Urbanes Können

Es mag ja sein, dass Sie in einer Kleinstadt leben, in einem Dorf gar, in dem der öffentliche Raum, so Sie da überhaupt einen nennenswerten haben, noch nicht durch im Weg herumstehende E-Scooter zerschandelt worden ist. Dann haben Sie auch nicht die Bilder im Kopf, die etwa im Hirn eines Großstädters oder, versteht sich, einer Großstädterin entstehen, wenn die den Begriff E-Scooter hören oder lesen. Während unsereins etwa an das täglich wachsende und offen gestanden auch immer schwerer zu beherrschende Bedürfnis denkt, die Dinger mit Schmackes aus dem Weg zu kicken, denken Sie vielleicht nur in normaler und also eher unbewegter Gefühlslage an das Gerät an sich, das kann ich mir zumindest gut vorstellen. Sie denken also in dieser Hinsicht ganz anders als ich, als die Menschen aus den millionengroßen Städten.

So spaltet auch der E-Scooter die Gesellschaft, wie eben alles die Gesellschaft spaltet, es ist nämlich weiß Gott kein Kunststück, die Gesellschaft zu spalten, wie ich auch als Autor weiß, der von manchen gelesen wird, von manchen aber nicht, auch da zerfällt das Land sauber in zwei Teile. Wenn man das bis zum Ende durchdenkt, man kommt unweigerlich darauf, dass die Gesellschaft nicht gespalten ist, sondern vielmehr zerspant. Aber das nur am Rande. Wo war ich?

Die E-Scooter-Bilder. Ich wollte etwas für die Vereinheitlichung unserer Denkmuster tun und Ihnen erzählen, was ich heute erstmalig gesehen habe, was nun aber zumindest für mich zum Bild des Scooters künftig dazuzugehören haben wird, für andere Menschen aus dieser Stadt vermutlich auch bald. Und zwar fuhr ein Jugendlicher auf einem E-Scooter eine Kurve um mich herum, selbstverständlich auf dem Fußweg, und dann gegen einen Mülleimer, was allerdings aus Absicht geschah, wie ich kurz darauf verstand. Er sprang nämlich kurz vor dem Aufprall kunstvoll ab und blieb dann da so stehen, ein Bein wieder auf dem hart ausgebremsten Scooter, und ich dachte noch, was macht der da, dann fing es auch schon an zu qualmen. Die ihn begleitenden und sicherlich mit ihm befreundeten Jugendlichen nickten beifällig, das war nämlich cool, was der da machte. Er beschleunigte einfach weiter. Da der Roller aber nicht nach vorne konnte, brannte er erstaunlich schnell etwas durch, wobei ich nicht genau weiß, was da nun qualmte, das Rad, der Motor, wie auch immer, es ist ja auch egal. Es wölkte etwas giftig aus dem Rückradbereich, es stank.

Um das Bild vollständig im Kopf zu haben, müssen Sie sich den Jugendlichen bei dieser Aktion mit einem gänzlich unbewegten Gesicht vorstellen, weil er eben wirklich cool war. Ernst, lässig, ein Topchecker erster Klasse, das war urbanes Können in Vollendung. Don’t try this at home!

Anders der Mann im deutlich reiferen Alter und im Anzug, der mir heute Morgen auf dem Arbeitsweg im Büroviertel auf einem E-Scooter entgegenkam, selbstverständlich auf dem Fußweg, und der dabei einen eleganten Bogen um mich fahren wollte, in einem gerade noch höflichen Abstand zu mir. Er hielt einen Coffee-to-go-Becher in der Hand und wollte in dieser Kurve einen Schluck nehmen, wobei das einhändige Fahren auf so einem Ding nicht unbedingt empfehlenswert ist. Er legte sich also vor mir nach allen Regeln der Stuntkunst auf die Fresse und lag mir für einen Moment flunderflach im Weg. Er stand dann bemüht schnell wieder auf, ließ seinen ausgelaufenen Becher dort liegen, wo er sich ergossen hatte, klopfte seinen dezent verrutschten Anzug etwas ab, fühlte kurz in seine Gliedmaßen hinein, bewegte dies und das und eruierte vorsichtig die Schadens- und Bruchlage, schüttelte auch den Kopf probehalber einmal hin und her, und fuhr schließlich weiter, als sei nichts geschehen.

Mit beiden Händen fest am Lenker.

So etwas gehört jetzt dazu, wenn man an E-Scooter denkt, finde ich. Ich halte Sie aber auch gerne weiter auf dem Laufenden, ich werde berichten, so zumindest der Plan.

***

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4 Kommentare

  1. Sehr schöne Beobachtungen! Ich musste wissend lachen.

    Ich kann aus einer anderen Großstadt (im Süden der Republik) für die nicht in einer urbanen Gegend Lebenden E-Scooter-Beobachtung berichten.

    Es war des Nächtens in den Pfingstferien an einem der über Nacht aus dem Boden geschossenen Party-Hotspots in zentraler Lage.
    Ein sichtlich nicht mehr nüchterner Jugendlicher mietete sich einen E-Scooter. Er hatte eine Soundanlage, die man hinter sich herzieht wie einen Rollkoffer. Darauf hatte er keinen Bock mehr. Als hängte er seine optisch wie akustisch mächtig Eindruck machende Soundanlage über das Hinterrad des Scooters und cruiste zur Begeisterung seiner Begleiter*innen und meiner Faszination unfallfrei (!) mit diesem Gespann die Prachtstraße entlang des Party-Hotspots auf und ab.
    Immerhin auf dem Radweg.

  2. Ich kenne E-Scooter nur als Touristin – komme aus einer Kleinstadt, in der sich das Aufstellen nun wirklich nicht lohnt – und aus Touristinnensicht finde ich die prima.
    Mobilität ohne Umstände, kein Problem mit Busfahrplänen, auch auf Strecken, für die sich ein Bus nicht lohnen würde, die aber zu langweilig oder ein ganz bisschen zu lang zum Laufen sind, oder für die müden Beine am Tagesende.

    Ich stelle die aber auch am Rand des Gehweges ab, versprochen.

  3. Guten Abend,
    ich beneide Sie sehr um das Erlebnis mit dem Anzugträger. Seit diese Höllenroller auch in Bonn fahren und vor allem herumstehen, wünsche ich mir, einmal ähnliches zu beobachten und anschließend darüber bloggen zu können. Vielleicht ergibt es sich ja noch.
    Herzliche Grüße

  4. Wir durften letztens erleben, dass sonst sehr seriös auftretende Reiseleiterinnen in Schweden – die eine mit einer Leidenschaft für Kunst, die andere bekennende Pippi-Langstrumpf-Fan – fluchen wie die Kesselflicker, wenn die Roller herumstehen oder -liegen. Und auch hier in Potsdam liegen die Dinger in den verschiedensten Zuständen s.o. schlimm herum, gern auch im Rudel.

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