Gelesen, vorgelesen, gesehen, gehört im Februar

Gelesen

Februar – Gedichte. Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christiane Schmidjell.

Februar-Gedichte

Das war, wie erwartet, eine etwas karnevallastige Auswahl und auch sonst wurde ich mit dem Band nicht recht warm. So wenig wurde ich damit warm, dass ich gleich den März dazu gekauft habe, eine Schummelei ohne Beispiel. Aber der Februar ist nun einmal definitiv nicht mein liebster Monat, im Gegenteil. Da kann man literarisch etwas vorspulen, das finde ich legitim.

Groß fand ich aber doch einen Vers aus Karl Krolows “Tätiger Winter”, ganz kurz und ganz einfach:

Schnee
tut einen Reim lang
weh.

Das hat man ja manchmal, dass man sich in so etwas spontan verliebt und es immer wieder angucken kann. Ich finde die sehr schlau, diese drei Zeilen. Und das brachte mich dann darauf, dass ich Karl Krolow zwar seit Ewigkeiten als Anthologieteilnehmer kenne, der kommt ja praktisch per Gesetz in jedem deutschen Lyriksammelband vor – aber ich wusste gar nichts über den. Also habe ich etwas nachgelesen. Und überrascht zur Kenntnis genommen, dass er ganz anders aussieht als gedacht, nämlich nicht wie ein bärbeißiger Arbeitertyp mit Rudererhänden, Stiernacken, Stoppelhaaren und dickem Bleistift hinterm Ohr. Faszinierend, wenn man so falsch liegt. Karl Krolow, das klingt wirklich nach einem Mann von Statur, klingt es nicht? Dann jedenfalls gleich ein Buch von ihm gekauft.

Karl Krolow: Ich höre mich sagen. Gedichte.

Krolow

Ein Band mit geradezu amüsant hochtrabendem Klappentext, Suhrkamp galore, wirklich schlimm. Die Gedichte gehören zum Spätwerk, sie klingen schon nach weit fortgeschrittenem Abend, das ist melancholischer, bitterer Stoff in anziehender Uneindeutigkeit. Das meint, man liest da so in Gedicht hinein, die sind alle ganz unprätentiös formuliert, und dann merkt erst nach etlichen Zeilen, dass man vielleicht doch eher nichts verstanden hat. Oder nur den ersten Satz? Den ersten Vers? Und dann denkt man nach und wiederholt vielleicht, was man noch einleuchtend fand, lässt das Buch sinken, kommt vom Thema ab und denkt so vor sich hin und dann ist es auch schon spät und man macht das Licht aus. Weswegen ich dem Buch ein seltsames Kompliment machen kann, das aber völlig ernst gemeint ist – man kann es hervorragend nach ein paar Zeilen wieder weglegen und alleine weiter denken. In angenehm angemoderter Stimmung. Das wird noch länger auf dem Nachttisch liegen, das gefällt mir.

Ein beliebiger Tag. Nur die Zeit vergeht.
Ich laß mit der Zeit mich nicht ein –
ein Wasser, das mir zum Halse steht.
Ich hab nicht den ersten Stein.

[…]

März-Gedichte. Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christiane Schmidjell.

März-Gedichte

Der März also, in dem es natürlich schon nach Frühling klingt. März ist eine feine Sache, auch in Gedichten. Und weil es beim Februar so nett war, auf den Einzelband von Krolow zu kommen, habe ich mich vom Märzband zu Mascha Kaléko treiben lassen, aber dazu komme ich erst im nächsten Monat. Das lyrische Stenogrammheft, also ein lyrischer Bestseller, gleich wieder eine Bildungslücke weniger.

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben.

Ein ganzes Leben

Das ist sehr, sehr gut, kaufen Sie das auch. Ich habe es in der Ausgabe der Büchergilde, deren Arbeit man ab und zu vehement loben muss, weil sie so wunderschöne Bücher machen. Andreas Egger, die Hauptfigur des Romans, vergisst man so leicht nicht, obwohl seinem Leben alles Spektakuläre fehlt, jedenfalls wenn man die üblichen Maßstäbe anlegt. Literarisch gelten natürlich ganz andere Regeln und die Liebe zu Marie, ebenso wie das sehr späte Wiedersehen mit ihr nach der tragischen Trennung – das ist schon ergreifend, das bleibt einem. Und kurz ist das Buch übrigens, für ein ganzes Leben sogar sehr kurz. Das kann man in zwei Hapsen weglesen, das ist so ein Buch auf die Hand. Wirklich große Empfehlung.

Erich Ohser bzw. e.o. plauen: Vater und Sohn. Sämtliche Streiche und Abenteuer.

Vater und Sohn

In der gerade herausgekommenen und wunderschönen Ausgabe aus dem Südverlag, da ist schon das Anfassen eine Freude. Zum Lesen bin ich allerdings kaum gekommen, weil, womit ich gar nicht gerechnet hätte, Sohn I von dem Buch vollkommen hingerissen ist und dauernd darin liest. Lachend und sichtlich begeistert.

Geo Wissen: Wie Erziehung gelingt.

Geo Wissen

Ich lese fast nie Erziehungsratgeber, aber das lag gerade so einladend in der Wohnung herum. Weil die Herzdame gerade Erziehungsratgeber liest. Sie dachte sich, es sei vielleicht sinnvoll, nach ein paar Jahren abgeleisteter Erziehung die Sache einmal neu zu kalibrieren und teilt mir, sehr praktisch, ab und zu die Kurzfassungen ihrer Erkenntnisse mit. Mir hat an diesem Heft von Geo jedenfalls gefallen, dass man ein Interview mit Jesper Juul einem Interview mit einem etwas autoritärer orientiertem Experten direkt gegenübergestellt hat, so dass man nach der Lektüre beider Texte wieder überhaupt nichts weiß – das passt doch ganz gut zum Thema, finde ich.

Natürlich findet man in Erziehungsratgebern generell hin und wieder sinnvolle Kapitel, und es ist auch richtig, sich an ein paar Aspekte wieder zu erinnern, ja doch. Und sei es nur, um die tägliche Herumkommandierquote wieder einmal kritisch zu hinterfragen oder auch versuchsweise gen Null zu abzusenken, da schadet etwas Motivation überhaupt nicht. Aber wenn man etwas Erfahrung mit Kindern hat, merkt man auch, wie geschickt sich etliche Autoren an wirklich sinnvollen Beispielen vorbeischummeln.

Josef Rohrer: Meran kompakt: Die Stadt und ihre Umgebung. Da fahren wir im Sommer hin. Als überzeugter Spießer bereite ich mich natürlich gründlich vor.

Meran-Buch

Eshkol Nevo: Vier Häuser und eine Sehnsucht. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer.

Eshkol Nevo

Das ist ein Roman aus Israel, aus Jerusalem. Der ganze Irrsinn des Landes in den Einzelschicksalen einer kleinen Nachbarschaft. Juden und Araber, Orthodoxe und Zweifler, das ganze Durcheinander. Eines dieser Bücher, die mir gut gefallen, von denen ich aber dennoch dauernd abkomme und etwas anderes in der Hand habe. Manchmal kann man es nicht recht erklären und weiß gar nicht, woran es liegt. Dennoch ein gutes Buch. Vielleicht finde ich nur die Unlösbarkeit der Konflikte in dem Land schwer auszuhalten.

Vorgelesen

Ingrid Uebe und Markus Spang (Bilder): Die Abenteuer des Barons von Münchhausen.

Münchhausen

Ein Buch aus der Leserabe-Reihe, das sind Bücher speziell für Leseanfänger, also mit heruntergedimmten Schwierigkeitsgrad in Satzbau und Vokabular. Aus der Reihe lese ich gerade gemeinsam mit Sohn I einige Bücher. Er ein paar Sätze, ich ein paar Sätze, oder ich ein Wort, er ein Wort – oder wie auch immer. Um etwas Schwung beim Lesen aufzunehmen, um etwas mit Geschichten zu locken. Sohn II hört natürlich auch zu oder liest schon mal ein besonders kurzes Wort selbst, er ist da etwas ehrgeiziger als sein großer Bruder.

Beide Söhne mussten etwas länger über das Konzept der Geschichte nachdenken, das war interessant. Da geht es also um einen Lügner, der dauernd betont, dass er die Wahrheit spricht. Was ist nun richtig? Ist es ein einfacher Trick in der Erzählung, ist es ein doppelter, gar ein dreifacher Trick? Gab es den Baron am Ende wirklich, genau so? Wer erzählt da eigentlich? Warum lügt er so offensichtlich? Das bedeutet doch etwas? Wer so lügt, der sagt am Ende die Wahrheit? Da denken die Kinder plötzlich über Stilmittel nach, über Erzähltricks und literarische Finten, das ist herrlich. Und wenn man gut aufpasst und den Jungs ausnahmsweise hinterherspioniert und dann noch etwas Glück hat, kann man sehen, wie sie sich doch einmal im Kinderzimmer probeweise selbst in die Haare greifen und kräftig daran ziehen – ob einen das am Ende nicht doch etwas hochhebt, wie bei dem Münchhausen im Sumpf? Nein? Verdammt.

Der olle Lügenbaron. Funktioniert immer noch.

Gudrun Sulzenbacher: Die Gletschermumie – Mit Ötzi auf Entdeckungsreise durch die Jungsteinzeit. Das dient natürlich auch der Vorbereitung auf den Sommerurlaub. Sohn II ist noch etwas zu klein für die Fachsprache, aber sein Interesse macht das locker wett.

Ötzi

Gesehen

Nichts. Macht nichts. Der Februar ist eh zu kurz für fast alles.

Gehört

Georges Moustaki. Das war ein Zufallsfund, mir ist durch irgendeine Assoziation eine Platte wieder eingefallen, die im Schrank meiner Mutter stand und damals in Travemünde dauernd lief. Darauf die Déclaration von Moustaki, die ich seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gehört habe und deren Anfang ich immer noch mitsprechen kann, das Langzeitgedächtnis ist eine erstaunliche Angelegenheit. Es ist übrigens ganz gut, Musik dieser Art lange nicht gehört zu haben, weil sie einen dann geradezu ruckartig in die Vergangenheit werfen kann. Da rauscht man rückwärts durch die Jahre und landet auf einem Sofa, das es schon längst nicht mehr gibt, und die Luft ist verraucht, und die Platte läuft, und man sieht den Plattenspieler mit dem Schriftzug “Dual” und auch das Regal darüber sieht man plötzlich wieder, die ganze Zimmerecke und man sieht überhaupt alles, es fällt einem sogar ein, was man an Kleidung getragen hat, was es gerade zum Abendessen gab, wie die Stimmung war und wer gleich klingeln wird… Was nicht unbedingt schön sein muss, aber doch lehrreich ist. Ach, so war das? Guck an.

Je déclare l’état de bonheur permanent. Et le droit de chacun à tous les privilèges.Ein schöner Anfang. Mir sind noch weitere Platten von damals wieder eingefallen, die Platten meiner Kindheit oder frühen Jugend, ich sehe die ganze Reihe wieder vor mir, so viele waren das gar nicht. Ich höre da nach und nach mal rein.

Element of Crime. Und da ich gerade nach langer Pause wieder an einer längeren Geschichte schreibe, halte ich mich an das altbewährte Rezept, nachdem alle meine Erzählungen entstanden sind – man begieße den Autor zwei Stunden mit Element of Crime, lasse ihn eine Stunde an einem kühlen Ort gehen und setze ihn dann an einen Schreibtisch. Der Rest findet sich dann. Hoffentlich.

(Und da saß er dann und wartete. Und wartete. )

 

4 Kommentare

  1. „Vater und Sohn“ von e.o. plauen habe ich als Kind geliebt.. Danke für den Zeitsprung und die Erinnerung! ?

  2. Werte Buddenbohms,
    ich komme aus Darmstadt, wo Karl Krolow gelebt und gedichtet hat (oft mit Gabriele Wohmann, eine echte Darmstädterin). Es gibt hier ein Denkmal von Karl Krolow das sehr treffend darstellt, wie man Krolow in der Stadt begegnen konnte, als er noch lebte. Sie finden es hier:
    http://www.panoramio.com/photo/74285440

    Zu e.o.plauen gibt es auch eine schöne Biographie zur Tragik seines Lebens: Elke Schulz, Erich Ohser alias e.o.plauen: Ein deutsches Künstlerschicksal
    Gruß aus Darmstadt:
    Reiner Wadel

  3. Sehr schöne Liste, wie üblich.
    Seethaler, ganz dicken OK-Haken drangemacht.

    Lustig: Ich habe mir just gestern das gleiche GEO Wissen geholt, bei mir stets auch aus beruflichen Gründen, aber die Sache mit der Kalibrierung ist auch irgendwie richtig.

  4. Für den Meran-Trip empfehle ich einen Ausflug zum „Internationalen Filzwanderweg“ in Tisens, im Wald verstreut finden sich diverse Filzkunstwerke in unterschiedlichen Zuständen der Renaturierung, sehr nett gemacht und für Kinder spannend, einen leicht angenagten Filzfuchs im Wald zu entdecken…. Klingt hochtrabender als es ist, hat unserem Sohn aber viel Spaß gemacht. Ansonsten auf den Ritten fahren und dort mit der alten Bahn fahren nicht vergessen.

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