Ich ernte die ersten Radieschen, vier Stück, es geht los. Saisoneröffnung. Ich werde die Erbsen bald stützen müssen, die Himbeeren auch. Die Akelei blüht jetzt, der Beinwell, die Schneebälle, der Rhododendron. Die Lichtnelken kommen, die Weigelie. An den Obstbäumen die grünen Früchte und die Blattläuse, über dem Rasen die schaukelnden Aurorafalter, die wollen zur Knoblauchrauke. Ich zeige den Weg, man hilft, wo man kann.
Es riecht nach Rauch. Es riecht abends immer nach Rauch, weil irgendein Gartennachbar wieder etwas grillt, räuchert oder verbrennt. Es ist aber noch so früh im Jahr, dass niemand laute Partymusik im Garten hört, politische Gespräche hinter Hecken führt oder Beziehungen im Gebüsch anbahnt, das ist angenehm. Man geht abends doch lieber früh rein. Es wird nachtfrisch, man macht Fröstelgesten und verschwindet im Gehäuse, darin ist es noch tagwarm von der Sonne auf dem Holz.
Es ist ruhig hier, tatsächlich ruhig. Es wird immer ruhiger mit der Dunkelheit. Ab und zu noch ein zaghafter Vogellaut, vielleicht im Traum schon aus einem Nest gepiepst. Ein dezentes Rascheln auf der Terrasse, vielleicht ein Igel. Ein sachtes Tasten an der Bretterwand, vielleicht ein Fliederzweig.
Vorräte einräumen, die Süßigkeiten nach hinten, Wasserkisten davor stapeln. Die erste Melone halbieren. Schon einmal Bücher für Sommerabende ins Regal stellen, die Chansontexte von Brassens, die gesamten Kaléko-Gedichte, auch die vom Krolow und die von der Kirsch, die ich nie verstehe, aber das macht nichts.
Ich mache einem Sohn und mir, wir sind nur zu zweit, Toasts im Sandwichmaker zum Abendessen. So etwas essen wir nur im Garten, also schmecken die Toasts auch verlässlich nach Sommer, nach diesem besonderen Laubenübernachtungsgefühl zwischen Ferienhaus und Camping. „Das schmeckt wieder so wie letztes Jahr“, sagt der Sohn zufrieden, und ich weiß, was er meint. Dann fragt er, wie lange wir den Garten schon haben, das sind fünf Jahre. Er rechnet nach, wieviel Anteil die Gartensommer an allen seinen Sommern haben, doch schon so viel. Weißt du noch dies, weißt du noch jenes, bei fünf Jahren geht das schon. Damals noch in der alten Laube, und dann dieser Tag, wo es so unfassbar geregnet hat. Da standen die Koniferen noch, da gab es die Birne noch nicht, da haben wir die Beete gerade erst gebaut. Da war dieser Nachbar noch da, da lebte diese Nachbarin noch. Vorne an der Weide hängt die alte Schaukel, die ist noch von den Vorpächtern. Deren Kinder sind zu groß für die Schaukel geworden, meine Kinder sind zu groß für die Schaukel geworden.
Das erste Mal Zähneputzen zwischen Beeten, in denen man am Abend nichts mehr erkennen kann. Das erste Mal spät noch raus, barfuß durch taunasses Gras, eiskalte Füße, dass man mit einem Satz schnell wieder ins Bett springt.
Ein voller, lampenheller Mond scheint in das Laubenfenster. Ich drehe mich um, dass ich ihn besser sehen kann. Er zieht von Pappel zu Pappel, er überspringt den wolkig blühenden Weißdorn, er hängt sich ins mächtige Geäst der Eiche, das kann viel tragen. Er sieht in die Fenster der Hütten, er macht den Nachtvögeln Flatterschatten. Dann steigt er langsam die Notenlinien der alten Telefon- und Stromdrähte hinauf, die sich noch durch die Schrebergartenkolonie ziehen und so sehr nach dem letzten Jahrhundert aussehen, sie ziehen sich auch an meinem Fenster vorbei. Eine aufsteigende Tonleiter der Nacht geben sie vor, bedächtig wird sie vom Mond gespielt. Ich lege das Buch weg, ich schlafe früh ein.
Die erste Nacht im Garten. Mitte Mai, wie pünktlich ist das denn.
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Ganz zauberhaft. Gelesen auf dem noch sonnigen, aber kalten Balkon, zum erbosten Piepsen der Vögel, deren Stimmen ich verlässlich verwechsele. Schönen Sonntag!
Wie ohne Sorgen…einfach nur schön … geschrieben, erlebt und miterlebt. Zauberhaft, wie “ Kiki“ es sagte !
Egon Erwin Kirsch?