr.

  2. Hallo,
    gleiches Problem hatten wir auch.
    Wir haben mit der Schulleitung jetzt eine für alle akzeptable Lösung gefunden.
    Man kann sich Entscheiden ob um 15 vor den Nachmittagaktivitäten abgeholt wird oder um 16Uhr.
    Das gilt dann für ein halb Jahr.

    LG aus NRW

  3. Zu meiner Zeit (meine Einschulung ist gut 20 Jahre her) gab es nach dem üblichen Grundschulvormittag für diejenigen, deren Eltern in Vollzeit arbeiteten, bis 16 Uhr den Hort. Da der Großteil meiner Klasse diesen besuchte, war es ein bisschen wie Ganztagsschule. Hausaufgaben wurden im Hort gemacht und anschließend von der Hortnerin (es gab nur Frauen) kontrolliert. Machte man etwas falsch, erklärt sie den Fehler und ließ wiederholen, bis man es beherrschte. Außerdem stand sie in Kontakt zum/r Klassenlehrer/in und übte während der Hausaufgabenzeit mit allen Kindern das Lesen oder andere Dinge, die im Unterricht zu kurz gekommen waren. Das alles nahm aber nur einen kleinen Teil der Hortzeit ein. Ansonsten wurde drinnen und draußen gespielt und getobt und – das ist der Punkt, auf den ich hinaus will – die Schule bot nachmittags verschiedenste Arbeitsgemeinschaften (Chor, Theater, Basteln, Töpfern, Musik, …) an. Bei Sportkursen war das etwas schwieriger, weil eine Schule ja eine relativ begrenzte Anzahl Sportlehrer und Sporthallen hat. Da aber oft mehrere Hortkinder nachmittags zu den gleichen außerschulisch angebotenen Sportkursen wollten, wurden der Hin- und Rückweg gemeinsam absolviert – mit einer nicht erwerbstätigen Mutter als Aufsichtsperson.

  4. Ich finde das Konzept etwas befremdlich und hoffe, dass es hier so bleibt, wie es ist. Im Schulgebäude ist zusätzlich der Hort untergebracht. Die Kinder gehen nach der Schule nach Hause oder bleiben im Hort. Dort kann gespielt werden, es gibt Arbeitsgemeinschaften und eine betreute Hausaufgabenzeit (ab der 3. Klasse legen die Eltern fest, ob die Kinder dort Hausaufgaben machen sollen, es selbst entscheiden oder die immer zu Hause erledigen). Wann die Kinder nach Hause gehen oder ob sie abgeholt werden, steht in der Hortkarte und wird für jeden Tag individuell festgelegt. Man kann auch reinschreiben, dass es das Kind selbst entscheidet, wann es gehen möchte. Geöffnet ist dieser Hort früh vor der Schule ab 6:30 Uhr und nachmittags bis 17:30 Uhr. Inhaltlich gibt es Probleme, aber zumindest passt es zeitlich in jede Familie.

  5. @brina..
    Hach, wie das klingt… „nicht erwerbstätige Mutter“ ;o))
    Vor 20 Jahren waren es wir Mütter mit Vormittagsfreizeit, die Schulen zum Laufen gebracht haben. Die haben Brote geschmiert, sind mit zu Theaterveranstaltungen gegegangen, habe Projektwochen begleitet.
    Und nachmittags hat Mama Taxi die Kinder zu den Aktivitäten kutschiert.
    Ich hätte mir für meine Kinder auch nie eine Ganztagsschule gewünscht.
    @Maximilian Buddenbohm
    Der letzte Satz beschreibt jede Schulmisere… Es dauert. Und das eigene Kind hat oft nicht mal was davon, wenn man sich für oder gegen etwas engagiert.

  6. So gut ich Ganztagsschule finde – v.a. für alle, die es wirklich brauchen, weil sonst Kind und Beruf nicht unter einen Hut zu bekommen ist -, so bescheuert ist diese Verpflichtung aus genau den geschilderten Gründen.
    Das ist auch jenseits von familienfreundlich, denn es wird sich nicht dem Bedarf angepasst, sondern einfach ein Konzept präsentiert, mit dem gerade mal die Pflicht erfüllt wird. „Friss Vogel oder stirb.“
    Aber Hamburg kann es sich ja leisten.

  7. @Little B.

    Es gibt ja zum Glück keine Verpflichtung, siehe Hamburgisches Schulgesetz § 13 (2a): Die Behörde stellt sicher, dass ein regional ausgewogenes Angebot Halbtagsbeschulung in zumutbarer Entfernung zum Wohnort besteht.

  8. Das heißt am Ende: Alles, was die Schule nicht intern bietet, läuft Gefahr, ausgestorben zu werden. Aber eine Schule wird nie alles bieten können, was Eltern in ihrer Diversität bieten könnten. Für jemanden wie mich, für den Schule immer zu normativ und eine üble Zwangsverantaltung war, ist das irgendwie kurz vor Horror. Was habe ich nicht alles in der Kinder- und Jugendzeit gemacht und um wie vieles davon bin ich froh, auch wenn ich es heute nicht mehr mache. Und was davon in der Schule? Na da konnte man sich ausruhen.

    Wer abweicht, wird in Zukunft noch mehr verlieren.

  9. @Petra: Ich bin aus einer ziemlich strukturschwachen Gegend in Ostdeutschland. Die Mütter, die nicht erwerbstätig waren, hatten das nicht gewählt, sondern waren arbeitslos und auf Jobsuche. Dass frau von 7 bis 4 arbeitet, war die Norm. Daher war eine ganztägige Kinderbetreuung unabdingbar.

  10. Als ich damals beim Schulamt eine Beratung in Anspruch nahm, um zu erfahren, ob für uns eine Ganztagsschule oder eher eine „normale“ Grundschule geeignet wäre, sagte man mir: „Ganztagsschulen sind eher für Kinder von Eltern, die sich keine Sportvereine o.ä. leisten können.“ Nun ja ^^

  11. Bei einer gebundenen Ganztagsschule hätte ich wohl auch Bauchschmerzen. Hier bei uns in NRW ist die Ganztagsschule zum Glück offen und flexibel und die Vereine sind auch mit im Boot. Es geht!
    LG, Micha

  12. Ich musste ja damals (Ende der 80er) ab der 2. Klasse morgens selbständig aufstehen, mich fertigmachen, zur Schule laufen, kam Mittags wieder, hab mir das Essen auf dem Herd warmgemacht, hab Hausaufgaben erledigt und meine Eltern kamen so gegen 5 Uhr Nachmittags heim.
    Ich fand das auch so überhaupt gar nicht schlimm, weil ich ja schon so groß war, dass ich nicht ständig betüddelt werden musste. Würde man ein Kind heute so aufziehen, käme ja das Jugendamt XD

  13. Ja, das Problem besteht bei GTS. In unserer Grundschule mit GBS, also offener Ganztagsschule, gibt es da gottlob mehrere Optionen – direkt nach der Schule abholen, nach dem Essen (14:00), 15:15, 16:15 oder danach flexibel. Das klappt jetzt, nach einem Jahr, ganz gut. Aber ich verstehe die Misere mit den Nachmittagsterminen, da besteht durchaus noch Nachbesserungsbedarf.

    Kleine Anmerkung: Dass sie sich wieder mit der unsäglichen G8/G9-Geschichte befassen müssen, ist ausnahmsweise nicht Schuld der Schulpolitiker, das haben wir ganz allein Frau Kirsch und Co. zu verdanken.

  14. Als es noch kaum Ganztagsschulen in Hamburg gab, blieb die Nachmittagsbetreuung für unseren Sohn im Kindergarten die Alternative. Vier Jahre lang war das ok, wobei sich bald herausstellte, dass die Hausaufgabenbetreuung der größte Schwachpunkt war. Die Hausaufgabenbetreuer wechselten ständig und waren nicht professionell. Das Ende vom Lied war dann, abends mit den Eltern die gesamten Hausaufgaben noch einmal zu machen, ein glatte Überforderung für beide Seiten. Und als die meisten Spielkameraden dann in der 5. Klasse den Kindergarten verließen, wollte unser Kind dort natürlich auch nicht bleiben. Wir mussten jahrelang improvisieren, abwechseln mittags nach Hause kommen, zeitweilig unser Kind drei Stunden allein lassen, die lästigen Hausaufgaben wurden erst Recht zum Problem. Sportvereintermine klappten jedoch gut. Das Ergebnis: wir hatten eine kleine Sportskanone zuhause, die aber wegen erheblicher Lücken in Deutsch, Mathe, Englisch aus den ersten Schuljahren später kein Abitur geschafft hat.
    Es ist eine logistische und pädagogische Meisterleistung für Eltern geworden, Kinder durch die Schulzeit zu begleiten. Zum Glück haben wir das hinter uns.

  15. Bei uns veranstaltet die Schule selbst diverse Sportangebote. Der lokale Sportverein ist raus.
    Völlig unverständlich, denn Problem Nr. 1 im Verein sind zu wenige Mitglieder.
    Beide Seiten verlieren.
    Die Schule bietet, aufgrund Personal, Budget und allem, nur wenig Sport an und der Verein bietet viel an, aber es fehlen die Leute.

    Finde den Fehler, es ist faszinierend.

  16. Hier im bayerisch-ländlichen Raum gibt es derzeit kein Ganztagesangebot für Grundschüler. Es gab für wenige einen Hort. Ab den weiterführenden Schulen gibt es ein offenes und geschlossenes Konzept. Beide sind jedoch zeitlich bindend – keine Ausnahmen. Zum Glück finden die Freizeitangebote für meine Kinder dem Alter angepasst etwas später statt. Dafür klappt die Hausaufgabenbetreuung eher nicht. Für uns das größere Problem. Wenn die Kinder 16 Uhr nach Hause kommen, muss oft noch einiges nachgearbeitet werden. Alles andere als eine befriedigende Lösung. Als Ostkind bin ich mit Hortbetreuung bis 17.00 Uhr aufgewachsen. Freizeitangebote fanden interessendeckend in der Schule statt. Eltern hatten mit dem Thema so gut wie nichts zu tun, die arbeiteten alle bis 17.00 Uhr. Ab der 5. Klasse gab es keine Betreuung mehr. Da waren wir „Schlüsselkinder“ und fanden das ganz gut :o)

  17. In Eppendorf bietet der Schulverein eine Kooperation mit dem dort ansässigen Turnverein an. Sowohl während der Nachmittagsbetreuung im Ganztag als auch danach. Klappt ganz gut. Hier hakt es nur an anderer Stelle. Die Nachmittagsbetreuung wird gewuppt von Leuten, die Kernzeit 3 Stunden täglich am Nachmittag arbeiten und darunter leidet oft die Qualität. Wir haben ein paar Jahre Vorsprung und mit dem zweiten Kind nach totaler Entgleisung (ich schrieb bereits darüber) die Schule gewechselt, eine wirkliche Ganztagsschlule ohne Hausaufgaben. Quintessenz: Der Ganztag mit Nachmittagsbetreuung steckt noch voll in den Kinderschuhen und es steht und fällt alles mit den Personen, die unsere Kinder den ganzen Tag unter den Fittichen haben und deren Engagement. Nicht geschaffte Hausaufgaben nach dem Ganztag zu erledigen sorgen für Vollfrust auf allen Seiten.

  18. @MartinM: Aber das beduetet, dass ich mich für oder gegen eine Ganztagsbetreuung entscheiden muss, oder?
    Wenn ich also prinzipiell den Bedarf habe, aber an zwei Nachmittagen mein Kind z.B. Sport oder Musik hat, dann habe ich die Wahl zwischen
    a) Ich organisiere die Betreuung an den verbleibenden drei Tagen privat
    b) Mein Kind verzichtet auf außerschulische Aktivitäten.

    Sorry, aber das ist auch „Friss Vogel oder stirb“.

  19. Aus der Konzeptionsphase der Ganztagsschulen war das Konzept eigentlich ganz anders gedacht. Es ging darum, den Unterricht und die Freizeitgestaltung stärker zu verflechten, um die Belastung für die Kinder zu reduzieren. Der Unterricht sollte über den ganzen Tag stattfinden und dabei von Freizeitangeboten durchzogen werden. Somit wäre das Schwimmvereinangebot dann ein Abwechslungsmoment zum Unterricht geworden. Der Tag der Kinder sollte abwechslungsreicher werden, die Anspannung aus dem Unterricht rausgenommen und das ganze Konzept spielerischer. Aber leider hat sich das Konzept so gut wie nirgendwo durchgesetzt. Es gibt fast überall weiterhin eine Trennung zwischen Unterricht am Morgen und „Betreute Angebote“ am Nachmittag. Es ist schade, dass sich ein, wie ich immer noch finde, gutes Konzept nicht durchgesetzt hat. Zum Teil ist dafür natürlich eine aufwendige Planung und Logistik nötig. Ich schätze, an der Stelle endete dann oft der Ehrgeiz der Verantwortlichen.

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