“Er wirkte auf mich immer wie ein zufriedener Mann”, sagte der Pastor im Heimatdorf. Und das stimmte auch, das werde nicht nur ich, das werden viele der Gäste in der kleinen Kapelle gedacht haben, als wir heute Abschied vom Uropa der Söhne und also vom Opa der Herzdame genommen haben. Weil eben auch die beste Methode, wieder gesund zu werden, irgendwann nicht mehr funktioniert, und er hatte doch eine so verdammt wirksame Methode.
Ein zufriedener Mann, das mag er tatsächlich oft gewesen sein, und da kann man ruhig etwas länger drüber nachdenken, so unter uns Unzufriedenen. Ein hartes Leben in einfachen Verhältnissen hatte der Uropa. Das Berufsleben nach der Kriegsgefangenschaft fast als Kind noch damals als Knecht beim Bauern begonnen, dann im Stahlbau weitergemacht, auf dem Bau gearbeitet, zwischendurch war er auch einmal Fährmann auf der Weser, und das klingt vermutlich nur romantisch. Frau, Kind, Dorf. In der Freizeit Aale geangelt und geräuchert. Im Laufe des Lebens ist er dann zwei Dörfer weiter gelandet, viel mehr ist er wohl nie herumgekommen. Sommerurlaube in Büsum. Als die Herzdame und ich geheiratet haben, da war er schon alt und doch noch einmal in Hamburg, ging dort kopfschüttelnd durch die Straßen, der Dreck überall! Wieso macht denn da keiner was! Mal einen Besen nehmen!
Er selbst hielt die eigene Wohnung und den Hof als Rentner in tadelloser Ordnung, kein Gedanke daran, sich jemals gehen zu lassen oder irgendwie auszubrechen. Im Vergleich zur Wohnung von Uroma und Uropa leben wir in Hamburg tatsächlich in geradezu verkommenen oder zumindest höchst lässigen, hippiemäßigen Verhältnissen. Wenn wir im Heimatdorf ankamen, auf den Hof fuhren und ihn sahen, hatte er die Arbeitshose an und ein Werkzeug in der Hand, einen Besen, eine Harke, einen Schraubenzieher. Winkte kurz und machte weiter. Es war ja immer etwas zu tun. Das war ein einfacher Alltag, mit größter Regelmäßigkeit und ohne besonderen Vorkommnisse oder große Erwartungen, ich habe hier einmal eine kleine Szene über einen Besuch geschrieben. Das Leben ist anders auf dem Land, sein Leben war anders als unseres. Er machte einfach immer, was gemacht werden musste – und zwar wenn es gemacht werden musste. Kein Gejammer, kein Verschieben, keine Umwege, keine Eskapaden.
Zur Bundestagswahl hat er sich immer den guten Anzug angezogen, ist dann erst mal eben auf die andere Straßenseite ins Wahllokal gegangen: “Das ist ja nicht irgendwas!” Das mochte ich sehr.
In der Wohnung an jeder freien Wand Bilder der Urenkel, viele.
“Papa, da hängen ja nur Bilder von uns!”
“Ja, warum wohl?”
“Ich glaube, ich weiß warum.”
“Ich glaube auch.”
In den letzten Jahren hörte er nicht mehr gut, hatte auch oft sein Hörgerät gar nicht eingeschaltet. Saß in Gesellschaften nur noch am Rand dabei und war nicht mehr recht beteiligt. Konnte dabei aber Kinder und Katzen so schelmisch angrinsen, dass sie unweigerlich irgendwann zurückgrinsten. Bei gewissen Kindern und schon gar bei Katzen kann das auch nicht gerade jeder.
Am letzten Wochenende haben wir ihn noch einmal besucht, es sah nicht mehr so gut für ihn aus, sagten die Ärzte, da kam einiges zusammen. Wir haben Kaffee getrunken und Apfelkuchen gegessen und Fotos mit ihm gemacht. Er hat trotz beginnender Demenz alle erkannt und in die Kamera gegrinst, musste sich dann aber doch bald wieder hinlegen. “Ich wünsch dir was, Hamburger!” Das sagte er, als ich mich von ihm verabschiedete. “Ich dir auch”, sagte ich. Zwei Tage später ist er gestorben, mit 88 Jahren und in der eigenen Wohnung, umgeben von der engeren Familie und neben seiner Hilde, mit der er über sechzig Jahre verheiratet war. Da waren wir schon wieder in Hamburg, da waren wir wieder in der Schule und im Büro. Aber wir werden uns noch lange darüber freuen, dass wir einfach hingefahren sind und nichts verschoben haben. Obwohl es doch gerade gar nicht passte, weil es ja nie passt und weil man zu nichts kommt. Einfach gemacht, was gemacht werden musste, als es gemacht werden musste. Ohne große Erwartungen.
Denn man will ja auch etwas lernen von denen, die uns vorangehen.
Opa Heinrich.
Ich glaube, ich mag diesen Opa.
Herzliches Beileid! 88 Jahre – das ist schon eine Strecke Menschenleben!
Es ist wichtig und schön, sich an Menschen zu erinnern. http://muedematerie.tumblr.com/
Danke für das Teilhaben lassen.
Es gab hier mal den Verweis auf gewisse Parallelen zwischen dem Opa und einem Bild in „Wo der Weihnachtsmann wohnt“. Seitdem muss ich immer – auch wenn wir Fremde sind – an euren Opa denken, wenn wir das Bild des frickelnden Technik-Wichels ansehen.
Das war allerdings der Opa, nicht der Uropa 🙂
Danke. Von Herzen. <3
Mein Beileid. Da sind mir beim Lesen Tränen in die Augen gekommen. Erinnert mich sehr an meinen Opa, sehr hartes Leben, nie groß rumgekommen, kein Gejammer, immer am etwas machen, am liebsten Schwammerl suchen und ein netter Opa für uns. Leider ist er schon vor langer Zeit gestorben. Schön dass ihr ihn nochmal gesehen habt.