Retromax

Am Montag war es nach wie vor geradezu ungebührlich heiß in der Stadt, was für mich auch deswegen ein Problem ist, weil ich an solchen Tagen seit meiner Jugend zwanghaft „Hot in the city“ von Billy Idol im Kopf und im brülllauten Endlos-Loop höre, das ist nach mittlerweile mehreren Jahrzehnten doch etwas belastend, to say the least.

Egal. Es war also hot in the city, es war entschieden zu hot für Hoodies und ich habe deswegen mal wieder ein Hemd angezogen, was ich lange nicht gemacht habe. Eventuell seit dem 13. März 2020 nicht mehr, das kann tatsächlich sein. Es war eindeutig eine Hoodie-Zeit, die Monate nach diesem März im letzten Jahr, und nicht nur für mich. Jetzt also das Hemd. Das war seltsam.

Natürlich erinnere ich mich noch an meine Hemden. Ich weiß, wie sie aussehen und wie sie sitzen und alles, aber was waren die fremd! Als läge das Tragen nicht etwa ein Jahr, als läge das mindestens zehn Jahre zurück. Und mit dem Tragen auch die Umstände, die Stimmungen, der Alltag, die Epoche, v.C., vor Corona. Ich ging vor den Spiegel und sah nach damals aus, nur deutlich verbrauchter und müder. Das da im Spiegel – das war ein verkleideter Retromax. Ich hätte, da bin ich wieder bei Affekten, gerne alle Hemden mit ausholender Theatergeste aus dem Schrank genommen und glattweg entsorgt. Ich wäre gerne spontan in einen Laden gegangen und hätte zehn Hemden und zwei Anzüge gekauft, alle neu, alle frisch, alle anders, alle jetzt. Das habe ich selbstverständlich nicht gemacht, hier wird aufgetragen, was im Schrank hängt. Es hat auch gar kein Laden auf, noch lange nicht, und ich bin nicht einmal durch die Pandemie ein besonderer Fan des Onlinehandels geworden. Wie ich bereits einmal schrieb, schon deswegen nicht, weil nach so einer Bestellung immer irgendwann jemand hier klingelt. Ich lehne das ab.

Aber ich fand es interessant, dass mir diese Relikte des präpandemischen Zeitalters in meinem Schrank da irgendwie abgehangen vorkamen, was Hemden zwar ohnehin sind, aber eben noch abgehangener und abgetragener. Älter. Einige der Hemden waren vor 15 Monaten noch gar nicht alt. Jetzt schon, jetzt sind sie sehr alt.

Vielleicht ein Hinweis darauf, dass ich als Anderer aus der Pandemie komme. Vielleicht auch in stärkerer Ausprägung, als es mir bisher bewusst ist.

Ich habe daran eigentlich keinen Zweifel, das wird so sein. Aber faszinierend, woran das zu bemerken ist.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

 

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit exceeded. Please complete the captcha once again.