Späte Tracht

Ich hänge im Schreiben hinterher. Es gibt auch Dinge, Begebenheiten, über die schreibt es sich nicht so leicht. Natürlich muss ich über so etwas gar nichts schreiben, das ist das Schöne an Blogs, es ist und bleibt alles freiwillig, aber andererseits – wenn ich nichts schreibe, weiß ich womöglich gar nicht, was ich denke.

Es gab also die bewegende Trauerfeier für Elena, Journelle. Es waren etliche Menschen aus dem Freundeskreis Internet da, darunter viele, die sich in etwa aus dem Jahr 2005 kennen, lange also schon, jahrzehntelang, so können wir es jetzt sagen. Es war nicht die Art von Bloggerinnentreffen, die wir uns damals vorgestellt hatten und der oft geäußerte Satz beim Wiedersehen, dass man sich einen besseren Anlass hätte vorstellen können, er will wohl weiter bedacht werden und wird es auch.

Die Herzdame hat etwas recherchiert, wie wir die Spende „Statt Blumen“ möglichst sinnreich unterbringen konnten, sie fand diesen Verein, bei dem es ums Schwimmen und um Integration geht, wir nehmen an und hoffen, das wäre im Sinne von Journelle gewesen.

Die Feier fand auf dem Ohlsdorfer Friedhof statt, wo ich lange nicht war. Gott sei Dank, möchte man da einerseits sagen, andererseits – es ist dermaßen schön da. Selbst im strömenden Regen ist es schön, selbst an einem ungewöhnlich kalten, nassen Oktobermorgen. Doch mal die Anlagen dort zum Spazierengehen besuchen, doch mal staunend herumgehen, diese unfassbar herrlichen alten Bäume und riesigen Büsche, diese einladenden Wege, trostreich und beruhigend fand ich die. Ich habe, das fiel mir auf, lange keinen schönen Park mehr gesehen, oder doch nur im Vorbeigehen, ich sollte das wohl ändern. Ich sehe überhaupt zu wenig Natur, das ist alles falsch eingerichtet.

Vor unserer Haustür blüht der Efeu. Spättracht sagen da einige reflexmäßig und zeigen auf die Insekten, die leicht übersehene, unscheinbare Blüten in allzu dezentem Grüngelb ansteuern. Ich stehe morgens im ersten Dämmer am Fenster und sehe runter zum üppigen Efeugeranke am Spielplatzrand, es wird schon im ersten Tageslicht gut besucht. Allerdings nicht nur von Insekten, sondern auch von Junkies, die sich dort kleine Päckchen aus den Zweigen pflücken, von anderen vermutlich in der Nacht für sie sinnig deponiert. Die Wohnlage wird mir gerade nicht sympathischer. Es ist etwas anstrengend hier, zumal ich überhaupt nur wach bin, weil eine volltrunkene Frau auf der Straße um 03:45 randaliert hat, das war sogar mir zu früh. Ein gelalltes Lamento in erheblicher Lautstärke, zuklappende Fenster ringsum, in der Ferne Polizeisirenen, ich möchte das alles gar nicht. Oder nicht mehr.

Etwas später das Eichhörnchen unter der Eiche auf dem Spielplatz, possierlich aber immer hektisch, gestresst, getrieben und gehetzt, ein entspannender Anblick geht anders. Es rennt von Eichel zu Eichel wie andere von To-Do zu To-Do, schön ist das im Grunde nicht.

Noch später ein frühes Elternpaar mit einem Kleinkind und Koffern dabei, die haben sicher eine Stunde Überbrückungszeit, bis ihr Zug vom Hauptbahnhof fährt. Niemand sonst ist zu dieser Zeit auf dem Spielplatz, es ist noch zu früh für alles, ringsum sehe ich kaum beleuchtete Fenster. Das Kind will in den nassen Sand und es will vor allem keine Klamotten anhaben, blöde Stiefel, blöde Regenhose, was soll das. Die Eltern lassen es alles ausziehen, helfen auch noch und das Kind schmeißt sich jauchzend in den Sand, strampelt mit den nackten Füßen im Oktobermorgenmatsch. Natürlich wird ihm schnell kalt, und wie ihm kalt wird, bitterkalt. Die Eltern, die in großer Ruhe ein Handtuch aus dem Koffer holen, eine andere Hose. Die das Kind auf dem Schoß abtrocknen, beruhigen, wärmen, es weint jetzt, es ist doch sehr kalt. Die es wieder anziehen, drücken und herzen, die Essen anbieten. Alles langsam und liebevoll, wie schön es ist, wenn das so gelingt.

Apropos Gelingen, apropos Trost: Es gab gebackene Zimtbirnen, nach diesem Rezept. Simpel und gut, das gibt es in der Saison öfter. Langsam und liebevoll habe ich sie gemacht und serviert, also für meine Verhältnisse jedenfalls. Irgendwo anfangen.

Man kann im Winter nicht immer nur Holunderbirnen essen.

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